Zusammenfassung
Protest gehört in unserer Gesellschaft zum Alltag. Ständig treibt es Menschen auf die Straße, werden Parolen skandiert, Veränderungen gefordert, und zieht der Protest sich in die Länge, dauert gar an und mobilisiert immer mehr Menschen, haben wir es bald mit einer sozialen Bewegung zu tun. Das Auftreten von Protestaktionen und sozialen Bewegungen bedeutet aber nicht nur für die Politik eine Herausforderung, sondern auch für die Wissenschaft. Denn was ist eine soziale Bewegung, wie kommt es zu Protest? Wer nimmt daran teil und weshalb? Wie funktioniert Mobilisierung und was sind die notwendigen und hinreichenden Möglichkeitsbedingungen erfolgreicher Mobilisierung? Welcher Einfluß kommt der Gesellschaft und speziell der Politik zu, wenn es um die Entstehung und Entwicklung von Protestbewegungen geht? Wovon hängt der Erfolg einer sozialen Bewegung ab, und was passiert mit der Bewegung, nachdem die Mobilisierungsphase ihren Höhepunkt überschritten hat?
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Anmerkungen
Vgl. Rammstedt 1978: 33ff.; ferner: „Ab 1844 kann der Begriff ‘sociale Bewegung in den sozialkritischen Schriften als bekannt vorausgesetzt werden; Marx und Ruge verwenden ihn, ohne ihn zu erläutern; in den Arbeitervereinigungen und -verbrüderungen wird er unablässig gebraucht.“ (53)
Hofmann 1971: 13; vgl. auch Pankoke 1970: „Im Zusammenhang der Problemgeschichte von ‘socialer Bewegung’ kommt der Marxschen Revolutionstheorie die zentrale Stelle gerade deshalb zu, weil Marx mit seiner Analyse der ökonomischen Basis gesellschaftlicher Klassenbildung den Wirkungsmechanismus zwischen der ‘Bewegung der Produktion’ und den ‘Bewegungen der Gesellschaft’ thematisierte und weil sein Programm einer sozialevolutionären Umgestaltung der industriekapitalistischen Produktionsverhältnisse zwischen den Bewegungsgesetzen der Produktion und den Bewegungszielen der Geschichte eine Beziehung herstellte.“ (30)
Rammstedt 1978a: 108; vgl. auch Pankoke 1970: „Die Wende von der ideologischen zur soziologischen Beurteilung sozialer Bewegungen läßt sich an L. v. Stein aufzeigen, welcher den Antagonismus der Klassenideologien als einen Dualismus von Klasseninteressen zu interpretieren und den systemsprengenden ‘Konflikt’ zwischen Liberalismus und Sozialismus als eine systemimmanente ‘Koexistenz’ der relativen Interessenlagen von ‘Kapital’ und ‘Arbeit’ zu institutionalisieren suchte.“ (36f.) Siehe dagegen Rammstedt 1978: „Eine erste soziologische Reflexion des Begriffs ‘soziale Bewegung’ findet sich jedoch erst in der 3. Auflage des Buches [Communismus und Socialismus in Frankreich], erst nach der Revolution von 1848, als von Stein sein Engagement für den Sozialismus zurücknimmt.” (70)
Hier handelt es sich natürlich um Engels Arbeit ‘Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft’ von 1892.
Vgl. folgende Anmerkung Helmut Königs zur Auffassung Le Bons: „In der Masse werfe der einzelne die mühsam errungenen zivilisierten Normen ab und werde wieder ganz der, der er immer war: ein Stück Natur, ein animalisches Triebwesen, unkalkulierbar, wild, enthemmt, rücksichtslos, nicht mehr zurechnungsfähig, nicht rational ansprechbar.“ (König 1997: 34)
Vgl. Morris/Hering 1987: „Marx’s theory… made the case that participation in movements is intendly rational, purposive activity.“ (140)
So sprechen Klandermans und Tarrow bei ihrer Diskussion des amerikanischen RM-Ansatzes und des europäischen ‘new social movement approach’ von „two major new paradigms“ (Klandermans/Yarrow 1988: 2); ebenso Tarrow 1988: 423; Lahusen 1996.
