Zusammenfassung
Die Machtoptimierung der Professionals führte in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zur “Herrschaft der Technokraten” (Kapitel 3). Zwei Entwicklungen blockierten jedoch die vollkommene Etablierung eines technokratischen Staates in Singapur in den 80er Jahren. Zum einen kam es zu einer Entpolitisierung der politischen Kommunikationskanäle (Kapitel 3.2). Selbst innerhalb der Bürokratie, der organisatorischen Basis der Technokraten, verbreitete sich aufgrund der Zentralisierung von Entscheidungsmacht auf den unteren Ebenen Resignation und Apathie (Kapitel 3.3). Diese Entwicklungen führten zu einer “Verstopfung” der Entscheidungs- und Kommunikationskanäle. Zum anderen betrieben die Technokraten bis Mitte der 80er Jahre eine Politik, die sich nicht mehr an den Interessen gesellschaftlicher Gruppen orientierte, sondern losgelöst von diesen, auf der Grundlage technokratischer Lehrparadigmen und makroökonomischer Erfolgsziffern implementiert wurde. Ihre Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitspolitik (Kapitel 3.5.2, 3.5.3 und 3.5.4) entfremdete dabei im Laufe der 80er Jahre mehr und mehr Bevölkerungsgruppen. Ab 1984 kam es zu einer ernsthaften Legitimationserosion technokratischer Herrschaft, welches sich u.a. in anti-PAP Stimmen bei den Parlamentswahlen äußerte (Kapitel 4.1). In das von 0ffe (19753) beschriebene “Dilemma der Technokratie” (vgl. Kapitel 1.2) schien damit auch die singapurische Führung geraten zu sein.
“Life cannot go on as before. Certain things have to change now. How they would change I do not know tonight.” (Goh Chok Tong, in der Wahlnacht des 1.9.91 nach Verkündung der Ergebnisse)
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Anmerkungen
Hierunter fallen sowohl die vier Holdinggesellschaften und die Government of Singapore Investment Corporation als auch sechs Statutory Boards (Boards of Commisioners of Currency, Singapore, Central Provident Fund Board, Housing and Development Board, Jurong Town Corporation, Money Authority of Singapore, Post Office Savings Bank) (Parliament of Singapore 1990: E 31).
Im August 1993 wurde Ong Teng Cheong, ehemaliger Zweiter Stellvertretender Premierminister und Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes mit 58,7% Stimmen zum Präsidenten der Republik gewählt (STWOE, 29.8.93).
Vgl. hierzu ST, 2.1.87: “Feedback Unit wants views of professionals”. Ebenso ST, 18.4.90: “Feedback Unit comes of age”.
Der Verfasser hatte die Gelegenheit, an insgesamt drei Sitzungen der Feedback Unit teilzunehmen: 1. “Dialogue Session with Singapore Manufacturers’ Association on Rules and Regulations in the Manufacturing Industry”, 15.6.91 2. “Dialogue Session on Transferability of COEs”, 13.6.91 3. “Dialogue Session on the Development of the Arts in Singapore”, 31.10.91.
So initiierte der Premier Goh im Mai 1991 14-tägige “constituency walkabouts”, in denen er in den Wahlkreisen die Probleme des Volkes in Erfahrung bringen wollte (ST, 26.5.91). Darüber hinaus wurde ein National Community Organisation Council errichtet, welches den nationalen Feedback-Prozeß auch auf der Ebene der Residents Committees, in den Häuserblocks fortsetzen sollte. Vgl. hierzu ST, 23.5.91. Auch die Errichtung eines “think-tanks”, des Institute of Policy Studies (IPS), 1988, sollte die bestehenden Kommunikationskanäle erweitern. IPSs Aufgabe bestand vor allem darin, jüngere Professionals in führenden Positionen über die Notwendigkeit technokratischer Herrschaft geschichtlich aufzuklären und unter ihnen eine offene Diskussion über anstehende politische Fragen und zukünftige Problemlagen zu initiieren (vgl. Rodan 1990: 9).
Zum Konzept, zur Geschichte und zu den politischen Hintergründen der TCs vgl. die sehr gute Arbeit von Ooi 1990. Über den Wert von TCs aus der Sicht der Opposition vgl. Seow 1990.
Zusammenfassung der Rede Lees in: ST,4.7.92: 32.
Laut Aussagen von B1 und B2 hat die Wohnungsbehörde mit den TCs der Opposition derzeit weniger Probleme als mit einigen PAP-TCs.
