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Politik und politische Rezeption

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„Franz Oppenheimer“
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Zusammenfassung

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit politischen Implikationen der liberal-sozialistischen Gesellschaftstheorie Oppenheimers und mit der — weitgehend aus politisch-ideologischen Motiven heraus zu interpretierenden — Rezeption des Oppenheimerschen Werkes in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der fünfziger und sechziger Jahre. Wurde bisher der Terminus „Politik“ als der in Oppenheimers Theorie bestimmte Gegensatz zu „Ökonomie“ verwandt, so geht es nun darum, zu thematisieren, was für Oppenheimer „Politik“ als ein auf Macht bezogenes gesellschaftliches Handeln1 heißt und heißen kann. In solchem machtbezogenen Handeln findet Oppenheimers bisher behandelte systématische Konstruktion, finden sowohl die Kategorien seiner allgemeinen Soziologie als auch seine geschichtstheoretischen Überlegungen ihren eigentlichen Sinn. Von hier aus läßt sich das Verhältnis von Theorie und (geschichtsmächtiger) Praxis lesen, läßt sich für Oppenheimer die Funktion systematischer Soziologie als Korrelat geschichtstranszendierender Politik bestimmen.

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Anmerkungen zu Kapitel III

  1. In Anlehnung an Max Webers Begriffe der „Politik“ (Weber 1976, 30).

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  2. Zu diesem Zeitpunkt war Oppenheimer allerdings noch der Überzeugung, daß die Gründung auch nur einer Siedlungsgenossenschaft eine so große „Fernwirkung“ auf die „industrielle Reservearmee” ausüben müsse, daß allein damit eine Lösung der „sozialen Frage“ abzusehen sei. Angesichts dieses Optimismus’ erübrigt sich die Frage nach einer Partei der Siedlungsgenossenschafts-Interessenten, die Frage nach einem relevanten politischen Anhängerkreis. Später gab sich Oppenheimer in puncto „socialwirtschaftliche Wirksamkeit” seiner Siedlungsgenossenschaft um einiges kleinlauter, berief sich aber weiterhin auf diese Programme.

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  3. Winfried Vogt versuchte in jüngster Zeit in einigen Aufsätzen, die liberale Gesellschaftsutopie wieder zu beleben, indem er den antikapitalistischen Kern eines konsequenten Liberalismus herausstrich. Bei der Frage nach einem gesellschaftlichen Subjekt konstatiert auch er die Grenzen liberaler Reformstrategie: „Es ist einerseits nicht zu sehen, wie eine radikal-liberale Gesellschaft aus Bewegungen entstehen soll, die selbst nicht dem liberalen Ideal entsprechen. Andererseits ist nicht ausgemacht, daß dominierende gesellschaftliche Monopole mit rein liberalen Methoden überhaupt überwunden werden können.“ Konsequent kommt Vogt zu der Forderung nach Aufklärung der gesellschaftlichen Subjekte über ihre eigentlichen Interessen als der einzig gangbaren Strategie des radikalen Liberalismus: „.. unsere einzige wirkliche Hoffnung auf eine Dialektik zur liberalen Utopie (ruht) in der unabweisbaren Gewißheit, daß radikale Gleichheit letztlich in den Einzelinteressen der Mehrheit liegt. Der unermüdliche Versuch der Aufklärung dieser Mehrheit, nicht über ihre Interessen, sondern über deren faktische Beschränkung durch Monopole, einer Aufklärung gegen gesellschaftliche Monopolpositionen aller Art, auch gegen die Unterdrückung der Aufklärung selbst, könnte eine Aufgabe sein, mit der Wissenschaftler und Intellektuelle auch in den achtziger Jahren ihre Resignation nicht nur nähren, sondern auch immer wieder vertreiben können.” (Vogt 1979, 407; vgl. auch ders. 1983, 392) Die Parallele zu Oppenheimer, zu seinen Übergängen vom Interesse „Aller“ zum Appell an die Einsicht der nicht zu Interessierenden, liegt in der Sache: in der Tat handelt es sich hier um das „Dilemma eines Plädoyers für einen radikalen Liberalismus” (Vogt 1979, ebd.)

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  4. Vgl. seine eigene Schilderung der „Revolutionstage“ in Opp. 1964, 238ff.

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  5. Diese Hoffnungen auf die „Vernunft“ und das Entstehen gesellschaftlicher Instanzen, mit deren Hilfe sich die Restitution des „ursprünglichen Naturrechts”, der „Reziprozität“ vollzieht, wurde von Gumplowicz schon beim jungen Oppenheimer kritisiert. Die ungleiche Verteilung von Reichtum in der Überlagerungsgesellschaft — und hier erinnert Gumplowicz an die auch von Oppenheimer vertretene Kernthese der Überlagerungstheorie — sei nicht Ergebnis ökonomischer Differenzierung, sondern ein „Werk der Politik” (Gumplowicz 1904, 150), sie entspreche Interessen, die nicht durch den Idealismus wohlmeinender Reformvorschläge zu transzendieren seien.

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  6. Das Titelblatt der Broschüre ist mit dem eines kurz vorher erschienenen Titels des amerikanischen Publizisten H.R. Knickerbocker (1932) identisch; es zeigt, getrennt durch einen Schriftbalken, oben einen zum Hitlergruß ausgestreckten Arm mit einer Hakenkreuzmanschette, unten einen Arm, der Hammer und Sichel zur Bildmitte streckt. Auch der Titel selbst ist eine Anspielung auf Knickerbockers „Deutschland so oder so?“

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  7. Die letzte Bemerkung zielt auf Othmar Spann; vgl. zur Rolle Spanns in der Phase nationalsozialistischer „Machtergreifung“ und beim „Anschluß” Österreichs die Arbeiten von Siegfried (1974), Schneller (1970) sowie Rieber (1971). Zum Verhältnis zwischen Oppenheimer und Spann hier einige Bemerkungen. Beiden gemeinsam ist ein sich vom main stream der soziologischen Theoriebildung abgrenzender „universalistischer“ Ansatz. Soziologie ist nicht Einzelwissenschaft eines sachlichen Ausschnittes aus dem Felde sozialer Phänomene, etwa der „Beziehung”, sie ist Einheitswissenschaft eines Gesellschaftsganzen. Oppenheimer streicht diese Parallele in einer Passage über Spanns „Kurzgefaßtes System der Gesellschaftslehre“ (1914) heraus, besteht aber auf einer entscheidenden Differenz: „Auch Spann geht von der menschlichen Gesellschaft als einem Ganzen aus. Nur mit dem... Unterschied, daß wir dieses Ganze auch schon biologisch auffassen, während Spann es nur logisch begreift.” (Opp. 1, 94) In den Diskussionen auf dem Wiener Soziologentag 1926, die sich an einem methodologischen Vortrag Spanns entzündeten (und die von Parteigängern Spanns einigermaßen pathetisch als „Der Kampf um Othman Spann” bezeichnet wurden; vgl. unter diesem Titel eine Zusammenfassung der Diskussion von Karl Dunkmann, 1928), tritt in Oppenheimers Beitrag der gemeinsame „Universalismus“ deutlicher hervor als die Differenzen zwischen dem Neoromantiker und dem Positivisten. Dies wurde auch von Spann (1929, 423ff) registriert. Politische Gemeinsamkeiten fanden Spann und Oppenheimer trotz der gemeinsamen „universalistischen” Position nicht. Spann hatte Oppenheimers Arbeiten schon 1914 in einer kurzen Bemerkung abgetan. Er spricht dort von dem „gesellschaftstheoretische(n) Paradox eines,liberalen Sozialismus’, welches Franz Oppenheimer nicht ohne Geist entwickelt hat. Solche innern Gegensätze lassen sich indessen unmöglich vereinigen.“ (Spann 1914, 283) Fritz Sanders, als Anhänger einer „geisteswissenschaftlichen Soziologie” Vertreter einer Position, die der Spannschen nicht sehr fern war, hatte 1926 in einem langen Besprechungsaufsatz die ersten beiden Bände des „System der Soziologie“ einer im Ton ebenso scharfen wie inhaltlich wenig ertragreichen Kritik unterzogen (vgl. Sander 1926). An diesen Aufsatz knüpfte eine Kontroverse mit Oppenheimer an (Opp. 1927a; Sander 1927; Kraft 1928, wiederum Sander 1928), in der es fast ausschließlich um gegenseitige Vorwürfe falschen Zitierens, willentlicher Mißverständnisse etc. ging, eine Kontroverse, deren Fruchtlosigkeit nur durch ihre ermüdende Länge übertroffen wurde.

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  8. Wie schon in manchesterlichen „Nachtwächterstaat“ sind auch in Oppenheimers gesellschaftlicher Föderation weder Einflußnahme auf noch gar Regulierung des Geschehens am Markt vorgesehen. Trotzdem aber ist das „inhärente Interesse’ des Ganzen auch in der Zukunftsgesellschaft nicht als kraft- und wehrlos vorzustellen, ist es durchaus mit Zwangsmitteln ausgestattet.

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  9. Das geschichtsphilosophische Credo allerdings verschob sich im Laufe der Zeit von einem auf den guten Willen und die Glaubensfähigkeit Einzelner hauenden Utopismus zu einem wissenschaftlich „strengen“, politisch aber eher — wie sich gezeigt hat — halbherzigen Determinismus”. Vgl. hier auch Hützer 1927, 55f.

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  10. Klagen über eine Inflationierung des Begriffes „Bewegung“ haben nicht erst heute, angesichts der Vielzahl der „neuen sozialen’ etc. Bewegungen ihre Berechtigung: Tendenzen, der Sozialdemokratie den Titel der sozialen Bewegung streitig zu machen, finden sich schon um die Jahrhundertwende. Mit dem Bewegungsbegriff verknüpft war meist der Anspruch, daß den jeweils vertretenen Forderungen und Programmen eine ähnliche gesellschaftspolitische Allgemeinheit zukomme, wie denen der Arbeiterbewegung.

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  11. Die Geschichte der Bodenreform ist unter systematischen Gesichtspunkten bisher nicht geschrieben; es liegt lediglich eine Fülle kaum ausgewerteten Materials vor. Der umfangreiche, von van der Bourght herausgegebene Band „Die Bodenreform“ (1919) enthält keine differenzierte Auseinandersetzung, beschränkt sich vielmehr auf Dokumentation von gegen die Reformkonzepte gerichteten Polemiken des „Schutzverbandes für Deutschen Grundbesitz”. Diehl (1924) präsentiert eine umfangreiche Liste der zeitgenössischen Sekundärliteratur. Dreier (1968) geht nur im Einleitungskapitel kurz auf die historische Bodenreformbewegung ein und konzentriert sich sonst auf Fragen der Bodenordnungspolitik in der BRD. Auch die Diss. von Rudi Herrmann (1965) vermag diese Lücken historischer Analyse nicht zu schließen.

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  12. Vgl. hier auch Kumpmann (1910, 237), der eine frühe „radikale“ von der zeitgenössischen „realpolitischen” Bewegung unterscheidet. Wenn v. Frauendorfer (1959) die „Bodenbesitzreform“ aus „einer Abwehrstellung gegen die liberalistische Wettbewerbsordnung” erwachsen sieht, so ist dies sowohl für die „Agrarsozialisten“ nicht zutreffend, da sie ihre Vergesellschat= tungsforderungen ausschließlich auf den Boden bezogen sehen wollten, als auch für die „realpolitische” Fraktion, da diese die herrschende Wirtschaftsordnung nicht nur nicht grundsätzlich diskreditierte, sondern sie im Gegenteil sozial-bzw. steuerpolitisch zu reformieren gedachte.