Siehe eine der wenigen Ausnahmen McAdam 1982: 36ff.
Dabei bat schon der für Neil Smelser so einflußreiche Talcott Parsons mit der Unterstellung des Irrationalismus gearbeitet: „It is a generalization well established in social science that neither individuals nor societies can undergo major structural changes without the likelihood of producing a considerable element of irrational’ behavior.“ (Parsons 1955: 127)
Natürlich gelingt es mittlerweile nicht nur, die Motivation solchen kollektiven Verhaltens, das sich vor allem der Unterstellung von Irrationalität ausgesetzt sah, sondern auch das Verhalten selbst als zweckrational zu begründen. „They may indeed become rebellious, but while their rebellion often appears chaotic from the perspective of conventional American Politics, or from the perspective of some organizers, it is not chaotic at all; it is structured political behavior. When people riot in the streets, their behavior is socially patterned, and within those patterns, their actions are to some extent deliberate and purposeful.“ (Piven/Cloward 1977: 18)
Vgl. die wenig schmeichelhafte Feststellung von Doug McAdam zur Einschätzung der „collective behavior theorists“ über ihren Gegenstand, denen zufolge „the social movement is effective not as political action but as therapy.” (McAdam 1982: 10)
Zur Vereinbarbarkeit von Bewegung und Organisation siehe neuerdings Rucht/Blattert/ Rink 1997.
Vgl. Tarrow 1988: „By no means all the Europeans were advocates of the NSM approach, nor were all the Americans adherents of RM. But whatever their theoretical orientation, most of the former looked to larger structural and/or cultural issues, while the latter developed their research at the organizational, group and individual levels.“ (423)
Vgl. auch Parsons 1955 zu ‘Social Strains in America’.
Übrigens kommt Klandermans fast zu derselben Einteilung: „Grievances, resources and opportunities and meaning construction and identity formation are all indispensable concepts for the explanation proposed here of why and how people become involved in social movements.“ (Klandermans 1997: 210)
Der Reihenfolge, in der die Ansätze vorgestellt werden, liegt die Überlegung zugrunde, daß (3.1) kaum eine soziale Bewegung gänzlich ohne externen Anlaß zustande kommt. Für die Mobilisierung bedarf die Bewegung vor allem aber (3.2) einer kollektiven Identität, die auf eine Wir/Die-, mitunter sogar Freund/Feind-Unterscheidung hinausläuft. Diese muß jedoch (3.3) erst noch aktuell konstruiert oder auch reaktiviert werden. Für die erfolgreiche Mobilisierung braucht es überdies (3.4) Organisation und Ressourcen wie Zeit und Geld, und nicht zuletzt ist (3.5) das sozio-politische Umfeld der Bewegung in hohem Maße mit entscheidend für den Mobilisierungserfolg. Diese Reihenfolge ist somit heuristisch gemeint, keineswegs kausal-oder genealogisch.
Vgl. Rucht 1995: 12
Vgl. Japp 1993: 235.
Vgl. Hellmann 1996: 241.
Vgl. die drei Punkte, die Piven/Cloward für „the conviction that formal organization is a vehicle of power“ anführen: „First, formal organization presumably makes possible the coordination of the economic and political resources of large numbers of people who separately have few such resources. Second, formal organization presumably permits the intelligent and strategic use of these resources in political conflict. And third, formal organization presumably ensures the continuity of lower-class mobilization over time.” (Piven/Cloward 1977: x)
Bei der Realisierung dieses Vorhabens sind wir in der Endphase sehr konstruktiv von Verena Rösner vom Wissenschaftszentrum Berlin unterstützt worden. Dank an sie.
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Hellmann, KU. (1998). Paradigmen der Bewegungsforschung. In: Hellmann, KU., Koopmans, R. (eds) Paradigmen der Bewegungsforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10990-7_1
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