Zusammenfassung
Die Diskussion um eine Alterskultur bzw. Kulturen im Alter wird angeregt durch die Differenzierung des Alters, die Unterscheidung zwischen jungen und alten Alten, zwischen Drittem und Viertem Lebensalter. Damit soll auch verdeutlicht werden, dass die Älteren keine homogene, benachteiligte Gruppe darstellen. Seit Peter Lasletts „A Fresh Map of Life“ (1989) und seiner Einführung des Konzepts Third Age haben sich eigene Kulturen, etwa die U3A’s nicht nur europaweit mit einem distinktiven Lebensstil rasch ausgebreitet und existieren heute in vielen Ländern Europas. Eine andere Perspektive, die auf die Heterogentität des Alters hinweist, beruht auf Konsum- und Marketingstudien, die seit den 1980er Jahren verschiedene Lebensstile im „greying consumer market“ feststellen. So beschreibt die Grey-Gruppe Deutschland drei Segmente älterer Menschen (Appelton 1994). Damit werden ältere Formen und Vorstellungen von Alterskultur abgelöst bzw. ergänzt. Mit Verweis auf die Entwicklungen in der amerikanischen Gesellschaft hat Arnold Rose (1964) noch zu Beginn der 1960er Jahre eine Subkulturtheorie entwickeln können, wonach die gesellschaftliche Isolierung des Alters zur Tendenz der Entwicklung einer eigenen normativen Realität führen werde (vgl. dazu Bockes, Clemens 1998). Retirement communities, wie sie in Arizonas und Florida vor 40 Jahren gegründet worden sind bzw. Altenorganisationen wie die AARP mit ihren 35 Millionen Mitgliedern galten als Beleg für eine Alterssubkultur mit einer stark altersklassifizierten Struktur. Wenn auch in Europa sich nunmehr ältere Menschen aus dem Norden in Nachbarschaft von ihresgleichen im Süden ansiedeln, wird diese Entwicklung keineswegs mehr unter dem Gesichtspunkt subkultureller Abschließung diskutiert. Der gesellschaftliche Entwicklungsprozess in der gegenwärtigen, „zweiten“ Moderne erlaubt es nach von Kondratowitz (1999, S. 106) immer weniger, von homogenen oder als authentisch begriffenen Lebenswelten auszugehen. An die Stelle zentrischer Perspektiven ist die Vorstellung von Differenz- und Diversitätserfahrungen (Calasanti 1996) getreten. Für eine soziologische Untersuchung kultureller Lebensformen stellt sich dabei auch die Frage, inwieweit die Erweiterung ästhetischer Spielräume und Pluralisierung der Alterskulturen als ein Indiz für Individualisierung und Demokratisierung der Kultur gelten kann oder „alte“ Strukturen und Strukturdeterminanten wirksam bleiben. In der folgenden Auseinandersetzung wird es um die Frage gehen, wie die Pluralisierung der Alterskultur einzuschätzen ist. Dies wird vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem Stellenwert von Kultur in Gegenwartsgesellschaft geschehen.
„Denn nur dann steht das Greisenalter in Ehren, wenn es sich selbst verteidigt, wenn es sein Recht behauptet, wenn es sich niemandem sklavisch unterwirft.“
Cicero
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Amann, Anton (2001): Lebensstile im Alter. In: Sablik, Karin; Wehle, Peter (Hrsg.): Netzwerk Lebensstil. Eine Bestandsaufnahme und Ideensammlung zur Erforschung der Lebensqualität aus wissenschaftlicher, politischer und kultureller Sicht. St. Pölten: NO Landesakademie, S. 53–59.
Antonucci, Toni (1990): Social supports and social relationships. In: Binstock, Robert H.; George, Linda K. (Hrsg.): Handbook of aging and the social sciences. 3. Aufl. New York: Academic Press, S. 205–226.
Appleton, Edwin (1994): Die neue Lust in reifer Schale. In: ORF-Medienforschung (Hrsg.): 50plus. Wien: ORF, S. 43–62.
Atchley, Robert C. 1999: Continuity and adaptation in aging. Baltimore/London: The Johns Hopkins University Press.
