Zusammenfassung
Folgt man Umberto Ecos neuem Roman, dann ist das Museum einer der wenigen Orte des Staunens, einer der wenigen Orte, an dem sich Einsichten ins Menschenmögliche nicht über didaktisch ambitionierte Maßnahmen, sondern kraft einer eigenartigen Anmutung der Objekte einstellen. Die Objekte des Conservatoire des Arts et Métiers, wo einzelne Szenen seines Romans spielen, kommen Eco vor wie „Metaphern der Weisheit, viel bedeutungsvoller und anspielungsreicher als der didaktische Vorwand sie gemeint zu haben vorgeben möchte.“1 Man wird einwenden können, daß Umberto Eco das Museum in dieser Weise allegorisch konstruieren muß, weil er es so für die Dechiffrierlogik seines der historischen Semiotik gewidmeten Romans braucht — und das ist sicher richtig. Aber da man weiß, daß Eco museologisch hoch kompetent ist, wie es den Beschreibungen der US-amerikanischen Museumsszenerie abzulesen ist, wird man seine Museumsansicht nicht mit allzu leichter Hand abtun dürfen. Übrigens konturiert und präzisiert Umberto Eco seine Vorstellung vom Museum auch an anderer Stelle im Foucaultschen Pendel, nämlich dort, wo er auf das Deutsche Museum in München zu sprechen kommt: es gefällt ihm nicht; gerade wegen seiner bemühten Pädagogik und Didaktik schneidet es schlechter ab als das Pariser Conservatoire. Als Ort schmalbrüstig-curricularer Belehrung („bewohnt von lärmenden Schulklassen, die das Ingenium der Ingenieure lieben lernen“2) ist das Münchner Museum für Eco weit davon entfernt, im Besucher anthropologische Neugierde und anthropologischen Möglichkeitssinn zu wecken. Ihn irritiert vor allem das Prinzip der Imitation („wo alles nachgebaut worden ist, was je ein menschliches Hirn hat finden können“) und die Press-Button-Didaktik („man drückt einen Knopf..., man spielt Chemiefabrik und Atomfabrik“).
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Anmerkungen
Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel, München/Wien 1989, S. 14.
Ebd. S. 355 (auch die folgenden Zitate).
Ebd. S. 14.
Ebd. S. 15.
Umberto Eco: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen, München/Wien 1985, S. 36–99.
Dazu die Aufsätze von Glotz, Jauß und Sauerländer in: J. Rüsen, E. Lämmert, P. Glotz (Hg.): Die Zukunft der Aufklärung, Frankfurt/M. 1988.
Hans Robert Jauß: Das kritische Potential ästhetischer Bildung, in: J. Rüsen (u.a.): Die Zukunft der Aufklärung, (wie Anm. 6), S. 221–232, S. S 224.
Beide Begriffe sind übrigens im „museumspädagogischen“ Diskurs des 20. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffen worden, etwa von Walter Benjamin („Langeweile verdummt, Kurzweil klärt auf!) oder von Hartmut von Hentig, der das „Ergötzen” sogar zum Titelbegriff machte („Ergötzen, Beleben, Befreien. Schriften zur ästhetischen Erziehung”, Miinchen/Wien 1985).
Hans Robert Jauß: Das kritische Potential (wie Anm. 7), S. 225.
Vgl. dazu Gottfried Korff: Die Popularisierung des Musealen und die Musealisierung des Popularen, in: Gottfried Fliedl (Hg.): Museum als soziales Gedächtnis?, Klagenfurt 1988, S. 9–23.
Ästhetik und Kommunikation. Heft 67/68. „Kulturgesellschaft Inszenierte Ereignisse“.
Ekkehart Mai. Bilderdienst. Kunst. Geschichte. Publikum, in: Kursbuch 91 (1988), S. 109–123.
Andrew L. McClellan: The Musée du Louvre as a Revolutionary Metaphor During the Terror, in: The Art Bulletin 70 (1988), S. 300–313, S. S. 307.
Stephen Bann: Historical Text and Historical Object. The Poetics of the Musée de Cluny, in: History and Theory XVII (1978), S. 251–266.
Wilhelm von Humboldt: Musée des Petits Augustins, in: Ders.: Schriften zur Anthropologie und Geschichte, Werke in 5 Bänden, Bd.1, Darmstadt 1980, S. 519–552; dazu auch Gottfried Korff: Objekt und Information im Widerstreit, in: Museumskunde 49 (1984), S. 83–93.
