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Stadtplanung im Geschlechterkampf

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Stadtplanung im Geschlechterkampf

Part of the book series: Stadt, Raum und Gesellschaft ((SRG,volume 20))

Zusammenfassung

In den folgenden Abschnitten möchte ich zeigen, daß die moderne Stadtplanung in der gesellschaftlichen Erfahrung und Wahrnehmung der Stadtkrise als Geschlechterkrise einen bedeutenden, aber in der Fachliteratur bislang nirgendwo systematisch reflektierten Ausgangspunkt hat.

„The politics of space are always sexual, even if space is central to the mechanisms of the erasure of sexuality.“ (Colomina 1992 a)

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Literatur

  1. Mit dem Ausdruck régulariser beschreibt Haussmann in seinen Mémoiren vor allem seinen Umgang mit dem alten Stadtkem von Paris (z.B. 1890: 67, 91; vgl. Choay 1969: 112, Anm. 18).

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  2. Den in der französisch-und englischsprachigen Sekundärliteratur eingebürgerten Begriff der régularisation bzw. regularization werde ich hier weiter verwenden, da mir in der deutschen Übersetzung.

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  3. Regulierung“ oder „regulieren” das für die Haussmannisierung so charakteristische autoritär disziplinierende Moment verloren zu gehen scheint.

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  4. Zu den Bildern der Stadt als (krankem) Organismus und vom Planer als Chirurgen vgl. Vidler (1978: 38ff).

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  5. Die Auffassung von der Geometrie als „männlich“ und „vernünftig” hat eine lange, bis in die Antike zurückreichende Tradition, die im Kontext industriekapitalistischer Urbanisierung aktualisiert wird. Vgl. Vidler 1978: 32ff).

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  6. Dieser vielzitierte, 1865 von Victor Fournel geprägte Spitzname (Choay 1969: 15) drückt die kriegerische Willkür und Brutalität aus, mit der Haussmann die Geometrisierung und Rationalisierung der Stadt betrieb. Im selben Sinne bezeichnete Madame Baroche (die Gattin eines Ministers) den Präfekten wegen seiner kompromißlosen Enteignungspolitik als „Attila de l’expropriation“ (zit.n. Pinon 1991d: 128). Wenn die Titulierung „Attila” also einerseits auf die rücksichtslose Entschlossenheit verweist, mit der Haussmann bei der Um-und Durchsetzung seiner Pläne zu Werke ging.

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  7. So läßt sie andererseits zugleich auch widerstrebend bewundernden Respekt erkennen. größer werdende Bedrohung fir die Kapitale“ dar (Willms 1988: 369). „Ce n’est pas le nom de Paris, mais celui de Babel qu’il faudrait donner à un pareil assemblage”, lautete Haussmanns angewidertes Fazit in seiner Begründung des Eingemeindungsvorhabens (zit.n. Pi-non 1991c: 120).

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  8. Allerdings blieb die Peripherie immer Stiefkind der urbanen Entwicklung: ein „Zwitterwesen“, nicht mehr Banlieue, aber auch kein integraler Bestandteil von Paris (vgl. Jordan 1996: 301 ff). Siehe auch die folgenden Ausfiihrungen zu Belleville.

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  9. Zur zentralen Bedeutung des raumordnenden, von cardo und decumanus gebildeten Kreuzes in der antiken römischen Stadt siehe Rykwert (1988), Sennett (1994b: 106ff).

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  10. So verfaßte Th. Jacoubet, „cartographe auteur du principal atlas de la ville de Paris“, zu diesem Zwecke eigens eine Karte der Stadt „sous la domination romaine” (Pinon 1991 a: 64). Jacoubet wurde offenbar zur Fälschung veranlaßt. Diesen in der Bibliothèque Nationale de France lagernden Plan hätte ich gerne abgebildet; leider habe ich die vor langer Zeit bestellte Kopie bis heute nicht erhalten.

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  11. Die tiefe Bedeutung dieses Gründungsaktes hat David Jordan in seiner kenntnisreichen und ansonsten interpretatorisch starken Arbeit nicht erfaßt. Er diskutiert den mythischen Rückbezug zwar, zeigt sich darüber aber hoch erstaunt, da Haussmann und Louis Napoléon es seiner Einschätzung nach „gewiß nicht nötig hatten, sich nach einem antiken Stammbaum umzusehen“ (1996: 206). Ebenso unterschätzt Jordan meiner Meinung nach die Bedeutung der von Haussmann in seinen Memoiren wiederholt hergestellten Parallelen zur Antike sowie die Tatsache, daß der Präfekt das Rom des Augustus immer wieder als „Metapher, Vorbild und Vergleichsmaßstab” heranzieht (ebd.: 28). Jordan bewertet dies als „eher rhetorisch als praktisch gemeint“, denn schließlich würden im 19. Jahrhundert „die Städte nicht mehr von Eroberern und Helden, sondern von Bürokraten und Beamten geschaffen”. Diese Fehleinschätzung beruht hier m.E. auf der unhaltbaren Entgegensetzung von antikem Mythos und moderner Gegenwart, von Vergangenheit und Zukunft, und verkennt damit die tiefe Verschlungenheit von Mythos und Moderne gerade in der Stadtentwicklung des 19. Jahrhunderts. Jordans Interpretation möchte ich entgegen halten, daß die Tatsache, daß Haussmanns Selbstbild als nüchterner Verwaltungsbeamten und dem Kaiser treu ergebenen Staatsdiener mitnichten ausschließt, daß dieser — der zudem ganz gewiß nicht an übersteigerter Bescheidenheit oder mangelndem Selbstbewußtsein litt — sich gleichzeitig gerade in und aufgrund dieser Eigenschaften auch als heldenhaften Stadt-Neu-Gründer imaginierte, der gemeinsam mit dem verehrten Kaiser Napoleon seine Stadt in ein neues, blühendes Zeitalter ihrer Entwicklung führt, so wie dies dereinst Kaiser Augustus und seinen Adilen im alten Rom gelungen war. Haussmanns erklärtes Ziel war, die Stadt zu einer „Cité-Reine“ zu machen, zum „Rome Impériale de nos jours” ( 1890: 99 ).

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  12. Bei Willms findet sich folgende schöne Übersetzung dieser zentralen Passage: „Man schlitzte dem alten Paris, dem Quartier der Aufstände und der Barrikaden, mittels einer großen, zentralen Schneise den Bauch auf, indem man Stück für Stück dieses fast unpassierbare Gewirr von Gassen durchbrach und Querverbindungen anlegte, deren Fortsetzung das derart begonnene Werk vollendete.“ (1988: 354f)

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  13. Auf die mit dem Namen Betgrand verbundenen Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit durch Kanalisationsbau und Wasserversorgung brauche ich hier nicht mehr einzugehen. In ihrer Geschichte von Paris von 1926 heben Dubech und D’Espezel noch einmal den Vorbildcharakter der erfolgreichen Transformation des Untergrunds für die oberirdische Stadtentwicklung hervor: „Les poètes pourraient dire qu’Haussmann fut mieux inspiré par les divinités d’en bas que par les dieux supérieurs.“ (zit.n. Benjamin 1982: 142 )

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  14. Auch Walter Benjamin weist auf eine Kammerrede des Präfekten hin, in der dieser 1864 seinen „Haß gegen das wurzellose Großstadt-Proletariat zum Ausdruck brachte“, und merkt dazu treffend an, daß Haussmann dieses durch seine Untemehmungen selber beständig noch vermehrte (1982: 57).