Dies ergaben eigene Beobachtungen in den Oppositions-TC. Ashleigh Seow, Manager von drei TCs der Opposition, lehnte eine politisch-agitatorische Rolle der TCs für die SDP explizit ab (Interview, 26.6.92). Seiner Meinung nach könne die Opposition nur dann Stimmen gewinnen, wenn sie die Versorgung der Wohnsiedlungen auf einem hohen qualitativen Standard sicherstelle.
Laut einer Umfrage von IPS waren 1988 nur 64% der Bevölkerung darüber informiert, daß TC auch in ihrem Wahlkreis eingeführt werden sollten. Unter elf Politikthemen interessierte die Singapurer die Einführung der TCs an letzter Stelle (in: Ooi 1990: 37)
Details vgl. Bilveer Singh 1990
Unter einer “echten” Privatisierung wird im folgenden der Übergang der wirtschaftlichen Initiativfunktion von den Inhabern staatlicher Positionen auf private Unternehmer verstanden. Zu einer detaillierten konzeptionellen Ausarbeitung des Begriffs und seiner Umsetzung in den Ländern Südostasiens vgl. die komperative Studie von Asher, Strazzullo in: Quan, Neils on (Hrsg.) 1992: Kapitel 9
Vgl. hierzu das detaillierte Verzeichnis der an der neuen Strategieentwicklung beteiligten Unternehmer und deren Unternehmen, in: Ministry of Trade & Industry 1991, Annex 1.
So warb Finanzminister Richard Hu beispielsweise im September 1992 in Tokio für ein größeres Interesse von japanischen Finanzdienstleistungsunternehmen an Singapur. Vgl. ST, 30.9.92: 40.
Vgl. hierzu die beispielhafte Auflistung und Beschreibung von mittelständischen Unternehmen, die einen solchen Sprung schaffen könnten, in: Singapore Business 1989: 28–59. Zur Regierungsstrategie bezüglich der Globalisierung von singapurischen Unternehmen vgl. BT, 7.9.92: 1.
Vgl. hierzu auch die Bemühungen der SMA, ihren Mitglieder dabei behilflich zu sein, auf internationalen Standard zu kommen. ST, 3.9.92: 40
Hierzu gehört auch das von Goh Chok Tong vorgeschlagene wirtschaftliche “Wachstumsdreieck” Batam (Indonesien)-Johor (Südmalaysia)-Singapur. Zu diesem Projekt vgl. im Detail Lee 1991. Zur positiven Sicht der Geschäftsleute bezüglich dieses Projektes vgl. BT, 8.9.92: 1.
Zu den Mitgliedern des Hauptkomitees gehörten: Dr. Andrew Chew, Lam Chuan Leong, Philip Yeo, Yeo Seng Teck, Tan Chin Nam, Quek Poh Huat, Cham Tao Soon, Koh Beng Seng. Bis auf Koh Beng Seng und Adrew Chew gehören alle anderen zu den identifizierten zweiundvierzig Personen, die den Staatsunternehmenssektor kontrollieren. Vgl. Schaubilder 10a/b in: Vennewald 1994.
Eigene Berechnungen vgl. Vennewald 1994
Wie die Zeitschrift Singapore (Mai/Juni 1993: 7) berichtet, sollen in den nächsten zwei bis drei Jahren die Aktien von acht weiteren Staatsunternehmen über den freien Markt verfügbar sein.
Vgl. z.B. den Aktienverkauf von Chemical Industries, ST, 9.6.87: 9 und von Sembawang Shipyard, ST, 9.6.87: 13.
Einzelheiten zum “China Club” vgl. den sehr interessanten Artikel von Jonathan Karp, FEER, 27.5.93: 62ff.
Dieses kann hier nicht im einzelnen belegt werden. Vgl. aber z.B. für Intraco, ST, 15.12.89 “Intraco takes 21% stake in HK firm”, BT, 14.6.89 “Intraco-reaching beyond trade und BT, 21.6.89 “Intraco moving in new directions”. Für Keppel vgl. ST, 18.4.89 “Keppel diversifies into aviation industry abroad”. Für die Sembawang Gruppe vgl. BT, 1.1.92: “Sembawang perseveres on in the Chinese market”. Für Singapore Technologies Coporation vgl. BT, 4.6.90: “All the world’s a market for STIC”, ST, 20.2.90: “S’pore Technologies, DBS join venture in Thailand” und BT, 19.5.92: “STIC establishes a foothold in Europe”. Für unterschiedliche Unternehmen der Singapore Technologies Holdings, vgl. FEER, 6.1.92: 45 “Silicon implants-Singapore gambles on US technology ventures”.
Beispielhaft hierfür vgl. die Analyse zu den Staatsunternehmen Kapitel 3.4.
