Zusammenfassung
Gemeint ist das Thema als Frage, und als Frage hat es zwei zu unterscheidende, aber sich durchaus gegenseitig beeinflussende Aspekte: Zum einen geht es um die Frage, ob Europa — und d.h. konkret: die Europäische Union — bereits eine Verfassung hat, und wenn ja, woraus sie besteht, oder wenn nein, ob sie einer Verfassung bedarf, woraus sie bestehen müsste, und wie sie zu erreichen wäre. Dieser Aspekt der Frage nach Europas Verfassung ist ein im engeren Sinne juristischer, der sich natürlich im Sinne des Europäischen Gemeinschaftsrechts als „Rechtsordnung eigener Art“1 vom herkömmlichen Verfassungsverständnis lösen kann. Sinnvoll kann man aber die Frage nach der Verfassung Europas wohl nur im Hinblick auf den überkommenen und dem Juristen vertrauten Verfassungsbegriff stellen. Das schließt Modifizierungen nicht aus, die der Eigenart der Europäischen Integration Rechnung tragen. Auch herkömmliche Verfassungen sind sehr unterschiedlich strukturiert.
Erstveröffentlichgung in: Heiner Timmermann/Hans Dieter Metz Hg.): Europa — Ziel und Aufgabe. Festschrift für Arno Krause zum 70. Geburtstag. Berlin 2000, S. 233 – 247.
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Literatur
Siehe bereits EuGH, RS 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964 („aus autonomer Quelle fließende Rechtsordnung) und und BVerfGE 22, 293 („im Prozess fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft eigener Art“).
Aus der Vielzahl der einschlägigen Publikationen vgl. nur Schwarze/Bieber (Hg.), Eine Verfassung für Europa (1984);
Matthies, Die Verfassung des Gemeinsamen Marktes, in: Gedächtnisschrift für Ch. Sasse, Band 1 (1981), S. 115ff.,
Ipsen, Verfassungsperspektive der Europäischen Gemeinschaft (1970);
Alber, Die Entwürfe des Europäischen Parlamentes für eine europäische Verfassung (Vorträge aus dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes Nr. 248 (1994);
Seidel, Basic Aspects of a European Constitution, Außenwirtschaft 1995, S. 221ff.;
Frowein, Verfassungsperspektiven der Europäischen Gemeinschaft, EuR, Beiheft 1/1992, S. 63ff.;
Weber, Zur künftigen Verfassung der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, S. 325;
Hilf, Eine Verfassung für die Europäische Union, Integration 2/94, S. 69ff.;
Lecheler, Braucht die „Europäische Union“eine Verfassung?, in: Gedächtnisschrift für E. Grabitz (1995), S. 393;
Läufer, Zum Stand der Verfassungsdiskussion in der Europäischen Union, ebda., S. 355;
Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, S. 581;
Stein, Die europäische Verfassungsdiskussion, Rückschau, Gegenwart und Perspektive, in: Rack (Hg.), Eine Verfassung für Europa (1995), S. 15;
Mouton/Stein (Hg.), Eine neue Verfassung für die Europäische Union, Band 21 der Schriftenreihe der Europäischen Rechtsakademie Trier (1997). Siehe jetzt auch Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.) EUV/EG Art. 1 EUV, Rdnr. 17ff. (1999).
Konventionen des Europarates bedürfen der Ratifikation wie jeder andere völkerrechtliche Vertrag, während beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemäß Art. 21 und 22 ihrer Satzung für bestimmte Bereiche Normen („regulations“) beschließen kann, die ohne weiteres für die Mitgliedstaaten verbindlich werden, sofern sie dem nicht im Einzelfall widersprechen („opting out“).
BGBl. 1986 II, 1102.
BGBl. 1986 II, 1251.
BGBl. 1986 II, 387.
BGBl. 1986 II, 1453.
BGBl. 1986 II,1326.
BGBl. 1986 II, 733.
