Zusammenfassung
Ein zentrales Ziel der Deutungsanalyse ist es, aus den erfaßten Idee-Elementen, die die kleinste Einheit in der Deutung des „Drogenproblems“ darstellen, komplexere Deutungsstrukturen zu rekonstruieren. Die Grundüberlegung lautet dabei, daß Idee-Elemente, die in ein und derselben Sprecheräußerung enthalten sind, in der Regel auch zu dem gleichen Deutungsmuster gehören. Bei der Auswertung soll also ermittelt werden, welche Idee-Elemente besonders häufig gemeinsam in einer Sprecheräußerung vorkommen. Diese Idee-Element-Kombinationen bilden den Kern des jeweiligen Deutungsmusters (7.1). Die Sprecher, die diese Deutungsmuster (und die jeweils mit ihnen kombinierten Regelungsmodelle) in der Medienöffentlichkeit vertreten, bilden die Tendenzkoalitionen (7.2). Sowohl Deutungsmuster als auch Tendenzkoalitionen werden schließlich im Hinblick auf Veränderungen im Zeitverlauf analysiert, um Aufschluß über Prozesse des Deutungswandels zu erhalten (7.3).
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Literatur
Es sei noch einmal daran erinnert, daß Frames und Deutungsmuster in dieser Untersuchung keine identischen Konzepte sind, obwohl beide Begriffe in der Literatur häufig synonym verwendet werden. Während ein Frame eine Klammer für verschiedene, auch einander widersprechende Idee-Elemente darstellt, die das Problem aus der gleichen Perspektive betrachten, ist ein Deutungsmuster durch eine spezifische Kombination von Idee-Elementen definiert, die ihrer Tendenz nach zusammengehören.
Die Benennung der Deutungsmuster dient der leichteren Identifikation und Wiedererkennung. Sie stützt sich zum Teil auf die hier ausgewiesene Verteilung der Frames, zum Teil aber auch auf die Analyse der Idee-Element-Kombinationen, die den Kern der Deutungsmuster bilden. Diese Deutungsmuster-Kerne werden erst im nächsten Abschnitt näher erläutert; die Benennung der Deutungsmuster erschließt sich daher hier noch nicht.
Die Frage, ob die Sprecher in der „Freigabe“-Debatte sich explizit aufeinander beziehen, kann mit den vorliegenden Daten allerdings nicht beantwortet werden.
Um die Darstellung nicht zu überlasten, werden jeweils nur die Idee-Elemente berücksichtigt, die in mindestens einem Achtel der Sprecheräußerungen vorkommen, die zu einem Deutungsmuster gehören.
Diese Diskrepanz muß nicht in vollem Umfang auf landesspezifische Besonderheiten der bundesdeutschen Debatte zurückgehen. Sie kann zum Teil auch das Ergebnis von Unterschieden in der Untersuchungsmethode sein; denn Beckett überschätzt aufgrund methodischer Beschränkungen möglicherweise das Gewicht und die Prägekraft der repressiven Deutungen für den Drogendiskurs in den USA (vgl. oben Kap. 3.2.5.5).
Auch hier gilt, daß der Unterschied unseres Befundes zu den Ausführungen bei Sharp, Beckett und Coray nicht in vollem Umfang Besonderheiten der bundesdeutschen Debatte widerspiegeln muß. Denn Sharp und Coray haben die von ihnen kritisierten Anprangerungs-und Stigmatisierungstendenzen bei den Repressionsbefürwortern nicht empirisch gemessen und quantifiziert, während Beckett ihr Gewicht wahrscheinlich etwas überschätzt.
Mit dem Framing-Erfolg der Liberalisierungsbefürworter geht im übrigen nicht automatisch ein höheres Rationalitätsniveau der Debatte einher. Denn aus unseren Daten läßt sich nicht ersehen, ob die Repressionsbefürworter tatsächlich die Wirksamkeit der von ihnen befürworteten repressiven Maßnahmen thematisieren (oder ob sie nur die Effektivität der Liberalisierung bestreiten) und wie gut solche Argumente gegebenenfalls belegt und abgestützt sind. Der Framing-Erfolg der Liberalisierungsbefürworter stellt daher zunächst nur eine notwendige Voraussetzung für Rationalisierungsprozesse dar, die erst dadurch möglich werden, daß sich beide Seiten auf eine Wirksamkeitsdiskussion einlassen.
