Zusammenfassung
In der mehr als 25-jährigen Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichtes nehmen Entscheidungen zur Wirtschaftsverfassung einen wichtigen Platz ein, auch wenn sie nicht so stark in das politische Bewußtsein gedrungen sind wie Entscheidungen etwa auf dem Gebiet der Wehr- und der Hochschulverfassung. Es hat eigentlich kaum ein wirtschaftpolitisches Lenkungs- oder Organisationsgesetz gegeben, vom Kartellrecht abgesehen, das dem Bundesverfassungsgericht, meistens im Rahmen von Verfassungsbeschwerden der betroffenen Unternehmen, nicht zur Nachprüfung vorgelegt wurde. Die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichtes war, wie an anderer Stelle ausgeführt (Reich 1977, S. 116), weitgehend ambivalent geblieben. Das Bundesverfassungsgericht erkennt dabei dem demokratisch und sozialstaatlich legitimierten Gesetzgeber einerseits weitgehende Interventionsbefugnis in die Abläufe des Marktgeschehens und in die Organisation der Marktsubjekte zu, nimmt dies jedoch durch eine extensive Grundrechtskontrolle, durch Ausdehnung des sogenannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und durch Anwendung allgemeiner Rechtsstaatsprinzipien teilweise wieder zurück. Es konnte eine asymmetrisch strukturierte doppelte Instrumentalität in der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichtes festgestellt werden: die eine Instrumentalität des Wirtschaftsrechtes, die Freiheitsräume für die Marktsubjekte, insbesondere Unternehmen schafft, genießt tendenziell den Vorrang vor der anderen Instrumentalität, die aufseiten des Staates, genauer des politisch legitimierten Gesetzgebers, Einschränkungen und Bindungen der Unternehmensfreiheiten an Ziele des Gemeinwohles, des Sozialstaates und der wirtschaftlichen Strukturpolitik vorsieht.
Gekürzter Vorabdruck eines Beitrages für den Sammelband „Bundesverfassungsgericht“ mit frdl. Genehmigung des Rowohlt Verlages und der Herausgeber Wolfgang Däubler und Gudrun Küsel.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literaturverzeichnis
Badura,Peter (1976): Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechtes, Juristische Schulung, S. 206 ff
Bieback Karl-Jürgen (1975): Grundrechtliche Freiheit und paritätische Mitbestimmung in: Mayer/Reich (1975), S. 11 ff
Bieback Karl-Jürgen und Reich,Norbert (1978): Verfassungswidrige Umgestaltung des Unternehmensrechts durch Mitbestimmung? Arbeit und Recht, S. 161 ff
Böckenförde,Emst (1974): Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, Neue Juristische Wochenschrift S. 1529 ff
ders. (1976): die Methoden der Verfassungsinterpretation — Bestandsaufnahme und Kritik, Neue Juristische Wochenschrift S. 2089 ff
Bull,Hans-Peter (1977): Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Auflage 1977
Däuóer,Wolfgang (1973): Das Grundrecht auf Mitbestimmung
ders. (1976): Eigentum und Recht (mit Ulrike Sieling-Wendeling und Horst Welkoborski)
DGB (1976): Mitbestimmung, Wirtschaftsordnung, Grundgesetz, Protokoll der wissenschaftlichen Konferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 1. — 3. Oktober 1975
Denninger,Erhard (1973): Staatsrecht 1, Einführung in die Grundprobleme des Verfassungsrechtes der BRD
Ehmke,Horst (1961): Wirtschaft und Verfassung
Frankfurter Gutachten (1978): Mitbestimmung als gesetzgebungspolitische Aufgabe. von Friedrich Kilbler, Walter Schmidt, Spirus Simitis
Hartwich,Hans-Hermann (1970): Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status Quo
Hoffmann-Riem,Wolfgang (1977): Die grundrechtliche Freiheit der arbeitsteiligenBerufsausübung, Festschrift Ipsen, S. 385 ff
Kappler. Ekkehard (1978): Ökonomische Beurteilung der Mitbestimmung
Kölner Gutachten (1977): Mitbestimmungsgesetz 1976 und Grundgesetz von Peter Radura, Fritz Ritter und Bernd Rüthers
Kriele,Martin (1974): Wirtschaftsfreiheit und Grundgesetz, Zeitschrift für Rechtspolitik S. 105 ff
Naendrup,Peter-Hubert (1977): Mitbestimmung und Verfassung
Mayer/Reich (1975): Mitbestimmung contra Grundgesetz?
Mestmäcker,Ernst-Joachim (1978): Recht und ökonomisches Gesetz
O f fe,Claus (1975): Berufsbildungsreform — Eine Fallstudie über Reformpolitik
Ott,Claus (1977): Recht und Realität der Untemehmenskorporation
Raiser,Thomas (1975): Grundgesetz und paritätische Mitbestimmung
Reich,Norbert (1975): Eigentumsgarantie, paritätische Mitbestimmung und Gesellschaftsrecht, in: Mayer/Reich 1975, S. 41 ff
ders. und Karl-Jochen Lewerenz (1976): Das neue Mitbestimmungsgesetz, Arbeit und Recht S. 261 ff, S. 353 ff
ders. (1977): Markt und Recht
Ridder,Helmut (1975): Die soziale Ordnung des Grundgesetzes
Rittstieg,Helmut (1975): Eigentum als Verfassungsproblem
Rupp,Hans-Heinrich (1974): Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung“
Scheuner,Ulrich (1971): Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft
Scholz,Rupert (1974): Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz
Stein,Ekkehart (1974): Vermögenspolitik und Grundrechte
ders. (1976): Qualifizierte Mitbestimmung unter dem Grundgesetz
Ulmer,Peter (1979): Die Bedeutung des Mitbest. G-Urteils des BVerfG…., Betriebsberater S. 398 ff
Zweigert,Konrad (1976): Die Neutralität des Grundgesetzes gegenüber der paritätischen Mitbestimmung in: DGB (1975) S. 205 ff
Rights and permissions
Copyright information
© 1978 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Reich, N. (1978). Die wirtschaftsverfassungsrechtliche Offenheit und Neutralität des Grundgesetzes. In: Grundgesetz und sozialer Wandel — zum 30. Jahrestag der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Gegenwartskunde, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10206-9_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10206-9_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-0306-5
Online ISBN: 978-3-663-10206-9
eBook Packages: Springer Book Archive