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  15. David Jordan zufolge können Haussmanns Motive für sein erbarmungsloses „Wüten“ auf der Île de la Cité nur psychologisch bzw. vor dessen „persönlichem Hintergrund” verstanden werden. So legte der asthmakranke Haussmann schon als Kind ausgeprägte phobische Reaktionen gegenüber dem Miasma von Schmutz und Gestank an den Tag, die sich zu einem krankhaften „persönlichen Reinlichkeitswahn“ gesteigert hatten. Wie Jordan aus Haussmanns angewiderten Beschreibungen der „Kloake” Alt-Paris herausliest, nahm des-sen allgemeiner Haß in bezug auf die Insel nachgerade zwanghafle Züge an, bis dieser sich, wie Jordan formuliert, „in einer kathartischen Zerstörungswut“ hemmungslos entlud (1996: 220f).

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  16. Ein Schulinspektor schrieb 1856: „Sobald man den äußeren Boulevard überquert hat, befindet man sich unter Menschen, die durchweg unwissend und wild sind, obwohl sie in zwei verschiedene Gruppen zerfallen. Vor allem lebt dort der Abschaum der Pariser und lungert (…) durch Laster in Elend und Brutalität gestürzt, an der barrière herum.“ (zit.n. Jordan 1996: 303)

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  17. schuftete jeder fünfte Pariser Lohnarbeiter im Baugewerbe (Mönninger 1991).

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  18. Haussmann hat sich immer gegen den schon zu seinen und Napoleons Amtszeiten erhobenen Vorwurf verwahrt, daß seine Boulevards, namentlich die im,wilden Osten’ zuerst und vor allem das Ziel der Bekämpfung von Volksaufständen verfolgen würden. In seinen Mémoiren gestand er aber zu: „S’il n’a pas cherché, par-dessus tout, ce résultat, comme l’opposition le lui reprochait, on ne peut nier que ce fût la très heureuse conséquence de tous les grands percements conçus par sa Majesté pour améliorer et pour assainir l’ancienne ville.“ (1890: 55) Willms verwirft diese Einschätzung als reine Apologetik und vertritt die These, daß der Stadtumbau zuallererst und offensiv militärisch-strategisch motiviert war (1988: 356). Auch bei Walter Benjamin heißt es: „Der wahre Zweck der Haussmannschen Arbeiten war die Sicherung der Stadt gegen den Bürgerkrieg.” (1982: 57) Donald Olsen dagegen akzeptiert des Präfekten Erklärung und wettert gegen all jene, die die „subtileren Motive“ der Haussmannisierung — ästhetische, sanitäre, philanthropische — großzügig ignorierten (1988: 66). Auch Choay (1969), Pinon (1991: 76f) und Jordan (1996) bewerten das strategische Kalkül als einen Beweggrund unter anderen. Dem schließe ich mich insofern an, als ich die machtpolitischen und sozialhygienischen, die strategischen und ästhetischen Motive als engstens zusammengehörige, manchmal konfligierende, jedoch keinesfalls konkur-rierende, sondern sich insgesamt wechselseitig stabilisierende Elemente im selben Dispositiv der Zivilisierung der Stadt durch ihre Disziplinierung betrachte.

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  19. Zu diesem Zweck wurden die bis zu 30 Meter breiten Boulevards sorgfältig in verschiedene „Bahnen“ unterteilt, so daß sich die verschiedenen Gruppen von Verkehrteilnehmern mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten (wie eilige Fußgänger und schlendernde Spaziergänger, schnelle und langsame Vehikel, Pferde, Kutschen) nicht gegenseitig behinderten. S. die Abbildung in Vidler (1978: 93).

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  20. Die von den Thesen Chadwicks genährte Erwartung des Kaisers, daß die öffentlichen Parks und Gärten einen positiven Einfluß auf die Moral und die Lebensgewohnheiten der städtischen Unterklassen ausüben würden, teilte Haussmann allerdings nicht. Nichtsdestoweniger glaubte er fest an die vorbeugende und heilsame Wirkung von Natur, Sonne und frischer Luft in bezug auf Ansteckungskrankheiten (Saalmann 1971: 19). Unter diesem Gesichtspunkt ließ Haussmann sowohl den Bois de Vincennes (als Gegenstück zum Bois de Boulogne im schicken Westen) als auch die Parks Buttes Chaumont und Montsouris in der wilden, proletarischen, planerisch ansonsten komplett vernachlässigten Petite Banlieue errich- ten. Willms bezeichnet ihre Anlage deshalb als ein diese Nichtbeachtung verschleierndes „Meisterstück der politischen Kosmetik“ (1988: 370).

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  21. So ließ Haussmann die Boulevards durch majestätische, repräsentative, zum Teil sogar doppelte Kastanienreihen säumen, die „die geraden Linien betonen und die Perspektive unterstreichen“ (Jordan 1996: 297). Kleinere Grünräume dagegen sollten durch unregelmäßige Bepflanzung möglichst,natürlich` anmuten, um einen Kontrast zur Uniformität und Regelmäßigkeit der umliegenden Häuserfronten herzustellen und diese dadurch zugleich zu betonen (Loyer 1998: 317).

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  22. Als dekadenten Lustgarten beschreibt den Bois ausführlich auch Zola in Nana (1879/80).

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  23. Mit den gleichen Mitteln und ähnlichen Gestaltungsprinzipien gelang Haussmann und Alphand die wundersame Verwandlung ausgerechnet jener kahlen Anhöhe Montfaucon, deren „dunkle Drohung“ zu Parents Zeiten die Stadt in Angst und Schrecken versetzt hatte (s. Kapitel 6), in die idyllisch-pittoreske Parkanlage Buttes-Chaumont, die während der Expo 1867 eröffnet und mit größter Begeisterung aufgenommen wurde. Eine verzückte Schilderung dieser Transformation des „wüsten”, „scheußlichen“, „unheimlichen” Galgenberges Montfaucon in Buttes-Chaumont, das „Juwel“ von bizarrer Schönheit, findet sich bei Max Nordau (1878-I: 65ff).

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  24. Dessen ungeachtet wird gerade von den in den benachteiligten Vierteln der Stadt gelegenen Parks berichtet, daß ihre proletarischen Nutzerinnen sich nicht immer an die Besucherordnung hielten, sondern eigene Gebrauchsweisen entwickelten: „The working classes soon adopted the park which had been built for them, although they did not quite show as much respect to park regulations as they should have done — they picked the flowers, tore up the bushes, trampled the lawns, and even stripped the pine trees of their needles to make herbal infusions!“ Zum Glück betrage sich das Publikum heute besser: „These days, the public fortunately shows more respect to the magnificent sweeping lawns and the herbaceous borders and flower beds of this park which is still today one of the finest in the capital.” (http:// www.napoleon.org/en/magazine/museums/files/Buttes-Chaumont_Park.asp; 27.03.03)

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  25. Gandy informiert: „By the 1870s, the renaissance emphasis on the male nude as ideal human form was increasingly supplanted by the female nude and the imposition of a new bodily aesthetic.“ (1999: 34)

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  26. Die schmutzigen Schwerindustrien wurden aus der Innenstadt in die Banlieue verbannt (Jordan 1996: 188).

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  27. So verfügte der Baron, daß die Fassaden aller an wichtigen Plätzen und Straßen gelegenen Häuser von der Geschoßzahl bis zum Balkongitter architektonisch einheitlich zu gestalten seien. Variationen waren nur im Detail gestattet (Benevolo 2000: 846, Jordan 1996: 187 ).

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  28. So konnte der Einsatz immer wiederkehrender Gestaltungselemente nach Größe, Lage und Nutzergruppen der Anlage variieren: Wenn man z.B. auch alle öffentlichen Grünanlagen mit Zäunen und Toren umschloß, so wurden die Portale des eleganten Parc Monceau vergoldet, während die Stadtteilplätze der einfachen Viertel mit schmucklosen Eisengittem auskommen mußten (Jordan 1996: 295, Loyer 1988: 317 ).

