Zusammenfassung
Die Überlegungen zu dieser Thesenskizze1 sind durch eine persönliche Irritation motiviert. 1984 lernte ich einen achtzehnjährigen Punker kennen, der seit Monaten das Leben eines Stadtstreichers führte. In einer seiner häufigsten Fantasien sah er sich als Kämpfer in einem — wenn bislang auch vergeblichen — Freiheitskampf gegen die Gesellschaft, die ihn und seinesgleichen mit institutionalisierter Aggression verfolgen würde. Er wirkte auf mich eher kindlich, fast schüchtern und sprachlos, vor allem was seine Gefühle anbelangte. Gleichaltrigen Mädchen gegenüber schien er mir sehr unbeholfen. Häufig war er alkoholisiert, außerdem aggressionsgehemmt, solange er sich nicht in der Gruppe von zwanzig bis dreißig anderen Punkern befand, mit der er täglich herumzog. Eines Tages berichtete dieser junge Mann mit ungewohnter Bestimmtheit, daß er sich als Zeitsoldat verpflichten wolle: Bei der Bundeswehr sei seine Zukunft gesichert; zwar fürchte er die körperliche Anstrengung der Grundausbildung, sehe darin aber eine einmalige Chance, sich zu bewähren. Er meinte es ernst, denn er telefonierte tagelang seinem ausstehenden Einberufungsbefehl hinterher. Den Widerspruch zwischen seinem Ideal persönlicher Freiheit und dem militärischen Regelsystem schien er überhaupt nicht zu sehen. Kurze Zeit nach seinem Entschluß, Soldat zu werden, opferte er seine Irokesen-Frisur, um derart normalisiert auch von seinen Eltern wieder aufgenommen zu werden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
In das erweiterte Umfeld dieser Skizze gehört auch: Haubl, R.: Sozialisation und Geschichte der Kindheit. In: Ders. et al.: Veränderung und Sozialisation. Opladen 1985, S. 103–137.
Birckenbach, H.-M.: „.. besser vorbereitet auf den Krieg!“ Schüler — Frieden — Bundeswehr, Frankfurt/M. 1982, S. 67.
Zitiert nach: Nitzschke, B.: Männerängste, Männerwünsche. München 1980, S. 53ff.
Theweleit, K.: Männerphantasien, Frankfurt/M. 1977/78 (2 Bde.).
Picht, W.: Der soldatische Mensch, Berlin 1940, S. 55f.
Freud, S.: Das Ich und das Es, in: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. XIII, London, Frankfurt/M. ab 1940, S. 288.
Fasteau, M.: The Male Machine, New York 1974. — Etheredge, L.: A World of Man: Private Sources of American Foreign Policy, Cambridge 1978. — DeMause, L.: Reagan’s Amerika, Frankfurt/M. 1984.
Fleckenstein, B.: Das Werden der Bürgerarmee — Die Entwicklung der Bundeswehr von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, in: Zoll, R. (Hg.): Wie integriert ist die Bundeswehr?, München 1979, S. 102.
Smith, A.: Theorie der ethischen Gefühle, hrsg. von Walther Eckstein, Hamburg 1977, S. 402, 446.
Auf ausführliche Literaturhinweise wird aus Platzmangel verzichtet. Als Interpre-tationsrahmen mögen dienen: Mahler, M. et al.: Die psychische Geburt des Menschen — Symbiose und Individuation, Frankfurt/M. 1978; Grunberger, B.: Vom Narzißmus zum Objekt, Frankfurt/M. 1976.
Shatan, Chr. F.: Militarisierte Trauer und Rachezeremoniell, in: Passett, P. und Modena, S. (Hg.): Krieg und Frieden aus psychoanalytischer Sicht, Frankfurt/M. 1983, S. 256.
Erdheim, M.: „Heiße“ Gesellschaften — „kaltes” Militär, in: Kursbuch 67, 1982, S. 60.
Vgl. als autobiographischen Beispielfall Triebinger, G.: Reißt euch zusammen, Frankfurt/M. 1984.
Treiber, H.: Wie man Soldaten macht, Düsseldorf 1970, S. 44f.
Eissler, K.: Die Seele des Rekruten, in: Kursbuch 67, 1982, S. 14ff.
Vgl. Troschke, J. v. und Stünzner, W. v.: Gesundheitsverhalten von Bundeswehr-soldaten, in: Wehrmedizinische Monatsschrift, 5/1983, S. 192–200.
Vgl. Erdheim, a.a.O., S. 69.
Ebd., S. 62.
Vgl. Redl, F.: Das Über-Ich in Uniform, in: psychosozial 15, 1982, S. 43–51.
Zum Vorkommen psychopathologischen Verhaltens aus dem Formenkreis paranoider Störungen vgl. die Falldarstellungen bei Brickenstein, H.: Probleme der Wehrpsy-chiatrie, Stuttgart 1980, S. 55ff.
Vgl. Vater, A.: Der Einfluß des Wehrdienstes auf das Aggressionsverhalten von Sol-daten, Heidelberg 1977 (unveröffentl. kriminol. Diss.).
Aufschlußreich für eine Diskussion dieses Sachverhaltes ist das sog. Hauptmann-Papier von 1970, in dem Hauptleute des Heeres forderten, daß das ( Berufs-)Bild des Soldaten am Typus des Kämpfers orientiert bleiben müsse. An ihm gemessen erscheint der Techniker/Unterstutzer als feige!
Vgl. Köpper, H.: ABC-Komiker bis Zwitschergemüse. Das Bundessoldatendeutsch, Wiesbaden 1979.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1988 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Haubl, R. (1988). „… wo Männer noch Männer sind!“ Zur Sozialisation des Homo clausus im Militär. In: Vogt, W.R. (eds) Militär als Lebenswelt. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10803-0_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10803-0_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-0532-8
Online ISBN: 978-3-663-10803-0
eBook Packages: Springer Book Archive