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  13. Es entbehrt durchaus nicht der Plausibilität, daß Krabbe (1974, 31 ff.) die „Bodenbesitzreform“ als eine „peripher-lebensreformerische” Bestrebung klassifiziert. Für die Lebensreformbewegung — Krabbes eigentliches Thema — war die Bodenreform selbstverständlicher Bestandteil ihres politischen Programmes, während aus der Perspektive der Bodenreform Lebensreform kein politisches Essential darstellte. Beispiel für die lebensreformerische Adaption der Bodenreform ist die 1893 gegründete „Vegetarische Obstbaukolonie Eden“ bei Oranienburg, an deren Statuten Oppenheimer entscheidend mitarbeitete und mit der nicht nur Lebensreformer, sondern auch Bodenreformer eine, oder besser: die einzige erfolgreiche Realisierung ihrer politischen Vorstellungen präsentieren konnten (vgl. Obstbausiedlung Eden 1920).

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  14. Bis 1923 war das Buch, das als Programmschrift des „Bundes Deutscher Bodenreformer“ angesehen werden kann, im 136. Tsd. verbreitet.

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  15. In seinem utopischen Roman „Freiland“ hatte Hertzka 1890 die Errichtung einer bodenreformerischen Kolonie auf „herrenlosem” Land im Inneren Kenias propagiert. Eine Expedition unter seiner Leitung, die die Idee in.die Wirklichkeit umzusetzen suchte, scheiterte — nicht nur — an Geldmangel.

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  16. Aufgrund dieser Fundierung der Oppenheimerschen Thesen in der Tradition des Agrarsozialismus schrieb Eduard Bernstein: „Man darf Oppenheimers Theorie vom Großgrundeigentum als dem Urgrund der Ausbeutung der Arbeitenden durch die Besitzenden bei deutschen Oekonomen als bekannt voraussetzen. Wenn sie als These nicht original ist, so ist sie es jedenfalls in der scharfen Ausarbeitung und Begründung, die Oppenheimer ihr gegeben hat.“ (1910, 190)

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  17. VgL z.B. „Deutsche Volksstimme. Organ der deutschen Bodenreformer“ 16. 1905, 602.

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  18. In Erich Neuhaus’ Besprechung von Oppenheimers „Marx“ von 1903 beispielsweise bricht in der Schlußwendung unvermittelt ein Anti-Marxismus durch, für den nicht mehr „Mammonismus” und „Kommunismus“ gemeinsam die Gegner der Bodenreform sind, sondern selbst noch das kapitalistische Elend in die Verantwortung der Arbeiterbewegung gestellt wird: „., so bleibt es doch gewiß ein Verdienst des Verfassers, allen auf bodenreformerischen Grundanschauungen Stehenden in seinem Werke ein Arsenal von Waffen geliefert zu haben zum Kampfe gegen eine einseitig dogmatische Wirtschaftstheorie, welche politisches und soziales Elend genug in unserem Vaterlande verschuldet hat.” (1904, 104)

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  19. VgL hierzu Landshuts kurzen Abriß der Geschichte utopisch-kommunistischer Siedlung (1969, 177ff.), in dem er resümiert, daß der „genossenschaftliche Geist“, die Idee der Gemeinschaft in den utopischen Siedlungen „den Keim des Zerfalls in sich” trage (ebd., 202): „Der bloße Kommunismus als solcher ist eben keine Idee, die zur Grundlage einer Lebensgemeinschaft dienen könnte.“ Erfolgreich waren nach Landshut auch nicht so sehr kommunistische, sondern die Siedlungen, die in der gemeinsamen Religion über eine zweite Ressource der Integration verfügten. Oppenheimers Mißtrauen gegen den „genossenschaftlichen Geist” bezieht sich auf ähnliche Überlegungen, seine „Siedlungsgenossenschaft“ (1896a) dokumentiert eine breite Auseinandersetzung mit der Geschichte utopischer Siedlungen.

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  20. Vgl. zur Unterscheidung von Verkäufern und Käufern in ökonomischer und „wirtschafts- psychologischer“ Hinsicht auch einen Aufsatz Oppenheimers in Schmollers Jahrbuch (1900).

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  21. Klaus Novy (1980, 261) betont die Relevanz des „Gesetz der Transformation“ auch im Kontext der heutigen Diskussion um „alternative Ökonomie”. Tatsächlich wird Oppenheimer mit den entsprechenden Passagen aus der „Siedlungsgenossenschaft“ in einem Band „Produktivgenossenschaften oder der, Hindernislauf zur Selbstverwaltung” zitiert (vgl. Fliegner, Hrsg. 1984). VgL zum Gesetz der Transformation auch die etwas älteren Arbeiten von Sahner (1963) und Reede 1961, 14f).

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  22. VgL zum Folgenden neben der „Siedlungsgenossenschaft“ Oppenheimers (1896a) auch eine Zusammenfassung der Pläne bei Kaplansky 1917, 18 ff.

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  23. Oppenheimer geht — ohne dies explizit zu problematisieren — offensichtlich von einer Fähigkeit der Siedler zu unbegrenzter beruflicher Mobilität aus.

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  24. Die „siedlungsgenossenschaftliche“ Organisation der Wirtschaft wird keineswegs — so versichert Oppenheimer — zur Bildung neuer großstädtischer Zentren führen, dies, obwohl jede Siedlungsgenossenschaft jederzeit alle Neusiedler aufnehmen wird, sei sie auch noch so dicht besetzt. Nachdem sich die erste Siedlungsgenossenschaft als erfolgreich erwiesen hat, werden andere entstehen, die in der Folge um die verfügbaren Arbeitskräfte konkurrieren. „Es werden dem ersten Minimus viele Hunderte gleicher Minima als Wettbewerber um die menschliche Arbeit entstehen. Dadurch wird der Prozeß zu Endergebnissen anderer Art führen, als zu der in keiner Hinsicht wünschenwerten Neuschöpfung großstädtischer Centren.” (Opp. 1896a, 492 f)

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  25. In der zeitgenössischen Literatur wurde über die Realisierungschancen der „Siedlungsgenossenschaft“ ausführlich diskutiert; zwecks weiterer Auseinandersetzungen kann dorthin verwiesen werden. VgL die Besprechungen von K. Wiedenfeld (1897) und Arthur Dix (1901) sowie Arbeiten von Lothar Markiewitz (1920/21) und Reinhold Baars (1925).

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  26. Unter dem Titel „Ein gescheitertes sozialpolitisches Unternehmen“ veröffentlichte Oppenheimer 1908 in der Zeitschrift „Soziale Praxis” einen Bericht über Wenigenlupnitz, den er später in seine gesammelten Aufsätze übernahm (vgl. Reden I, 253 ff.).

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  27. In mehreren Arbeiten hat Klaus Novy diese Zusammenhänge untersucht. Vgl. Novy 1981 sowie zur Einordnung in die „reformsozialistische Debatte“ ders. 1982 und die dort angegebene Literatur.

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  28. Schultz - Klinken bescheinigt der Regietangs-SPD in Hinblick auf dieses Abrücken von ihrer ursprünglich auf Vergesellschaftung des Bodens gerichteten agrarpolitischen Linie, daß sie sich von einer „Anerkennung des Siedlungswillens breitester Bevölkerungsschichten“ habe leiten lassen; „diese Entscheidung zeugt zugleich vom Sinn der SPD für die Realitäten und dokumentiert die Bejahung der demokratischen Willensbildung unter Abkehr von klassenkämpferischen Prinzipien.” (1971, 120)

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  29. Zit. n. Schultz-Klinken 1971, 125. Dies knüpft an politische Forderungen an, wie sie Max Weber schon 1892 im Verein für Social- politik erhoben hatte. Auf die kürzeste Formel gebracht, war das Ergebnis seiner Untersuchun- gen über „Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland“ (Weber 1892): . der kapitalistisch organisierte Großbetrieb... besteht heute auf Kosten des Nahrungsstandes, der Nationalität und der Wehrkraft des deutschen Ostens.” (ebd., 795) Im „Interesse der Nation“ (ebd., 800) forderte Weber politische Intervention: gegen die schleichende „Polonisierung”, die mit einer Senkung des Lebensstandards für die gesamte Arbeiter- und bäuerliche Bevölkerung einhergehe, sah er als einzig möglichen Ausweg die „Innere Kolonisation“ in großem Ausmaß, dies, obwohl gemessen am Kriterium der internationalen Konkurrenzfähigkeit, diese ostelbischen Bauernstellen für Weber nicht die Schwelle der Wirtschaftlichkeit überschreiten können (vgl. auch Weber’s mündlichen Bericht vor dem VfS, 1893 a). Auch nach dem Abschluß der Untersuchung fur den Verein für Socialpolitik blieb Agrarpolitik für Max Weber ein zentrales Arbeitsfeld. Für den Evangelisch-sozialen Kongreß veranstaltete er zusammen mit Paul Göhre eine ergänzende Erhebung, in der auch die psychologische Dimension der Landarbeiterfrage erforscht werden sollte, in der Fragen nach der Einstellung zu Selbständigkeit, zu Industriearbeit etc. gestellt wurden (vgl. Weber 1892a; 1893; Weber und Göhre 1894; zum methodischen Standard der Enqueten Oberschall 1965, 25ff.). Webers Antrittsvorlesung 1895 in Freiburg (Weber 1971, 1–25) entwickelt Kriterien einer am Nationalstaatsinteresse orientierten „Volkswirtschaftspolitik” am Exempel der ostelbischen Agrarfrage, in der — so Weber — nationales und junkerliches Interesse auseinanderliefen. Auch hier hält Weber „vom Standpunkt des Deutschtums“ an zwei Forderungen fest: 1. „Schließung der östlichen Grenze”, auch für Wander- und Saisonarbeiter aus Polen und Rußland; 2. „... systematischer’ Bodenankauf seitens des Staates, also Erweiterung des Domänenbesitzes einerseits, und systematische Kolonisation deutscher Bauern auf geeigneten Böden, namentlich auf geeigneten Domänen, andererseits.“ (ebd., 10) In einer Polemik gegen die preußische Fideikommißgesetzgebung 1904 schließlich rollt Weber die Frage einer Interessendifferenz zwischen der Nation und der Schicht der ostelbischen Junker und verjunkernden Industriellen erneut auf (in: Weber 1924, 323–393). — In der Weber-Literatur werden diese — und einige andere Arbeiten Webers zum Thema (vgl. die Bibliographie bei Kösler 1978, 425 ff.) — meist unter biographisch-politischen (so etwa Mommsen 1974, Kap. 2 u. 3) oder unter werksystematischen Gesichtspunkten (Schluchter 1980, 161 sowie Hennis 1984) thematisiert. Die Untersuchung von Tribe (1983) schließlich diskutiert Webers agrarpolitische Arbeiten im Kontext der zeitgenössischen Parteipolitik und versucht daneben die These zu belegen, daß die agrarsoziologischen Ergebnisse „wertfrei” gewonnen seien, eine deutlich abhebbare zweite Schicht bringe erst politische Wertung und Beurteilung durch den Politiker Weber — eine unfruchtbare Fragestellung, denn jede empirische Untersuchung muß mit Begriffen arbeiten, die auch das Ergebnis wertender Auswahl ist. Es ist erstaunlich, daß Oppenheimer von diesen Arbeiten Webers, die sich in der politischen Folgerungen mit denen Oppenheimers an vielen Stellen überschneiden, keine Kenntnis genommen hat; im „System der Soziologie“ erwähnt Oppenheimer — der die theoretisch-systematischen Arbeiten Webers häufig heranzieht — dessen agrarpolitische Schriften mit keinem Wort.

