Zusammenfassung
Kohli hat 1992 die Situation der Alterssoziologie wie folgt beschrieben: „Die Alterssoziologie stand bisher ganz am Rande der allgemeinen Soziologie. Sie ließ sich ihre Tagesordnung von den drängenden praktischen Problemen ihres Gegenstandsfeldes diktieren. Sie war damit eine angewandte Soziologie im guten wie im schlechten Sinne: im guten, indem sie sich vorbehaltlos auf die institutionelle Wirklichkeit ihres Feldes einließ, im schlechten, indem sie sich die innerhalb dieses Feldes entstandenen Problemdefinitionen aufdrängen ließ und keinen Punkt fand, von dem aus sie diese selber zum Thema machen konnte“ (Kohli 1992, S. 232). Kohlis treffende Beschreibung der Alterssoziologie betrifft zunächst die grundlegende Paradoxie von Soziologie und Gesellschaftstheorie schlechthin. Wie Luhmann zwingend nachwies, ist jede Gesellschaftsbeschreibung selbstreferentiell und autologisch: „Wie immer man den Gegenstand definieren will: die Definition selbst ist schon eine der Operationen des Gegenstandes. Die Beschreibung vollzieht das Beschriebene. Sie muß also im Vollzug der Beschreibung sich selber mitbeschreiben. Sie muß ihren Gegenstand als einen sich selbst beschreibenden Gegenstand erfassen“ (Luhmann 1997, S. 16). Es gibt somit keinen archimedischen Punkt der Fremdbeschreibung von Gesellschaft. Es ist klar, dass eine Bindestrich-Soziologie wie die Alterssoziologie diese grundlegende Paradoxie nicht auflösen kann. Doch Kohlis Kritik geht ja noch weiter als die Paradoxie zum Ausdruck bringt: Er betont, dass sich die Alterssoziologie von der Selbstbeschreibung der Problemdefinition nicht lösen kann. Im Grunde macht sie sich überflüssig, weil sie lediglich das repliziert, was als gesellschaftliche Problemdefinition vorgegeben ist. Was also ist der Sinn ihres Operierens, wenn in der Alterssoziologie nur das gesagt wird, was im Objekt ihrer Beschreibung — der gesellschaftlichen Beschreibung von Alterungsprozessen im gesellschaftlichen Alltag — bereits gesagt ist?
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Literatur
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Bauch, J. (2002). Soziales, Psyche, Soma: Wie reagieren Sozialsysteme auf menschliche Alterungsprozesse?. In: Dallinger, U., Schroeter, K.R. (eds) Theoretische Beiträge zur Alternssoziologie. Reihe Alter(n) und Gesellschaft, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11634-9_10
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