Zusammenfassung
HipHop entstand Ende der siebziger Jahre in den schwarzen Wohnvierteln in New York (ursprünglich im Stadtteil South Bronx) in einer Zeit der De-Industrialisierung amerikanischer Großstädte, von der vor allem die afroamerikanische und hispanische Bevölkerung betroffen war (vgl. Rose 1994:27–34). HipHop entwickelte sich zu einer Form von ‚Straßenkultur‘ unter Jugendlichen aus den Schwarzen- und Migranten-Ghettos und wurde somit eine Art politisches Sprachrohr (Karrer & Kerkhoff 1996) der marginalisierten und diskriminierten Jugendlichen. Zur jugendkulturellen Praxis des HipHop gehören außer Rap1 noch Breakdance und Graffiti sowie das Scratching und Sampling (auch DJ-ing genannt).2 Dabei wurde insbesondere Rap zu einer Form der Artikulation von Kritik gegen den desolaten Zustand der Wohnbezirke einerseits und als Ausdruck von Kollektivität und Widerstand andererseits. Nach Rose (1994) stellt die HipHop-Kultur auch einen Weg der kritischen Auseinandersetzung mit Brüchen und Diskontinuitäten dar, die in der Kolonialgeschichte in Nordamerika und in der Karibik begannen und sich in der post-industriellen Zeit fortsetzten:
“Hip hop is a cultural form that attempts to negotiate the experiences of marginalization, brutally truncated opportunity, and oppression within the cultural imperatives of African-American and Caribbean history, identity, and community. It is the tension between the cultural fractures produced by postindustrial oppression and the binding ties of black cultural expressivity that sets the critical frame for the development of hiphop” (ebd.:21).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Das Wort Rap ist eine Abkürzung für Rhythm and Poetry und wird als eine besondere Form des Sprechgesangs bezeichnet. Siehe dazu: Rose (1994:51–61).
Für eine genauere Beschreibung dieser unterschiedlichen Praktiken siehe u.a. Krekow et al. (1999) u. Rose (1994).
Die Diskussion um die Frage der Identität ist in den Cultural Studies — so Grossberg (1996) —durch die Verwendung von unterschiedlichen Begriffen durchdrungen (Grossberg spricht von Figuren), die sich z.T. ergänzen und zum anderen divergieren oder sogar zueinander in Konkurrenz stehen. Folgende Begriffe werden dabei von o.g. Autor genannt: Différance, Fragmentation, Hybridity, Border und Diaspora (ebd.:90ff).
So äußert sich Hall (1996a): „I am familiar with all the dangers of,ethnicity` as a concept and have written myself about the fact that ethnicity, in the form of a culturally constructed sense of Englishness and a particularly closed, exclusive, and regressive form of English national identity, is one of the core characteristics of British racism today… I am also well aware that the politics of antiracism has often constructed itself in terms of a contestation of,multiethnicity` or,multiculturalism`. On the other hand, as the politics of representation around the black subject shifts, I think we will begin to see a renewed contestation over the meaning of the term,ethnicity` itself` (168). Für eine Kritik der Begriffe,Ethnicity` und,Race` siehe auch Anthias & Yuval-Davis (1992).
Vgl. auch Hall (1990:223–227).
Eine derartige Definition trifft m.E. nicht nur auf transnationale Migranten bzw. Angehörige einer Diaspora-Gemeinschaft, sondern auch auf Personen ohne einen erkennbaren migrationellen Hintergrund zu. enforces a sense of temporality and spatiality that underscores the fact that we are not what we were“ (ebd.:26).
Dabei setzt sich Gilroy insbesondere mit Web Du Bois’ Schriften und seinem Begriff des Double Consciousness auseinander (vgl. ebd. 1993:111–145).
Auf diese Diskussion geht Gilroy jedoch nicht weiter ein.
Gilroy selbst arbeitete eine Zeit als DJ.
So schreibt Clifford: „It is important to specify, too, that black South America and the hybrid Hispanic/black cultures of the Caribbean and Latin America are not, for the moment, included in Gilroy’s projection. He writes from a North Atlantic/European location“ (ebd.: 320 — Kursiv: WW).
Dass der Wunsch nach Überwindung der Grenzen von Ethnizität und nationaler Identität eng mit dem migrationellen Hintergrund und mit den Erfahrungen im Einwanderungsland zusammenhängt, lässt sich auch am Beispiel der von mir untersuchten Jugendlichen türkischer Herkunft in Berlin beobachten. Demzufolge bezeichnen sich viele Jugendliche nicht als,Deutsche` oder ‚Türken’, sondern als,Europäer`.