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  30. Angesichts der politischen Breite der Siedlungs-Koalition in der Weimarer Zeit, der auch ein breites Interesse in der Bevölkerung entsprach, macht es wenig Sinn, wie Krabbe (1974, 350 „von den offiziellen und offiziösen Unternehmungen... wie der staatlichen Binnenkolonisation..., den von Damaschke... initiierten Kriegerheimstätten und den von Brüning geförderten Erwerbslosensiedlungen“ abzusehen, um dann „die Siedlungsbewegung von der Jahrhundertwende bis zum Anfang der 20er Jahre” ausschließlich zu einer „Angelegenheit der Lebensreform- und Jugendbewegung“ zu erklären. Ulrich Linse (Zurück — 1983) erwähnt zwar in seiner Quellensammlung zur Geschichte der „Landkommunen in Deutschland 1890–1933” die offizielle Politik der Regierungen zur „Inneren Kolonisation“, seine nur auf Kollektivsiedlungen verkürzte Perspektive läßt ihn aber den politischen Charakter der „Inneren Kolonisation” insgesamt wie in ihrem Kontext die Rolle Oppenheimers verzeichnen (vgl. 315 ff.). In seinem Buch zur ideologischen Vorgeschichte des Nationalsozialismus behandelt George L. Mosse (1979) nur völkische Siedlungen aus dem Umkreis der Lebensreform- und der Jugend- bewegung. Das Kapitel beruht auf sehr schlechten Recherchen und strotzt von Ungenauigkeiten und Fehlern. Den Siedlungspolitiker Oppenheimer sieht Mosse — so wenigstens eine mögliche Lesart einer recht mißverständlichen Formulierung — in der Nähe der völkischen Siedlungsidee: „Franz Oppenheimer, ein Pionier der Siedlungsbewegung, beschuldigte ihn (A. Damaschke, d. Verf.), die Bodenreform dadurch verwässert zu haben, daß er sie zu einer rein bürgerlichen Steuertheorie verdreht habe. Genau hier lag das Problem. Henry Georges Programm einer Einheitssteuer war diesen Männern (’?) wesentlich unwichtiger als die Absicht, das Land von der seelenlosen kapitalistischen Ausbeutung zu befreien, um es wieder zu einer Heimat völkischer Kultur zu machen — und das hieß Boden- und Rassenkultur.“ (ebd., 121f) Manuel Sarkisyanz (1980, 52f) referiert in diesem Punkt seines Aufsatzes über „Politische Utopien” Mosse: auch hier findet sich „Franz Oppenheim“ (!) in rassistisch-völkischer Umgebung. Zu den Siedlungen aus dem Umkreis der Lebensreform und Jugendbewegung vgl. auch Fuchs 1957, Fecot et al. (1972) berichten besonders über die schon erwähnte Vegetarier-Siedlung Eden bei Berlin sowie über eine Siedlung „Wießeloh” des Ingenieurs Hans Weisen am Edersee, in der man sich — bei recht folkloristischem Siedlungsleben — erfolglos der Herstellung von Fertighäusern widmete (ebd., 36 ff.) — schon damals also erwuchsen Innovationspotentiale aus ökonomisch randständiger Privatinitiative.

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  31. Die umfangreiche Arbeit von Wilhelm Friedrich Boyens ist der Versuch, eine „Geschichte der ländlichen Siedlung“ von 1919 bis 1933 zu skizzieren. In vielen Teilen liest sie sich wie ein großes Lamento über die — trotz aller Übereinstimmung in der Betonung der Bedeutung innerer Siedlung — Politik der Regierungen, die es mal an Geldmangel, mal an unfähiger Verwaltung und mal an anderen Widrigkeiten habe scheitern lassen, daß entsprechend den hochgesteckten Erwartungen der „Gesellschaft zur Förderung der Inneren Kolonisation” gesiedelt wurde. Da Boyens als ein Aktivist und glühender „volkstumspolitisch“ orientierter Siedlungspolitiker auch in den fünfziger Jahren noch kaum Abstand zu seinem Lebensthema gefunden hat, ist die Lektüre seiner Arbeit einigermaßen mühsam; in seiner Liebe zum Detail gelingt ihm kaum einmal eine übergreifende Formulierung zu politischen Interessenkonstellationen, erweist sich seine Nähe zu quellenfixiertem historischem Positivismus.

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  32. Vgl. zu Bärenklau Jackisch 1931 und ders. 1931a sowie Fleiner 1931, 61 ff.

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  33. wurde die Siedlung Lüdersdorf bei Wrietzen gegründet, hier nahm Oppenheimer nach seiner Emeritierung in Frankfurt zeitweise Wohnung; zu dieser Siedlung, die ebenso wie Bärenklau schon vor 1933 auch als „Judensiedlung“ von rechts unter politischen Beschuß kam, vgl. Zur Besiedlung 1932. 1931 wurde mit der Besiedlung des Gutes Döben bei Gnadau begonnen. Vgl. Opp. 1964, 174; zu den Siedlungen insgesamt ebd., 169ff.

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  34. Boyens (1959, 244f) zitiert die entsprechenden Passagen aus dem SPD-Programm, ohne daß ihm allerdings der offensichtliche Einfluß Oppenheimers aufgefallen wäre.

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  35. „Archiv für Innere Kolonisation“ 24. 1933, 526 ff.

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  36. Vgl. Herzas Programmschrift „Der Judenstaat“ von 1896 (in: Herzl 1978) und die treffenden Bemerkungen Ernst Blochs zum Zionismus and dessen Form bei Herzl (1974, 698ff.).

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  37. „Das Romankapitel hat mich um so mehr interessiert, als ich selbst einmal in einer despera ten Stunde vergessen habe, daß ich zum Poeten verdorben bin, und eine Siedlungs-Utopie entwarf, die jedoch nicht weit gediehen ist. Mit ihrer Priorität steht es übrigens ebenso schlecht wie mit der meinen: denn die Konzeption der Siedlungsgenossenschaft ist viel älter als wir beide zusammen. Sie findet sich schon in voller Klarheit bei Owen und vor Owen bei allen Utopisten.“ (Oppenheimer an Herzl v. 26.1.1902; in: Herzl/Opp. 1964, 22) Der Briefwechsel ist — mit Ausnahme des ersten Briefes von Herzl — vollständig erhalten und, unter Beigabe einiger Materialien von Alex Bein 1964 publiziert worden. Abgesehen von im Folgenden noch zu kommentierenden Auseinandersetzungen reflektieren die Briefe neben zionistischer Tagespolitik politische Irritationen, die sich zwischen Oppenheimer und Herzl wegen Oppenheimers Engagement in der privaten jüdischen „Orient-Colonisations-Gesellschaft” ergaben, die von den Zionisten als Konkurrentin ihrer Aktivitäten empfunden wurde. In diesem Zusammenhang forderte Herzl von Oppenheimer eine ganze Reihe von Ehr-, Loyalitäts- und Unterwerfungserklärungen, bis jener schließlich aus der O.C.G. austrat.

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  38. Julius Schoeps (in: Herzl 1978, 7f) führt dazu aus: „Herzl berührte sich in diesen seit der Pariser Zeit gereiften Gedanken eng mit den Genossenschaftsideen Franz Oppenheimers, mit dem er noch vor Abschluß des Romans, aber nach der Niederschrift der entscheidenden Kapitel, in schriftlichen und mündlichen Meinungsaustausch eintrat.“

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  39. Vgl. zu Rahaline einen Aufsatz Oppenheimers (1896).

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  40. Der Text ist als Anhang zu Opp. 1964, 281 ff. wiedergegeben; vgl. auch den Briefwechsel Herzl/Opp. 1964, 39ff. Schon vor dem Kongreß hatte Herzl Oppenheimer zugesichert, daß, falls es gelänge, in Palästina oder anderswo Siedlungsland zu erwerben, nach seinen Plänen gesiedelt werden sollte: „Wenn diese Käufe zu Stande kommen“, schrieb Herzl am B. Juni 1903 (ebd., 36), „und wenn dort eine Kolonisation möglich, werde ich sie nach Ihrem System machen... ”.

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  41. Schon 1903 hatte Oppenheimer von Herzl gefordert, vor einem Siedlungsunternehmen in Palästina einen Versuch auf bekannterem Boden zu machen, „jüdische Siedlung“ in wenigstens politisch sicheren Verhältnissen, etwa unter englischer Oberaufsicht auf Cypern, vorzubereiten (vgl. Herzl/Opp. 1964, 49).

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  42. „Gerade um diese Zeit... begannen die ersten Versuche einer Gemeinschaftssiedlung in einer von Oppenheimers Gedanken abweichenden Form, jener Form der Kollektivsiedlung., die sich den Namen „Kwuzah` gab.“ (Bein 1964, 17 f) Zur Kwuzah — inzwischen eher geläufig unter dem Namen Kibbuz — vgl. Schayer (1954, 46f). Zur Ideengeschichte des Kibbuz vgl. auch Bruno Frei (1980).

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  43. Die Kibbuzim knüpften an die ersten genossenschaftlichen Judensiedlungen in Palästina an, die nach 1882 von den „Narodniki“ nahestehenden russischen Studenten gegründet worden waren (vgl. Zechlin, 1969, 61).

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  44. Landshut (1969) kommt in seiner Untersuchung zur „Gemeinschaftssiedlung in Palästina“ denn auch ohne eine Erwähnung Oppenheimers aus.

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  45. Vgl. Wilkansky 1917; zum damaligen Stand der Diskussion siehe auch den Aufsatz von Salomon Kaplansky (1917).

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  46. Vgl. auch Landshut (1969, 218ff.). Turnowsky-Pinner (1962) zählt in ihrer Untersuchung über deutsch-jüdische Palästina-Neusiedler einige der verschiedenen Formen landwirtschaftlicher Ansiedlung auf.

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  47. Klein zitiert hier H. Glenn aus der jüdischen Rundschau v. 11.4.1919.

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  48. Vgl. z. B. die in „Altneuland“ immer wiederkehrende Beschwörung der gemischtkulturellen „levantischen Schweiz”; s. a. Klein 1982, 112 f.

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  49. Zit. n. der Übersetzung von Noth 1962. Vgl. diese Arbeit (157–169) auch zur theologischen Interpretation der fraglichen Passagen.

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  50. Vgl. Oppenheimers Rede auf dem Zionistenkongreß von 1903 (Opp. 1964, 286). Herzl läßt in „Altneuland“ einen Vertreter der neuen Gesellschaft berichten (1978, 87 f): „Das Jubeljahr.. ist keine neue, sondern eine sehr alte Einrichtung unseres Lehrers Moses.... Wir haben das allerdings ein bischen anders gemacht. Bei uns fallen die Grundstücke (nicht an den ursprünglichen Besitzer, sondern, d. Verf.) an die neue Gesellschaft. Schon Moses wollte dadurch der sozialen Gerechtigkeit in der Bodenverteilung dienen. Sie werden einsehen, daß unsere Methode diesem Zweck nicht schlechter dient. Die Wertvermehrung des Bodens kommt nicht einzelnen, sondern der Gesamtheit zustatten.”

