Paradigmenwechsel? Deutschland, Europa und die transatlantischen Beziehungen im Lichte der Irak-Krise

Zusammenfassung

An der Frage, wie die Irak-Politik der rot-grünen Bundesregierung zu bewerten ist, scheiden sich die Geister: Die einen sehen die Irak-Politik als Ausdruck einer kalkulierten Neuorientierung, die anderen deuten sie als kurzsichtig, von den Ereignissen getrieben und wahlkampftaktisch motiviert. Während erstere diese Außenpolitik als Ausdruck von Selbstbewusstsein und Emanzipation begrüßen, befürchten letztere den Verlust von außenpolitischem Handlungsspielraum und einen Bruch mit traditionellen Maximen bundesrepublikanischer Außenpolitik. In einer optimistischen Perspektive (von Bredow 2003) hat Deutschland seit der Vereinigung langsam aber stetig eine „neue deutsche Außenpolitik“ mit einem „steil angestiegenen Gestaltungswillen in der Weltpolitik” entwickelt, der in der Irak-Frage kulminiert; dabei hat die Bundesregierung „kühl und bewusst die Balance zwischen der auf Europa bezogenen und der transatlantischen West-Integration“ aufgegeben und ihre „massive Gegenmacht-Politik” gegen die Politik Washingtons „inszeniert und durchgezogen“. Hier schimmert die offizielle außenpolitische Sichtweise der Berliner Republik durch, wie sie in der Berliner Rede von Bundespräsident Rau (2003) zum Ausdruck kommt und wie sie von der breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen wird. Aber werden in dieser Sichtweise Fehler und Versäumnisse deutscher Außenpolitik verharmlost und andere brennende Fragen, vor allem revolutionäre Veränderungen in der Internationalen Politik, ausgeblendet?