Eine wissenschaftlich fundierte Kritik an der Einstiegsdrogen-These findet sich bei Raschke/Kalke (1997: 97 ff.).
Vgl. den Befund zum Ausmaß ambivalenter Regelungsbewertungen bei Journalisten in Kap. 6.1.4, der in dieselbe Richtung weist.
Sprechertypen, die sich in der „Freigabe“-Debatte in besonderem Maße als Neutrale präsentieren, gibt es erwartungsgemäß dagegen nicht (vgl. Kap. 2.2.2).
Es gibt jedoch einzelne Ausnahmen von dieser Regel, die im Zusammenhang mit der sozialen Zusammensetzung der Koalitionen in Kap. 7.2.5 behandelt werden.
Die Sprecher werden hier und im folgenden immer mit derjenigen Funktion genannt, in der sie an der „Freigabe“-Debatte teilgenommen haben - unabhängig davon, ob sie diese Funktion auch heute noch ausüben.
So gut wie nie kommt es vor, daß ein Sprecher sich in verschiedenen Äußerungen direkt widerspricht, daß er also beispielsweise eine Maßnahme zunächst öffentlich ablehnt und später dieselbe Maßnahme befürwortet, oder in einer frühen Phase der Debatte ein bestimmtes Idee-Element verwendet, um später die genau entgegengesetzte Deutung zu vertreten. Ein echter Sinneswandel wird, wenn es ihn denn gibt, jedenfalls öffentlich nicht sichtbar gemacht.
Auch hier werden die Sprecher mit derjenigen Funktion genannt, in der sie an der „Freigabe“-Debatte teilgenommen haben - unabhängig davon, ob sie diese Funktion auch heute noch ausüben.
Zur Vereinfachung der Darstellung werden die beiden Deutungsmuster des liberalen Lages (1 und 3) bzw. des repressiven Lagers (2 und 4) im folgenden jeweils gemeinsam betrachtet. Untersucht werden also die Deutungen der beiden Lager.
Ein weiterer Grund fir die relative Stabilität der Deutungen mag im Zeithorizont der vorliegenden Untersuchung liegen. In einem Zeitraum von nur sechseinhalb Jahren sind starke Veränderungen in den Problemdeutungen ohnehin eher unwahrscheinlich. Solche Prozesse dürften sich eher längerfristig als kultureller Wandel niederschlagen. In dieser Untersuchung geht es dagegen stärker um die ereignisabhängigen Fluktuationen im Deutungsgeschehen, die sich am besten in einem mittelfristigen Zeithorizont beobachten lassen.
Dieses Ergebnis ist offenbar unabhängig von der jeweiligen Länge der ereignisärmeren Phasen: Phase 3 erstreckt sich über einen noch längeren Zeitraum als Phase 5 und weist dennoch keinen höheren Ausschöpfungsgrad des Gesamt-Deutungsrepertoires auf. Der Ausschöpfungsgrad ist offenbar am besten durch die spezifische Ereignislage in den Phasen zu erklären.
Der außergewöhnlich niedrige Ausschöpfungsgrad, den das liberale Lager in Phase 2 aufweist (26%), ist darauf zurückzuführen, daß rund die Hälfte der Sprecheräußerungen des liberalen Lagers in dieser Phase von einem einzigen Sprecher, nämlich dem Hamburger Ersten Bürgermeister Henning Voscherau stammen und sich diese Äußerungen (wie auch die einiger anderer Sprecher des liberalen Lagers) zumeist auf wenige Idee-Elemente beschränken. Es handelt sich dabei um die in Kap. 7.1 als Kem-Idee-Elemente des Deutungsmuster 1 („Liberalisierung als wirksamere Problemlösung“) identifizierten Idee-Elemente 243, 240, 200, 221.
Die Verteilung der Sprecheräußerungen zwischen den beiden Lagern reproduziert sich in fast identischer Weise auf der Ebene der Idee-Element-Aussagen. Sprecheräußerungen und IdeeElement-Aussagen geben daher gleichermaßen Auskunft über die relative Stärke der beiden Lager. Der Einfachheit halber wird im folgenden jeweils nur das Verhältnis der Sprecheräußerungen zur Analyse herangezogen.
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Weßler, H. (1999). Deutungsmuster und Tendenzkoalitionen: Ergebnisse der Deutungsanalyse II. In: Öffentlichkeit als Prozeß. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10932-7_8
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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