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  51. Mit einem nicht selten überzogen wirkenden Rigorismus hat sich auch Kurt Salomon, ein Schüler Oppenheimers, der Verwirklichung dieser Ideen verschrieben. In seiner Dissertation (1924 bei Oppenheimer) versuchte er, das Jobelgesetz gegen Oppenheimers bodenreformerisches Programm zu profilieren; in einer Broschüre: „Die Lösung des sozialen Problems: Die Bibel“ (1931) leistete er eine über die Diss. hinausgehende Explikation und Exegese der mosaischen Rechtssätze; eine im Selbstverlag erschienene Arbeit „Des Judenvolkes natürliches Recht auf Boden” (1932) verortet seinen Ansatz in der zionistischen Bewegung, kritisiert die Kolonisierungspraxis der zionistischen Organisationen aus der Perspektive des „biblischen Rechtes“. Auch wenn Salomon letztlich zu Ergebnissen kommt, die die zionistische Kolonisierung rechtfertigen, ist es sein Verdienst, auch das arabische Recht am palästinensischen Boden als ein dem jüdischen gleichgeordnetes betont zu haben: „Jeder Mensch hat Anspruch auf einen Teil der Erde... ” (1932, 5), so auch die „arabischen Fellachen“ Palästinas; nicht die englische Garantie der jüdischen Siedlung, sondern die Anerkennung des arabischen Siedlungsrechtes war für ihn Voraussetzung der jüdischen Kolonisation (ebd., 15 ff.); mit den arabischen Bewohnern Palästinas hoffte er zu einer friedlichen Einigung zu kommen (ebd., 17), die auf einer Anerkennung auch des jüdischen „Rechtes” an Palästina gegründet sein sollte. Der Anspruch auf ein vererbbares Stück landwirtschaftlichen Bodens ist bei Salomon unveräußerliches „natürliches, angeborenes Menschenrecht“ (1931, 17). Aus dieser Prämisse ergab sich sein Dissens mit Oppenheimer, der sich aber nicht auf das Ziel der gesellschaftsreformerischen Maßnahmen bezog — das Jobelgesetz, so schrieb er schon in der Dissertation (1924, 87), erstrebt „auf einem anderen Wege die,reine Wirtschaft’ Oppenheimers”. Salomon monierte an Oppenheimer, daß er das Problem des Modus’ der Landverteilung keiner gerechten, naturrechtlichen Lösung zugeführt habe: nur das Jobelgesetz, das Land in den dauernden Besitz einzelner Familien verweist, kann in seiner Konkretheit Grundlage einer Landverteilung sein und die Entstehung eines ländlichen Proletariats auf Dauer verhindern. Es ist cher kurios, daß in Salomons Bodenrecht mit der einmaligen Landverteilung auch eine landwirtschaftliche Nutzung auf immer festgeschrieben ist, daß mit der Bodenspekulation auch eine etwaige Ausnutzung von Bodenschätzen oder eine Ausweitung öffentlichen Bedarfs ausgeschlossen bleibt — Salomon ging offensichtlich von einer vollendet statischen Gesellschaft aus. Auch ein verschieden schnelles Wachstum von Familien, das für den Einzelnen eine Einschränkung seines „Menschenrechtes auf Boden“ bedeuten könnte, erschien Salomon unproblematisch, zumal in einer übermäßigen Betätigung des Geschlechtstriebes „eine aburteilbare Werthandlung vorliegt, die natürlich berechtigterweise auch ihre Rückwirkungen auf das Subjekt dieses Triebes ausüben muß und darf.” (1931, 28) Es überrascht, daß das „Naturrecht“ nicht zwischen dem Triebsubjekt und dem Produkt des Triebes differenziert. Ohne, daß Neues hinzugekommen wäre, nahm Salomon sein Thema 1958 noch einmal auf und veröffentlichte eine Denkschrift „The Forgotten Human Right of Everybody to Land — The Source of All Troubles in the Social Mechanism”, eine deutsche Ausgabe dieser Schrift erschien 1965.

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  52. Es ist hier nicht der Ort, auf die sozialstrukturellen Hintergründe eines solchen jüdischen und noch mehr zionistischen Selbstverständnisses einzugehen. Es wäre der mittelständische Charakter des deutschen Zionismus aufzuarbeiten (Reinharz 1980, 127f), die Beobachtung Judith Kleins (1982, 27f), daß in auffälliger Weise die akademischen Aufstiegsberufe Rekrutierungsfeld der zionistischen Organisationen waren, jene Berufe also, in denen bis 1918 Diskriminierung manifest erfahrbar war. Klein markiert in diesem Zusammenhang drei „Krisen“ als konstitutiv für die zionistische Bewegung in Deutschland: neben der im Text behandelten „Identitätskrise” die „Assimilationskrise“ und die manifeste Erfahrung des Antisemitismus (ebd., 26f).

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  53. Vgl. Reinharz (1975, 133): „Oppenheimer’s essay reflected the feelings of the majority of older German Zionists before 1914, and it indicates that they did not view their situation in Germany as intolerable.“ Auszüge aus Oppenheimers Aufsatz wurden von Reinharz in seine Edition von Dokumenten zur Geschichte des deutschen Zionismus aufgenommen (Dokumente 1981, Nr. 43).

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  54. Oppenheimer operierte in dieser wie auch analogen Darstellungen (vgl. z. B. Reden 2, 218 ff.) immer wieder mit seinem „Gesetz der Strömung“; es zeigt sieh auch hier, daß die Zuordnung von Gruppen zu sozialen Situationen, daß die Bestimmung des konkreten „Druckes” nur über einige qualitative, dem strengen naturwissenschaftlichen Ethos von Oppenheimers Soziologie kaum zu vereinbarende Bestimmungen gelingt. Darüber hinaus ist Oppenheimer auch mit dem Problem doppelter Determination, von Gefälle in verschiedenen Richtungen, insbesondere der „Druckerzeugung“ über idealistisches Engagement beschäftigt — der komplexen Situation, die er zu beschreiben versucht, werden seine Begriffe in keiner Weise gerecht. Die Stärke seiner Ausführungen liegt denn auch eher in den Zwischentönen.

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  55. Vgl. Blumenfelds die Schärfe der Kontroverse spiegelnde Beurteilung Oppenheimers in seinen Memoiren (1962, 52).

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  56. Zur Diskussion vgl. Dokumente 1981, Nr. 65, Oppenheimers Redebeitrag 139ff.

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  57. Vgl. durchgehend die ausführliche Darstellung der Aktivitäten des „Komitee für den Osten“ in der Studie Egmont Zechlins (1969, 118 ff.).

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  58. Sie waren — so Adler-Rudel (1959, 49) — „auf einen Sieg Deutschlands im Kriege und eine von Deutschland bestimmte Neuordnung der Verhältnisse im Osten Europas eingestellt... “.

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  59. Vgl. hierzu einen Bericht des Rosenzweig-Schülers Nahum N. Glatzer (1956). Glatzer berichtet über einen Kurs, in dem Oppenheimer Anfang 1921 zusammen mit seinem ehemaligen Studenten, dem später bekannten Linkssozialisten Fritz Sternberg über genossenschaftliche Siedlungen in Palästina referierte (ebd., 110). Bei Wolfgang Schivelbusch, der einen Bericht über das Lehrhaus in seiner Sammlung „Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den zwanziger Jahren“ aufgenommen hat, dessen Ausführungen aber kaum über eine stilistisch geglättete Wiederholung Glatzers hinausgehen, hat diese Information dahingehend verballhornt, daß der Soziologe „Franz Oppenheim” mit seinem Assistenten „Fritz Stern“ im Lehrhaus gelesen habe (1982, 37f). Schivelbuschs Arbeit ruht auch in anderen Teilen auf einer nur sehr dünnen Materialbasis, einige Teile sind Vorarbeiten Paul Klukes (1972) nachempfunden, in vielem macht die Arbeit eher den Eindruck einer Gelegenheitsschrift als den einer gründlichen Ausarbeitung. Hier noch eine Bemerkung zum Verhältnis von Oppenheimer und Sternberg. Oppenheimer reagierte 1927 in einer Besprechung auf Sternbergs Imperialismus-Buch einigermaßen idiosynkratisch, klagte Sternberg des Plagiats an: „Er hat viele entscheidende Teiltheorien aus meiner Gesamtauffassung übernommen und verwendet.... Aber er nennt mich nur dort, wo er gegen mich polemisiert.” (1927, 502) Nicht nur dieser Vorwurf, gegen den Sternberg sich verwahrte (1928, 340), sondern vor allem der Gestus des beleidigten Patriarchen, dem die Liebe des Jüngers entzogen ist, machte es Sternberg von da an praktisch unmöglich, sich auf Oppenheimer als auf seinen akademischen Lehrer zu berufen.

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  60. Diese Tätigkeit führte Oppenheimer 1926 ein drittes Mal im Auftrag zionistischer Organisationen nach Palästina, vgl. Opp. 1964, 216.

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  61. Vgl. hierzu Ludwig Y. Oppenheimers Bericht über die letzten Lebensjahre seines Vaters (in: Opp. 1964, 266).

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  62. Die wichtigsten Reden dieser Veranstaltung sind als Anhang der Neuausgabe den Memoiren Oppenheimers beigegeben (Opp. 1964).

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  63. Das bezieht sich nicht auf die Studie G. Kressels. Da sie in hebräischer Sprache erschienen ist, Kann ich hierüber kein Urteil abgeben.

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  64. Bruno Schultz merkt hier an: „Der Leser, der sich bei der Lektüre dem Schlusse des Systems von Oppenheimer nähert, wird den Eindruck nicht los, daß sich die Grenze von Wissenschaft und Utopie immer mehr verwischt.“ (1948, 32)

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  65. Mag der Roman — mit Blick auf seine Rezeption durch die Soziologie — auch häufig unterschätztes Material sein, kann er empiristischen Datenkompilationen als Medium der Wirklichkeit durchaus ebenbürtig, wenn nicht überlegen sein, so ist doch festzuhalten, daß er Soziologie nicht zu substituieren vermag. Auch für Oppenheimer war er nicht höhere Form soziologischer Darstellung, sondern eher eine durch politische Umstände aufgezwungene publizistische Alternative, zumal Oppenheimer gegenüber den politischen Roman-Utopien generell skeptisch eingestellt war (vgl. hier seine kritischen Bemerkungen zu Herzls „Altneuland“): er konnte sich allerdings, nachdem er sich in den ersten Jahren seiner Soziologen-Karriere einigen Erfolg und den Broterwerb mit der Schriftstellerei sicherte, einbilden, daß er von einigem literarischen Geschick und Geschmack sei (vgl. z.B. die Erzählungen „Die Ferienwanderung” von 1893; vgl. auch in Opp. 1964, 197 f). In seinen Berliner Jahren verkehrte Oppenheimer in den Kreisen der revolutionären literarischen Naturalisten des „jüngsten Berlin“ (vgl. Opp. 1964, 113ff.) und machte sich als Förderer und Interpret des Lyrikers Detlev von Liliencron verdient (vgl. Opp. 1899).

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  66. Zur Alltagskleidung vgl. Opp. 1935, 8; zur Frauenkleidung z.B. 37.

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  67. „Ich bin kein Vegetarier, verachte gelegentlich einen guten Tropfen nicht, wenn ich auch im allgemeinen ein Wassertrinker bin, und bin leider ein passionierter Raucher: nur mit der Zigarre kann ich arbeiten.“ — so Oppenheimer in seinen Lebenserinnerungen (1964, 160).

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  68. Vgl. Oppenheimers theoriegeschichtliche und theoretische Bemerkungen zu „Führerschaft und Herrschaft“ in 1931, 339f. Seine Ausführungen zum Führerprinzip im Roman lassen darauf schließen, daß er dem Führerkult des Nationalsozialismus hier ein der Jugendbewegung konformes, sich aus Tönnies’ Gemeinschaftsbegriff speisendes Konzept entgegenzusetzen suchte.

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  69. Es entspricht einer gängigen liberal-konservativen Strategie zur Bewältigung ökonomischer Krisen, eine freiwillige Intensivierung der Arbeit und/oder Ausdehnung der Arbeitszeit als eigenmotivierte „Selbstausbeutung“, teils über Kapital- und Gewinnbeteiligung, teils über die Förderung kleinbetrieblicher „Selbständigkeit” zu initiieren. Über die ideologische Tragfähigkeit solcher Konzepte als scheinbare Emanzipationsstrategien mag man sich anhand der neuesten Diskussionen über „Alternativökonomie“ und Subsidiaritätsprinzip oder des Dauerbrenners „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand” informieren.