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  29. Haussmanns drastische, auf das alte Paris bezogene Bilder des Aufschlitzens, Aufschneidens oder Ausweidens sowie die Tatsache, daß der Präfekt niemals ein Hehl aus der „großen Genugtuung“ machte, die es ihm bereitet hatte, gleich zu Beginn große Teile von Alt-Paris einfach abzureißen, lassen diese Inszenierung Zolas plausibel erscheinen: „Ce fut une grande satisfaction pour moi que de raser tout cela pour mes débuts à Paris”, schrieb Haussmann in seinen Memoiren (1890: 40, Hervorhebung SF). Auch Marcel Raval unterstellt deshalb, daß Haussmanns,Zerstörungshandeln` ein rauschhaftes oder schwindelerregendes Moment innewohnte: „Il n’est pas douteux qu’une sorte de vertige de destruction le possédait.“ ( 1943: 51 )

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  30. Als Saccard nach diesem Moment der Enthemmung wieder zu sich kommt, schämt er sich, Angèle seine geheimen, untergründigen Antriebe offenbart zu haben. „Als diese starb, war es ihm nicht unlieb, daß sie sein Geschwätz vom Montmartre mit sich unter die Erde nahm.“ (Zola 1871: 101)

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  31. Wie Mönninger (1991) berichtet, rühmte Le Corbusier 1925 das „gigantische Werk dieses Willensmenschen und verkündete stolz:,Ich bin der Haussmann von heute“`.

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  32. Le Corbusier war nicht nur Architekt und Städteplaner, sondern auch Maler, Bildhauer und Publizist. Zu seinem enormen Gesamtwerk gehören nicht nur realisierte und nichtrealisierte städtebauliche und architektonische Entwürfe und Projekte, sondern auch über fiinfzig Bücher sowie Manifeste, Reisenotizen, Fotografien, Videos, Skizzen, Gemälde und Skulpturen. Ich konzentriere mich im Folgenden vor allem auf die mit dem Städtebau in Verbindung stehenden Arbeiten, darunter vor allem die in Urbanisme (1925) enthaltenen Entwürfe Ville Contemporaine und Plan Voisin sowie die 1933 publizierte Ville Radieuse. Da nicht alle französischen Originaltexte ins Deutsche, wohl aber ins Englische übertragen sind und erstere — im Gegensatz zu letzteren — in deutschen Bibliotheken nur sehr eingeschränkt zugänglich sind, zitiere ich im folgenden — aus Gründen der Einheitlichkeit — die englische Übersetzung. Gegenüber der deutschen bietet diese außerdem den gerade für mein Thema essentiellen Vorzug, daß das englische,man` die Mehrdeutigkeit des französischen,homme` als,Mensch` und,Mann` nicht einebnet, sondern ebenfalls in der Schwebe hält.

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  33. Ohne allzu spitzfindig erscheinen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle doch anmerken, daß ich es nicht fir einen Zufall halte, wenn Le Corbusier ausgerechnet seine Zeichnung der runden, naturnahen „Hütte des Wilden“ (1925: 18) mit einer nackten Frau illustrierte, während die schnurgeraden Linien der städtischen Zivilisation eindeutig als „work of men” gepriesen wurden (1925: 271, Hervorhebung Le Corbusier).

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  34. Le Corbusiers Definition des Großkreuzes enthielt eine deutliche Anspielung auf Haussmanns Bestimmung seiner Grande Croisée: „Running north and south, and east and west, and forming the two great axes of the city, there would be great arterial roads for fast oneway-traffic.“ (1925: 168)

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  35. Um Tempo und reibungsloses Funktionieren zu gewährleisten, bewegten sich die verschiedenen Verkehrsarten grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen und in jeweils eigenen, streng voneinander geschiedenen Bahnen. Getrennt wurden „Luftverkehr, schneller Automobilverkehr, langsamer Automobilverkehr, Untergrundbahn, suburbane Eisenbahn, überregionale Eisenbahn; daneben der Fußgängerverkehr auf einem feinmaschigen Wegenetz durch die parkähnlichen offenen Flächen“ (Lampugnani 1993: 12 ).

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  36. Robert Fishman spricht diesbezüglich — sehr überzeugend, wie ich finde — von einer „ fearful symmetry“ which „symbolized the victory of reason over chance, of planning over anarchic individualism, of social order over discord” (1991: 190, Hervorhebung SF).

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  37. A flat is a collection of mechanical and architectural elements which give us comfort and security.“ (1925: 211)

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  38. Schon das 1920 vorgestellte Projekt „Maison Citrohan“ beinhaltete Idee und Prototyp einer „Wohnzelle”. Das dem Modell eines Autos oder einer Schiffskabine nachempfunde „Typenhaus Citrohan“ erläuterte er mit dem Satz: „Man muß das Haus wie eine Wohnmaschine auffassen” — eine Provokation, die Le Corbusier schlagartig berühmt machte (vgl. Lampugnani 1993: 10).

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  39. Bei der Ville Radieuse handelte es sich im wesentlichen um die in Le Corbusiers „syndikalistischer Periode“ entstandene, konsequente Fortentwicklung des Stadtmodells der Ville Contemporaine. Die Gründung der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CI-AM) 1928 und verschiedene Reisen nach Moskau brachten Le Corbusier in Kontakt mit der internationalen Avantgarde. „Dieser doppelte Einfluß bewirkte eine entscheidende Veränderung der eigenen urbanistischen Idealvisionen: Die hierarchische und in sich geschlossene Ville Contemporaine verwandelte sich in die,klassenlose` und kontinuierlich erweiterbare Ville Radieuse,die großzügig bemessenen Citrohan-Appartements mit doppelgeschossigem Salon mutierten zu spartanischen Wohnzellen, die jedem Bewohner nur 14 qm Lebensfläche gewähren.” (Lampugnani 1993: 14f) Einerseits egalitärer konzipiert, war die Ville Radieuse andererseits und zugleich auch deutlich autoritärer ausgerichtet. Die Trennung der städtischen Funktionen wird beibehalten, die ohnehin schon strikte Trennung von öffentlicher und privater Sphäre wird noch verschärft, erstere zudem total verregelt. „Within the sphere of collective life, authority has become absolute.“ (Fishman 1991: 226)

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  40. Im selben Sinne beschreibt Le Corbusier auch in „Ein kleines Haus“, wie er das Haus seiner Eltern durch eine Mauer umgibt und dadurch von der Landschaft abgrenzt — gemäß seiner Bestimmung: „Das Haus, das Grenze sein soll unseres Menschtums, das uns umschließt, von der gegensätzlichen Erscheinungswelt der Natur abtrennt.” (zit.n. Choay 1960: 22, Anm. 39)

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  41. Der Plan erobert die Landschaft“, schreibt Le Corbusier (zit.n. Choay 1960: 22, Anm. 39).

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  42. Außer an das römische Vorbild erinnert das rechtwinklige Gitter, das Le Corbusier über unberührtes Land legt, auch an „the gridding of America“ — an die Urbanisierung Amerikas, die ebenfalls als — geschlechtlich konnotierter — Kampf zwischen,city` und,wilderness` imaginiert wurde. Die Wildnis wird schließlich städtisch gebändigt, indem man ihr die rationale Ordnung eines Gitters überstülpte. „Curved lines (…) symbolize the country, straight lines the city” (Daniel Drake zit.n. Jackson 1985: 74) — „Grids were drawn over the natural terrain as if on a blank piece of paper: cities without history.“ (Agrest 1996: 58)

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  43. Paris the Cartesian City. Paris refusing all confusion, Paris means clarity. (…) „The line of Paris is the straight line.“ (1933: 99) — „I am afraid for her, because no one, in the places where decisions are taken, is concerned with carrying on the tradition of Paris. At this moment, the city is racked with disease; it is becoming impotent and senile on all sides. No Colbert to prescribe for it, no surgeon to operate.” (ebd.) — „I must say: PARIS IS IN DANGER!“ ( 1933: 98 ).