Sigfried Giedion: Bauen in Frankreich, Leipzig/Berlin 1928, S. 37, Anm 1 Zu Giedions Austellungs-und Museumskonzeption generell Gottfried Korff: Esposizioni reali e esposizioni immaginarie, in: Rassegna 25/1 (März 1986 ), S. 72–81.
Die gründliche und materialreiche Ausstellungsgeschichte von Georg Friedrich Koch konzentriert sich auf Kunstausstellungen und behandelt die Zeit bis 1800; die letzten 200 Jahre Ausstellungsgeschichte, obwohl äußerst einflußreich für das kulturhistorische und historische Museumswesen sind bisher noch nicht in einer umfassenden Studie dargestellt worden. Georg Friedrich Koch: Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Berlin 1967.
Dazu auch die klugen Notizen von Walter Benjamin im „Passagen-Werk“ (Frankfurt/M. 1983), S. 232f. und 513f.
Paul Valéry: Das Problem der Museen, in: Ders.: Über Kunst. Essays, Frankfurt/M. 1959, S. 52–58, S. S. 56.
Vgl. dazu Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Jan Assmann/Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt/M. 1988, S. 9–19, S. S. 13.
Der Begriff „mnemotechnische Energie“ stammt von Aby Warburg.
Hannah Arendt: Vita Activa oder vom tätigen Leben, München 1981, S. 87f.
Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988.
Reinhard Wittram: Das Faktum und der Mensch, in: Historische Zeitschrift 185 (1958), S. 55–87, S. S. 59.
André Malraux. Das imaginäre Museum, Frankfurt,M./New York 1987, S. 21.
Erwin Panofsky: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1978, S. 48.
Bernward Deneke: Realität und Konstruktion des Geschichtlichen, in: Helmut Ottenjann (Hg.): Kulturgeschichte und Sozialgeschichte im Freilichtmuseum, Cloppenburg 1985, S. 9–20, S. S. 16f.
Else Biram: Die Industriestadt als Boden neuer Kunstentwicklung, Jena 1919 (Schriften zur Soziologie der Kultur, hg. von Alfred Weber, IV. Band ), S. 88.
So gesehen handelt es sich bei „Erklären oder Inszenieren?“ nicht um ein Gegensatzpaar, wie es das Papier der „Arbeitsgruppe für Empirische Bildungsforschung” für eine Tagung am 3./4. Mai 1989 im Frankfurter Jüdischen Museum programmatisch formulierte.
So in einem weiteren Thesenpapier der Arbeitsgruppe für Empirische Bildungsforschung, Heidelberg (undatiert). Das Papier kündigte drei verschiedene Workshops im Jahre 1989 an, die sich allesamt mit dem Problem „Objekt, Visualisierung und Rezeption“ beschäftigen sollten.
Zbynek Z. Stransky: Die Prinzipien der musealen Ausstellung, in: Neue Museumskunde 24 (1981), Heft 1, S. 33–40, S. S. 34f.
Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/M. 1963, S. 18.
Walter Benjamin: Das Passagen-Werk (wie Anm. 18), S. 560.
Walter Benjamin: Das Kunstwerk (wie Anm. 32).
Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie, Frankfurt/M. 1967, S. 391.
Ebd. S. 394.
Peter Sloterdijk: Museum. Schule des Befremdens, in: Frankfurter Allgemeine Magazin vom 17. März 1989, S. 56–66, S. S. 62.
Walter Benjamin: Jahrmarkt des Essens: in: Ders.: Gesammelte Schriften, Frankfurt/M. 1980, Elfter Band, S. 527–532, S. S. 527.
Ders.: Bekränzter Eingang, in: ders.: Gesammelte Schriften (wie Anm. 38), S. 557–561, S. S. 559.
Ders.: Jahrmarkt des Essens (wie Anm 38), S. 528.
Ebd. S. 528. Zum theoretischen Hintergrund von Benjamins Schock-Theorie vgl. Marleen Stoessel: Das vergessene Menschliche. Zur Sprache und Erfahrung bei Walter Benjamin, München/Wien 1983.
Rolf Konersmann: Benjamins Denkbilder, in: Frankfurter Allgemeine Magazin vom 9. März 1990, S. 30–36.
Jules Simon: L’exposition de Paris 1889, Paris 1890, Vol. III, S. 98.
Volkshochschule im Westen 15 (1963), Heft 4.
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Korff, G. (1995). Die Eigenart der Museums-Dinge Zur Materialität und Medialität des Museums. In: Fast, K. (eds) Handbuch der museumspädagogischen Ansätze. Berliner Schriften zur Museumskunde, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10270-0_1
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