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  70. Nelsons Arbeiten sind in den „Gesammelten Schriften“ gut zugänglich, teils sind den Bänden orientierende Vorworte der Herausgeber vorangestellt, so bes. Bd. 8 und 9, in denen kleinere Aufsätze und politische Schriften Nelsons zusammengetragen sind. Wie die Herausgabe der Schriften verdankt sich auch ein Gutteil der Sekundärliteratur zu Nelson seinen Freunden und Schülern; vgl. bes. Specht !Eichler (Hrsg.) 1953; Eichler 1973; Weisser 1976, bes. 106ff. sowie Heydorns Vorwort in Nelson 1974.

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  71. Vgl. zu Folgenden Bloching 1971; Stelzig 1977, 261–63; Link 1964, 3ff.

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  72. Seine enge Affinität zum Liberalismus dokumentierte Nelson auch selbst, indem er seine ersten Entwürfe unter Titeln wie „Was ist liberal?“ oder „Die philosophischen Grundlagen des Liberalismus” (beide W. 9) veröffentlichte.

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  73. Vgl. unter diesem Titel eine Arbeit in W. 9.

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  74. Es kann an dieser Stelle keine fachphilosophische Kritik der Nelsonschen Ethik geleistet werden, ein Einwand aber sei hier wenigstens angedeutet. Wie Oppenheimer geht auch Nelson von der nicht hinterfragten Prämisse aus, daß „Recht“ aus den invarianten Eigenschaften des vor-oder besser: außergeschichtlichen Menschen abzuleiten ist. Osvaldo N. Guariglia (1979, 164) konstatiert hier ein zentrales Problem der Nelsonschen Theorie, kritisiert das krampfhafte Bemühen Nelsons, einen a-historischen Begriff von Ethik und Recht zu konstruieren: „Es bereitet der Nelsonschen Betrachtungsweise keine geringe Schwierigkeit, daß er nur zwei sich gegeneinander absondernde Gebiete anerkennt, das a priori aufstellbare, sich auf der praktischen Vernunft gründende Gebiet der Rechtslehre und das empirisch feststellbare, der theoretischen Vernunft zugehörige Gebiet der Natur. Eine eigene Welt der Geschichte und der Gesellschaft gibt es fdr sie nicht.” Guariglia handelt seine Kritik im Rahmen der „Rehabilitierung des originellen Naturrechts“ von Nelson (ebd., 162) ab; jener würde es allerdings weit von sich gewiesen haben, hätte er seine „philosophische” Rechts- und Sittenlehre unter der Rubrik „Naturrecht“ wiedergefunden. Seinem Verständnis nach läuft ein Naturrecht auf ein definitives System materiell rechtlicher Regelungen hinaus, während er selbst mit dem philosophischen Recht lediglich beansprucht, einen Rahmen für die mögliche Vielfalt materiellen Rechts zu stecken (vgl. W. 6, 94). Der philosophische Anspruch eines Naturrechts ist hiergegen in seinen Augen „unmöglich” (vgl. ebd., 7 u. bes. 107ff.).

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  75. Es ist problematisch, wenn Jürgen Kraft (1961) versucht, zwischen einem evolutionistischen Naturalismus und einem naturrechtlichen „Idealismus“ in der Oppenheimerschen Soziologie zu unterscheiden, obwohl er Oppenheimer zugesteht, daß dieser „immer wieder Versuche unternommen (hat), Naturalismus und Idealismus in seiner Geschichtsphilosophie so einander zu vermitteln, daß weder die Vorstellung eines universalen Naturrechts als objektiver sittlicher Freiheit noch die einer nach Naturgesetzen ablaufenden Evolution fortgelassen zu werden brauchte.” (180) Die hier gegeneinandergestellten Aspekte haben ihren gemeinsamen Bezugspunkt in Oppenheimers anthropologischen Prämissen und in der liberalistischen Unterstellung der „Marktgesellschaft“ als „kleinstem Mittel”; diese Prämissen sind vielleicht falsch, nicht aber im klassischen Sinne „idealistisch“.

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  76. Auch die oben diskutierten Passagen über Recht und „Sünde“ aus dem zweiten Band des „System” sind, wenn auch nicht in Nelsonscher Diktion, so doch in Anlehnung an dessen Theorie geschrieben.

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  77. Vgl. bes. prägnant 11. 11; vgl. z.B. auch eine ausführliche Besprechung von Nelsons „System der philosophischen Rechtslehre und Politik“ (W. 6) 1926 in Grünbergs Archiv, in der Oppenheimer Nelsons Buch als ein „neues sozialistisches System” begrüßte (Opp. 1926 b).

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  78. So steuerte er z.B. zu „Wirtschaft und Gesellschaft“, einer Festschrift zu Oppenheimers 60. Geburtstag einen Aufsatz bei, in dessen Vorrede er auch seine enge theoretische Verwandtschaft zu Oppenheimer betonte (der Text ist nicht in die Werkausgabe übernommen; vgl. Nelson 1924). Dies ist auch der Tenor eines Beitrages zu einem Oppenheimer gewidmeten Hegt der der Jugendbewegung zuzurechnenden Zeitschrift „Junge Menschen” von 1927 (W. 9, 595 ff.; vgl. in dieser Zs. auch ein Heft über Nelson von 1926, das im Ted-Reprint Junge Menschen 1981 wieder leicht zugänglich ist).

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  79. Zur akademischen Kooperation zwischen Nelson und Oppenheimer hier zwei Belege: Walter Ackermann studierte von 1910 bis 1914 bei dem eben habilitierten Nelson in Göttingen und ging später, nach dem Weltkrieg, als Assistent zu Oppenheimer nach Frankfurt/M. (vgl. W. Ackermann, Meine Erinnerungen an Leonard Nelson, wie sie im Gespräch mit Erna Blencke am 14. März 1968 lebendig wurden, masch. schr., 11 S., datiert: 21.4.1968; in: Nachlaß Nelson, Archiv für Soziale Demokratie, Bonn). Julius Kraft, der spätere Herausgeber der aus dem Schülerkreis Nelsons nach dem zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Zeitschrift „Ratio“, 4tie als Fortsetzung der von Nelson u.a. begründeten „Abhandlungen der Fries’schen Schule N. F.” (vgl. Blencke 1978, 201 ff.) fungiert, ging den nämlichen Weg: Nach einer juristischen Promotion 1922 promovierte Kraft 1924 in Philosophie bei Nelson und wurde dann, nach Studien bei Kelsen in Wien, 1925 bis 1928 Oppenheimers Assistent, bei dem er auch 1928 habilitiert wurde (vgl. Popper 1962). Lediglich zwei kleinere Arbeiten aus der Assistentenzeit Krafts beschäftigen sich allerdings direkt mit dem Oppenheimerschen Arbeitsfeld (Kraft 1925/26 u. 1928).

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  80. Wie sehr sich der Stellenwert des Erinnerten für den Erinnernden in der Folgezeit dann verflüchtigte, belegen die Memoiren Oppenheimers, in denen der Name des „leider so jung verstorbene(n) Freund(es) und „Waffenkamerad(en)“ (1964, 219) zwar „unvergeßlich” (ebd., 43) ist, ansonsten aber keine Erwähnung mehr findet.

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  81. Eine politisierende Sekte braucht politisch durchaus nicht erfolglos zu sein, scheint doch — wenigstens zeitweise — die mangelnde Resonanz von Thema und historischem Bezug solcher Arbeit taktisch durch Organisation mehr als kompensierbar.

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  82. Zur politischen Arbeit Nelsons und des IJB, der 1925, nach dem Ausschluß der IJB-Mitglieder aus der SPD, als Partei „Internationaler Sozialistischer Kampfbund“ (ISK) neu gegründet wurde, liegt mit der Studie von Werner Link (1964) eine ausführliche Arbeit vor. Von Karl-Heinz Klär wurde Link unlängst bescheinigt, daß es ihm „trotz fragmentarischer Kenntnis des internen Organisationslebens sehr wohl gelungen ist, ein stimmiges und hinreichend kritisches Bild von ISK und IJB zu gewinnen.” (1982, 311) Klär selbst hat inzwischen im Archiv für Soziale Demokratie, Bonn den umfassenden Archivbestand zu IJB und ISK weitgehend aufgearbeitet (i. F. als „Bestand IJB/ISK“; der noch unbearbeitete Rest, fast ausschließlich Materialien zur Person Leonard Nelsons, als „Nachlaß Nelson”).

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  83. Nelson und Oppenheimer hatten schon vor der IJB-Gründung Kontakt aufgenommen. „Der sehr viel jüngere Nelson wurde bereits vor dem ersten Weltkrieg auf meines Vaters Lehre aufmerksam und setzte sich zweck näherer Fühlungsnahme und Zusammenarbeit mit ihm in Verbindung. Ihr erstes Zusammentreffen fand, wenn ich mich recht entsinne, anläßlich einer Arbeitstagung von Nelsons Schülerkreis im Frühling 1914 in Neuhaus am Soiling statt. Nach dem Ende des Krieges vertiefte sich die Zusammenarbeit beider Männer mehr und mehr.“ (Brief Ludwig Y. Oppenheimers an Prof. Martin H. Schäfer, 28.9.1958; in: Nachlaß Nelson. Vgl. auch Blencke 1960, 58 sowie Ackermann).

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  84. Die Neue Folge der „Abhandlungen der Fries’schen Schule“ war von Nelson 1904 initiiert worden (vgl. Link 1964, 5; Blencke 1978; 201 ft). Die auch heute noch erscheinende Zeitschrift „Ratio” wurde — wie schon erwähnt — nach dem zweiten Weltkrieg in ausdrücklicher Anknüpfung an diese Reihe gegründet, widmete sich aber nicht mehr nur Arbeiten über die oder aus der „Fries’schen Schule“, sondern wurde unter Julius Kraft mehr und mehr zu einem Diskussionsorgan für das gesamte Feld analytischer Philosophie.

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  85. „Sozialwissenschaftlich bedeutsam ist, daß mit Nelsons Interessentheorie... gesellschaftstheoretisch das Konfliktmodell zugrundegelegt wird. Es gibt unterschiedliche Interessen und damit Konflikte, und diese Konflikte müssen geregelt werden. Sie werden in der kritischen Ethik nicht nach dem Prinzip des Wettbewerbs auf der Grundlage einer dem Eigennutzaxiom verhafteten ökonomischen Ethik gelöst. Die kritische Ethik teilt auch nicht den altliberalen Glauben, daß die eigennützige Verfolgung der Einzelinteressen ein wie immer definiertes Gesamtinteresse fördere.“ (Neumann 1979, 175).

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  86. Es wird noch zu zeigen sein, daß auch Alexander Rüstow, der mit seiner Geschichtsphilosophie an die Staatstheorie Oppenheimers anknüpft, ähnlich wie Nelson einen starken, vernünftig agierenden Staat als -den „Hüter“ marktwirtschaftlicher Gesellschaftsordnung vorsieht. Insofern ist es sicher mehr als nur biographische Anekdote, daß Rüstow während seines Studiums einen engen persönlichen und wissenschaftlichen Kontakt mit dem nur wenig älteren Doktoranden Leonard Nelson pflegte. Einige Briefe Riistows an bzw. Kommentare über Nelson sind im „Nachlaß Nelson” enthalten. In einem dieser Briefe erinnert Rüstow sich, daß er 1903 mit Nelson, Carl Brinkmann und Heinrich Goesch die „neue Fries’sche Schule“ gegründet aht. „Ich wurde im weiteren Verlauf wohl der erste Abtrünnige und Ketzer der Fries’schen Lehre, die ich auch heute noch als System für logisch unhaltbar ansehen.” (an Prof. Martin H. Schäfer vom 19.9.1958; in Nachlaß Nelson) In seiner „Ortsbestimmung der Gegenwart“ (Bd. 3, 1957, 28f) bemerkt er über Nelson, daß „von dessen bis ins Elefantenhafte gesteigertem logischen und ethischen Rationalismus und dessen unerbittlich strenger Einseitigkeit eine starke pädagogische Wirkung ausging. Auch ich selbst... verdanke ihm an logischer und dialektischer Schulung Wesentliches.” Gelegentlich findet sich bei Rüstow — über diese Schulung hinaus — auch inhaltliche Affinität zu dem Lehrer seiner ersten Studentenjahre.

