Zusammenfassung
Mit der Revolution und der Weimarer Republik erfolgte in Deutschland ein qualitativer Sprung in der Entwicklung des Sozialstaates und eine neue Ausrichtung der Sozialpolitik. Während die Sozialpolitik bis 1914 trotz der Stärkung der staatsbürgerlichen Stellung der Masse der Arbeiter durch die Sozialversicherung von paternalistischem Fürsorgedenken und antigewerkschaftlichen Tendenzen geprägt worden war und die Stabilisierung des bestehenden Obrigkeitsstaates zum Ziel hatte, wollte der Weimarer Sozialstaat die neue Demokratie sozial absichern. Der Sozialstaat war dabei die „zentrale Kompromiß- und Integrationsformel“ der Weimarer Republik.187 Er verband das Interesse weiter Kreise des Bürgertums, insbesondere der Unternehmer, an einer kapitalistischen Marktwirtschaft mit dem Interesse der Arbeiterschaft an der sozialen Ausgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft.
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Literatur
Eckart Pankoke/Christoph Sachße, Armutsdiskussion und Wohlfahrtsforschung. Zum deutschen Weg in die Industrielle Moderne, in: Stephan Leibfried/Wolfgang Voges (Hg.), Armut im Modernen Wohlfahrtsstaat, Opladen 1992, S. 149–173, hier S. 159.
Vgl. „Vorläufige Satzung für die Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands“ vom 4.12.1918, abgedruckt in: Jacob Reichert, Entstehung, Bedeutung und Ziel der „Arbeitsgemeinschaft“, Berlin 1919, S. 25 ff.
Vgl. zu den Arbeitsgemeinschaften und insbes. zur Zentralarbeitsgemeinschaft Gerald D. Feldman/Irmgard Steinisch, Industrie und Gewerkschaften 1918–1924. Die überforderte Zentralarbeitsgemeinschaft, Stuttgart 1985; Heinrich Potthoff, Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution und Inflation, Düsseldorf 1979, bes. S. 177–204.
Zu den Kräften, Motiven und Konzeptionen, die zur Verankerung des Rätewesens in der Verfassung führten, vgl. Gerhard A. Ritter, Die Entstehung des Räteartikels 165 der Weimarer Reichsverfassung, in: Historische Zeitschrift 258, 1994, S. 73–112.
Vgl. Hugo Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag. Eine privatrechtliche Untersuchung, 2 Teile, Leipzig 1907/08; ders., Über die Grundgedanken und die Möglichkeiten eines einheitlichen Arbeitsrechts für Deutschland, Berlin 1914; ders., Ein Arbeitstarifgesetz. Die Idee der sozialen Selbstbestimmung im Recht, 2. Aufl., Berlin 1977 [1. Aufl. 1916].
Rede Sinzheimers im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung vom 2.6.1919 in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Sten. Ber., Berlin o. J., Bd. 336, S. 393.
Rede Sinzheimer im Plenum der Nationalversammlung am 21. Juli 1919, in: Verhandlungen Nationalversammlung, Sten. Ber., Bd. 328, S. 1750.
Vgl. Hagen Schulze (Bearb.), Das Kabinett Scheidemann, 13. Februar bis 20. Juni 1919, Boppard am Rhein 1971, S. XLIVff., 264f, 288ff.
Vgl. Ritter, Entstehung, S. 106f.
Text der Verordnung mit ausführlichem Kommentar, in: Hans Schäffer, Der Vorläufige Reichswirtschaftsrat. Kommentar der Verordnung vom 4. Mai 1920, München/Berlin/Leipzig 1920. Zu den Differenzen über seine Zusammensetzung vgl.S. 17ff
Zur Tätigkeit des Vorläufigen Reichswirtschaftrates vgl. Dr. Hauschildt, Der vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920–1926, Denkschrift, Berlin 1926.
Vgl. Gerald D. Feldman/Irmgard Steinisch, Die Weimarer Republik zwischen Sozial- und Wirtschaftsstaat. Die Entscheidung gegen den Achtstundentag, in: Archiv für Sozialgeschichte 18, 1978, S. 353–439.