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  44. Die hier entscheidende Passage hat Hans Hildebrandt, Übersetzer und Herausgeber der deutschen Ausgabe Städtebau, kongenial ins Deutsche übertragen: „Paris (…) schreit mit seinen Wunden nach Ordnung, Geraden und rechten Winkeln.“ (I 929b: 23 )

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  45. Überhaupt erkannte Le Corbusier außer den tief bewunderten alten Römern einzig Ludwig XIV als „great planner of the West“ voll an (1925: 8). Nicht zufällig schloß Urbanisme auf der letzten Seite mit einem Stich, der den König bei der Grundsteinlegung fir das Hôtel des Invalides zeigt. Folgende neidvoll-bewundernde Sätze hat Le Corbusier hinzugefügt:,,Flo-mage to a great town planner. This despot conceived immense projects and realized them. (…) He was capable of saying:,,We wish it’ or,Such is our pleasure`.” (1925: 302)

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  46. Daß Städtebau fir Le Corbusier eine Angelegenheit berufener Männer war, kam deutlich in den Ende der 50er Jahre „an die Studenten der Bauhochschulen“ gerichteten Vorträgen zum Ausdruck: „Seit einem Jahrhundert haben klarblickende Männer Ideen gehabt, Grundbegriffe aufgestellt, Vorschläge gemacht” (1957: 7); „Fühlen Sie die brüderliche Berufung der Architektur und Städteplanung zum Dienst am Menschenbruder?“ (1957: 24)

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  47. Schrieb er „… il faut le bon plan, le plan totalitaire symphonique,qui réponde aux besoins collectifs et assure le bonheur individuel:… ici est le rôle tout puissant et bienfaisant de l’autorité: l’autorité père de famille.“ (1937: 222, Lampugnani 1993: 26, Anm. 23, Hervorhebung SF) Die englische Übersetzung entschärft diese Passage meiner Meinung nach sinnentstellend: „A good plan is necessary, a complete,symphonic plan; one that satis-fies collective needs and assures individual happiness. The cellular reformation of American cities is required. That is the function of powerful and beneficient public authorities: authorities acting as the head of the family.” (1937: 198, Hervorhebung SF) Auf Le Corbusiers Plan Obus A für Algier (1932) antwortete der progressive Bürgermeister M. Bunel: „I’m not sure that our present means are capable of realizing (its) goals. (…) I would add that for the requisite authorities to declare the complete destruction of an agglomeration of three hundred thousand inhabitants and its reconstruction (…) it would be necessary to have an absolute dictator with the property and even the lives of his subjects at his disposal.

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  48. If my unlucky star were to lead me to this absolute dictator necessary to the execution of your plans, I would not adopt them for the reason that they project the reconstruction of the city on the same site: I would choose another, better, nearby, and it would be easier.“ (zit.n. Jencks 2000: 235 )

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  49. Das Regime von Vichy war schließlich der „historische and geographische Ort.

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  50. wo Le Corbusier jene aufgeklärte Autorität gefunden zu haben wähnte, nach der er jahrzehntelang gesucht hatte“ (Lampugnani 1993: 24).

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  51. so energetically escaped. What is the sauce for the goose is sauce for the gander: only 5 hours housework per day as well.“ (1933: 112)

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  52. So weist Le Corbusier seinen,jungen Mitarbeiter Hanning“ an: „Nehmen Sie den Mann mit dem erhobenen Arm, 2,20 m hoch, stellen Sie ihn in zwei übereinander angeordnete Quadrate von 1,10 m; lassen Sie auf den beiden Quadraten ein drittes Quadrat reiten, das Ihnen eine Lösung bringen muß. Der Ort des rechten Winkels wird Ihnen helfen, die Lage dieses dritten Quadrates zu finden. (…) Ich bin überzeugt, daß Sie mit diesem Werkstattgitter, das durch den in seinem Innern aufgestellten Menschen reguliert ist, zu einer Reihe von Maßen gelangen werden, die die menschliche Gestalt (mit erhobenem Arm) und die Mathematik in Einklang bringen.” (1948: 37)

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  53. Charles Jencks hat eine Reihe dieser Bilder dokumentiert (2000: 190, 196, 199, 201, 202).

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  54. Ich möchte die Interpretationsschraube nicht überdrehen und überblicke Le Corbusiers Werk ganz sicher auch nicht bis ins Letzte, aber es scheint mir doch auffällig, daß die gekurvte, „weibliche“, angeblich „unzivilisierte” Linie vomehmlich in urbanistischen Entwür-fen auftaucht, die sich auf nicht-europäische Städte beziehen (wie Algier oder Rio de Janeiro).

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  55. Jencks schreibt: „Yvonne (die Gattin Le Corbusiers, SF), by contrast, gave him the peace, silence, and service he sought as a creator who often worked at home. (…) Foreign female acquaintances who dared phone him at home received a standard answer:,Connais pas’ as he hung up. „ (2000: 194) In einem Nachruf auf seine Frau würdigt Le Corbusier diese als „guardian angel of the home, my home, for thirty-six years“ (zit.n. ebd.).

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  56. Ich möchte hier auf Le Corbusiers Wandgemälde Sous les pilotis,auch bekannt als Graffite à Cap Martin und Trois Femmes,das er 1938 an einer Wand der überdachten Veranda des von der Architektin Eileen Gray erbauten Hauses E.1027 ohne deren Wissen und Erlaubnis anbrachte, nur hinweisen, ohne weiter darauf einzugehen. Das Gemälde zeigt einen weiblichen Doppelakt mit Kind; in den Oberkörper der rechten erwachsenen Figur ist ein Hakenkreuz eingewoben. Eine genaue Analyse des rätselhaften Verhältnisses Le Corbusiers zu E.1027 und eine konsistente Deutung des Gemäldes in seinen verschiedenen Aspekten stehen noch aus. In der Literatur hoch umstritten ist vor allem auch die Frage, ob das Hakenkreuz als Kommentar zu der Bisexualität Eileen Grays oder gar — in Antizipation eines mediterranen Faschismus — als Denunziation, ja offene Drohung zu verstehen ist. Siehe hierzu v.a. Colomina (1996), vgl. von Moos (1980), Adam (1989), Lampugnani (1993: 23f), Constant (2000).

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  57. Auch wenn ich mich entschieden habe, das private Beziehungs-und Sexualleben der in meiner Arbeit behandelten Meisterplaner nicht in die Analyse der jeweiligen Planungsphantasien einzubeziehen (und in bezug auf Le Corbusier nur um der Auseinandersetzung mit den interessanten Thesen von Jencks willen eine Ausnahme mache), so bin ich doch der grundsätzlichen Überzeugung, daß die Untersuchung der Zusammenhänge von Leben und Werk eine sehr lohnende und aufschlußreiche Angelegenheit ist. Dies zeigen auch die biographischen Anmerkungen von Jordan (1996) zu Haussmann sowie die Biographien von Beevers (1988) über Howard und von Miller (1989) über Mumford.

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  58. Die deutsche Übersetzung folgte der zweiten Ausgabe und wurde 1907 unter dem Titel „Gartenstädte von morgen“ veröffentlicht.

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  59. In seinem berühmten Bild der drei Magneten benennt Howard die Vor-und Nachteile des Stadtlebens (immer im Vergleich zum Land!) wie folgt: Auf der Anziehungsseite der Stadt verbucht er u.a. hohe Löhne, gute Arbeitsgelegenheiten, Geselligkeit, Amusement, hellerleuchtete Straßen, schöne Gebäude und Paläste. Auf der Gegenseite schlagen hohe Mieten, teure Lebensmittel, „Über-und Nachtarbeit“, weite Anfahrtswege, die „Isolierung der Massen”, kaum Sonnenlicht, verunreinigte Luft, Alkoholismus und das Nebeneinander von „palastähnlichen Gebäuden und schrecklichen Slums“ zu Buche (1902: 55ff).