Backes, Gertrud M.; Clemens, Wolfgang (2003): Lebensphase Alter. 2. Aufl. Weinheim/München: Juventa.
Bellah, Robert N.; Madsen, Richard; Sullivan, William M.; Swidler, Ann; Tipton, Steven M. (1985): Habits of the heart: Individualism and commitment in American life. New York: Harper and Row.
Bendix, Ralf (1974): Inequality and social structure. In: American Sociological Review 39, S. 149–161.
Bourdieu, Piere (1988): Die feinen Unterschiede. Frankfurt: Suhrkamp.
Calasanti, Toni (1996): Incorporating diversity: Meaning, levels of research, and implications for theory. In: The Gerontologist 36, S. 147–156.
Cassirer, Ernst (2001): Philosophie der symbolischen Formen. Hamburg: Meiner.
Clausen, John A. (1995): Gender, contexts, and turning points in adults’ lives. In: Moen, Phyillis; Elder, Glen H.; Löscher, Kurt (Hrsg.). Examining lives in contexts. Washington: APA, S. 365–389.
Eagleton, Terry (2001): Was ist Kultur? München: Beck.
Elder, Glen H. (1998): The life course and human development. In: Lerner, Richard M. (Hrsg.): Handbook of child psychology. Vol. 1. New York: Wiley and Sons, 939–991.
EUROSTAT (2003): Time use at different stages of life. Results from 13 European countries. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities.
Featherstone, Mike; Hepworth, Mike (1989): Ageing and old age. In: Bytheway, Bill; Keil, Theresa (Hrsg.): Becoming and being old. London: Sage, S. 143–157.
Fürstenberg, Friedrich (2000): Handlungskompetenz im Prozess des Alterns. Ein soziologisches Forschungsfeld. In: Backes, Gertrud M. (Hrsg.): Soziologie und Alter(n). Opladen: Leske + Budrich, S. 193–199.
Geertz, Clifford (1991): Dichte Beschreibung. Frankfurt: Suhrkamp.
Gordon, Chad; Gaitz, Charles M.; Scott, Judith (1976): Leisure and lives. Personal expressivity across the life span. In: Binstock, Robert H.; Shanas, Ethel (Hrsg.): Handbook of aging and the social sciences. New York: Van Nostrand Reinhold, S. 310–341.
Gronemeyer, Reimer (1989): Integration und Segregation. In: Baltes, Margret M.; Kohli, Martin; Sames, Karl (Hrsg.): Erfolgreiches Altern. Bern: Huber, S. 113–117.
Guillemard, Anne-Marie (1972): La retraite: une mort sociale. Paris: PUF.
Höptlinger, François; Stuckelberger, Astrid (1999): Demographische Alterung und individuelles Altern. Zürich: Seismo.
Hörl, Josef (1998): Zum Lebensstil älterer Menschen. In: Kruse, Andreas (Hrsg.): Psychosoziale Gerontologie. Bd. 1. Göttingen: Hogrefe, S. 65–78.
Jacobs, Klaus; Kohli, Martin (1990): Der Trend zum frühen Ruhestand. In: WSI Mitteilungen 43, S. 498–509.
King, Russell; Warnes, Tony; Williams, Allan (2000): Sunset lives. British retirement migration to the mediteranean. Oxford: Berg.
Kleiber, Douglas A.; Ray, Robert O. (1993): Leisure and generativity. In: Kelly, John R. (Hrsg.): Activity and aging. London: Sage Publications, S. 106–117.
Kolland, Franz (1996): Kulturstile im Alter. Wien: Böhlau.
Kolland, Franz; Köster, Dieter; Kricheldorff, Cornelia (2003): Geragogik und Zivilgesellschaft (im Druck).
Kondratowitz, Hans-Joachim v. (1990): Sozialpolitik in Verlegenheit. Normative Unbestimmtheiten im gegenwärtigen Diskurs über das Alter. In: Sachße, Christoph; Engelhardt, Tristram H. (Hrsg.): Sicherheit und Freiheit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 228–254.
