Zusammenfassung
Das hier analysierte problemdefinierende Unternehmen zeitigte einen durchschlagenden Erfolg. Dieser hätte nicht annähernd so hoch ausfallen können, wenn die propagierten Deutungsmuster bloss zur Bezeichnung und Abarbeitung von Problemen herangezogen worden wären, die allen Beteiligten schon längst — und jedenfalls auch ohne diese Kategorien zu kennen — als solche aufgestossen waren. Wäre es nur einfach darum gegangen, dass ein problematischer Schüler jetzt zum Legastheniker (erklärt) wurde, so hätte sich das Unternehmen in einem bescheidenen Rahmen gehalten; aber ein Schüler konnte jetzt auch überhaupt erst problematisch werden, weil sich bei ihm Anzeichen von Legasthenie — oder einer der anderen, von den neuen Devianzkategorien gemeinten Störungen — zeigten. Die neu definierten Probleme verselbständigten sich, sie lösten sich ab von ihrer Bindung an schon längst als problematisch erachtete Situationen und verlangten aus sich heraus Beachtung. Die Beachtung, die die neuen Kategorien verlangten, war grösser, als sie die Devianzkategorien, die man früher in der Schule kannte, verlangt hatten. Die neuen Probleme mussten nicht nur gekontert werden, sondern zunächst aufgedeckt, und das verlangte Sensitivität, Orientierung am Wissen, über das die neuen Fachleute verfügten, und letztlich auch eine Logik des Verdachts, mit der man sich den Schülern ganz generell zu nähern hatte. Und schliesslich reichte auch all das nicht: Die neuen Probleme verlangten systematische Aufdeckung durch die Experten. Solch hohe Forderungen, mit denen diese Kategorien einhergingen, hätte man als etwas anmassend, als Wichtigtuerei und als Eigennutz der dahinterstehenden Akteure interpretieren können — und dieser Verdacht begleitete das ganze Unternehmen und bekam in der letzten Phase sogar noch Auftrieb —, aber man konnte auch in anderer Weise Konsistenz herstellen: So hohe Anforderungen sprachen eben für die Tragweite dieser Probleme; das war die Version, auf der man das Handeln begründete, und darin gipfelte der Erfolg des Unternehmens.
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Literatur
Die kritische Formulierung stammt von Knorr Cetina (1988b), die damit einen solchen Ansatz abgrenzt von anderen, v.a. vom kognitiven Konstruktivismus.
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© 1991 Springer Fachmedien Wiesbaden
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Bühler-Niederberger, D. (1991). Schluss: Unbegrenzte Möglichkeiten der Konstruktion von Wirklichkeit?. In: Legasthenie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10635-7_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10635-7_5
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-0897-8
Online ISBN: 978-3-663-10635-7
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