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  60. Daß es sich bei diesem Dialog tatsächlich um einen Wettstreit zwischen männlichem Stadtmagnet und weiblichem Landmagnet handelt, wird im englischen Original deutlich, in dem es heißt: „The Country magnet declares herself to be the source of all beauty and wealth; but the Town magnet mockingly reminds her that she is very dull for lack of society, and very sparing of her gifts for lack of capital.“ (19026: 47f, Hervorhebungen SF) Die deutsche Übersetzung ebnet diese klare geschlechtliche Codierung ein.

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  61. Die Sekundärliteratur ist sich darüber einig, daß die magnetische Anziehung, die Howards Idee ihrerseits seit ihrer Veröffentlichung ausübte, nicht zuletzt auf ihrem schillernden Namen „Gartenstadt“ selbst beruht. Eine Ausnahme bildet Mumford, der die Namenswahl für unglücklich hält und die Bezeichnung „Grüngürtelstadt” bevorzugt hätte (1961: 605). Howards Biograph Robert Beevers hat überliefert, daß dieser seine Idealstadt zuerst „Unionville“ oder „Rurisville” zu nennen beabsichtigte (1988: 40–54). Der Terminus Garden City geht vermutlich auf den Künstler und Sozialreformer William Morris (1834–1896) zurück, der ihn in den 1870er Jahren benutzt haben soll (Ward 1991: 4) und der für Howard durch seinen sozialutopischen Roman News from Nowhere von 1890 zu einer wichtigen Quelle der Inspiration wurde.

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  62. Howard selbst bezeichnete sein Gartenstadtmodell als eine „einzigartige Verschmelzung früherer Projekte“ (1902: 120). Stets verfuhr er nach dem Prinzip, von allen Ideen die ihm am besten oder einleuchtendsten erscheinenden Elemente zu entlehnen und die erkannten Nachteile oder Schwierigkeiten zu eliminieren. Auf diese Weise entstand aus bereits bekannten Prinzipien und Vorschlägen ein im Ganzen neuer Plan. Howard bezog sich namentlich vor allem auf die Vorschläge Thomas Spences und Herbert Spencers zu einer Reform des Bodenrechts, auf die Ideen Edward Gibbon Wakefields und Alfred Marshalls zu einer organisierten Siedlungsbewegung der arbeitenden Bevölkerung aus den Städten auf das Land sowie auf James Silk Buckinghams Modellstadt Victoria (1849). Im Zusammenhang mit der Frage, wie denn die neue Siedlung sozialräumlich gestaltet sein müßte, um zu einer ausgewogenen Gemeinschaft zu fuhren, setzte sich Howard aber auch mit den Erfahrungen älterer reformorientierter Neugründungen von Städten bzw. Arbeitersiedlungen auseinander. Zu den wichtigsten gehörten Robert Owens New Lanark (1817), Titus Salts Saltaire (1851) und James Cadburys Bournville (1879) (vgl. Posener 1968: 15ff; Kieß 1991: 103ff, 259ff). Bei den letztgenannten handelt es sich um für die Zeit typische paternalistische, philanthropische Projekte: Sozial und pädagogisch gesinnte Fabrikbesitzer errichteten fabriknahe Siedlungen für ihre Arbeiter und deren Familien, um diese nicht nur aus dem physischen Elend der Großstadt zu befreien, sondern dadurch zugleich auch geistig und sittlich-moralisch zu,heben` (Posener 1968: 22).

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  63. I will not cease from mental strife, Nor shall my sword sleep in my hand, Till we have built Jerusalem In England’s green and pleasant land. “ (19026: 50) Patrick Geddes bezeichnete Blakes Gedicht als „veritable town-planner’s hymn” ( 1915: 88 ).

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  64. Der Originalausdruck „home-city“ (1902b: 111) wird in der deutschen Übersetzung umständlich mit „eine Stadt, die eine wirkliche Heimat bietet”, wiedergegeben (1902a: 113).

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  65. In vielen Fällen sind Howards Diagramme als konkrete Baupläne mißdeutet worden. Dabei machte Howard immer deutlich, daß diese nicht als solche, sondern als schematisierende, simplifizierende Strukturmodelle aufzufassen waren, die an die konkrete Umgebung angepaßt gehörten.

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  66. Die Vorstellung, daß Formen ein Geschlecht haben und bestimmte geschlechtlich bestimmte Eigenschaften oder Wesensmerkmale verkörpern, ist sehr alt. Zu diesen Vorstellungen gehört seit jeher die Definition des Kreises als eine weibliche und der Geraden als eine männliche Figur oder Linie. Karl Scheffler hat das Verhältnis von beiden, wie es in der Zeit der Meisterplaner imaginiert wurde, wie folgt auf den Punkt gebracht: „Die Lebensform einer Frau kann man einer Kreisfigur vergleichen; die des Mannes gleicht einer von eben dem Mittelpunkt dieses Kreises ausgehenden, zur Peripherie eines weiteren Krieses radikal hinstrebenden Linie. Die Natur der Frau ist Zuständlichkeit, die des Mannes ist Willensbewegung. Darum wurde die Frau zur Hüterin des Hauses.“ ( 1908: 18f )

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  67. Auch Kropotkins Lehren vom gesellschaftlichen Nutzen moderner Technologien und von der Bedeutung einer zahlenmäßigen Begrenzung der Mitglieder für die Bildung funktionierender Gemeinschaften gaben Howard (und auch Mumford) wichtige Impulse. In bezug auf die Bedeutung neuester Technologien bei der gesellschaftlichen Entwicklung zeigte Kropotkin, daß es, ebenso wie die Dampfmaschinen und die Eisenbahn die großen Fabriken der Ausbeutung und die Städte des Elends hervorgebracht hätten, möglich wäre, die Technologie des heraufkommenden Zeitalters, nämlich die Elektrizität, zur schnellen Dezentralisierung der Gesellschaft einzusetzen. Die Zukunft, so Kropotkin, gehöre kleinen, durch ein ausgedehntes dezentrales Schnellbahnnetz verbundenen, elektrisch versorgten „Industriedörfern“, in denen in gemeinschaftlich besessenen Cottages Industriegüter weit effektiver als in den alten städtischen Fabrikzentren hergestellt werden würden (vgl. Fishman 1991: 36f). Kropotkins Vorstellung, daß Mensch und Maschine mit Hilfe einer anderen Technologie genauso aus der Stadt herausgelockt werden könnten wie sie in sie hineingebracht worden waren, wurde zentral für Howards und Mumfords Visionen einer dezentralisierten, auf kooperativer und selbstverwalter Basis organisierten Gesellschaft.

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  68. Einer der wichtigsten Grundsätze der Gartenstadt war die Abschaffung des Privateigentums an Grund und Boden, das in das kollektive Eigentum der Gemeinde überführt werden sollte. Insofern Land von dieser nur durch Pacht in private Hand gegeben wurde, würden Wertsteigerungen von Grund und Boden den Gartenstadtbewohnern letztlich immer selbst zugute kommen.

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  69. Dies entsprach einem weiteren zentralen Grundsatz: „One of the first essential needs of society and of the individual is that every man, every woman, every child should have ample space in which to live, to move and to develop.“ (Fishman 1991: 42f) Howard wollte großzügige Frei-und Bewegungsräume als ein individuelles und kollektives, in der sozialräumlichen Ordnung der neuen Städte zu verankerndes Recht verstanden wissen. Fishman würdigt dies mit folgender Formulierung: Howard „added a new element to the right of man: the right to space” (ebd.: 43).

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  70. Robert Beevers hebt an der Anlage der Gartenstadt deren Industriefreundlichkeit als besonders fortschrittlich hervor (1988: 129ff). Die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Industrie entsprach dem hohen Status, den Howard ihr als „Lebensbasis“ der Gemeinde beimaß. Fabriken, Lagerhäuser usw. sollten über einen direkten Anschluß an die „äußere Ringbahn” verfügen. Die „schnellen Eisenbahnen“ und die elektrischen Straßenbahnen in und zwischen den Gartenstädten sollten die rationelle Mobilität von Menschen und Arbeitsprodukten gewährleisten (vgl. Howard 1902: 63 ).

