Zusammenfassung
Kaum ein anderer politisch-praktischer Problembereich hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (BRD) eine ähnlich breite Diskussion ausgelöst und so deutlich nachweisbare Spuren im wissenschaftlichen und praktischen Arbeiten hinterlassen wie die Auseinandersetzung um die Möglichkeiten der bürgerschaftlichen Beteiligung in der Planung. Versucht man eine — notwendigerweise vorläufige — Bilanz zu ziehen, so wird man folgende Faktoren nennen müssen, die seit Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zu den verschiedenen Anlässen und Formen der bürgerschaftlichen Beteiligung geführt haben:
-
1.
Die wissenschaftliche Diskussion um Struktur und Strukturwandel der Öffentlichkeit, die insbesondere durch zwei Arbeiten von Jürgen Habermas1 wichtige Impulse bekam;
-
2.
die Forderung nach Demokratisierung des Staates und der Gesellschaft, die sich seit den Studentenprotesten (1967f.) zunächst auf die Hochschulen bezog („Studentenproteste“2), bald aber zu einer Systemkritik und schließlich zu einer systemüberwindenden Strategie2 wurde;
-
3.
die am Ende der Wiederaufbauphase4 der BRD durchgeführten Planungen der kommunalen Neugliederung, die zu einer Problematisierung der Gemeinden und ihrer Grenzen führten. Eng verknüpft mit diesen Planungen, aber nicht ausschließlich auf sie bezogen, war und ist eine breite wissenschaftliche Diskussion um Aufgabe und Wandel der planenden Verwaltung5.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Referenzen
Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1969 (1962 ders.: Über den Begriff der politisch Beteiligung. In: Student und Politik, Neuwied 1967 (1961).
Vgl. Habermas, Jürgen: Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt 1969;
Nitsch, W./ Gerhardt, U./ Offe, C./ Preuß, U. K.: Hochschule in der Demokratie, Neuwied 1965
Vgl. Schelsky, Helmut: Die Strategie der „Systemüberwindung“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 286/1971, 11f. (jetzt in Schelsky, H.: Systemüberwindung, Demokratisierung, Gewaltenteilung, München 1973.)
Dieser Begriff ist, nicht zuletzt wegen seiner einseitigen Verwendung, problematisch. Gleichwohl kann er zur Beschreibung des Tatbestandes dienen, daß die Basisversorgung der Bevölkerung mit Wohnungen und Infrastruktureinrichtungen Anfang der 60er Jahre weitgehend sichergestellt war und nun für Planungsprozesse ein größerer Spielraum (vor allem zeitlich, nicht notwendig finanziell!) zur Verfügung stand. In diesen Zusammenhang gehört z. B. das Schlagwort: „Vom wohnungsoriertierten Städtebau zur städtebauorientierten Wohnungsplanung“, das als Aufgabe der Planungen nach dem Städtebauförderungsgesetz herausgestellt wurde.
Vgl. Grauhan, Rolf-Richard: Zur Struktur der planenden Verwaltung. S. 37–57 in: Mehr Demokratie im Städtebau. Beiträge zur Beteiligung der Bürger an Planungsentscheidungen, hrsg. von Lauritz Lauritzen, Hannover 1972. Vgl. hierzu auch zahlreiche Beiträge Niklas Luhmann, Frido Wagners und anderer.
Vgl. Offe, Claus: Demokratische Legitimation der Planung, S. 123–152, in: Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 1972 . Offe führt folgende Gegenmacht-Positionen an, die als Strategien der Partizipation entwickelt worden sind oder entwickelt werden können: „neighborhood government“ und „community control“, Bürgerinitiativen, „advocacy planning“ (Anwaltsplanung), Naderismus (nach Ralph Nader), Ombudsman, Hearings, Urnfrageforschung und Informationspolitik, Beiräte.
Vgl. auch die Systematik von Dienel, Peter: Partizipation an Planungsprozessen als Aufgabe der Verwaltung, in: Die Verwaltung. 4. Jg. (1971) H. 2, S. 151–176.
