Zusammenfassung
Den Terminus ‚Journalistik‘ gibt es schon wesentlich länger als die Studiengänge der hochschulgebundenen Journalistenausbildung in Deutschland, welche sich so nennen. Seine Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert gehört zum Teil zur Fachgeschichte der Zeitungs- bzw. Kommunikationswissenschaft. Doch erst in den letzten Jahren ist versucht worden, Beiträge zur näheren Identifizierung von ‚Journalistik‘ als wissenschaftlichem System zu leisten: ein ‚Paradigma Journalistik‘ zu beschreiben und somit den wissenschaftlichen Orientierungskomplex, den das Fach bildet, über bestimmte Strukturen abzugrenzen. Konsensfähig war ohne größere Probleme, daß es sich dabei um die Wissenschaft vom Journalismus und die Anwendung ihrer Erkenntnisse auf die journalistische Praxis handelt, und zwar vor allem als Journalistenausbildung.
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Literatur
Ernfried Eduard Kluge: Journalistik als Lehrfach an der Universität Zürich, 2. neubearb. Aufl., o. O. [Zürich], o. J. [vermutlich ca. 1950 ].
Dabei betrieb zumindest Haacke wieder die zuvor für den Begriff,Journalistik’ kennzeichnende Vermischung von wissenschaftlichem Fach und Gegenstandsbereich, als er in einem Aufsatz fragte: „Publizistik - Handwerk oder Kunst?“ (in: Publizistik, 6. Jg., 1961: 3–7). Dovifat versuchte, „Herkunft - Wesen — Aufgabe” der Publizistik zu ergründen (in: Publizistik, 1. Jg., 1956: 310), und Hagemann untersuchte „Begriffe und Methoden publizistischer Forschung“ (in: Publizistik, 1. Jg., 1956: 11–25).
Einen ganz anderen Weg geht Nickl (1987), der Journalistik als,,professionelle Medienrhetorik“ definiert (vgl. dazu Weischenberg 1990e).
Sein Studienplan aus dem Jahre 1911 differenzierte zwischen der „politischen und volkswirtschaftlichen Richtung“ (staatsrechtlich-politische Fächer, u. a. Rechts-und Verfassungsgeschichte sowie nationalökonomische Fächer) und der „feuilletonistischen Richtung” (philosophisch/ästhetische Fächer, u. a. Ethik, literaturgeschichtliche, darunter auch „Theaterkritik“, sowie kunstgeschichtliche Fächer, u. a. „Geschichte der griechischen Skulptur”). Für beide Richtungen waren fachtechnische Vorlesungen (u. a. Geschichte und Technik der Presse) und allgemeine Vorlesungen (u. a. schweizerische Geschichte, Philosophiegeschichte, stilistische und fremdsprachliche Übungen) vorgesehen. Die prakischen Übungsteile des Programms wurden später erwietert. (Zit. n. Bücher 1981a: 97)
Zum Schwerpunkt „Politische Journalistik“ gehörten Vorlesungen aus den Bereichen Geschichte, Nationalökonomie, Statistik, Geographie, Verwaltu ngslehre, Politik, Rechtswissenschaft, zur „Handelsjournalistik” vor allem Nationalökonomie, Statistik, Verwaltungslehre sowie wirtschafts-und rechtswissenschaftliche Spezialvorlesungen und zur „Feuilletonistischen Richtung“ u. a. Philosophie, Psychologie, Ethik, Ästhetik, Literaturgeschichte, sprachwissenschaftliche Fächer, Kulturgeschichte, Kunstgeschichte und Archäologie.
Walter Hagemann: Fallen Journalisten vom Himmel? in: Publizistik, 1. Jg., 1956: 147–157. Der Publizistik-Professor Hagemann in Münster, gewiß der Innovativste und Produktivste unter den damaligen Fachvertretern, mußte nach einer politischen Kampagne, die in eine persönliche Intrige mündete, sogar die Bundesrepublik verlassen. Er starb 1964 in Ostberlin als Professor an der Hum boldt-Universität. (Vgl. Nachmeister 1987: 130 ff.)
Ein erstes Memorandum hatte der Deutsche Presserat am 18.1.1971 vorgelegt. Im Dezember 1971 war vom nordrhein-westfälischen Beirat für die Studienreform ein „Ausschuß Journalistenausbildung“ gebildet worden, der Reformvorschläge erarbeiten sollte.
