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Was ist Musikgeschmack? — Erste Definitionen

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Zusammenfassung

Bisher wurde von „Musikgeschmack“ gesprochen, ohne genau zu sagen, was eigentlich mit diesem Begriff gemeint ist. In Kapitel 1 blieb seine Verwendung im Rahmen der Alltagssprache, wo er die individuellen Vorlieben für und Aversionen gegen ein Musikstück oder ein musikalisches Genre bezeichnete. Umgangssprachliche Dichotomien wie „schön“ und „hässlich“, „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“, „mit dem kann ich etwas anfangen“ oder „das verstehe ich einfach nicht“ dienten vorerst einmal dazu, den Gegenstand zu umreißen. Die Beschäftigung mit Klassikern der Ästhetik und Psychologie führte zur Einsicht, dass die Wahrnehmung von Musik einerseits auf universellen, andererseits aber auch auf gesellschaftlich und historisch variablen, im Zuge der Sozialisation internalisierten Prinzipien beruht, die in uns Gefühle der Lust oder Unlust hervorrufen. Auf dieser Grundlage fällen wir Urteile über Musik. Wie verhalten sich nun aber Verstand und Gefühl in der Wahrnehmung von Musik zueinander? Und wie werden die zahlreichen musikalischen Erfahrungen zu einer dauerhaften Disposition, zu einer langfristigen Orientierung, die wir schließlich als individuellen Musikgeschmack bezeichnen? Dass es hierbei nicht nur um die kognitive Fähigkeit einer adäquaten Rezeption, also um die Informationsverarbeitung geht (Kapitel 3.1), sondern auch um Fragen der sinnvollen und strategischen Nutzung von Musik (Kapitel 3.2), sollen die folgenden Ausführungen verdeutlichen. Sie führen schließlich zu einer Defmition von Musikgeschmack, der nicht nur auf kognitiven Fähigkeiten beruht, sondern auch auf habitualisierten Strategien: Denn Musik wird zum einen in Hörstrategien als Mittel zur Herstellung psychophysischer Zustände verwendet (Kapitel 3.3), zum anderen aber auch als Ressource in sozialen Strategien, als Mittel der sozialen Integration aber auch der Abgrenzung (Kapitel 3.4).

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Literatur

  1. Hierin unterscheidet sich der technische Informationsbegriff vom umgangssprachlichen, der in der Regel synonym mit Nachricht oder Botschaft verwendet wird!

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  2. Konecni (1982) beschäftigte sich darüber hinaus in Anlehnung an die Theorie Berlynes mit der Frage, wie situative Faktoren die musikalischen Präferenzen verändern. Er konnte zeigen, dass Personen, die z.B. durch aggressives oder beleidigendes Verhalten anderer in einen hohen Erregungszustand versetzt werden, tendenziell einfache, weniger komplexe Musik auswählen, um somit die Erregung auszubalancieren.

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  3. Klassisch ist sozusagen der pädagogische Eifer Karbusickys (1966): „Unsere Feststellungen über das potentielle positive Verhalten (der interviewten Hörer; A.G.) zeigen die Chancen der Kulturpolitik, noch Millionen Menschen zum wahren Verstehen der,emtten` Musik hinzuführen.“ Wie immer das Motiv hinter dem etwas totalitär anmutenden missionarischen Wunsch ausschauen mag, das Wort „wahr” wird wohl heute niemand mehr so bedenkenlos aussprechen. Auch der Ehrgeiz, Schüler von ihren „Vorurteilen“ gegenüber zeitgenössischer Musik zu befreien, von dem Helga de la Motte-Haber in ihrem 1996 neuaufgelegten „Handbuch der Musikpsychologie” berichtet (19611), mag möglicherweise über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der musikalische Erfahrungshintergrund der Schüler den Lehrenden ebenso fremd ist wie den Schülern die zeitgenössische Musik, zumal die „Beat-Pop-Präferenzen“ noch immer mit einem gewissen Argwohn betrachtet werden (z.B. La Motte-Haber 1985, 191).

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  4. Im Gegensatz zu dem hier explizit soziologisch angelegten Handlungsbegriff entwickeln Behne und Lehmann ihre Theorien im Anschluss an die Einstellungsforschung in der Sozialpsychologie und insbesondere jenen Strömungen, die der Funktionalität, dem Nutzen des Einstellungsgegenstandes Rechnung tragen. Ein ausführlicher Vergleich von neueren sozialpsychologischen und soziologischen Handlungstheorien und das Herausarbeiten der Konvergenzen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wäre aber sicherlich eine lohnende Aufgabe.

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  5. Im Anschluss an den oben erläuterten soziologischen Handlungsbegriff ist im Folgenden statt von „Umgangsweisen“ oder „Hörweisen” von „Hörstrategien“ die Rede. Dieser Begriff akzentuiert die individuelle Instrumentalisierung und „Wirkungsfunktion” von Musik (Lehmann 1994, 76ff, Eckhardt 1986, 88ff) und verdeutlicht den Gegensatz zur Vorstellung vom „interesselosen“, kontemplativen Wohlgefallen. Im „Handbuch der Musikpsychologie” findet er sich zudem als Synonym für Hörweisen (Rösing 1993, 117).

