Zusammenfassung
Mädchen und junge Frauen, die sich gewaltbereit äußern und selbst Gewalt ausüben, widersprechen geschlechterstereotypen Bildern, die Weiblichkeit mit Anpassung, Friedfertigkeit und Empathie verbinden. Häufig wird Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung von weiblichen Jugendlichen deswegen als Orientierung an männlichen Handlungsmustern und — in Jugendgruppenkontexten — als Nachahmung männlichen Verhaltens interpretiert (Utzmann-Krombholz 1994; Niebergall 1995; Eckert u.a. 2000). Derartige Deutungen reproduzieren und verstärken zum einen geschlechterstereotype Zuschreibungen, zum anderen legen sie ein statisches Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit zugrunde, das nicht berücksichtigt, dass Geschlecht sozial und kulturell konstruiert ist, also historischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterliegt. Hinweise darauf, dass herkömmliche Weiblichkeitsbilder ins Wanken geraten sind und Mädchen und junge Frauen sich im Geschlechterverhältnis neu verorten, bieten sowohl die selbstverständlichen Gleichheitsansprüche und partnerschaftlich-egalitären Lebensentwürfe von weiblichen Jugendlichen als auch die Überrundung der männlichen Gleichaltrigen in schulischen Leistungsnachweisen und Bildungsabschlüssen sowie die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen (vgl. Oechsle 2000; Comelißen u.a. 2002). Mit derartigen Verhaltensweisen und Handlungsorientierungen imitieren sie nicht männliche Lebensentwürfe und Lebenswege, vielmehr nehmen sie Handlungsoptionen wahr, die im Zuge historischer und gesellschaftlicher Veränderungsprozesse von Geschlechtszuschreibungen und Geschlechterverhältnissen entstanden sind. In diesem Kontext liegt es nahe, auch die Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung als Ausdruck von veränderten subjektiven Weiblichkeitskonzepten und als Versuch zu deuten, sich im Geschlechterverhältnis neu zu positionieren.
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Literatur
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Bruhns, K. (2003). Gewaltbereitschaft von Mädchen und jungen Frauen — Ausdruck einer Neupositionierung im Geschlechterverhältnis?. In: Koher, F., Pühl, K. (eds) Gewalt und Geschlecht. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10174-1_10
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