Zusammenfassung
In allen vorangegangenen Kapiteln kann man Vorarbeiten sehen, die den Blick auf die Grundlagen oder anders ausgedrückt auf die Grundbedingungen des Modewandels freilegen sollten. Die Offenhaltung des Modebegriffs (Kap. 2) hat dazu beigetragen, diesen Blick nicht allzu früh einzuengen bzw. vor bestimmten Erklärungsansätzen zu verschließen. Die Suche nach den geschichtlichen Ursprüngen der Mode (Kap. 3) hat es hingegen ermöglicht, Ansätze mit allzu tief angesetzten Grundlagen von vornherein auszuschließen (Kap. 4). Die genaue Analyse der vielen übrigen in der Diskussion stehenden Theorien (Kap. 5) hat nicht nur zu weiteren Negativselektionen, sondern auch zum Herausarbeiten dreier relativ bewährter Grunderklärungsmuster geführt, welche immer wieder im Hintergrund der einzelnen Modewandelstheorien zu finden sind (Kap. 6). Aus diesen Grunderklärungsmustern lassen sich nun ohne Mühe drei Grundlagenkomplexe des Modewandels ableiten, die wie schon nach den Kapiteln 3 und 4 nicht anders zu erwarten, allesamt gesellschaftlicher Art sind. Zwei davon sind unumstritten nach wie vor gegeben, der dritte wird nicht nur in der Modeliteratur, sondern in weiten Bereichen der Soziologie, seit vielen Jahren kontrovers diskutiert (7.1.). Er wird hier daher ins Zentrum der weiteren Überlegungen gestellt: es ist jenes Grundlagengefiige, auf dem die klassische Trickle-Down-Theorie basiert. Nachdem es genauerer ausgelotet worden ist (7.2.), wird seine Infragestellung für die heutige Zeit diskutiert. Es stellt sich heraus, daß die Lage komplexer geworden ist. Einerseits lassen sich alle Argumente, die auf eine Auflösung der gesellschaftlichen Grundlagen des Trickle-Down-Prozesses hinauslaufen, entkräften (7.3.). Andererseits drängt sich durch die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Erklärungsmuster für den Modewandel auf (7.4.). Dadurch wird aber keiner der drei klassischen Ansätze obsolet, vielmehr muß dieses neue Erklärungsmuster heute mit hinzugezogen werden, um den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen gerecht zu werden (7.5.). Nachdem schon durch die genauere Betrachtung der Grundlagen der Trickle-Down-Theorie im Abschnitt 7.2. eine Verbindungslinie zwischen Mode und Moderne herausgearbeitet worden ist, schließt das Kapitel mit einigen Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Mode, Moderne und Postmoderne (7.6.).
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Literatur
Dazu kommt, daß Kleiderordnungen nicht nur in der Zeit des Merkantilismus auch aus wirtschaftlichen Überlegungen erlassen wurden (vgl. Einsenbart, 1962: 103).
Zitiert wird im folgenden aus einer Kurzfassung von 1964, welche die Hauptargumentationslinie präsentiert und in die lediglich einige aktuelle Literaturhinweise neu eingearbeitet worden sind.
Auf die zentrale Rolle der bei näherer Betrachtung wertlosen empirischen Untersuchung von King (1976) in diesem Zusammenhang ist hier bereits mehrfach hingewiesen worden.
Sein französischer,Vorgänger‘ E. Goblot widmet in seiner,Soziologischen Studie zur modernen französischen Bourgeoisie‘ der Mode immerhin eines von sieben Kapiteln (Goblot, 1994 [1925]: 87–111).
Vgl. Bourdieu, 1987: 367f, 391f u. 541; 1993a; 1993b; Bourdieu & Delsaut, 1975
Die „langjährige Konstanz der Prestigeordnung von Berufen“ ist Schulze durchaus bewußt (ebd.: 405).
Wie ‚blind‘ Schulze gegenüber solchen Fragestellungen ist, zeigt sein Bedauern darüber, daß in seiner empirischen Erhebung Ausländer unberücksichtigt geblieben sind, obwohl doch auch sie zum Teil der Erlebnisgesellschaft werden: „Von den nicht bearbeiteten Themen ist die Kultursoziologie von Ausländern in Deutschland das wichtigste. (...) Bei einem Sachverhalt, der die Gesellschaft immer stärker in ihrer Gesamtheit betrifft, ist (das) unbefriedigend“ (ebd.: 30).
Es sei daran erinnert, daß tìlr Bourdieu,Mode‘ Kleidermode ist oder noch genauer: die Kreationen der Haute Couture. Es empfiehlt sich aber, ihn hier beim Wort zu nehmen und trotz der,vielleicht längeren Umlaufzeiten‘ auch da von Modewandel zu sprechen, wo er selbst es vermeidet.
Wenn Arbeiter das Photographieren um des Photographierens willen (...) in der Regel als unnütz, pervers oder bourgeois ablehnen (...), dann im Namen einer,Asthetik‘, derzufolge das Photographieren seine Rechtfertigung im photographischen Motiv oder im möglichen Gebrauch des Bildes zu finden hat“ (Bourdieu, 1987: 81).
In eine ähnliche Richtung geht z. B. der Vorwurf von Kloepfer & Landbeck an Horkheimer und Adorno, „das Ästhetische nur den entsprechend Gebildeten zu gönnen“ (Kloepfer & Landbeck, 1991: 253).
Dem entspricht auch jener „tierische Ernst“ Adornos, den Schönberg an ihm bemängelte (Wiggershaus, 1988: 91).