Zu den unterschiedlichen Musiktraditionen Brasiliens siehe Pinto (1986).
Politisch befand sich Brasilien zu dieser Zeit in einer Phase der Redemokratisierung nach einer Militärdiktatur von ca. zwanzig Jahren (1964–1985) und der zunehmenden Urbanisierung der Gesellschaft. Gegenwärtig lebt nur noch ca. 25% der brasilianischen Bevölkerung in ländlichen Gebieten. Die 1980er Jahren waren auch durch hohe Rezession, Inflation und zunehmende Arbeitslosigkeit und demzufolge einer stetigen Verarmung der Bevölkerung in Metropolen wie Sao Paulo gekennzeichnet (s. Sposito 1994:163).
Die Tänzer weckten die Neugier und das Interesse der Passanten, aber auch der Polizei, und nicht selten endeten ihre Vorfihrungen im Polizeirevier. Trotz der Repressalien - oder auch gerade deshalb - wuchs das Interesse der Jugendlichen für Breakdance. Die U-Bahn-Station Sao Bento gilt insofern als legendärer Ort der brasilianischen HipHop-Bewegung.
Mit Posse ist nicht nur eine Gruppe gemeint, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen (z.B. Rappen) zusammengeschlossen hat. Sie impliziert auch das Teilen von Gemeinsamkeiten in Bezug auf Loyalität, Herkunft und Identitäten (s. Back 1996:212). In Sao Paulo wird unter Posse die Organisation mehrerer Rapgruppen verstanden, die innerhalb des Stadtteils neben der Musik sich auch in politischen und sozialen Aktivitäten engagieren. Ihr Vorbild ist die Posse Zulu Nation, die von Afrika Bambaataa in den 70er Jahren im Stadtteil Bronx (New York) gegründet wurde und inzwischen Mitglieder auf allen Kontinenten zählt.
Mit Randgebieten sind sowohl die vom Stadtzentrum weit entfernten Bezirke sowie Städte, die zur Metropolenregion Sao Paulos gehören, gemeint.
Das „traditionelle Modell“ afrobrasilianischer Identität — so Carvalho (1994) — konstituiert sich vorwiegend auf der Basis von religiösen Elementen des Candomblé und/oder musikalischen Ausdrucksformen wie z.B. Batucada, Samba und Pagode (vgl. ebd.:I87–204).
Mit der Vereinnahmung des Sambas als Element der nationalen Identität und als Symbol fir,Brasilianität` in den 1930 und 1940er Jahren oder mit der „Entafrikanisierung des Sambas“, um einen Ausdruck Guimaräes (1998:61) zu gebrauchen, ging der ursprüngliche Gehalt des Sambas, als Musik der Nachkommen der Sklaven und als Teil der kollektiven Geschichte und Identität der Schwarzen in Brasilien, verloren. Auf die Transformation des Sambas sowie anderer Elemente der afrobrasilianischen Kultur und Religion in Symbolen oder Identifikationsmerkmalen der nationalen Identität ging vor allem Fry (1982) detailliert ein. Über die Geschichte und Entwicklung des Sambas siehe Guimaräes (1998:10–77) sowie Vianna (1995).
Siehe Tella (2000) u. Félix (2000). Auch in Rio de Janeiro und Salvador (Bahia) wuchs zunehmend das Interesse für internationale Black Music, insbesondere fur Funk. Aus der Interpretation des nordamerikanischen Funk entstand eine eigenständige Jugendkultur oder Funk-Bewegung, die u.a. in Vianna (1988 u. 1997), Herschmann (1997) und Sansone (1997) detailliert dargestellt wurde.
Eine wesentliche Rolle in der Konstituierung und Festschreibung neuer Identifikationsmuster und Konstruktion einer kollektiven Identität als Schwarze, spielten auch zahlreiche Bands aus Salvador da Bahia, wie z.B. die Gruppe 118 Aiyê, Filhos de Gandhi, Olodum sowie der weltbekannte Sänger Gilberto Gil. Siehe dazu u.a. Carvalho (1994:197–204) u. Guimaräes (1998:83–141).
Orig.: Movimento Negro Unificado. Im folgenden werde ich die Abkürzung MNU anwenden.
Siehe Freyre, Gilberto (1982): Herrenhaus und Sklavenhütte. Ein Bild der brasilianischen Gesellschaft. Stuttgart. Zu einer Kritik an Freyres Mythos der Democracia Racial siehe u.a. Munanga (1997:74–222).