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  71. Howard war sich durchaus darüber im klaren, daß die männlich-dominante Magnetkraft der Großstadt nur durch politischen Willen und gezielte Planung zu brechen war. Ein Zuzugsstop für die Großstadt müsse verhängt und eine erste Gartenstadt bewußt und gezielt geschaffen werden, um das propagierte Gleichgewicht von sozialen und physischen Vorteilen zuerst einrichten und dann aufrechterhalten zu können. Die von To-Morrow hervorgerufene Welle der Begeisterung führte schon 1899 zur Gründung der Garden City Association, deren erster Kongreß 1901 in Cadburys Bournville stattfand und ein „unmittelbares und erstaunliches Anwachsen der Mitgliederzahl“ zur Folge hatte (Posener 1968: 14). Diese Welle von Euphorie und Engagement machte es möglich, daß kaum drei Jahre später der Grundstein zu der von den Architekten Unwin und Parker entworfenen Gartenstadt Letchworth gelegt werden konnte. Die Gründung dieser Musterstadt sollte als derjenige Impuls wirken, der die antizipierte Serie von Gartenstadtgründungen ins Rollen bringen würde. Diese Hoffnung, die ab 1920 mit der Gründung von Welwyn Garden City noch einmal neue Nahrung erhielt, sollte sich aber nicht erfüllen.

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  72. Man stelle sich aber nun vor, daß die Bevölkerungszahl Londons sinkt, und zwar schnell sinkt, weil große Scharen von Abwandernden sich in Städten niederlassen können, wo die Bodenrenten außerordentlich gering sind und wo sie ihre Arbeit leicht zu Fuß erreichen können. Es ist klar, daß alsdann der Ertragswert des Hauseigentums in London sinken, und zwar ungeheuer sinken wird. Der Wert der verfallenen und verpesteten Häuser in Arbeitervierteln wird auf Null herabsinken, und die ganze Arbeiterbevölkerung Londons wird Häuser beziehen, die weit besser sind als die, welche sie bisher bewohnen konnten.“ (Howard 1902: 154 )

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  73. An anderer Stelle propagierte Howard das Modell des „Co-operative Housekeeping“ mit dem ihm eigenen schwärmerischen Aufbruchspathos: „I say to myself, to the readers of Garden Cities and Town Planning,and through them to the people of this country,,Let us carry out an enterprise which shall wisely and effectively utilize a little of this vast volume of now wasted women’s ability, and woman’s energy, and then our enterprise will be repeated again and again with ever growing effectiveness; and another new era will dawn.”` (1906b: 152)

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  74. Howard vergißt an dieser Stelle nicht zu erwähnen, daß der Auszug aus der engen Welt des Familienheims auch dem Hausmädchen ein freieres und befriedigenderes Leben ermöglichen würde (1906a: 171).

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  75. So heißt es etwa im Abschnitt Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrats: „Die Mitglieder (Männer oder Frauen) werden von den Pächtern für eine oder mehrere Verwaltungsabteilungen gewählt, und die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden bilden die Zentralverwaltung.“ (ebd.: 99) Robert Beevers hat zum Aspekt der Wählbarkeit der Frauen folgende Parenthese gemacht: „(It is interesting, yet not perhaps surprising in the light of Howard’s concern for women’s role in society, that he should stipulate that both men and women should be eligible for election to the Board. Whether many women would have gained election, given that the electorate would as householders have been overwhelmingly male, is open to doubt. He had perhaps overlooked the point, as he had that of the place of the trustees in the government of the city.)” (1988: 63/64)

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  76. In dieser Zielsetzung unterscheidet sich Howards Konzept der gemeinschaftlichen Haushaltführung radikal von dem ansonsten ganz ähnlich angelegten Modell Le Corbusiers. Es ergibt sich also das erstaunliche Bild, daß der explizit modernistische Stadtentwurf des letzteren auf einem extremen Traditionalismus in Frauenbild und Frauenrolle beruht, während Howards eher religiös und konservativ erscheinendes Stadtmodell auf eine — vergleichsweise — fortschrittliche und emanzipatorische Geschlechterpolitik zielt.

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  77. In Letchworth Garden City gab es zwei Versuche, das Modell des cooperative housekeeping umzusetzen: Homesgarth (1909–1913) richtete sich an kinderlose Paare der middle-class, Meadoway Green (1915–1924) an working-class residents (MacFarlane 1984: 34). Nicht zuletzt aufgrund dieser sozialen Experimente übte das anfänglich stark lebensreformerisch geprägte Letchworth tatsächlich eine unwiderstehliche Anziehungskraft auch und gerade auf unabhängige Frauen aus (Wilson 1991: 102ff) George Orwell hat die Attraktivität von Letchworth 1937 folgendermaßen bestimmt: Die Gartenstadt habe von Anfang an „mit magnetischer Kraft jeden Fruchtsaftapostel, Nudisten, Sandalenträger, Sexverrückten, Quäker, Naturheilpfuscher, Pazifisten und Feministen in England wie magisch [angezogen]`; also „alles, was irgendwie mit,Sozialismus` sympathisierte“ (zit.n. Bollerey 1990: 32). Stephen Ward bestätigt ebenfalls, daß der „spirit of social experiment”, „evident in free thinking, vegetarianism, co-operative housekeeping and pursuit of the,simple life. Letchworth einige Jahre lang prägte und in England „Edwardian amusement rather than emulation“ hervorrief (1991: 5).

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  78. Die Untersuchung The City in History (1961) sollte, wie Mumford selber schrieb, an die Stelle des kurzen historischen Abrisses in The Culture of Cities (1938) treten (1961: xi).

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  79. Mumford versicherte, daß in der neolithischen Kultur zwar „das Schwergewicht auf dem Mütterlichen“ lag, daß es sich deshalb aber nicht „um ein Matriarchat im politischen Sinne” handelte (1974: 171).

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  80. So ist „der Mutterleib ebenso ein schützender Behälter wie die weibliche Brust ein Milchkrug“ (1974: 167). An anderer Stelle zitierte Mumford die griechische Sage, derzufolge die erste Schale an Aphrodites Brust geformt wurde (1961: 13, vgl. auch ders. 1974: 168). Die verschiedenen Werkzeuge und Techniken sowie die unterschiedlichen Geschlechtscharaktere von Männern und Frauen leiteten sich Mumford zufolge aus der biologisch-physiologischen Geschlechterdifferenz bzw. aus den jeweiligen Formen und Funktionen der primären Geschlechtsorgane ab. „Knochen und Muskeln des Mannes beherrschen seinen Beitrag zur Technik; selbst sein schlaffer Penis ist vom sexuellen Standpunkt her nutzlos, bis er knochenhart ist, wie die vulgäre Ausdrucksweise bezeugt. Bei der Frau hingegen sind die weichen inneren Organe Mittelpunkt des Lebens. Arme und Beine dienen ihr weniger zur Fortbewegung als zum Halten und Umschlingen, sei es nun der Geliebte oder ihr Kind; ihre besondere sexuelle Tätigkeit aber findet in Öffnungen und Höhlungen statt: in Mund und Vulva, in Scheide und Brust und in ihrem Schoß.” (1961: 16) In der Sequenz „Arme und Beine dienen (der Frau) weniger zur Fortbewegung als zum Halten und Umschlingen“ (von Mann und Kind, natürlich) kommt sehr gut Mumfords Identifikation der Frau mit dem Statischen bzw. mit Immobilität zum Ausdruck (s. a. die folgende Fußnote). Diese Wesensbestimmung führt einmal mehr sehr plastisch vor Augen, daß und warum mobile, bewegliche,,nicht-seßhafte`, nicht-häusliche Frauen in der Stadt mit so großem Argwohn betrachtet und von vielen Männem als eine Bedrohung der städtischen Ordnung wahrgenommen wurden.