Vgl. auch die übersichtliche Darstellung von Großhans, Hartmut: Öffentlichkeit und Stadtentwicklungsplanung. Möglichkeiten der Partizipation, Düsseldorf 1972 (insbesondere Kap. I: Gesellschaft und Öffentlichkeit).
An dieser Stelle sei hervorgehoben, daß für den städtebaulichen Bereich die Arbeit von Hans Paul Bahrdt: Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Hamburg 1969 (1961), in der die Kategorie der Öffentlichkeit als fundamental für städtisches Verhalten und (damit) städtebauliche Strukturen herausgestellt wurde, gleichen Stellenwert hatte wie Habermas’ Beiträge.
Vgl. einführend: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen. In: Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, Berlin 1968
Bahr, Hans-Eckehard: Öffentlichkeit und Partizipation. In: Partizipation. Aspekte politischer Kultur, Opladen 1970, S. 92ff., hält die Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft eine „klassische deutsche Antithese“, für eine „Störung“ für Relikt obrigkeitlichen Denkens und sieht diese Trennung Ursache zahlreicher deutscher historischer „Fehlentwicklungen“ und für das „in Deutschland immer noch gestörte Verhältnis zum Phänomen der Öffentlichkeit“ (S. 92/93). Die Argumentation von Bahr übersieht notwendige Differenzierungen. Man sollte genau bedenken, was an Differenzierungsmöglichkeiten preisgegeben wird, wenn das Gerede vom schwindenden Unterschied zwischen Staat und Gesellschaft zur vollendeten Tatsache oder gar zum Dogma wird.
Habermas, Jürgen: Machtkampf und Humanität, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 288/1970, Beüage.
Vgl. zu dieser Diskussion: Demokratisierung. Colloquium über einen umstrittenen Begriff. In: Beilage 18/1971 zur Wochenzeitung Das Parlament; ferner: Demokratie und Verwaltung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 50, Berlin 1972; hier insbesondere die Beiträge von A. Gehlen: Demokratisierung, S. 179ff., und Hans Ryffel: Der demokratische Gedanke im politischen und sozialen Bereich, S. 191ff.
Die Gleichsetzung von Partizipation und bürgerschaftlicher Beteiligung ist unproblematisch, die von Partizipation und Bürgerinitiative deshalb umstritten, weil der Initiative nicht notwendig eine Partizipationschance entsprechen muß.
Offe, Claus: Bürgerinitiativen und Reproduktion der Arbeitskraft im Spätkapitalismus. In: Bürgerinitiativen. Schritte zur Veränderung? Hrsg. von Heinz Grossmann, Frankfurt 1972 (1971), S. 152ff. (S. 159).
Luhmann Niklas: Tradition und Mobilität In: Recht und Politik, Heft 11/1968, S. 51.
Grauhan, Rolf-Richard: Zur Struktur der planenden Verwaltung, a. a. O., S. 57.
Vgl. hierzu eine Anzahl neuerer Arbeiten, z. B. Lompe, Klaus: Gesellschaftspolitik und Planung. Probleme politischer Planung in der sozialstaatlichen Demokratie, Freiburg 1971. Politische Vierteljahresschrift (1972), Sonderheft 14. / Gesellschaftliche Planung. Materialien zur Planungsdiskussion in der BRD, hrsg. von B. Schäfers, Stuttgart 1973.
Harnischfeger, Horst: Planung in der sozialstaatlichen Demokratie, Neuwied 1969.
Problematisch ist die Auseinanderdividierung der öffentlichen und der privaten Belange. Sie geht letztlich auf das Eigentumsinteresse der „Privaten“ zurück. Dieses wurde in eigenen Fallstudien (Planung und Öffentlichkeit. Drei soziologische Fallstudien: Kommunale Neugliederung, Flurbereinigung, Bauleitplanung, Düsseldorf 1970) auch als größtes Hindernis einen funktionalen, planbezogenen Öffentlichkeitsbezug herausgestellt (S. 192).
Vgl. Schäfers, Bernhard: Möglichkeiten der Sozialplanung nach dem Städtebauförderungsgesetz. In: Archiv für Kommunalwissenschaften. 11. Jg. (1972) Bd. 2, S. 70–89 (dort weitere Literaturhinweise).
