Zusammenfassung
Kann ein Netz ein Raum sein? Und wie sieht es mit einem elektronischen, dem Internet aus, das derzeit häufig auch etwas großspurig als „das Netz aller Netze“ (zur Entwicklung desselben vgl. Cailliau 1998 und Kubicek 1998) tituliert wird? Und was meinen wir, wenn wir heute in einer abendländisch geprägten Gesellschaft als Geistes-, Sozial- oder GesellschaftswissenschaftlerInnen von Raum sprechen — zusätzlich noch von einem virtuellen? Bei dergleichen Fragen hätten noch vor zehn Jahren die meisten abgewunken oder die Fragenden verwiesen an eine, als nicht ganz ernst zu nehmend eingeschätzte, Gruppe von ZukunftsforscherInnen. Inzwischen hat sich dies Grund legend geändert: Vor allem das Internet als das weltweit zugänglichste vernetzte System scheint prägend für Struktur und Interaktionsmöglichkeiten einer sich etablierenden Informationsgesellschaft zu werden. Die zunehmend verfügbaren Anschlussmöglichkeiten an elektronische Netze, die Entwicklung multimedialer interaktiver Software und die Integration bislang getrennter Datensätze kündigen inzwischen deutlich die tiefgreifenden Veränderungen der Arbeits- und Lebensbedingungen in den Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften an — was unabdingbar Auswirkungen auf nichtvernetzte Lebenswelten weltweit haben wird. Parallel zu den Veränderungen der technischen wie technologischen Basis unserer Gesellschaft wird in den gesellschaftswissenschaftlich orientierten Disziplinen statt über Zeit wieder mehr über Raum diskutiert (z.B. Läpple 1991; Sturm 2000; Ahrens 2001; Löw 2001; Krämer-Badoni/Kuhm 2003). Wenn ich davon ausgehe, dass Raum keine unbeeinflussbare Naturgegebenheit, sondern ein gesellschaftlich hergestellter abstrakter Gegenstand ist, dann kennzeichnet die Struktur und Strukturierung von Raumbegriffen neben disziplinären Interessen und deren gedanklichen Operationalisierungen auch die jeweils gesellschaftlich relevanten Wirkgefüge. Was die mit der Technologie des Internet einhergehende Virtualisierung für eine sich ändernde Gesellschaftsordnung bedeuten kann, möchte ich in diesem Text anhand eines Gedankenexperiments verfolgen.
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Literatur
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Sturm, G. (2003). Der virtuelle Raum als Double — oder: Zur Persistenz hierarchischer Gesellschaftsstruktur im Netz. In: Funken, C., Löw, M. (eds) Raum — Zeit — Medialität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11233-4_11
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