Zusammenfassung
Wissen hat Hintergrundannahmen, die durch Wissensgemeinschaften generiert oder modifiziert werden. Die deutsche Umweltsoziologie und die Geschlechterforschung werden in meinem Beitrag in diesem Sinne als differente Wissensgemeinschaften beleuchtet, deren Wissen wechselseitig noch ‚ übersetzt‘ werden muß. Diese Einsicht soll mein Beitrag insgesamt begründen. Vor diesem Hintergrund versuche ich, mögliche Erkenntnisgewinne für die Umweltsoziologie durch Aufnahme von Fragestellungen und Erkenntnisperspektiven aus der Geschlechterforschung herauszuarbeiten. Mein Nachdenken über eine Erweiterung der Umweltsoziologie durch geschlechtsspezifische Fragestellungen geht in zwei Richtungen: einerseits frage ich nach dem Stellenwert der Umweltsoziologie innerhalb der Umweltforschung, die bis heute immer noch vorwiegend naturwissenschaftlich-technisch ihre Problemfeststellungen trifft. Die kritische Reflexion der disziplinären Organisation der Umweltforschung müßte sich meines Erachtens in der Umweltsoziologie dahingehend niederschlagen, daß sie sich nicht auf den Bereich der Anwendungsforschung beschränkt. Grundlagen-orientierte umweltsoziologische Forschungsperspektiven1 müssen ein gleiches Gewicht neben den ‚harten‘ ökonomischen und technischen Forschungsperspektiven bekommen, welche die Umweltforschung zur Zeit dominieren. Meine zweite Reflexion schließt an diese Überlegung an. Den Beitrag der Geschlechterforschung für die Umweltsoziologie sehe ich vor allem darin, daß zentrale Erkenntnisperspektiven und Theoreme der feministischen Reflexion der Geschlechterdifferenz für die Entwicklung von grundlagenorientierten umweltsoziologischen Fragestellungen erkenntnisleitend sein können. In Zuspitzung dieser Überlegung möchte ich darüber hinaus behaupten, daß die Umweltsoziologie ohne Aufnahme der erkenntnistheoretischen Reflexion auf die Geschlechterdifferenz nur eine legitimatorische Akzeptanzforschung sein wird, die an den motivationalen Hintergründen und Interessen der von ihr Beforschten vorbeiagiert. Ignoriert sie die mit der Geschlechterdifferenz verknüpften identitätspolitischen Fragen der von ihr beforschten ‚Privatmenschen‘, wird sie zu den von ihr aufgeworfenen Fragen einer Umsetzung von Nachhaltigkeit wenig beitragen können.
“Wir wollen keine Repräsentation der Welt durch eine Theorie unschuldiger Mächte, in der Sprache wie Körper der Glückseligkeit organischer Symbiose verfallen. Ebensowenig wollen wir die Welt als globales System theoretisieren, geschweige denn in einer solchen Welt handeln. Was wir aber dringend brauchen, ist ein Netzwerk erdumspannender Verbindungen, das die Fähigkeit einschließt, zwischen sehr verschiedenen — und nach Macht differenzierten — Gemeinschaften Wissen zumindest teilweise zu übersetzen.”
Donna Haraway, Manifesto for Cyborgs, (Haraway 1995: 79)
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Schultz, I. (2001). Umwelt- und Geschlechterforschung: eine notwendige Übersetzungsarbeit. In: Nebelung, A., Poferl, A., Schultz, I. (eds) Geschlechterverhältnisse — Naturverhältnisse. Reihe „Soziologie und Ökologie“, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10160-4_3
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