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  81. Auch der Gegensatz von mobilen und dynamischen Prozessen, wie sie das nomadische Paläolithikum kennzeichnen, und eher statischen bzw. auf Kontinuität angelegten Prozessen, wie sie das dörflich-seßhafte Neolithikums charakterisieren sollten, war bei Mumford biologisch-geschlechtlich codiert: „Im allgemeinen sind die mobilen, dynamischen Prozesse männlichen Ursprungs. Sie überwinden den Widerstand der Materie, drücken, ziehen, reißen, durchdringen, schlagen ab, erweichen, bewegen, transportieren, zerstören; die statischen Prozesse hingegen sind weiblich und widerspiegeln den Anabolismus der weiblichen Physiologie; sie wirken von innen her, wie chemische Prozesse, verharren meistens an Ort und Stelle, während qualitative Veränderungen vor sich gehen: Aus rohem Fleisch wird gekochtes, Gerste verwandelt sich in Bier, der Samen wird zur Pflanze.“ (1974: 168)

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  82. In dieser Zurückdrängung der mit der weiblich-mütterlichen Dorfgemeinschaft verbundenen Werte und Moralprinzipien: „Erhaltung des Lebens, Teilhabe an gemeinschaftlichem Gut, planende Voraussicht, Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung, Erziehung zu Selbstdisziplin und Selbstkontrolle, bereitwillige Kooperation bei allen Aufgaben, die zur Erhaltung der Integrität und Prosperität der Gruppe notwendig waren“ (1974: 188), sah Mumford eine wesentliche Ursache der existentiellen Krise der Zivilisation im 20. Jahrhundert, die durch die Erfahrung von Faschismus und Holocaust, Krieg und Atombombe, ökologischer Zerstörung und fortgesetzter nuklearer Bedrohung gekennzeichnet war. Wie sein Biograph Donald L. Miller anmerkte, gehört Mumfords Stilisierung des Übergangs vom weiblich geprägten Dorf zur männlich dominierten Kleinstadt zu einer Art Sündenfall der menschlichen Zivilisation und damit zur Quelle von „warfare, the modern power-state, and the first organized labor-machines” zu dessen „most original and to some critics, unsupportable arguments“ ( 1989: 465 ).

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  83. Als Beleg führt Mumford an, daß nicht zufällig in den altägyptischen Hieroglyphen die Zeichen fir,Haus` und,Stadt` auch für,Mutter` standen (1961: 13).

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  84. So zum Beispiel, wenn Mumford feststellen mußte, daß viele mythische Erzählungen aus der Zeit der „dominierenden Weiblichkeit“ auch Frauen und Göttinnen „überaus grausame Eigenschaften” zuschrieben. Dies lag aber seiner Meinung nach nur daran, daß „die Frau einen viel zu großen Teil der männlichen Rolle“, nämlich das Herrschen, übernommen hatte (ebd.: 29, vgl. 1974: 178).

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  85. Bei seinem Gang durch die Geschichte der Stadt machte Mumford zwei Stationen aus, die seinem an der kleinen Stadt der Frühzeit gewonnenen Ideal einer organischen städtischen Gemeinschaft entsprachen: die mittelalterliche Stadt in Europa bis etwa zum Ausbruch der großen Pest (Mitte 14. Jahrhundert) und das nordamerikanische, von den aus dem machtkorrumpierten Europa geflohenen Emigranten geprägte New England Village.

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  86. An Mumfords großer Erzählung von Aufstieg, Fall und möglicher Rettung der städtischen Zivilisation wird deutlich, daß dessen Sicht auf Stadt und Welt durch und durch von binär organisierten Gegensatzpaaren regiert wird, an deren Basis die,natürliche` und deshalb als ewig und unwandelbar erscheinende Geschlechterdifferenz steht. Damit ergibt sich das paradoxe Bild, daß ausgerechnet Mumford, der stets eine holistische, ganzheitliche, „organische“ Betrachtung aller sozialräumlichen Tatsachen und Phänomene einklagte, diese Forderung durch die mechanische Reduktion der Komplexität der Welt auf stets dieselben zeitlosen und kontextunabhängigen polaren Oppositionen selber beständig konterkariert. Eine vergleichbare Kritik formulierte Meyer Schapiro 1938 in seiner Rezension von The Culture of Cities (vgl. Wojtowicz 1996: 140 ).

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  87. Sein Leben lang verehrte Lewis Mumford den schottischen Biologen, Soziologen, Planer und „Generalisten“ Patrick Geddes (1854–1932) als seinen „Master”: als Lehrer, Mentor und intellektuelles Vorbild. Als „pioneer of environmental studies, of town and regional planning, and above all, of ecological thinking“ war Geddes einer der Urväter des Gedankens, die Region zu einer den — auch bei Geddes zutiefst geschlechtlich codierten — Gegensatz von Stadt und Land umfassenden Planungseinheit zu machen. Von Geddes übernahm Mumford — neben einer Vielzahl von Neologismen — auch die historische Perspektive, die holistische Betrachtungsweise und vor allem auch den Grundsatz „survey before plan” (vgl. Miller 1989: 52ff).

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  88. Als „biotechnisch“ bezeichnete Mumford den sich aus der Neotechnik allmählich herauskristallisierenden Komplex, in dem Maschinentechnik und organisches Leben tendenziell verschmelzen. „,Biotechnics` (is) pointing to a civilisation in which the biological sciences will be freely applied to technology, and in which technology itself will be oriented toward the culture of life.” (1938: 495)

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  89. Zu Mumfords Beschreibung der industriekapitalistischen Großstadt bemerkte sein Biograph Donald L. Miller zu Recht: „Mumford sketches an urban profile of unrelieved ugliness. His is one of the most withering indictments of the industrial city ever written.“ ( 1989: 360 )

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  90. Auch der Begriff „Konurbantion“, dieser „verdient häßliche Name” fir die „Verschmelzung städtischer Gemeinschaften zu einem ungeheueren menschlichen Bienenkorb“ (Mum-ford 195lb: 218), wurde von Patrick Geddes geprägt.

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  91. There is a special name for power when it is concentrated an such a scale: it is called impotence“, schrieb Mumford über die Stadt der Manager und Finanzjongleure (1938: 235). Die von Mumford erkennbar gewollte Doppeldeutigkeit des Ausdrucks,impotence`, eine Anspielung auch auf die von Mumford beklagte „biologische Sterilität” der Megalopolis, geht in der deutschen Übersetzung leider verloren, wenn es heißt: „Wo die Macht in einem solchen Umfang konzentriert wird, erhält sie einen besonderen Namen: Ohnmacht.“ (1961: 635)

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  92. An verschiedenen Stellen verglich Mumford die aktuelle Krise der Megalopole mit dem alten, imperialen Rom, das er als einen anderer Tiefpunkt städtischer Zivilisation und Kultur verurteilte (1951a, 195lb, 1961: 241ff). Mumford beschwor das Schreckensbild einer übermäßig gewachsenen, lebensfeindlichen, den Verlockungen von Geld und Macht an-heimgefallen „Nekropolis“, um seine Leserinnen und Leser davor zu warnen, sehenden Auges in dieselbe zivilisatorische Katastrophe zu gehen. „Wenn wir die Kräfte des Lebens energisch meistern, solange es noch Zeit ist, sie zu lenken und zu entfalten, könnte es uns gelingen, was den Römern nicht gelang, den Zusammenbruch unserer ganzen Zivilisation zu vermeiden und ihre vielen großen und sinnvollen Leistungen in Kunst und Wissenschaft zu retten.” (195 1 b: 221f)

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  93. Die Autostadt Los Angeles galt Mumford als Paradebeispiel für eine solche unentrinnbare, raum-und zeitfressende, stadt-, menschen-und naturzerstörende „Massenvorstadt als Anti-Stadt“ (1961: 594).