Landwehr, Funktionswandel, S. 105.
Ebd., S. 108.
Vgl. Sachße/Tennstedt, Geschichte, Bd. 2: Fürsorge, bes. S. 142ff; zur Arbeit der Wohlfahrtsverbände vgl. neben der in Anm. 169 erwähnten Studie von Rudioff für ihre Funktionen auf lokaler Ebene am Beispiel München die Arbeiten von Andreas Wollasch, Tendenzen und Probleme gegenwärtiger historischer Wohlfahrtsforschung in Deutschland, in: Westfälische Forschungen 43, 1993, S. 1–25; Jochen-Christoph Kaiser, Freie Wohlfahrtsverbände im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Ein Überblick, in: ebd., S. 26–57; Christoph Sachße (Hg.), Wohlfahrtsverbände im Wohlfahrtsstaat. Historische und theoretische Beiträge zur Funktion von Verbänden im modernen Wohlfahrtsstaat, Kassel 1994; Rudolph Bauer (Hg.), Die liebe Not. Zur historischen Kontinuität der „Freien Wohlfahrtspflege“, Weinheim/Basel 1984; Dietrich Thränhardt u.a. (Hg.), Wohlfahrtsverbände zwischen Selbsthilfe und Sozialstaat, Freiburg i. Br. 1986; Jochen-Christoph Kaiser, Sozialer Protestantismus im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Inneren Mission 1914–1945, München 1989; Wilhelm Liese, Geschichte der Caritas, 2 Bde., Freiburg i. Br. 1922; Hans-Josef Wollasch, Beiträge zur Geschichte der deutschen Caritas in der Zeit der Weltkriege, Freiburg i. Br. 1978; Ewald Frie, Katholische Wohlfahrtskultur im Wilhelminischen Reich: Der „Charitasverband für das katholische Deutschland“, die Vinzenzvereine und der „kommunale Sozialliberalismus“, in: Kaiser/Loth (Hg.), Soziale Reform, S. 184–201; Bertold Scheller, Die Zentralwohlfahrtsstelle. Jüdische Wohlfahrtspflege in Deutschland 1917–1987, Frankfurt a. M. 1987; Joachim Merchel, Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Seine Funktion im korporatistisch gefügten System sozialer Arbeit, Weinheim 1989; Anneliese Monat, Sozialdemokratie und Wohlfahrtspflege. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Arbeiterwohlfahrt, Stuttgart 1961; Christiane Eifert, Frauenpolitik und Wohlfahrtspflege. Zur Geschichte der sozialdemokratischen „Arbeiterwohlfahrt“, Frankfurt a. M./New York 1993. Vgl. weiter zur Forschungslage Michael Ebertz/Josef Schmid, Zum Stand der Wohlfahrtsverbände-Forschung. Sozialwissenschaftliche Fragestellungen, Erkenntnisfortschritte und Defizite, in: Caritas 88, 1987, S. 289–313. 202 Vgl. neben Landwehr, Funktionswandel weiter David F. Crew, „Wohlfahrtsbrot ist bitteres Brot“. The Elderly, the Disabled and the Local Welfare Authorities in the Weimar Republic 1924–1932, in: Archiv für Sozialgeschichte 50, 1990, S. 217–245.
Vgl. Führer, Arbeitslosigkeit; Peter Lewek, Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung in der Weimarer Republik 1918–1927, Stuttgart 1992.
Vgl. dazu die Münchner Dissertation von Christian Berringer, Sozialpolitik in der Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosenversicherungspolitik in Deutschland und Großbritannien im Vergleich, 1928 bis 1934. Die Arbeit wird in Kürze in der Reihe „Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte“ im Verlag Duncker & Humblot erscheinen.