Zum Begriff der Teilöffentlichkeit vgl. Großhans, Hartmut: Öffentlichkeit und Stadtentwicklungsplanung, a. a. O., S. 61 f.
Stich, Rudolf: Die Mitwirkung des Bürgers und der Öffentlichkeit an der Raumplanung. In: Demokratie und Verwaltung, Berlin 1972. = Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 50, S. 372.
Zur Problematik der Öffentlichkeit in der Raumordnung und Landesplanung vgl. auch Dienel, Peter: Öffentlichkeitsarbeit und Raumordnung, Sp. 2216–2232 in: Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, Bd. 2., 2. Aufl., Hannover 1970.
Knigge, Rainer: Möglichkeiten der Demokratisierung von Planungsprozessen in der Regionalplanung, S. 142–172, in: Gesellschaft für Regionalforschung. Deutschsprachige Gruppe der Regional Science Association. Seminarbericht 7, Saarbrücken 1973.
Umlauf, Josef: Mitsprache der Öffentlichkeit im Planungsprozeß der Raumordnung. In: Berichte zur Raumforschung und Raumplanung, 16. Jg. (1972), H. 5, S. 3–6.
Unter „Sozialumfang der Planung“ wird ihre Tiefengliederung in sachlicher, zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht verstanden. Hypothetisch läßt sich folgern, daß der Sozialumfang einer Planung um so größer ist, je stärker der einzelne Plan zur Änderung des Sozialverhaltens großer Gruppen zwingt.
Vgl. Beiträge und Hinweise in: Gronemeyer, Reimer: Integration durch Partizipation? Arbeitsplatz/Wohnbereich: Fallstudien, Frankfurt 1973. / Großhans, Hartmut: Öffentlichkeit und Stadtentwicklungsplanung, a. a. O. / Bürgerinitiativen. Schritte zur Veränderung? a. a. O. / Mehr Demokratie im Städtebau, a. a. O. / Partizipation. Aspekte politischer Kultur, a. a. O. / Grauhan, Rolf-Richard: Strukturwandlungen planender Verwaltung. Beispiel der Münchener Stadtentwicklungsplanung. S. 231–253 in: Gesellschaftliche Planung. Materialien zur Planungsdiskussion in der BRD, a. a. O. / Schäfers, Bernhard: Planung und Öffentlichkeit. Drei soziologische Fallstudien, a. a. O.
Vgl.: Mitteilungen der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. 14. Jg. (1970), S. 14ff.
Vgl. Vossler, Otto: Alexis de Tocqueville. Freiheit und Gleichheit, Frankfurt a. M. 1973.
Vgl. zur Technokratiediskussion die sich an die Schrift von Helmut Schelsky (Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation [zuerst 1961]) anschließenden Kontroversen. Zusammenfassend: Texte zur Technokratiediskussion. Hrsg.: Claus Koch, Dieter Senghaas, Frankfurt 1970.
Scharpf, Fritz: Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Konstanz 1970, S. 58.
Hans Paul Bahrdt (Humaner Städtebau, Hamburg 1968, S. 199) meint, nur wenn die Probleme der Raumordnung und Stadtplanung zu einem schulischen Unterrichtsfach ausgestaltet würden, könnte das erforderliche Bewußtsein für die gegenwärtigen Planungsprobleme geweckt werden. Zur Bedeutung der Erziehung vgl. auch Peter Dienel in div. Arbeiten zur Partizipationsproblematik.
Habermas, Jürgen: Vorbereitende Bemerkungen zu eine Theorie der kommunikativen Kompetenz, S. 101 ff. in: Habermas, Jürgen; Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? Frankfurt 1971.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1996 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Schäfers, B. (1996). Zur Genesis und zum Stellenwert von Partizipationsforderungen im Infrastrukturbereich. In: Soziologie und Gesellschaftsentwicklung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11440-6_15
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-11440-6_15
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-663-11441-3
Online ISBN: 978-3-663-11440-6
eBook Packages: Springer Book Archive