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  94. Neben einer wirtschaftlichen Einheit war das Familienheim für Mumford die Stätte der biologischen Fortpflanzung und der Reproduktion der Arbeitskraft („physiologisch obliegt ihm die Wiederherstellung, Kräftigung und Erholung des Körpers“), wichtigster Ort der Erziehung und Sozialisation von Kindern und Jugend, aber auch ein Ort familiärer Begegnung und Gemeinsamkeit sowie das Symbol der Familienkontinuität. Überdies wird es „mit der Entwicklung von Rundfunk, Telephon und Grammophon (…) zum innersten Kern der Erholung und Unterhaltung” ( 1951a: 214 ).

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  95. In dieser Klage über den drohenden Untergang der Zivilisation aufgrund der großstädtischen Unfruchtbarkeit von Frauen schlug deutlich Mumfords Spengler-Lektüre durch (siehe Kap. 4.4).

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  96. Mumford präsentierte das Familienheim stets als Gefäß weiblich-mütterlicher Liebe und nicht — wie seine Vorbilder — auch als Ort weiblicher (Familien-)Arbeit. Vermutlich war er der Auffassung, daß Geddes das Thema,Befreiung der Hausfrau vom häuslichen Zwang` schon 1915 erschöpfend behandelt hatte. Denn zu den Verheißungen der Neotechnik zählte Geddes auch die Elektrifizierung des Haushalts, die die Hausarbeit zu einem einzigen Vergnügen machen würde. „The fairy godmother (of science, SF) is coming (…) year by year now she stands waving her fairy electric wand as the herald of the new era, in the domestic labour and consequently life of woman,ready and waiting to free her from all the old elements of dirt and drudgery, and thus henceforth for good and all. Her future in the adequate neo-technic home, characterised by electricity and its labour saving, by hygiene and by art is thus as true princess, that is, lady commanding assured wealth, effective service, adequate leisure, and thus with no limit to her refinement and her influence. As soon as we please, then, we may begin to emancipate Cinderella, no longer depress her through slavery into charwomen or crone.“ (1915: 129) Wenig später heißt es: „ We point out, and press, and predict, and plead for the incipient domestic order — electric, hygienic, eugenic! The drudging charwoman, the futile fine lady alike disappear, and woman at once elemental and evolved, vigorous yet refined, will reappear within her home, and be at once effective in the kitchen and inspiring in the hall.” (ebd.: 142, Hervorhebungen SF)

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  97. Darin trifft sich Mumford mit Le Corbusier.

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  98. Auch hier konstruierte Mumford einen tief moralisch eingefärbten Gegensatz von flüchtigem, anonymen, sterilen, seelenlosen Großstadt-Sex einerseits und dem,natürlichen`, fruchtbaren, befriedigenden Liebesspiel des vertrauten gartenstädtischen Paares. Als Wunsch-und Kontrastbild mußte wieder die neolithische Idylle herhalten. „Die freimütige Sexualität der Dorfgemeinschaft (…) war die Antithese zur sexuellen Erschöpfung unserer ausschweifenden Metropolen, die sich mit Pornographie aufpeitschen.“ (1974: 190) An anderer Stelle heißt es: „The present reality is a metropolitan civilisation which baulks our natural, creative impulses at every turn and sends them into the various channels of dissipation associated with luxury, display, conspicuous expenditure, and sexual adventure.” ( Mumford zit.n. Miller 1989: 216 )

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  99. Mumford würdigte Howards Gartenstadt und das Flugzeug als die beiden großen (neobzw. biotechnischen) Erfindungen des frühen 20. Jahrhunderts: „Beide leiteten ein neues Zeitalter ein: Das Flugzeug gab dem Menschen Flügel, und die Gartenstadt versprach ihm eine bessere Heimstätte, wenn er wieder auf die Erde herunterkommen würde.“ (1945a: 183) Sein Leben lang blieb Mumford überzeugt, daß Howard mit seiner Gartenstadt tatsächlich den „Wunderschlüssel” zu einer humaneren städtischen Gesellschaft gefunden hatte. Schon 1917 feierte er „Garden Cities of To-Morrow“ als neues Entwicklungsmodell: „Thereafter city planning meant more then the mere application of beauty patches and cosmetics to an ugly, diseased, dilapidated town. It meant the rejuvenation and revitalisation of cities by the surest of all means: bringing the men within them back to the bosom of the great rough mother that bore them.” (zit.n. Wojtowicz 1996: 114, Hervorhebung SF)

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  100. Stärker noch als Howard hob Mumford immer wieder die Notwendigkeit und Bedeutung der Schaffung klar markierter, dauerhafter Grenzen fir die Entwicklung eines organischen Gemeinwesens hervor. Diese,grünen Mauern’ hatten zugleich produktive als auch repressive Funktion, sie ermöglichten, indem sie verhinderten: Einerseits setzten sie den dynamischen, auf Expansion angelegten Eroberungsgelüsten Grenzen und zwangen den städtischen Organismus zu „Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung“ (1961: 602). Andererseits definierten sie einen überschaubaren Rahmen, innerhalb dessen sich Gemeinschaftsgeist und Identität entfalten konnten. So beklagte Mumford unter anderem den Verlust der gemeinschaftsstabilisierenden Kraft sozialer Kontrolle unter den Bedingungen massenhafter Fremdheit in der Großstadt. „The anonymity of the big city, its impersonality, is a positive encouragement to a-social and anti-social actions”. Die Polizei mußte die Ordnungsfunktion übernehmen, die vormals von „neighborly scrutinity and pressure“ ausgeübt wurde: „A city of strangers lacks any other form of stabilizing check.” ( 1938: 266 )

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  101. Schon in den 1920er und 30er Jahren entwickelte Mumford gemeinsam mit seinen Kollegen der Regional Planning Association of America (RPAA) das Konzept einer gartenstädtischen Gesellschaft im regionalen Maßstab. Grundlegende Überzeugung der RPAA war „that we should replace (our) centralized and profit-oriented metropolitan society with a decentralized and more specialized one made up of environmentally balanced regions“ (zit.n. Parsons 1994: 463). Die RPAA stand nicht nur in persönlichem Kontakt mit Geddes und Howard, sondern auch in Verbindung mit der britischen Gartenstadtbewegung bzw. der International Garden Cities and Town Planning Association. Mumford galt als „leading theoretician and spokesman” der Gruppe (Miller 1989: 192, Parsons 1994: 467, Wojtowicz 1996: 168). 1925 wurde die RPAA anläßlich des New Yorker Treffens der letzteren Vereinigung eingeladen, eine Sondernummer der liberalen Intellektuellenzeitung The Survey Graphic zu produzieren. „Edited by Lewis Mumford, this collective issue was the definitive statement of the philosophy of the small New York group, which proved one of the most important documents of planning history.“ (Hall 1993: 149) In dieser Ausgabe feiert Mumford die Gartenstadt „not as a temporary haven of refuge, but a permanent seat of life and culture, urban in its advantages, permanently rural in its situation” (Mumford 1925, zit.n. Hall 1993: 153). Das Titelbild illustrierte diese Erlösungshoffnung (Abb. 30). Mit Sunnyside Gardens, Queens, wo Mumford selber eine Zeitlang lebte, und Radbum, New Jersey, entwarfen und verwirklichten Mitglieder der RPAA selber zwei Musterstädte. Zur RPAA vgl. Miller (1989: 192ff), Hall (1993: 148ff), Parsons (1994), Luccarelli (1995), Wojtowicz (1996: 113ff). Mumfords enorm erfolg-und einflußreiches Werk The Culture of Cities,„as much a political manifesto as a history of the city“ (Miller 1989: 361), verlieh den in den Jahren seiner Gruppenmitgliedschaft entwickelten Ideen Ausdruck. Hall zufolge wurde das Buch „almost the Bible of the regional planning movement” (1992: 52).

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Frank, S. (2003). Stadtplanung im Geschlechterkampf. In: Stadtplanung im Geschlechterkampf. Stadt, Raum und Gesellschaft, vol 20. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11479-6_8

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