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  87. Nelsons erklärte Demokratiefeindschaft lieferte der SPD die wichtigste Begründung für den Ausschluß des Nelson-Bundes, der 1925 erhebliches öffentliches Aufsehen erregte (vgl. Link 1964, 91ff.). Inwieweit Nelsons Führerschaftsideal mit den historischen Erfahrungen eines instabilen politischen System, der Weimarer Demokratie erklärt werden muß, kann hier nicht weiter untersucht werden, ygl. hierzu Link, ebd., 271f. u. bes. 37ff.

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  88. Nelson hat die zitierte Rede, die Antwort auf einen Vortrag Hans Kelsens war, als Anhang in eine Arbeit über „Demokratie und Führerschaft“ aufgenommen, in der er seine eberlegungen zum „Selbstwiderspruch” der Demokratie und zu alternativen Formen des politischen Systems in extenso entfaltet (W. 9, 385–571).

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  89. So grenzt sich z.B. der Nelson-Schüler Gustav Heckmann von Nelsons Herrschaftskonzept ab, erkennt aber das von Nelson formulierte Dilemma grundsätzlich an. „Einleuchtend ist freilich, daß der bloße Formalismus der Mehrheitsentscheidung nicht die Lösung ist.“ (Vorwort; in: W. 8, XII).

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  90. Vgl. zur neueren Diskussion um die „fdGO“ Alfons Söllner (1982).

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  91. Werner Link (1964, 21) pointiert somit zu scharf, kenn er schreibt: „Es wird deutlich, daß Nelson mittels seiner philosophischen Untersuchungen den Weg freimachen wollte für die Verwirklichung der Oppenheimerschen Pläne.“

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  92. Gerhard Weisser, Einwände gegen Franz Oppenheimers wirtschaftspolitisches Programm. Rundbriefe des 1JB, Reihe A, 12. wirtschaftswissenschaftlicher Brief vom Juni 1922; in: „Bestand IJB/ISK“, Box 3.

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  93. Vgl. Link 1964,335 (Anm.); die frühe Mitgliedschaft Weissers im IJB ist Link offensichtlich nicht bekannt.

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  94. Brief vom 23.11.1968; in: Nachlaß Nelson. Weisser begründet in diesem Brief die — trotz sei’ nes Ausschlusses aus dem IJB — zugesagte Mitarbeit an der Herausgabe der Schriften Nelsons im Verlag F. Meiners.

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  95. Im Rundbrief hatte Weisser geschrieben: „Für die Mängel dieser Arbeit darf also allein ihr in der Überschrift angegebener Verfasser verantwortlich gemacht werden.“

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  96. Vgl. Link 1964, 91 ff. sowie einen zeitgenössischen Kommentar von Georg Lukâcs (1979), in dem er Nelson mit seiner philosophischen Position zumindest die Qualität einer „ehrliche(n) Ideologie“ zuspricht.

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  97. Vgl. auch die ISK-offizielle Publikation von Gerhard Kumleben 1928.

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  98. Nominell lag die „Führung“ der Organisation bei Minna Specht, da jedoch die Politik des ISK wesentlich durch Eichler geprägt wurde, kann hier dem nicht ganz korrekten Sprachgebrauch von Link gefolgt werden (vgl. Klär 1982, 236, Anm.).

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  99. Vgl. z.B. Rüstows Vortrag vor dem „Verein für Socialpolitik“ 1932 (Rüstow 1964).

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  100. Zit. nach dem Typoskript; in Bestand IJB/ISK, Box 7, 178, 182.

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  101. Vgl. auch Koszyk 1966. Koszyks Schlußfolgerung allerdings, daß der „Wirtschaftsexperte“ des ISK, Hellmut v. Rauschenplat (nach dem Krieg unter dem Namen Fritz Eberhard Mentor der Publizistik) sich „vom reinen Verfechter der Theorie Oppenheimers zum eigenständigen Verfechter einer sozialistischen Marktwirtschaft” weiterentwickelt habe (285), ist für den Untersuchungszeitraum kaum gerechtfertigt.

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  102. Das gilt allerdings nicht für die wirtschaftspolitischen Artikel, die Hellmut v. Rauschenplat unter dem Pseudonym „Fritz Werkmann“ von 1933 bis Anfang 1937 in der Stuttgarter „Sonntags-Zeitung” veröffentlichen konnte: sie waren an den Leitlinien des alten ISK orientiert (vgl. Link 1963).

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  103. „.. der Einfluß der Neukantianer (kann) im kulturpolitischen Ausschuß kaum überschätzt werden... Besonders hervorzuheben ist hier Willi Eichler.... Als ideologisch relativ homogener Gruppe gelang es den Neukantianern, einen bestimmenden Einfluß auf die programmatische Entwicklung innerhalb des kulturpolitischen Ausschusses auszuüben.“ (Käser 1971, 201; vgl. ebd., 187)

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  104. Vgl. zur wirtschaftspolitischen Debatte in der Nachkriegs-SPD neuerdings Himmelmann 1983.

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  105. In Erhard Forndrans Aufsatz über Eichler (1980) verschwimmen die Wandlungen, die sich in Eichlers programmatischer Entwicklung zwischen seiner Zeit als „Führer“ des ISK und der als Funktionär der SPD nachweisen lassen, zugunsten der Stilisierung eines einheitlichen „demokratischen Sozialismus”.

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  106. Der schon zitierte Leo Kofler merkt zu dieser „Synthese von Wettbewerb und Planung“ an, daß es sich hier um eine „immer mehr um sich greifende Verwischung und Mißachtung der eigentlichen sozialistischen Ziele” handelt, mit der an „die Stelle der Forderung einer klassenlosen Gesellschaft... jene nach einem reformierten Kapitalismus“ trete. Dies sei ein „neuerliches Einfallstor für pessimistisch-liberalistische, kleinbürgerlich-utopische und schließlich bürokratische Ideologien” in die SPD, Ideologien, „die heute das Denken selbst in die besten Kreise der fortschrittlichen Funktionärskader hinein verseuchen.“ (Kotler 1964, 2280

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  107. Vgl. hier einen Aufsatz Karl Hinkels in „Geist und Tat“ aus Anlaß von Oppenheimers 100. Geburtstag, in dem er allerdings — ganz auf der Godesberger Kompromißlinie — dessen Lehre bescheinigt, dab sie „nicht frei von Spuren eines liberalen Illusionismus” sei (1964, 172) und für den Kontext der Nachkriegsökonomie um eine positivere Einschätzung der Staatsintervention ergänzt werden müsse. Pikanterweise präsentiert Hinkel die seiner — aber nicht Oppenheimers — Ansicht nach unabdingbaren Staatseingriffe in den ökonomischen Prozeß unter dem Oppenheimerschen Terminus des „politischen Mittels“, dessen Intentionen gegenüber Oppenheimer umkehrend. — Denselben Tenor hat auch ein zweiter Aufsatz Hinkels zu diesem Themenkreis (1965).

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  108. Hinkel versucht in diesem Punkt, eine vermittelnde Position einzunehmen, indem er darauf verweist, daß in der Bundesrepublik der sechziger Jahre die südeuropäischen Arbeitsemigranten ein Arbeitskräftepotential aus Gebieten„ständig hohen Drucks“darstellen, auf das Oppenheimers Theorie sich beziehen lasse (1964, 1721).

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  109. Gerhard Weisser warnt auch 1976 noch vor den sozialen Kosten, die für ihn zwangsläufig mit der liberalen Marktwirtschaft einhergehen: „Hier irrte auch Nelson mit seiner Vorliebe für das rdnungsmodell Franz Oppenheimers, das er um seiner vermeintlich optimalen Freiheitlichkeit willen hochschätzte, während doch z.B. die freie Konsumwahl unter der Herrschaft wirksamer Suggestivreklame nicht besteht und in den großen Konzernen, auch wenn sic im Besitz von Oligopol-Stellungen zu Wettbewerb genötigt sind, die Herrschaft unkontrollierbarer Apparatschiks möglich ist.“ (1976, 103) Diese Kritik Weissers an Oppenheimers Modell des liberalen Sozialismus beinhaltet jedoch keine grundsätzliche Ablehnung von „sozialer Marktwirtschaft”; vielmehr reklamiert er sie — gegen die Vereinnahmung durch konservative Kreise — als soziales Reformkonzept, das seine Tradition in der kritischen Sozialdemokratie finde. „Eine eingehende Analyse würde ergeben, daß Müller-Armack in vieler Hinsicht von sich aus zu Forderungen gelangt ist, die zugleich schon seit den zwanziger Jahren die Programmatik der SPD und das Schrifttum eines großen Teils der Sozialdemokratie kennzeichneten.... Diese Erneuerungsbewegung in der SPD begann ja im Grunde genommen schon mit dem Revisionismus, wurde aber besonders intensiv in den letzten Jahren des Weimarer Regimes und — auch abgesehen von der Emigration — in der Zeit von 1945–49 und bis Godesberg betrieben.“ (Weisser 1975; vgl. auch Weisser 1956) Aber nicht nur das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft” galt es Weisser gegen vermeintliche Erbschleicher zu verteidigen. Auch hinsichtlich des Anspruchs, Politik auf die Basis einer „strengen“ Philosophie zu stellen, wird in dem Aufsatz von 1976 — in Abgrenzung gegen Bestrebungen, die „Stückwerk-Sozialtechnik” des kritischen Rationalismus zur wissenschaftlich-philosophischen Grundlage der SPD-Programmatik zu machen — die Urheberschaft der Nelsonianer in der SPD verfochten. Vgl. die Debatte Kritischer Rationalismus 1975/76.

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  110. Nicht nur in der „Siedlungsgenossenschaft“ von 1896, sondern auch in späteren Arbeiten hat Oppenheimer immer wieder betont, daß nicht die bäuerliche Einzelwirtschaft, sondern der genossenschaftliche Betrieb die effizienteste Organisationsform des Agrarsektors sei. Besonders deutlich wird dies, wo Oppenheimer sein Programm großbetrieblicher Siedlungsgenossenschaften als Strategie der zionistischen Besiedlung Palästinas vertritt, vgl. z.B. seine Bemerkungen in Opp. 1917. Eine - trotz generell vertretenem marktwirtschaftlichen Selbstregulierungspostulat — bis zu staatlichem Protektionismus reichende Förderung eines bäuerlichen Mittelstandes auf Einzelbauernstellen gehört vielmehr zu den Konstitutiva der Politik „Sozialer Marktwirtschaft” von konservativer Seite.

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  111. Selbstverständlich ist es nicht nur, oder auch nur an erster Stelle Oppenheimer, auf den Vertreter der „Sozialen Marktwirtschaft“ sich berufen. Alfred Müller-Armack (1976, 56) beispielsweise beklagt, daß die Tradition der „nachmarxistischen Kapitalismusforschung” der Zeit von 1900 bis 1930 — in der er auch die Anfänge der Theorie „Sozialer Marktwirtschaft“ verortet — inzwischen insgesamt fast vergessen sei, und schlägt, neben klangvollen Namen wie Sombart, Böhm-Bawerk, Max Weber mit seinen wirtschaftshistorischen Studien u. a. ausdrücklich auch den „Sozialisten” Oppenheimer diesem Traditionsstrang zu. Adolph Löwe, ein Schüler Oppenheimers geht in der Betonung des Stellenwertes seines Lehrers für den Neoliberalismus sogar nocht weiter, wenn er schreibt, daß „the origins“ der neoliberalen Bewegung „in an earlier generation” lägen, „of which Franz Oppenheimer is the most significant representative.“ (1955, 253, Anm.)

