Zusammenfassung
„Der lautlose Übergang“, schreibt Primo Levi, „von der Lüge zum Selbstbetrug ist nützlich: Wer auf ‚Treu und Glauben‘ lügt, lügt besser, spielt seine Rolle besser, findet leichter Glauben beim Richter, beim Historiker, beim Leser, bei Frau und Kindern.“ Eine so oder ähnlich gelagerte Perspektive liegt oftmals der klassischen Frage zugrunde, wie es um die Moral derjenigen bestellt gewesen sein mag, die als Schreibtischtäter, SS-Schergen, Wehrmachtssoldaten, KZ-Aufseherinnen oder Hilfspolizisten am Massenmord an Juden, Zigeunern, Behinderten und sonstigen „Volksschädlingen“ beteiligt waren. Stillschweigend vorausgesetzt wird dabei, daß diese Täter sich selbst hätten in irgendeiner Weise belügen müssen, um ihr Morden in den Rahmen ihres sonstigen Handelns und in ihr Selbstkonzept integrieren zu können — eine Voraussetzung, die ihnen genau betrachtet ein vorgängiges moralisches Vermögen gerade unterstellt, und zwar eines, das demjenigen verblüffend ähnlich sieht, das wir uns selbst gerne attestieren.
Eine andere Fassung dieses Vortrags ist unter dem Titel „Massenmord und Moral“ bereits veröffentlicht in Dabag, M. & Platt, K. (Hg.)(1998). Genozid und Moderne. Opladen: Leske & Budrich.
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Welzer, H. (1999). Moralische Mörder? Einige Überlegungen zu den moralischen Selbstbildern von Holocaust-Tätern. In: Reese-Schäfer, W. (eds) Identität und Interesse. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10324-0_12
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