Zusammenfassung
Wenn radikal recht1 Bewegungen der 80er und 90er Jahre ihrem Erscheinungsbild und ihrer formalen Struktur nach als soziale Bewegungen in nuce gedeutet werden können2, fragt sich, welche ‘structural strains’, also welche sozialstrukturellen Faktoren und Veränderungen — heute globalen Ausmaßes — rechtsorientierte Bewegungen in post-industriellen Dienstleistungsgesellschaften ausgelöst haben und begünstigen. Zu Recht gelten ‘starker’ sozialer Wandel bzw. Modernisierungssprünge und -brüche als Auslöser sozialer Bewegungen; historische Zäsuren (wie zuletzt die von 1989) werden als ‘Rohstoff für sozialen Protest identifiziert (Neidhardt/Rucht 1993). Daß aus diesem Rohstoff rechte Bewegungen wachsen könnten, mag angesichts des Wertewandels und des Aufkommens der ‘neuen sozialen Bewegungen’ in den 60er und 70er Jahren irritieren, darf aber nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Auch wenn es manchen Autoren schwer fällt, läßt sich der Begriff der sozialen Bewegung nicht für ‘progressive’, nach links gerichtete Strömungen reservieren, die „auf (mehr) politische Partizipation, soziale Emanzipation und eine Transformation der Gesellschaft abzielen“ (Butterwegge 1994: 39). Bei den ‘Modellfällen’ der klassischen Arbeiterbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und der sozialen Bewegungen nach 1945 war Widerstand gegen die Folgen sozialen Wandels im Koordinatensystem des Rechts-Links-Schemas in der Regel eher nach links gerichtet und damit einer universalistischen Vision sozialen Fortschritts verpflichtet. Doch schon der europäische Faschismus der Zwischenkriegszeit, dessen geistesgeschichtliche Wurzeln auf das späte 19. Jahrhundert zurückgehen, wurde als soziale Bewegung sui generis interpretiert, wobei einige Autoren darin die konservative Radikalisierung des Widerstands gegen die Errungenschaften der Französischen Revolution, andere ein Amalgam konservativer und sozialistischer Ideen ‘ni droite, ni gauche’ sahen (Schieder 1976; Sternhell 1983; Raschke 1985).
„Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Jungs“ (August Bebel)
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Anmerkungen
Um die normativ und ideologisch aufgeladene verwendeten Rechtsextremismus-Terminologie der deutschen Literatur zu vermeiden (dazu Leggewie/Meier 1995), verwende ich im folgenden den aus dem amerikanischen Sprachgebrauch entlehnten, neutraleren Begriff der radikalen Rechten. Der Versuch, eine einheitliche RE-Terminologie und -Theorie zu entwickeln, ist auch bei Falter u.a. 1996 und Kowalsky/Schröder 1994 nicht überzeugend gelungen. Zum Rechtspopulismus siehe FN 3.
Jaschkes These lautete, daß wir es „heute nicht mehr, wie noch bis in die 80er Jahre, mit einer politischen Subkultur von Außenseitern und Ewiggestrigen zu tun (haben), die auf breite Ablehnung in der Mehrheitsgesellschaft stößt und in ihrem abgeschotteten politisch-sozialen Milieu verbleibt… Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, daß nach der Studentenbewegung… und den,neuen sozialen Bewegungen’ nun eine neue, von ihren Zielen her ganz andersartige, nun von rechts kommende Bewegung ihren Anfang nimmt“ (1992: 1443). „Anzeichen” waren für ihn das Aufgreifen von Alltagsinteressen, aktionistische Militanz, Breitenwirksamkeit und Dezentralität der rechten’Szene’, dazu Leggewie 1993, 1994, Koopmans/Rucht 1996; dagegen Stöss 1994, Ohlemacher 1994, Butterwegge 1994 und Neureiter 1996.
Rechtspopulismus bezeichnet rechtsorientierte Einstellungen und Organisationen, die mit ihrer doppelten Stoßrichtung gegen die politische Klasse und die Masseneinwanderung über das herkömmliche Spektrum der radikalen Rechten hinausreichen und auf eine neue Konfliktlinie im, sozialen und politischen System gründen, dazu Kitschelt 1996, Betz 1995 und Leggewie 1992. Populismus ist dabei eine doppelte De-Thematisierung von Differenz: Populisten postulieren eine interessenunspezifische, klassenübergreifende Konstellation des „Volkes“ (oder auch der „kleinen Leute”) gegen die „politische Klasse“, deren innere Heterogenität ebenso geleugnet wird.
Die ‘End of Work’-These wird vertreten z.B. von Rifkin 1995, Greider 1997, Forrester 1996, Martin/Schumann 1996. siehe auch Hirsch-Kreisen 1997 und vielen anderen.
Vgl. auch den Spiegel-Bericht “Junge wählen rechts” (40/1997) über den Erfolg rechtsradikaler Parteien bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen 1997, der sich auf Studien der Forschungsgruppe Wahlen und der Hans-Böckler-Stiftung stützt.
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Leggewie, C. (1998). Neo-Kapitalismus und Neue Rechte. In: Hellmann, KU., Koopmans, R. (eds) Paradigmen der Bewegungsforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10990-7_7
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