Dieser Begriff entnahm ich aus Giesen (1993:94).
Siehe hierzu auch Darién (1999).
So z.B. auch ein Großteil der von mir interviewten Jugendlichen.
Non governmental Organisation.
Nach Félix (2000:130) sind bis heute keine Repräsentanten der etablierten Schwarzen Bewegung in den wöchentlichen Balles Black anwesend und auch das Publikum zählt zu den Organisationen des Moviinento Negro eher soziokulturelle Vereine und Bands wie z.B. Olodum, Cidade Negra, Racionais MC’s u.a., als sozialpolitische Gruppen und etablierte NGOs.
Bereits 1989 gründeten mehrere Rap-Gruppen und Posses eine Bewegung Namens Movimento HipHop Organizedo (Organisierte HipHop-Bewegung), die unter der Abkürzung MH2O bekannt wurde. Die MH2O hat seit ihre Gründung eine Vielzahl von Konzerten veranstaltet und gleichzeitig versucht sie die neuen Rap-Gruppen sowie die HipHop-Initiativen in der Peripherie zu unterstützen (vgl. Tella 2000:104ff).
Das Wortspiel Rapensando an Stelle von Repensando a Educacäo geht durch die Übersetzung verloren. Sinngemäß lässt sich das Programm mit „Bildung neu Rappen bzw. neu Denken“ übersetzen.
Vgl. Secretaria Municipal de Educaçäo [ohne Datum]: Rap…ensando a Educaçäo.
U.a. heben Rap-Gruppen in Sao Paulo die Bedeutung folgender Gruppen hervor: Public Enemy, NWA, KRS One, Ice T und Ice Cube (s. Silva 1998:91).
So z.B. in einigen Veranstaltungen der Katholischen Universität von Säo Paulo zum Zeitpunkt meiner Feldforschung.
Movimento HipHop Organizado (s. Fußnote 28).
So äußert sich ein bekannter Rapper aus Säo Paulo in einem Zeitungsinterview: „Näo vejo movimento tentando falar corn presos, corn o pessoal da Febern, na periferia“. Übersetzung: „Ich sehe keine Bewegung, die versucht, mit den Gefangenen zu reden, mit den Leuten der Febem [öffentliche Bewahrungsanstalten für Kinder] in der Peripherie” (zit. n. Tella 2000:110).
Nach Costa (2001) bekam der Begriff,Rasse` ab den 1970er Jahren in Brasilien eine neue Deutung, und ist daher eher als eine politische Mobilisierungskategorie zu verstehen bzw. als ein Versuch, die zu unterschiedlichen Milieus gehörigen Schwarzen in ein Kollektiv zu binden. Während Guimaräes (1997 u. 2001) für die Verwendung des Begriffes,Rasse` als analytische Kategorie plädiert, postuliert Costa, dass eine analytische Konzeption von,Rasse` zum einen die komplexe Entstehung der Nation mit ihren verwobenen sozialen und ethnischen Beziehungen nicht gerecht wird und zum anderen zu einer Eingrenzung und politischen Instrumentalisierung der sozialen bzw. ethnischen Identität führt. Derartige Diskussionen finden z.T. jedoch weit entfernt von den Erfahrungshorizonten der Rap-Gruppen statt. So äußerte sich ein bekannter Rapper, dass nur eine,Rasse` auf der Welt existiert, nämlich die menschliche,Rasse’ [Orig.: Raça Humana] (s. Tella 2000). Möglicherweise entwickelte dieser Jugendliche seine begriffliche Konzeption von,Rasse` in Anlehnung an einen bekannten Song von Gilberto Gil mit dem Titel A Raça Humana.
Backs Formulierung stützt sich auf folgende Aussage: „Of course 1 am black. I can’t escape it. But I’m not black in colour, very few people are actually black or close to it. It actually doesn’t describe the way I look but it’s the way I am. It is like 1 haven’t actually felt a discrimination myself, I don’t feel it every day because I live in an area where there are a lot of black people, no, not me personally but I don’t have to feel it everyday to know that is there — you know what I mean?“ (1996:146).
Die k/assenspezifische Komponente kommt auch bei schwarzen Jugendlichen in London zum Ausdruck. So schreibt Back:,,… the type of black identity that I have referred to in this section must be viewed as positioned within black working-class culture“(1996:154).
Zum Thema Educaçäo Popular in Brasilien siehe Weller (1996:17–51).
