Frankreich am Beginn des 21. Jahrhunderts. Zwischen Europäisierung, Globalisierung und nationaler Selbstbehauptung. Eine Problemskizze

Zusammenfassung

Lange bevor der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen am 21. April 2002, der den Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl katapultierte und das ganze Ausmaß der im Lande herrschenden Verbitterung und Verwirrung offenbarte, hatten sich seit Mitte der neunziger Jahre, vor allem aber seit Beginn des neuen Jahrhunderts Veröffentlichungen gehäuft, die Frankreich als ein Land im Niedergang, als „kranken Mann Europas“ darstellen. Sie akzentuierten eine Malaise, die schon am Ende der Präsidentschaft Mitterrands erkennbar war (Ziebura 1995; 1996). 1994 glaubte Alain Duhamel in seinem Buch „Die französischen Ängste“ eine „Vorahnung der Bedeutungslosigkeit, ja der Auslöschung Frankreichs“ auszumachen. Die nun anbrandende Publikationswelle beruhte auf dem Eindruck, daß sich unter der Präsidentschaft Chiracs alle Probleme verschärft hätten. Die Autoren, Sozialwissenschaftler, Publizisten, Journalisten, durchweg kompetent und seriös, gesellschaftlich arriviert und in der Mitte des politisch-ideologischen Spektrums angesiedelt, sind, was die Lage eines der reichsten Länder der Welt anlangt, von einem dem Außenstehenden erstaunlichen Pessimismus erfüllt,¹ der, allgemein philosophisch gewendet, sogar bis zur Perspektive eines „effacement de l’avenir“ reicht (Taguieff 2002). Nehmen sich, wie so oft, Pariser Intellektuelle wichtiger, als sie sind? Lassen die herannahenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen den Hang zur Schwarzmalerei überborden?