Zusammenfassung
In der vorausgesetzten Voraussetzungslosigkeit hinsichtlich des Glaubensinteresses sieht sich die Religionssoziologie mit dem Problem konfrontiert,
„jene übernatürlichen, für eine empirische Erklärung als ursächliche Momente ausscheidenden Eingriffe“ (Weber 1968, 6021)
und damit gerade diejenigen Momente ignorieren zu müssen, die dem gläubigen Denken und Handeln häufig als das unaufgebbare Wesen seiner Religion gelten. Gleichwohl hält die Soziologie und Religionssoziologie mit dem Max Weberschen Konzept des Charisma ein weitgehend aus dem theologischen Diskurs, nämlich aus den Arbeiten des theologisierenden Juristen Rudolf Sohm entlehntes, aber umgestaltetes, sozusagen empirie- und geschichtsfähig raffiniertes sozialtheoretisches Konzept bereit, welches einen Ausweg aus diesem Dilemma verspricht. Das Charisma-Konzept kann nämlich religiöse Phänomene nicht nur identifizieren und auf die Kommunikations- und Handlungszusammenhänge beziehen, sondern verweist auch auf typische Muster der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit, wodurch sozusagen das Göttliche im Menschlichen ahnbar wird. Das Konzept des Charisma sucht, wie Hartmann Tyrell (1996, 436) formulierte, die sozusagen „extramundane“ Ambition des religiösen Kerngeschehens „einzuklammern“ und es im Sozialen selbst anzusiedeln — „allerdings in der Außeralltäglichkeit, in den ‚Ausnahmezuständen‘ des gesellschaftlichen Lebens“. So hat Max Weber — um nur ein Beispiel für die spezifisch soziologische Raffinierung des ursprünglich theologischen Charismabegriffs zu geben — den noch für Rudolf Sohm konstitutiven theologischen Dualismus „irdisch“ vs. „religiös“ entzaubert und ihn in ein empirie- und geschichtsfähiges Gegensatzpaar „Alltag“ vs. „Außeralltäglichkeit“ überführt.
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Ebertz, M.N. (1999). Die Institutionalisierung von Charisma und Stigma: Herrschaftsbegründung und Herrschaftskritik im frühen Christentum. In: Krüggeler, M., Gabriel, K., Gebhardt, W. (eds) Institution Organisation Bewegung. Veröffentlichungen der Sektion „Religionssoziologie“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, vol 2. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10366-0_7
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