Vgl. Heidrun Homburg, Vom Arbeitslosen zum Zwangsarbeiter. Arbeitslosenpolitik und Fraktionierung der Arbeiterschaft in Deutschland 1930–1933 am Beispiel der Wohlfahrtserwerbslosen und der kommunalen Wohlfahrtshilfe, in: Archiv für Sozialgeschichte 25, 1985, S. 251–298.
Vgl. Statistik des Deutschen Reichs 1933, Bd. 421, S. 18. Die Zahl der überhaupt nicht unterstützten Arbeitslosen stieg von 205.000 am 31. Juli 1929 auf 1.227.000 am 31.12.1932.
Vgl. Detlev Zöllner, Soziale Sicherung in der Rezession heute und vor 50 Jahren, in: Sozialer Fortschritt 32, 1983, S. 49–59; Preller, Sozialpolitik, S. 459–473.
Die Zahl der von Bezirksfürsorgeverbänden, die die Hauptlast der offenen Fürsorge trugen, unterstützen Parteien stieg von 1.634.100 am 31. Juli 1928 auf 4.608.200 am 31.12.1932. Der Anteil der Wohlfahrtserwerbslosen an diesen stieg im gleichen Zeitraum von 8, 9 auf 53, 7%. Der Begriff „Partei“ ist im allgemeinen identisch mit dem Haushaltsvorstand, erfaßt also nicht die unterstützten Familienangehörigen. Die Zahl der unterstützten Personen war etwa doppelt so hoch. Sie betrug am 30. September 1932 8.728.943. Vgl. Sachße/Tennstedt, Geschichte, Bd.
Vgl. Johannes Bähr, Staatliche Schlichtung in der Weimarer Republik. Tarifpolitik, Korporatismus und industrieller Konflikt zwischen Inflation und Deflation 1919–1933, Berlin 1989.
Vgl. dazu Ursula Hüllbüsch, Der Ruhreisenstreit in gewerkschaftlicher Sicht, in: Hans Mommsen/Dietmar Petzina/Bernd Weisbrod (Hg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik. Verhandlungen des Internationalen Symposiums in Bochum vom 12.–17. Juni 1972, Düsseldorf 1974, S. 271–289; Gerald D. Feldman/Irmgard Steinisch, Notwendigkeit und Grenzen sozialstaatlicher Intervention. Eine vergleichende Fallstudie des Ruhreisenstreits in Deutschland und des Generalstreiks in England, in: Archiv für Sozialgeschichte 20, 1980, S. 57–118.
Zu den Lohnnebenkosten vgl. Jürgen von Kruedener, Die Überforderung der Weimarer Republik als Sozialstaat, in: Geschichte und Gesellschaft 11, 1985, S. 358–376; Wilhelm Dettmar, Die Belastung des Arbeitseinkommens mit Lohnsteuer und Sozialbeiträgen vor dem Krieg und nach der Inflation. Wirtschafts- und sozial wissenschaftliche Diss., Frankfurt a. M. 1932, Groß-Auheim a. M. 1933.
Gerald D. Feldman, Iron and Steel in the German Inflation 1916–1923, Princeton 1977, bes. S. 4641T.
Vgl. Timothy W. Mason, Zur Entstehung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934. Ein Versuch über das Verhältnis „archaischer“ und „moderner“ Momente in der neuesten deutschen Geschichte, in: Momm-sen/Petzina/Weisbrod (Hg.), Industrielles System, S. 322–351.
Vgl. Michael Prinz, „Sozialpolitik im Wandel der Staatspolitik?“ Das Dritte Reich und die Tradition bürgerlicher Sozialreform, in: vom Bruch (Hg.), „Weder Kommunismus noch Kapitalismus“, S. 219–244, bes. S. 231–233.