Kondratowitz, Hans-Joachim v. (1999): Sozialanthropologie. In: Jansen, Birgit; Karl, Fred; Radebold, Hartmut; Schmitz-Scherzer, Reinhard (Hrsg.): Soziale Gerontologie. Weinheim: Beltz, S. 106–125.
Laslett, Peter (1989): A fresh map of life. The emergence of the third age. London: Weidenfeld and Nicolson.
McGuire, Francis A.; Boyd, Rosangela K.; Tedrick, Raymond E. (1999): Leisure and aging. Ulyssean living in later life. Champaing, IL: Sagamore Publishing.
Opaschowski, Horst; Neubauer, Ursula (1984): Freizeit im Ruhestand. Hamburg: B.A.T.Freizeitforschungsinstitut.
Riley, Mathilda W. (1978): Aging, social change, and the power of ideas. In: Daedalus, 107, S. 39–52.
Riley, Mathilda W.; Riley, John W. (1986): Longevity and social structure: the potential of the added years. In: Pifer, Alan; Bronte; L. (Hrsg.): Our aging society. New York: W.W. Norton, S. 53–77.
Rose, Arnold M. (1964): A current theoretical issue in social gerontology. In: The Gerontologist 4, S. 46–50.
Rosenmayr, Leopold (1989): Auf der Suche nach seelischer Zentralität. Stichworte zu einem soziologischen Kulturbegriff. In: Haller, Max; Hoffmann-Nowottny, Hans-J.; Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft. Frankfurt/New York: Campus, S. 704–709.
Rosenmayr, Leopold (1992): Die Schnüre vom Himmel. Wien: Böhlau.
Rosenmayr, Leopold (2000): Bedingungen einer Alterskultur. In: Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen (Hrsg.): Ältere Menschen–Neue Perspektiven. Wien: Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, S. 534–539.
Rosenmayr, Leopold; Kolland, Franz (2002): Altern in der Großstadt — Eine empirische Untersuchung über Einsamkeit, Bewegungsarmut und ungenutzte Kulturchancen in Wien. In: Backes, Gertrud M.; Clemens, Wolfgang (Hrsg.): Zukunft der Soziologie des Alter(n)s. Opladen: Leske + Budrich, 251–278.
Scheuch, Erwin K. (1970): Freizeitverhalten als Folge und als Bestimmungsgrund von Strukturwandlungen in der Gesellschaft. Bad Homburg: Max Gehlen.
Schroeter, Klaus R. (2002): Zur Allodoxie des „erfolgreichen“ und „produktiven Alter(n)s”. In: Backes, Gertrud M.; Clemens, Wolfgang (Hrsg.): Zukunft der Soziologie des Alter(n)s. Opladen: Leske + Budrich, S. 85–109.
Schulze, Gerhard (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Frankfurt/New York: Campus.
Schulze, Gerhard (2003): Die beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert? München: Hanser.
Simmel, Georg ( 1985 119111): Philosophische Kultur. Berlin: Wagenbach.
Streib, Gordon F. (1993): The life course of activities and retirement communities. In: Kelly, John R. (Hrsg.): Activity and aging. London: Sage, S. 246–263.
Tenbruck, Friedrich H. (1990): Repräsentative Kultur. In: Haferkamp, Hans (Hrsg.): Sozialstruktur und Kultur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 20–53.
Tokarski, Walter (1989): Freizeit-und Lebensstile älterer Menschen. Kassel: Gesamthochschulbibliothek.
Thomae, Hans (1983): Alternsstile und Altersschicksale. Bern: Huber.
Tulle-Winton, Emmanuelle (1999): Growing old and resistance: Towards a new cultural economy of old age. In: Ageing and Society 19, S. 281–299.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2004 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Kolland, F., Kahri, S. (2004). Kultur und Kreativität im späten Leben: Zur Pluralisierung der Alterskulturen. In: Backes, G.M., Clemens, W., Künemund, H. (eds) Lebensformen und Lebensführung im Alter. Alter(n) und Gesellschaft, vol 10. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10615-9_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10615-9_8
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-4135-7
Online ISBN: 978-3-663-10615-9
eBook Packages: Springer Book Archive