Solche Schwerpunkte finden sich auch in den Studienordnungen von kommu nikationswissenschaftlichen Studiengängen, welche die Journalistik als Abteilung (wie an der Universität Münster) institutionell verankert haben.
‚Paradigma‘ soll dabei gar nicht im anspruchsvolleren Sinne eines in der Wissenschaftsgemeinschaft weitgehend konsentierten großformatigen Erklärungsmusters, das sich bewähren muß und ständig durch Substitution bedroht ist (vgl. Kuhn 1973), verstanden werden, sondern allgemeiner als wissenschaftlicher Orientierungskomplex, der über wissenschaftliche Gegenstände identifizierbar und über bestimmte Strukturen abgrenzbar wird.
Der Hamburger Teilstudiengang zum Beispiel konnte innerhalb der Universität so wenig Ansehen gewinnen, daß dort die Wirtschaftswissenschaften die Journalistik als Nebenfach nicht zuließen. Im Verbandsorgan des Deutschen Journalistenverbandes hieß es deshalb: „Journalistik: Dünnes Brett“ (journalist 1987/10: 59 f.).
Ein Beispiel: Wenn es für Wirtschaftswissenschaftler sinnvoll gehalten wird, Kenntnisse in Statistik und im Recht zu erwerben, so sind diese Fächer Teil eines „Studiengangs Wirtschaftswissenschaft“, aber nicht Teil des Lehr-und Forschungsbereichs Wirtschaftswissenschaft. Analog ist in verschiedenen Journalistik-Studiengängen zum Beispiel ökonomisches und juristisches Sachwissen integriert worden; Wirtschafts-und Rechtswissenschaft fungieren hier als Hilfswissenschaften der Journalistik - und dies auch nur unter stark eingeschränkten auf Anforderungen in bestimmten Ressorts reduzierten Aspekten.
Lutz Hachmeister schreibt dazu in seiner Münsteraner Dissertation über die Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland: „Jahrzehntelang blickten bundesdeutsche Fachvertreter besorgt und fasziniert zu-gleich nach Leipzig: die personelle und sachliche Kapazität der Fak. Jour. blieb im Westen Desiderat.“ (Hachmeister 1987: 69 f.) Die Leipziger Verhältnisse waren freilich nur wenigen der Personen, die über die westdeutsche Journalistik zu entscheiden hatten, bekannt - oder aber die vorhandenen Informationen wurden im Rahmen der Gesellschaftsordnung der DDR interpretiert und akzeptiert. So erwies sich der Name des Leipziger Instituts letztlich nicht als Hypothek für die neuen westdeutschen Einrichtungen.
Im Zuge der III. Hochschulreform der DDR 1968/69, bei der die Universitäten den letzten Rest ihrer Autonomie verloren, wurden die Fakultäten in Sektionen umgewandelt; seit 1969 hieß die Leipziger Einrichtung deshalb „Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität“.
Beispielhaft zeigt dies der ab 1975 gültige Studienplan der Leipziger Sektion, der folgende Schwerpunkte enthielt: Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Geschichte, Gesellschaftsaufbau und Politik im Sozialismus, Theorie im Journalismus, Journalistische Methodik, Journalistischer Arbeitsprozeß, Fachjournalismus (vgl. Studienplan für die Grundstudienrichtung Journalistik (Nomenklatur-Nr. 770), Berlin, Mai 1974: 3 ff.).
Darunter wurden die Darstellungsformen (Genres) verstanden.
Anregungen zum Forschungstransfer gab z. B. der „Rat für journalistikwissenschaftliche Forschung“. Sein Mitglied Rudi Röhrer, stellvertretender Chefredakteur der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG, veröffentlichte in der Zeitschrift Neue Deutsche Presse (Nr. 21, Nov. 1973: 23) einen Aufsatz mit dem Titel: „Vom Nebeneinander zum effektiven Miteinander. Wie journalistikwissenschaftliche Forschungsergebnisse schneller in die Praxis übergeleitet werden können.”