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  112. Was den „soziologischen Neoliberalismus“ angeht, ist Beckers Einteilung nicht ganz glücklich. Zwar vertritt jeder der genannten Theoretiker ein „gesellschaftspolitisches Leitbild”, die Unterschiede aber, die in dieser Hinsicht namentlich zwischen Alexander Rüstow und Alfred Müller-Armack zu konstatieren wären, werden hier eher verwischt. Alfred MüllerArmack (vgl. Tuchtfeld 1981; zur ersten Einführung auch Starbatty 1982) geht von einer in der protestantischen Sozialethik wurzelnden Idee des sozialen Ausgleichs, der „sozialen lrenik“ aus, wenn er eine Marktwirtschaft mit sozialpolitischem Ausgleich fordert, die „soziale Verantwortung der Wirtschaft” betont. Insgesamt neigt — so Blum 1969, 95 ff. — MüllerArmack eher zu klassisch-liberalen als zu ordoliberalen Positionen. Für Alexander Rüstow ist diese Orientierung an christlicher Ethik nicht typisch. Wilhelm Röpke merkt in einem Brief einmal ironisch an, daß Rüstow das Luthertum „in seiner Jugend wie Lebertran eingeflößt worden zu sein scheint, mit den bekannten idiosynkratischen Folgen“ (an Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn, 3.5.1960: in: Röpke 1976, 167) — man vergleiche die Passagen in Rüstows,.Ortsbestimmung” über die lutherische Reformation, der ein hinter die Renaissance zurückführender,wesentlich mittelalterlicher Charakter zugeschrieben wird (1957). Rüstows soziologische Thesen sind vielmehr in der Tradition positivistischer Universalgeschichte, letztlich in der Tradition der Aufklärung zu verorten. Es mutet seltsam an, wenn Tuchtfeld (1981, 15) eine Müller-Armack, Röpke und Rüstow gemeinsame Fundierung im christlichen Glauben behauptet, im Falle von Rüstow als Beleg gerade auf dessen Arbeit „Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus als religionsgeschichtliches Problem“ verweist, auf eine Arbeit also, die eben nicht die „tieferen Wurzeln seines Denkens” im christlichen Glauben (Tuchtfeld, ebd.) offenlegt, sondern Liberalismuskritik als Religionskritik betreibt.

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  113. Als Wirtschaftspolitiker war Rüstow gegen Ende der Weimarer Republik kein Unbekannter; vgl. Rustow 1981, 372.

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  114. Hier setzt auch die Kritik Dürrs (1954, 28ff., 104ff. sowie 153ff.) an.

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  115. Heinrich Klemm (1951) allerdings hat versucht, herauszuarbeiten, daß die ethischen Bezugssysteme von Oppenheimers „freier“ und der „vollständigen” Konkurrenz der Ordoliberalen völlig verschieden sind. Er liest — unter dem Einfluß seines Lehrers Hans Peter (vgl. Koch 1961) — Oppenheimer jedoch durch die nelsonianische Brille (die implizite Orientierung Peters an Oppenheimers Theorie, die er wie Nelson über die Vermittlung neukantianischer Ethik rezipiert, wird besonders deutlich in seiner Arbeit von 1933).

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  116. Oppenheimers Kapitalismuskritik bezog aber ihr Kriterium nicht aus einer Gegenüberstellung von Ideal und Wirklichkeit, von „ordre naturel“ und „ordre positiv”, wie dies Dürr (ebd.) für die Ordoliberalen konstatiert, sondern in altpositivistischem Begriffsrealismus aus einer vermeintlich in der Wirklichkeit selbst liegenden Möglichkeit.

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  117. Vgl. zum Verhältnis zwischen Ordoliberalismus und katholischer Soziallehre auch Blum (1969, 82f) sowie Dürr (1954, 49ff.). Besonders an der Frage der gerechten Verteilung entzündete sich katholische Kritik — hier spielen noch alte Vorbehalte gegen den Liberalismus als Aufklärungstheorie eine Rolle. Beim Neoliberalismus — so schreibt Egon Edgar Nawroth in seiner Kritik neoliberaler „Sozial- und Wirtschaftsphilosophie“ (1961, V) — „handelt es sich... im Grunde um eine Renaissance der nominalistischen Aufklärungsphilosophie, die allen entscheidenden Grundfragen der Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftslehre das betont individualistische Gepräge gibt. Das zeigt sich besonders deutlich in der Vernachlässigung des sozialwirtschaftlichen Verteilungsproblems.”

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  118. Solche Strömungen schlugen sich bekanntlich auch in der Programmatik der CDU — mehr noch der CSU — nieder; vgl. die ausführliche zeitgenössische Analyse Gurlands (1980).

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  119. Werner Abelshauser (1983, bes. Kap. 2) hat herausgearbeitet, wie sehr dieses „Wirtschaftswunder“ mit den besonderen Akkumulationsbedingungen des westdeutschen Kapitals in der „Rekonstruktionsperiode” nach dem zweiten Weltkrieg zusammenhing.

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  120. Vgl. zur Emigration deutscher Wissenschaftler in die Türkei Neumark 1980 u. 1981.

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  121. „Das innerste Ziel von Riistows Hauptwerk ging... letztlich auf nicht mehr und nicht minder aus, als den wirtschaftspolitischen Theoremen der neoliberalen Schule den tragfähigen kultursoziologischen Unterbau zu schaffen.“ (Eisermann 1963, 601)

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  122. Nur an wenigen Stellen seiner Arbeit setzt Rüstow sich explizit mit Oppenheimer auseinander, häufig allerdings finden sich terminologische Anleihen, Bemerkungen in Anlehnung an oder auch Abgrenzung gegen Oppenheimer, ohne daß dieser ausdrücklich erwähnt würde. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner „Ortsbestimmung“ konnte Rüstow — und dies mag seinen indirekten Umgang mit Oppenheimer zum Teil erklären — sicher sein, auch für Zwischentöne und Anspielungen auf den Älteren kompetente Leser zu finden. So ist — um nur ein Beispiel zu nennen — für Hermann Friedmann in einem Besprechungsaufsatz der „Ortsbestimmung” (1955, 140) Oppenheimer ganz selbstverständlich „Anreger Rüstows“.

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  123. Noch 1945 hatte Rüstow seine Arbeit — weit weniger prätentiös — mit dem Untertitel „Line Kulturkritik unserer Zeit“ angekündigt (vgl. 1950a, 91, Anm.).

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  124. Im zweiten Band befaßt Rüstow sich in erster Linie mit dem „Weg der Freiheit“, den kulturgeschichtlichen Wurzeln des Freiheitsbegriffs, zeichnet den für Europa entscheidenden „Durchbruch zur Geistesfreiheit” in der griechischen Hochkultur nach. Der dritte Band widmet sich der „Ortsbestimmung“ der Gegenwart im engeren Sinne, liefert zeitdiagnostische Befunde. Besonders dieser Band erfuhr eine starke Überarbeitung entlang den sich in der jungen Bundesrepublik herausbildenden innen- und außenpolitischen Konfliktlinien, reflektiert Rüstows Eingebundenheit in die „Kalte-Kriegs”-Ideologie, die es erlaubt, die „Ortsbestimmung“ insgesamt auch als Rechtfertigungsschrift für westliche Konfrontationspolitik zu lesen: für Rüstow war es ein das 20. Jahrhundert prägender Umstand, daß von den „kommunistischen Staaten” Osteuropas „ein weltweites Wiederaufleben der Überlagerung in höchst-gesteigerter Schroffheit und Brutalität“ ausging (1952, 476). Auf diese politischen Korrekturen ist auch der starke Verzug bei der Veröffentlichung des dritten Bandes zurückzuführen, der erst 1957 erschien, obwohl das Manuskript aller Bände 1950 bei Rüstows Rückkehr aus dem türkischen Exil vorlag (vgl. Rüstow 1952, 475; 1957, 529).

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  125. Schon der erste Satz des Vorwortes der „Ortsbestimmung“ zeugt von dieser Verwendung des Überlagerungsbegriffes: „Um dieses deutsche Buch schreiben zu können, bin ich 1933 aus dem von Hitler überlagerten Deutschland emigriert, dessen Stickluft mir den Atem verschlug.” (1950, 9)

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  126. Nur an einer Stelle und in knapper Formulierung erkennt Rüstow Oppenheimer explizit als Vorläufer seiner Theorie an; er zitiert hier zustimmend einen Satz aus einer Arbeit Fritz Kerns (Die Anfänge der Weltgeschichte, Leipzig 1933, zit. b. Rüstow 1950, 91): „Die SchmidtOppenheimersche Überschichtungsthese muß also wesentlich verfeinert werden, behält aber in dieser Umbildung doch einen gesunden Kern.“ An anderer Stelle erwähnt Rüstow, daß cr Oppenheimer und nicht den Vertretern der „Kulturkreislehrc” die „erste Übermittlung“ der Überlagerungstheoric verdanke (ebd., 87). Rüstow hatte — wie schon weiter oben erwähnt — als Student kurze Zeit zum Anhängerkreis Leonard Nelsons gezählt, seine Rezeption Oppenheimers dürfte über die hier gewonnene Vertrautheit mit Nelsons Position vermittelt sein. Obwohl die Zusammenarbeit mit Nelson für den jungen Rüstow Episode blieb, ist auch in der „Ortsbestimmung” der Einfluß Nelsons nicht zu verkennen. Ohne dessen erkenntnistheoretische Anwendung mitzuvollziehen, baut auch Rüstow auf ein „ursprünglich dunkles Gefühl“ der Sittlichkeit, eine ursprüngliche, dem Menschen eingeborene Ethik, die auch in Gesellschaft wirkt oder zumindest wirken sollte: „Jede Ungemeinschaft, jede gestörte Gemeinschaft hat... ein immanentes Gefälle zur Gemeinschaft hin; erst in der Gemeinschaft findet sie Ruhe.” (Rüstow 1950, 250)

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  127. Oppenheimer fand mit seinem Staatsbegriff, der den Staat als Institution der Ausbeutung exponierte, Anhänger auch im anarchistischen Lager. Hier ist besonders der libertäre Föderalist Helmut Rüdiger zu nennen, der von Oppenheimers Staatstheorie nur diesen Aspekt aufnahm, Oppenheimer zum „bedeutendste(n) Vertreter der modernen soziologischen Staatsauffassung“ erklärte (1979, 26) und dessen „sozialliberale” Lehre in den Kontext der Kritik zentraler Staatlichkeit bei Proudhon und Constantin Frantz stellte: „Ihren Höhepunkt findet die Kritik des Staatsprinzips bei Oppenheimer.“ (ebd., 119) Dabei faßt er die Essenz der Staatstheorie Oppenheimers durchaus zutreffend zusammen („Jeder Staat ist... ein Mischgebilde aus unterdrückerischen und wirklich sozialen Funktionen”, ebd.), zieht hieraus jedoch einen Schluß, der in der Diktion wohl kaum die Zustimmung Oppenheimers gefunden hätte, der sich aber in den politischen Intentionen nicht prinzipiell von Oppenheimers Ideen unterscheidet: Es „kann gesagt werden, daß die Lehre von der Gesellschaft und die soziologische Staatsidee im Grunde nur zwei verschiedene Seiten einer Idee sind...: der Idee, daß das soziale Leben historisch auf dem Zweckverband beruht und die Lösung der sozialen Frage und politischen Probleme der Gegenwart und nahen Zukunft nur gefunden werden kann auf dem Wege der freien Assoziation und nicht der staatlichen Zwangsregulierung.... In diesem Sinne sagen wir, daß der Fortschritt der Menschheit zu freieren und humaneren Lebensformen darin besteht, daß die Gesellschaft den Staat absorbiert... “ (ebd., 120). Viel eher bei Rüdiger als bei den Ordoliberalen finden die politischen Konsequenzen der Staatstheorie Oppenheimers ihr adäquates Resumee — er stand politisch einem libertären Föderalismus näher als der konservativ-liberalen Forderung nach dem starken Staat.

