Zusammenfassung
Unsere erste Entscheidung bestand darin, durch das 18. Jahrhundert einen Schnitt zu ziehen, der sein letztes Drittel von allem Vorhergegangenen trennt. Wir dramatisierten also den Einschnitt der Zeit um 1770 und wollten sehen, was die hier auftauchende Innovation von dem status quo ante unterschied. Diese Ausgangsentscheidung für eine dramatische Unterscheidung — für einen ersten Schnitt in einem „unmarked space“ — ist natürlich eine theoriegeleitete Konstruktion; am 1. Januar 1770 änderte sich nichts. Es mag Forscher geben, denen es gelingt, die Dramatik dieses Einschnitts zu entdramatisieren und nur Kontinuität zu sehen, wo wir den Bruch, die Diskontinuität ansetzten; das kann möglich sein, auch wenn sich Historiker verschiedenster Sparten angewöhnt haben, das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts als „take off“ der Moderne, als „Sattelzeit“, als Phase einer durchgreifenden epistemologischen Transformation usw. anzusehen. Noch einmal sei betont: Es handelte sich um eine theoriegestützte Konstruktionsentscheidung, die es erlaubt, Datenmengen spezifisch zu arrangieren, nicht aber um einen „Riß im Sein“, einen „Schnitt der Zeit“ o.ä. Die Differenz differenziert Differentes, sie gibt zwei Seiten frei: Unsere Entscheidung für 1770 als „Schwelle“ konturiert auf der einen Seite die „Literatur“ Alteuropas, die wir — grob schematisierend — als multifunktionale Kommunikation gekennzeichnet haben, deren diverse „Codierungen“ sich wechselseitig restringieren und derart das dann noch Sagbare erheblich verknappen; das Schöne ist das Nützliche; das Böse kann nicht schön sein; das Häßliche ist nicht wahr! Die stabile Koppelung später frei flottierender Codes wie wahr/falsch — schön/häßlich — gut/böse — nützlich/schädlich wirkte als scharfer Themenfilter und verwies die „literarische“ Kommunikation auf die Funktion der Repräsentation eines religiös gedachten Kosmos oder einer vernünftigen Natur, eine Repräsentation, in der die epistemologischen, ethischen, techno-pragmatischen und „ästhetischen“ Komponenten nur schwer unterscheidbar waren. Eine Geschichte der Literatur Alteuropas müßte daher völlig anders ansetzen als eine Literaturgeschichte der Moderne und sich davor hüten, die alten Texte als moderne „Werke“ zu lesen.
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Notes
U. Johnson zit. Absichten und Einsichten, a.a.O., S. 236f.
Vgl. Verf./N. Werber (Hg.): Beobachtungen der Literatur. Opladen 1995 (in Arbeit).
H. Loetscher zit. Absichten und Einsichten, a.a.O., S. 324ff.
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Plumpe, G. (1995). Resümee. In: Epochen moderner Literatur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09954-3_8
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