Neben dem Besuch von Fachkongressen im westlichen Ausland muß hier das „Leipziger Seminar zur akademischen Journalistenausbildung“ im Mai 1990 hervorgehoben werden, an dem zahlreiche westdeutsche Fachvertreter der Kommunikationswissenschaft und Journalistik teilnahmen. Auch dabei propagierte die Leipziger Sektionsleitung ihre Auffassung, man könne künftig „durchaus auch an Leistungen der Vergangenheit anknüpfen”. Die westdeutschen Gäste, denen (zu) spät der Gedanke gekommen war, ihr Aufenthalt könnte politisch instrumentalisiert werden, reagierten zum Teil reserviert: „Unverhohlen wurde die Frage vorgetragen, ob nicht Leipziger Wissenschaftler aus dem Eingeständnis von Fehlern und Irrtümern die Konsequenz des Rücktritts ziehen müßten. Die Sorge erhielt Ausdruck, man könnte als Gast des Seminars unversehens an der Rettung einer Institution mitwirken, die man über Jahrzehnte hinweg für fragwürdig gehalten habe.“ (Vgl. Diskurs 1990/3: 173–177, Zitate: 174 f.).
Dies wurde in der Umbruchphase z. B. auf folgende Weise als Pfund verkauft, mit dem man in der Zukunft wuchern könne: „Wir sehen das Bewahrenswerte vor allem in der Verbindung von wissenschaftlich fundiertem Gestaltungswissen mit praktischen Übungen und im Training journalistischer Fertigkeiten durch ein enges Zusammenspiel von Universität und journalistischer Praxis.“ (Herden/Preisigke 1990: 431)
Zu den ersten Aktivitäten nach der Neugründung des „Fachbereichs Korn-mu nikations-und Medienwissenschaften/Journalistik/Öffentlichkeitsarbeit“ gehörte die Veranstaltung eines „Karl-Bücher-Symposions” im November 1991.
Journalistische Praktiker haben noch einen anderen Aktualitätsbegriff parat. So pflegt der Boulevardjournalist und langjährige Chefredakteur von BILD, Günter Prinz, folgende alte Berliner Zeitungs-Weisheit zu zitieren: „Wat morjen passiert, mußte heute schreiben - nich umjekehrt. “ (zit. n. kress report v. 26.9. 1991: 8 )
Zahlreiche Journalisten wurden dabei von Berichterstattern zu selbsternannten Historikern - zu einem Zeitpunkt, als der Ausgang in Moskau noch gar nicht absehbar war. Theo Sommer, Chefredakteur der ZEIT, verkündete „Michail Gorbatschows Ende und Erbe“ (Die Zeit v. 23.8.1991: 1) und RolfSchmidt-Holz, Herausgeber und Chefredakteur des STERN, beschrieb „Das bittere Ende” (Stern Nr. 35 v. 22.8.1991: 3). Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schrieb in einer Glosse mit dem Titel „Nahblindheit“ über diese journalistische Manie, im Fluß befindliche Ereignisse quasi aus historischer Distanz einzuordnen: „Eine Wochenzeitung mit der Diktion eines Geschichtsbuchs, aber mit der Aktualität der Abendnachrichten wird viele zum Schmunzeln anregen, doch die Wahrheit nicht immer auf ihrer Seite haben. Wer die Zeit nicht abwarten kann, für den gilt Gorbatschows umgekehrte Weisheit: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben. ” (FAZ v. 23.8. 1991: 27 )
Die Ursache dafür war nicht zuletzt der,Professorenstreit’ zwischen dem Journalistik-Pionier Adolf Koch, der seit 1897 an der Universität Heidelberg Einführungen in die Journalistik gehalten hatte, und Max Weber. Durch den Beleidigungsprozeß im Jahre 1912, der Koch letztlich ruinierte, schwanden auch die Chancen, Wissenschaftler und Journalisten zur gemeinsamen Mitwirkung an diesem weitreichenden Unternehmen zu gewinnen. Der Beginn des Ersten Weltkriegs tat dann ein übriges. (Vgl. Bern hardt Obst: Das Ende der Presse-Enquete Max Webers. Der Heidelberger Professorenprozeß von 1912 und seine Auswirkungen auf die deutsche Zeitungswissenschaft, in: R. v. Bruch/O. B. Roegele 1986: 45–52 )
Wilmont Haacke: Journalist, in: Bundesanstalt für Arbeit Nürnberg (Hrsg.): Blätter zur Berufskunde, Bd. 2, Bielefeld, 5. Auflage 1971 (vgl. dazu auch die Rezension von Walter Hömberg in: Publizistik 1974/3–4, 1975/1–2: 638 f.).
In der Neuauflage wurde diese Definition leicht verändert (vgl. Rühl 1979: 273).
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Weischenberg, S. (1998). Journalistik und Journalismus. In: Journalistik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10431-5_2
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