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  128. So aber beispielsweise Opp. 1954, 5.

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  129. Was im Folgenden in Anspruch genommen wird, ist lediglich die geschichtliche Tatsache der Überlagerung als solche. Diese Tatsache ist uns aber allein schon aus der schriflich überlieferten Weltgeschichte in solchem Umfang, solcher Zahl und mit solcher Genauigkeit bekannt, daß da keinerlei Zweifel möglich ist.” (Rüstow 1950, 90).

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  130. „Der leidige Streit zwischen Funktionalismus und Diffusionismus kommt letzten Endes hinaus auf die offensichtlich törichte Frage, ob bei einem Gewebe die Querfäden oder die Längsfäden wichtiger und untersuchungswürdiger sind.“ (Rüstow 1950, 34)

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  131. In der zweiten Aufl. 1950 nur noch unter dem Titel: „Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus“

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  132. Der Verweis auf träditionale oder gar anthropologische Reserven, die es dem Menschen einerseits erst ermöglichen, den Zumutungen der Moderne zu begegnen, die andererseits aber von eben dieser Moderne in immer stärkerem Maße bedroht sind, ist seitdem beliebter Topos konservativer Kulturkritik geblieben, für den — angesichts der nicht zu verbergenden Ratlosigkeit der theoretischen Anwälte des „Projekts der Moderne“ — eine auch auf der politischen Linken eher noch steigende Attraktivität befürchtet werden muß.

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  133. Die Entstehung von Großbetrieben „teils“ in bloßem Größenwahn bedingt zu sehen, ist eine Aussage mit nur begrenztem sachlichen Gehalt. Angemerkt sei auch, daß Rüstow seine Prämisse von der liberalen Tendenz zum marktwirtschaftlichen Ausgleich gesellschaftlichen Reichtums dementiert, wenn er technisch-wirtschaftliche Gründe für die Kapitalagglomeration im Großbetrieb für verantwortlich hält. Es erübrigt sich, hier weitere der logischen Unschärfen, die diese gesamte Passage durchziehen, darzustellen und zu kritisieren.

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  134. Auch die Hochschätzung des wissenschaftlichen Beamten, der ein besonders geeigneter Verwalter der „immanenten Sachgesetze des betreffenden Erkenntnisgebietes“ sei (Rüstow 1950, 350, Anm.), teilt Rüstow mit Oppenheimer.

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  135. stellt Röpke seine Überlegungen zur „Gesellschaftskrisis der Gegenwart“ ganz in den Zusammenhang einer Suche nach dem „Dritten Weg” (vgl. Röpke 1979, 9ff., 2841f.). Für das Programm eines solchen „Dritten Weges“ reklamiert er vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart eine ganze Reihe von Vorläufern und Mitstreitern (ebd., 314). In diesem Zusammenhang merkt er an, daß — wie er „vor kurzem. erfahren” habe — „Franz Oppenheimer für sein Reformprogramm, das dem unsrigen teils verwandt, teils fremd ist, den Ausdruck,Dritten Weg’ gewählt hat.“ (ebd.) 1944, in einem Nachruf auf Oppenheimer, demonstrierte er dann genauere Kenntnisse der Oppenheimerschen Arbeiten: „Oppenheimer hat sich für den Soziologen Marx entschieden”, nicht für den politischen Ökonom, hat sich für die Teile der Marxschen Theorie „entschieden“, in denen „die feudal-absolutistische Vorbelastung des,Kapitalismus’” herausgearbeitet ist, „für die nicht der Mechanismus der Marktwirtschaft verantwortlich gemacht werden kann.“ „Wir teilen seine Wahl. Dann folgt aber das ganze übrige Programm von selbst, und am Schluß gelangt man... zu irgendeiner Art von,drittem Weg’!” (Röpke 1959, 346)

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  136. Ein solches „Hin und Her“ ist für Rüstow z.B. die deutsche Geschichte von der Weimarer Republik bis zum „Dritten Reich”: aus der „Unterintegration“ der Weimarer Zeit ergab sich ein „Integrationshunger”, der einen der Ansatzpunkte der nationalsozialistischen Integrationsideologie bildete (vgl. 1957, bes. 449ff.).

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  137. Dieses „Optimum“ diente Rüstow zur Bestimmung der „gesunden” Größe von Städten (1950, 266f), ist Hintergrund der Klagen über Tendenzen zur „Vermassung“ auch in der intellektuellen Kultur moderner Gesellschaften (265), führt ihn zur Denunziation großbetrieblicher Produktion, sei es in der Industrie (170ff.) oder Landwirtschaft. In Anknüpfung an diese Rhetorik der Mitte wird von Nachfolgern der ordoliberalen Schule heute versucht, die „Alternativbewegung” ideologisch zu integrieren; und zumhidest zwischen der ökologischen Kapitalismuskritik der traditionalistisch orientierten Teile der Bewegung und den ordoliberalen Ressentiments gegen alles Große, gegen die „Megalomanic“ lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten feststellen. Vgl.. hierzu einen Aufsatz von Jens Harms (1980), der in diesem Sinne mit der Forderung einer „Renaissance des Liberalismus” endet. Bereits in Rüstows „Ortsbestimmung“ finden sich eine ganze Reihe von Formulierungen, die als Technokratiekritik aus kulturkonservativer Perspektive erstaunlich aktuell anmuten (vgl. z.B. 1957, 49ff., 58ff.). Auch Wilhelm Röpke, der sich in seinen Analysen ebenso wie Rüstow stark auf die Begriffe der „Über-” bzw. „Unterintegration“ bezieht (vgl. 1979, 24, 149ff.), läßt — besonders unter dem Stichwort „Vermassung” — seinen antimodernen Ressentiments freien Lauf (vgl. ebd., 22 ff.).

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  138. Erhard hat sich hierzu anekdotenreich in einer Gedenkrede zum 100. Geburtstag Oppenheimers an der Freien Universität Berlin geäußert (1966), von der Passagen auch als „Geleitwort des Bundeskanzlers“ der aus nämlichem Anlaß herausgegebenen zweiten Auflage von Oppenheimers Lebenserinnerungen vorangestellt sind. Christoph Heusgen (1981, 89f) hat versucht, Oppenheimers Anteile am Denken Erhards herauszustellen; danach verdankt Erhard seinem Lehrer den „Glauben an die organisierende und regulierende Kraft eines friedlichen Wettbewerbs”, die „Ausweitung des Blickfeldes auf nichtökonomische Fragen“, das „Verständnis für soziale Probleme”, die „Monopol- und Kartellfeindschaft“ und schließlich das „Wissen um den Unterschied zwischen,reiner` und,politischer` Oekonomie” — letzterer von Heusgen allerdings nicht oppenheimersch verstanden, sondern als der Unterschied zwischen „Ideal und praktisch durchführbarer Politik“ (ebd., 70). Ähnlich beurteilt Dirk Berg-Schlosser (1982, 115) den Stellenwert Oppenheimers für Erhards Denken: „Inhaltlich wurden seine Auffassungen in erster Linie von seinen drei bedeutendsten akademischen Lehrern, dem liberalen Betriebswirtschaftler Rieger, dem engagierten freiheitlichen Sozialisten Oppenheimer und dem besonders auch sozial-psychologische Elemente im Wirtschaftsleben hervorhebenden Vershofen geprägt.” In einem fiktiven Gespräch, das Rüdiger Altmann und Johannes Gross in einer Festschrift zu Erhards 75. Geburtstag aufzeichneten, wird der Einfluß Oppenheimers auf Erhard allerdings nüchterner eingeschätzt: Erhard sei nicht „ein Jünger des Meisters gewesen“, Oppenheimer habe zwar sein „Denken frühzeitig und tief beeinflußt, seinen politischen Charakter prinzipiell geprägt..., auch wenn Erhard nicht buchstabengetreu dem ökonomischen Messianismus Franz Oppenheimers anhängt.” (1971, 26) Eine direkte Erblinie zu Erhard halten sie aber — mit Verweis auf den antipolitischen Kern der Utopie Oppenheimers, der den Ideen Erhards zur Gestaltung moderner Gesellschaften wie dem ordoliberalen Credo überhaupt entgegensteht — für nicht gegeben; mit einem gewissen Befremden kommentieren sie: „In Oppenheimers Theorie wird also die Politik selbst kriminalisiert, sie ist der Quell des Unheils. Sie gilt es zu überwinden... “ (ebd., 25 f). Auch Alfred Müller-Armack urteilt eher nüchtern über das Verhältnis Erhards zu Oppenheimer, erkennt letzterem lediglich eine katalytische Funktion für Erhards intellektuelle Entwicklung zu: „Oppenheimers Agrarsozialismus war nur ein Ausgangspunkt, von dem her Ludwig Erhard zu den Problemen der Funktionsfähigkeit des Marktes und der Marktforschung hingeführt wurde.” (1971, 474)

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  139. Es ist nicht ohne Reiz, hier den Kreis von Persönlichkeiten aufzuzählen, in den Oppenheimer aufgenommen wurde; bis auf den 90-Pf.-Wert, der in seinem 100. Geburtsjahr emittiert wurde, sind alle Marken 1961 und 1962 herausgekommen: Albertus Magnus, Elisabeth v. Thüringen, Gutenberg, Dürer, Luther, Bach, Johann Balthasar Neumann, Kant, Lessing, Goethe, Schiller, Beethoven, Kleist, Droste-Hülshoff, Hauptmann.

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  140. Auch Gerhard Teich (1965, 204) argumentiert ähnlich: „Tatsächlich erscheint es kaum berechtigt, Oppenheimers Lehre zu einem,sozialen Liberalismus’ zu verformen. So wenig er Kommunist war oder Kommunismus wollte, so vehement bekannte er sich als Sozialist, nicht aber als Liberalist.“

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  141. Man denke hier nur an Erhards Konzept der „Formierten Gesellschaft“, in dem er — inspiriert von Götz Briefs — analog zur sich formierenden korporatistischen Regierungspraxis nicht nur von der „reinen Lehre” der Marktwirtschaftspolitik abrückte, sondern auch noch einmal deutlich die Rolle staatlicher Interventionen herausstrich. Vgl. hierzu auch die bemerkenswert einseitige Dokumentation der Bundesregierung (Formierte Gesellschaft 1966).

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  142. In seiner Parteientheorie kommt Maurice Duverger (1959) von einer unterschiedlichen Problemstellung her zu ganz ähnlichen Formulierungen: ihm geht es nicht um gesellschaftliche Macht, sondern um einen in der Politik liegenden entscheidungstheoretischen Dualismus, wenn er schreibt: „Jede Politik bedingt eine Alternative zwischen zwei Lösungen, denn die vermittelnden Lösungen lehnen sich an die eine oder andere an. Das besagt nichts anderes, als daß es in der Politik keine Mitte gibt. Es mag wohl eine Partei der Mitte geben, aber keine,Richtung` der Mitte, keine Ideologie der Mitte.“ (229) „Es ist die Bestimmung der Mitte, zerteilt, hin und her geworfen, aufgelöst zu werden.... Es ist der Traum der Mitte, die Synthese entgegengesetzter Bestrebungen darzustellen, aber die Synthese ist nur eine theoretische Möglichkeit. Das Handeln ist ein Wählen, und Politik ist handeln.” (230) Ist die Mitte so parteiensoziologisch ein strategisch nicht zu haltender politischer Ort, so bleibt sie gleichwohl als Projektion und als Muster politischer Rhetorik von unveränderter Aktualität.

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Haselbach, D. (1985). Politik und politische Rezeption. In: „Franz Oppenheimer“. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10094-2_4

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