In Säo Paulo wird behauptet, dass bestimmte Botschaften des nordamerikanischen Gangsta Rap wie z.B. die Verbreitung von Sexismus und Gewalt (s. Wölffel 1996; Glowania & Heil 1996, Mikos 2000) keine Beachtung fanden, obwohl zahlreiche Rap-Gruppen mit der Musik dieser Gruppen vertraut sind. Während eines Seminars an der Katholischen Universität von São Paulo im April 1999 haben auch zahlreiche der anwesenden Rapper sich gegen derartige Klassifizierungen gewehrt. Auch in der vorhandenen Literatur zu HipHop lassen sich keine Verweise auf die Rezeption von Gangsta Rap in Brasilien finden.
Zum Entstehungskontext dieser Gruppen siehe Çaglar (1998) sowie Henkel & Wolff (1996).
Auch in den von mir geführten Gruppendiskussionen thematisierten einige Jugendliche, dass sie sich gegenüber Afro-Deutschen benachteiligt fühlten, zumal diese z.B. durch Produzenten bevorzugt behandelt werden.
So schreibt Çaglar: „Anfang der neunziger Jahre begann eine ganze Reihe Sozialarbeiter (besonders in Gegenden mit einer allgemein hohen Konzentration von Migranten und speziell von Deutsch-Türken), aus städtischen Jugendzentren heraus HipHop-Events für Jugendliche anzuregen und zu organisieren… die allesamt vom Berliner Senat finanziert werden“ (1998:45).
Es handelt ich um das DFG-Foschungsprojekt „Entwicklungs-und milieutypische Kriminalisierungs-und Ausgrenzungserfahnungen in Gruppen Jugendlicher“,in dem ich bei der Erhebung und Auswertung der Fälle mitgearbeitet habe. Das DFG-Projekt wurde zwischen 19971999 durchgeführt und von Prof. Dr. Ralf Bohnsack geleitet.
Die NGO Geledés stellt z.B. einige Räume für HipHop-Aktivitäten im Zentrum der Metropole zur Verfügung. Öffentliche Jugendzentren sind in Sao Paulo kaum vorhanden. Z.T. bieten öffentliche Schulen ihre Räume an den Wochenenden für Aktivitäten der jugendlichen Posses an. Einige Gruppen haben auch eine sog. Patentante, zumeist eine ältere Dame, die ihren Hof oder auch einen geschlossenen Raum (z.T. die Garage des Hauses) für die Treffen der Jugendlichen freistellt.
So erzählt z.B. die Breakdance-Gruppe Keller,wie sie mühsam einen Keller renovierten, um dort trainieren zu können und erst später einen Raum im Jugendzentrum in Anspruch nahmen (s. Gaffer 2001:152).
Siehe hierzu Dufresne (1997:24–34)
Das Bekenntnis der Paulistanischen Rapper zum Christentum, z.B. durch das Zitieren von Versen aus der Bibel und auch durch das Bedrucken von christlichen Botschaften in den CD-Covers, wird von einigen Autoren und Mitglieder der MNU (z.B. Félix 2000) kritisiert. Nach Félix müssten die Rapper sich doch eher zu der afrobrasilianischen Religion des Candomblé bekennen.
In seiner Studie über Rap-und Rock-Bands hebt Schäffer (1996) drei wesentliche Phasen des Prozesses der stilistischen Einfindung hervor. Zuerst erfolgt die Phase der Affizierung, d.h. des sich begeistern lassen und des Berührtseins, sodann zumeist eine Phase der Validierung im Sinne von Selbstreflexion und Beurteilung des präferierten Stils und zuletzt eine Phase der Affirmation oder auch der Konsolidierung des eigenen Stiles (vgl. ebd.:230–233).
Übersetzung wird von Hall (1996b:29) folgendermaßen beschrieben: „This [Translation —W W] describes those identity formations which cut across and intersect natural frontiers, and which are composed of people who have been dispersed forever from their homelands. Such people retain strong links with their places of origin and their traditions, but their are without the illusion of return to the past. They are obliged to come to terms with the new cultures they inhabit, without simply assimilating to them and losing their identities completely. They bear upon the traces of the particular cultures, traditions, languages, and histories by which they were shaped. The difference is that they are not and will never be unified in the old sense, because their are irrevocably the product of several interlocking histories and cultures, belong at one and the same time to several,homes` (and to no one particular,home)“.
Rights and permissions
Copyright information
© 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Weller, W. (2003). HipHop als kreativer Ausdruck generationeller und ethnischer Identität. In: HipHop in São Paulo und Berlin. Forschung Soziologie , vol 172. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10306-6_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10306-6_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-3682-7
Online ISBN: 978-3-663-10306-6
eBook Packages: Springer Book Archive