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  6. Die Geschichte der Musikästhetik ist begleitet von Spekulationen und Theorien über „Musik als Sprache der Gefühle“. Sie reichen von den frühesten Anfängen der Affektentheorie über romantische Ästhetiken bis in das 20. Jahrhundert, als Musikpsychologlnnen in einer Unzahl von psychologischen Experimenten dem Ausdruckscharakter von Musik auf der Spur waren (vgl. Rösing 1983). Für den deutschsprachigen Raum seien vor allem Karbusickys Bemühungen erwähnt, eine Semantik der Musik auf der Basis ihrer emotionalen Wirkung zu begründen (Karbusicky 1986). An der emotionalen Wirkung von Musik und deren Bedeutung in der Rezeption besteht kein Zweifel. Die Arbeiten zu diesem Thema finden allerdings deshalb hier wenig Berücksichtigung, weil in der Regel zu eilfertig und äußerst willkürlich von strukturellen Merkmalen der Musik auf spezifische Emotionen geschlossen wird, ohne zu beachten, dass „Bedeutungen” eben in einem aktiven und sozialen Prozess der Verwendung von Musik entstehen und grundsätzlich alles auf die vielfältigste Weise emotional besetzt werden kann.

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  7. Leider werden die Umgangsweisen von Erwachsenen mit Musik nur selten thematisiert.

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  8. Vieles, was von Suppan (1984) berichtet wird, trifft meiner Meinung nach auf moderne, säkularisierte Gesellschaften kaum noch zu, abgesehen von den bereits erwähnten vegetativen und motorischen Wirkungen im Kontext von Therapie und Tanz — und darüber hinaus in der im Folgenden beschriebenen allgemeinen Form als Ausdruck einer kollektiven Identität oder als Lebensstil. Die ins Kraut schießende Wiederentdeckung alter Riten als Mittel der Heilung, der Selbstfindung oder einer vorgeblichen Spiritualität im Zuge der Esoterikwelle ist wohl eher ein Ausdruck einer spezifischen Erlebnisorientierung und somit ein Versatzstück eines Lebensstils ohne direkten Bezug zur ursprünglichen gesellschaftlichen Funktion.

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  9. Hier ist nicht der Ort, die unterschiedlichsten soziologischen Identitäts-Konzepte zu diskutieren. Im Hinblick auf die zentrale These der Veränderung von Musikgeschmack infolge steigender Mobilität erscheint ein Rückgriff auf jene Theorien sinnvoll, in denen der „Balance“ und „Fluktuation” im Sinne eines aktiven Identitäts-Managements ausreichend Platz eingeräumt wird. Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass wir, wenn auch nicht unbegrenzt, mit Bestandteilen unserer Identität auch „spielen“ können.

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  10. Der Begriff „Homologie“ in dem hier angedeuteten Sinn wurde im Anschluss an den französischen Strukturalismus vor allem im Umkreis des Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies verwendet, um den Zusammenhang zwischen subkulturellen Stilen mit den jeweiligen Wertvorstellungen und Haltungen, sozusagen dem Lebensgefühl ihrer jeweiligen Träger, in Verbindung zu bringen. Bourdieu (1983, 1987a, 286ff) nimmt stärker auf die Unterschiede zwischen den Stilen Bezug und verwendet den Begriff „Homologie” — etwas zwiespältig — in einem weiteren Sinne, wenngleich der von Bourdieu geprägte Begriff des „Notwendigkeitsgeschmacks” der „einfachen Leute“ die Vorstellung bekräftigt, dass die soziale Erfahrung (der „Entbehrung”) die ästhetische Orientierung (am „Einfachen“) unmittelbar beeinflusst (siehe dazu Kapitel 6).

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  11. Stilpuristen, die gerne von der „Authentizität“ von Musik reden und jegliche Abweichung verdammen, übersehen die Tatsache, dass in der Genese eines neuen Stils immer über sehr heterogene Elemente aus unterschiedlichsten Kontexten verfügt wird. Obwohl die Entstehung von Stilen im Rahmen dieser Arbeit nicht von Interesse ist, sollen die von Willis (1978) und Hebdige (1979) erwähnten Beispiele hier kurz diese Aneignungspraxis illustrieren. So greifen etwa die von Willis beschriebenen Motor-Bike Boys auf ein zu ihrer Zeit längst nicht mehr aktuelles Genre (Rock’n’Roll der ersten Stunde) zurück, weil in ihm die den Motor-Bike Boys eigene Vitalität und Aggressivität zum Ausdruck kam. Und der Punk wird von Hebdige insgesamt als eine Praxis charakterisiert, in der Versatzstücke aus den unterschiedlichsten Kontexten und ihrer ursprünglichen Bedeutung entledigt zu einem neuen Stil zusammengesetzt werden — einem Stil, der sich im Grunde genommen durch seine „Stillosigkeit” auszeichnet.

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Gebesmair, A. (2001). Was ist Musikgeschmack? — Erste Definitionen. In: Grundzüge einer Soziologie des Musikgeschmacks. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10239-7_3

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10239-7_3

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-13667-7

  • Online ISBN: 978-3-663-10239-7

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