„Man macht sich (..) die Existenz des Kitsches zunutze, um ihn quasi als besonderen Lekkerbissen zu verwenden, der klug dosiert und in einen hochgradig raffinierten Kontext eingetilgt, seine ästhetische Wertigkeit geradezu ins Gegenteil verwandelt: man spricht dann von camp“ (Dorfles, 1987: 22f; Herv. G. D.). Vgl. auch Sontags bekannten Essay von 1964 in Kratzert, 1987.
Flaig et al. weisen unter anderem auf den fehlenden sozialen Zusammenhalt im Traditionslosen Arbeitermilieu hin, auf die Häufigkeit von Streit und Gewalt in den Familien und auf das,Zuschütten‘ von Problemen durch übermäßiges Essen und Alkoholkonsum (Flaig et al., 1993: 63).
Die Problematik einer ausgeprägt hedonistischen Einstellung führt freilich dazu, daß einigen zum,Spaß haben‘ jedes Mittel recht wird „bis hin zur tabuverletzenden neuen Lust an der Gewalt“ (Flaig et al., 1993: 68). In den Feindseligkeiten gegenüber Ausländern ist dieses Potential schwer zu trennen von den rein ressentimentgeladenen Ausbrüchen der,Zukurzgekommenen‘, die dank ihrer Treue gegenüber dem Erfolgsziel und den Mitteln zur Zielerreichung mit dem Gefühl des eigenen Versagens konfrontiert werden.
Einer der bekanntesten deutschen Wertewandelsforscher nimmt ihn so ernst, daß er es gegenüber den viel diskutierten Gesellschaftsbeschreibungen über,Postmoderne‘ und,Risikogesellschaft‘ vorzieht, von der,Wertwandelsgesellschaft‘ zu sprechen (Klages, 1993; zu der Abgrenzung vgl. die Einleitung).
Schulzes Erklärung der zu seiner Hauptthese nicht passenden „absurden Panik“ der Reichsten bei aus Außensicht unbedeutenden Verlusten: „Ihnen fehlen die Überlebenstechniken der Ärmeren. (...) Sie fahren den Kampf um das Entbehrliche, als ginge es bereits um ihr Leben, weil sie nicht wissen, wie man sich mit weniger Möglichkeiten behaupten kann” (Schulze, 1993: 201). Vielleicht Überwinden sie alle ihre Angst, wenn sie die,Erlebnisgesellschaft‘ lesen und erfahren, daß es heute keine Behauptungsprobleme mehr gibt?
Zur,Blasiertheit‘ vgl. Simmel, 1989 [1900]: 332–337.
Beliebig freilich innerhalb bestimmter Grenzen, bei deren Überschreitung auf Seiten der Konsumenten die Gefahr der Desorientierung zu stark wird.
Diese sehr häufig bei der Begriffsbestimmung von,Mode‘ verwendeten Merkmale wurden hier bewußt nicht von Beginn an zur begrifflichen Präzisierung herangezogen. Alle der Zeitgeisttheorie naheliegenden Ansätze hätten ansonsten unberücksichtigt bleiben müssen.
Die Parallelen zu Baudrillards Schilderung des Übergangs zum,Simulakrum der ersten Ordnung’ (vgl. 5.6.1.) sind unübersehbar.
Um Mißverständnissen vorzubeugen sei darauf hingewiesen, daß der Begriff,Strategie‘, so wie er in dieser Arbeit verwendet wird, keineswegs immer ein bewußt-geplantes Verhalten impliziert.
Daß Brunkhorst dabei Hegels Auseinandersetzung mit dem Begriff,Modephilosophie‘ (vgl. Hegel, 197la [1833–36]: 610 nicht ganz gerecht wird, spielt tìlr unsere Argumentation keine Rolle.
Und auch jede,große Soziologie‘, nicht nur ihre hoffnungslos,modernen‘ Varianten, die davon ausgehen, in einem allgemein verbindlichen, rationale Diskurs‘ entweder bestehen, oder aber zum zweifelsfrei besseren him korrigiert werden zu können.
Dementsprechend werden sie nun auch in diese Debatte mit einbezogen. Vgl. tUr Simmel z. B. Weinstein & Weinstein, 1993; Dörr-Backes & Nieder, 1995
Für die Absatz- und Erlebnissicherung liegt es auf der Hand. Bei der Distinktionssicherung braucht man nur — McCracken folgend — über das klassische Trickle-Down-Modell hinauszublicken, um auf den ersten Blick eine deutliche Relevanzzunahme zu erkennen.
An die Stelle der — mit einer Abwertung verbundenen — Marginalisierung der Mode tritt bei ihm die Abwertung der von Mode durchdrungenen (post-)modemen Gesellschaft.
Eine Ergänzung wird z. B. bei den betriebswirtschaftlich orientierten Überlegungen Heinz-Werner Schusters zum,prestigegeleiteten Konsumentenverhalten‘ (Titel) sichtbar. Er bezeichnet den „temporären Vorsprung im Produktbesitz“ bei neuen, modischen, aber nicht sonderlich kostspieligen Produkten „vor allem fir den zunehmenden Kreis,neophiler‘ (...) Verbraucherschichten“ als „ausreichend“, der „besonderen SpaB am Kauf innovativer Angebote empfindet“ (Schuster, 1994: 112). Es fhilt nicht schwer, daraus ein Zusammenspiel von Distinktionssicherung und kulturell vorgegebener,Neophilie‘ abzuleiten (fir Schuster ist die Zunahme der Innovationsfreudigen ein Faktum, die kulturelle Einbettung interessiert ihn nicht).
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Schnierer, T. (1995). Die gesellschaftlichen Grundlagen des Modewandels und der Zusammenhang zwischen MODE und Moderne. In: Modewandel und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10838-2_8
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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