Hier kann nur eine begrenzte Auswahl der Überschriften und teilweise auch Inhalte der wichtigsten in den letzten zwei Jahren erschienenen Grundsatzaussagen der Regierung Goh aufgeführt werden. Prinzipiell jedoch findet sich in jeder Ausgabe der Straits Times und eingeschränkt auch in der Business Times das hier dargelegte Werteverständnis der Technokraten wieder.
Vgl. mit einem ähnlichen Tenor die Rede Gohs anläßlich der nationalen Unabhängigkeitsfeiern “Why Govt can’t give in to public pressure: PM” (ST, 15.8.92: 1)
Vgl. hierzu den Aufsatz von Gruschinski in: Schubert, Tetzlaff, Vennewald 1994 (Hrsg.) “Südkorea-Die erkämpfte Demokratie”
Insgesamt ist es äußerst schwer über den genauen Zustand des politischen Zentrums etwas in Erfahrung zu bringen. Die spärlichen Informationen, die selbst politischen “Insidern” zu teil werden, läßt Partei und Kabinett als äußerst geschlossen erscheinen. Wie bei vielen anderen Sachverhalten, handelt es sich auch hierbei weitgehend um einen Mythos, den die Parteiführung und Regierung aufrecht erhalten muß, um nicht die Grundlagen ihrer Ideologie und ihrer Macht zu gefährden. Ein Zugeben von Politikdifferenzen würde die scheinbar “objektive”, technokratische Argumentation als das entlarven, was sie letztlich ist: Mittel zum Machterhalt. Bezüglich der folgenden Ausführungen verweist der Verfasser vor allem auf die Interviews mit J5, A5 und A6. Wo möglich, wurde versucht, deren Aussagen durch schriftliche Belege zu konkretisieren. Im Kontext der eigenen Beobachtungen und Gespräche schienen jedoch die teilweise vertraulichen Aussagen durchaus plausibel.
So gab A6 zu Protokoll, daß sich die singapurische Politik weniger um unterschiedliche programmatische oder ideologische Lager dreht (liberal versus konservativ, demokratisch versus autoritär etc.) sondern um Persönlichkeiten. A6 mußte jedoch zugeben, daß die Persönlichkeiten auch für bestimmte politische Lager stehen, die durchaus mit politisch “bewahrend” bzw. mit politisch “progressiv” bezeichnet werden können.
Wie geschildert ersetzte er innerhalb der Singapore Technology Holdings, den Lee Hsien Loong Mann, Yeo, durch seinen Vertrauten, Pillay (vgl. Punkt 5.4). Während einer Auslandsreise Lee Kuan Yews Anfang 1992 ersetzte er zudem den bis dahin Lee Kuan Yew getreuen Chef des Geheimdienstes durch einen ihm treu ergebenen Mann (Interview A6).
Angeblich soll es Lee hiermit um eine genaue Verortung der Fraktionen in der Partei gegangen sein. In seiner Anwesenheit wäre der Unmut wohl nicht so offen ausgetragen worden. (Vermutung Interview J5). Der Verfasser sieht im Wegbleiben von Lee jedoch einen von diesem bereits schon früher praktizierten politischen Strategiezug (vgl. hierzu Minchin 19902). Lee entzieht sich immer dann dem Brennpunkt der Politik, wenn er andere finden kann, die seine Position vehement vertreten und eine eigene feste Stellungnahme eine zu frühe Festlegung in die ein oder andere politische Richtung bedeuten würde. Vor dem Parteikonvent muß sich Lee über die Stimmung in der Partei im klaren gewesen sein, und um nicht selber auf dem Parteitag desavoiert oder zu einer eindeutigen Stellungnahme gezwungen zu werden-dies hätte seine derzeitige politische Schiedsrichterposition gefährdet-, nahm er an diesem nicht teil und überließ Goh die Verteidigung “seiner” Politik.
Stadtteil, in dem die Regierung ein “asiatisches Venedig” plant und Wohnungen am und im Wasser errichten will.
Die Straits Times bemerkt hierzu: “Clearly perturbed that the activists seemed to have joined the cacophony, he (Goh-W.V.) referred several times to the views expressed by party activists at the convention, saying that it left him confused as to which side they were on. They were echoing views they heard in the coffeeshops and voiced by the opposition, he noted, although the facts and statistics clearly proved the opinions wrong.” (ST, 18.11.91: 19)
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Vennewald, W. (1993). Hinwendung zur Demokratie oder Fortbestand einer autoritären Technokratie? Die politischen Strategien und Grundhaltungen der Technokraten in den 90er Jahren. In: Singapur: Herrschaft der Professionals und Technokraten — Ohnmacht der Demokratie?. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11369-0_6
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