Vgl. dazu die Studie von Timothy W. Mason, Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, 3. Aufl., Opladen 1978; ders., Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft. Dokumente und Materialien zur deutschen Arbeiterpolitik 1936–1939, Opladen 1975; Andreas Kranig, Lockung und Zwang. Zur Arbeitsverfassung im Dritten Reich, Stuttgart 1983; Joachim Bons, Nationalsozialismus und Arbeiterfrage, Pfaffenweiler 1995. Zur Arbeiterpolitik der Nationalsozialisten auf der Ebene der Betriebe vgl. weiter die Fallstudien von Hisaki Yano, Hüttenarbeiter im Dritten Reich. Die Betriebsverhältnisse und soziale Lage bei der Gute-Hoffnungshütte Aktienverein und der Fried. Krupp AG 1936 bis 1939, Stuttgart 1986; Hans Mommsen/Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996.
Vgl. Alfred Grotjahn, Die Hygiene der menschlichen Fortpflanzung. Versuch einer praktischen Eugenik, Berlin/Wien 1926, S. 335; Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986, S. 44f.
Eckhard Hansen, Wohlfahrtspolitik im NS Staat, Augsburg 1991; Herwart Vorländer, Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, Boppard am Rhein 1988; Peter Zolling, Zwischen Integration und Segregation. Sozialpolitik im „Dritten Reich“ am Beispiel der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV) in Hamburg, Frankfurt a. M. 1986.
Vgl. Hans-Walter Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ 1890–1945, Göttingen 1987; Karl H. Roth (Hg.), Erfassung zur Vernichtung. Von der Sozialhygiene zum Gesetz über Sterbehilfe, Berlin 1984; Ernst Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ Frankfurt a. M. 1983; Henry Friedländer, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin 1997.
Vgl. Sachße/Tennstedt, Geschichte, Bd. 3, bes. S. 218–225, 261–264.
Ebd., S. 276.
Vgl. Stephan Leibfried/Florian Tennstedt, Berufsverbote und Sozialpolitik 1933. Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtergreifung auf die Krankenkassenverwaltung und die Kassenärzte. Analyse. Materialien zu Angriff und Selbsthilfe. Erinnerungen, 2. Aufl., Bremen 1980.
Zur Sozialversicherungspolitik der NS-Zeit vgl. Karl Teppe, Zur Sozialpolitik des Dritten Reiches am Beispiel der Sozialversicherung, in: Archiv für Sozialgeschichte 17, 1977, S. 195–250; Wolfgang Scheur, Einrichtungen und Maßnahmen der sozialen Sicherheit in der Zeit des Nationalsozialismus, Wirtschafts- und so-zialwiss. Diss., Köln 1967; Margarete Landenberger (Hg.), Die historische Rolle der Sozialversicherungs- und Gesundheitsversorgungsträger bei der Durchsetzung politischer Ziele im Nationalsozialismus. Tagungsdokumentation. Sonderforschungsbereich 333, Mitteilungen. Sonderheft III, München 1993. Einzelne Aufsätze dieses Bandes behandeln auch die Freie Wohlfahrtspflege und die kommunale Fürsorge im NS Staat.
Abdruck in: Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, S. 1892.
Horst Kahrs, Politik der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im NS-Staat, in: Landenberger (Hg.), Rolle, S. 57–68.
Vgl. dazu Michael Prinz, Vom neuen Mittelstand zum Volksgenossen. Die Entwicklung des sozialen Status der Angestellten von der Weimarer Republik bis zum Ende der NS-Zeit, München 1986.
Vgl. dazu vor allem Marie-Luise Recker, Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985, bes. S. 98–128; Für die Rolle einer neuen sozialwissenschftlich qualifizierten und sozialpolitisch engagierten Funktionselite im Arbeitswissenschaftlichen Institut der DAF bei der Herausbildung dieser Konzeptionen vgl. Karl Heinz Roth, Intelligenz und Sozialpolitik im „Dritten Reich“. Eine methodisch-historische Studie am Beispiel des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront, München/New Providence/London/Paris 1993.
Recker, Nationalsozialistische Sozialpolitik, bes. S. 114–128.
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Ritter, G.A. (1998). Sozialpolitik in Demokratie und Diktatur 1918–1945. In: Soziale Frage und Sozialpolitik in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Otto von Freising-Vorlesungen der Katholischen Universität Eichstätt. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11398-0_5
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