Art. 300 Abs. 7 EG (Dieser Beitrag übernimmt die Zitierweise, die der Gerichtshof der Gemeinschaften und das Gericht Erster Instanz für sich festgelegt haben, um die Verwirrung nach der unsinnigen Neu-Numerierung der Vertragsartikel durch den Amsterdamer Vertrag in Grenzen zu halten: die neuen Bezeichnungen der Artikel bekommen den Zusatz „EU“(Unionsvertrag) oder „EG“(Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft); in der alten Numerierung haben sie den Zusatz „EUV“oder „EGV“).
Die Entschließung des Rates der EG vom 30.10./3.11.1976, mit der eine 200-Seemeilen-Wirtschaftszone in Anspruch genommen wurde (Bulletin EG 10/76, Ziff. 1501) bedurfte für ihre völkerrechtliche Wirksamkeit der Proklamation durch die betroffenen Mitgliedstaaten.
Der Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichts für das „Maastricht Urteil“(BverfGE 89, 155), Kirchhof, wurde mit dem Satz zitiert: „Wo kein Staatsvolk, da kein Staat, und wo kein Staat, da keine Verfassung“(EU-Nachrichten Nr. 18/19 vom 9.5.1994, S. 3.
Art. 5 Abs. 1 EG.
Ipsen (Fn. 2), S. 9 hatte schon 1970 gefordert, „die Verfassungsthematik der europäischen Union zu befreien aus der Enge normativ-juristischen Modell-, Analogie- und Kongruenzdenkens deutscher Bundesstaatstradition“. Vgl. auch Klein, zur Integrationsoffenheit des Modells eines Staatenverbundes, in: Legitimation, Transparenz, Demokratie (herausgegeben von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungspolitik), 1999, S. 107ff. (124): „Die Europäische Union [hat] die herkömmlichen staatsrechtlichen Kategorien Bundesstaat und Staatenbund hinter sich gelassen und überwunden.“.
Frowein (Fn. 2).
BverfGE 89, S. 155.
Pernice, Vertragsrevision oder europäische Verfassungsgebung?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.7.1999, S. 7. Ders., Multilevel Constitutionalism and the Treaty of Amsterdam: European Constitution-Making Revisited?, Common Market Law Review 36 (1999) S. 703ff.
Kleinen. 14), S. 107f.
Im Rahmen der Verhandlungen der Regierungskonferenz 1996 wurde über britische Vorstöße berichtet, die Kompetenzen des Gerichtshofes zu beschneiden, was letztlich zur eingeschränkten Zuständigkeit für EUROPOL führte (vgl. dazu Frowein, Die Verfassung der Europäischen Union aus deutscher Sicht, in Mouton/Stein (Fn. 2), S. 37ff. (51)).
Siehe Art. 79 Abs. 2 GG einerseits und Art. 196 der belgischen Verfassung sowie Art. 137 der niederländischen Verfassung andererseits.
Art. 79 Abs. 3 GG: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig“.
Vgl. nur Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rdzf. 1847, 1852 in Zusammenhang mit dem Beitritt neuer Staaten, die all dies zu übernehmen haben.
Art. 43 Abs. 1 (e) EG.
Vgl. EuZW 1995, S. 558.
EuGH, RS 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 1; RS 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, S. 1141.
Siehe Stein, Richterrecht wie anderswo auch? Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft als „Integrationsmotor“, in: Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg (1986), S. 619ff.
Vgl. EuGH, RS C-262/88 (Barber), Slg. 1990, S. 1–1889 und Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EGV (Maastrichter Vertrag).
Vgl. die „Erklärung zu Art. 8 a des EWG-Vertrages“in der Schlussakte zur „Einheitlichen Europäischen Akte vom 28.2.1986 (Fn. 4).
Siehe nur Streinz, Europarecht, 4. Aufl. 1999, S. 92 (Rdzf. 281); vgl. auch Klein (Fn. 14), S. 113f.
So Brock, Wer entscheidet in Europa, in: Eichholz Brief (Zeitschrift zur politischen Bildung) 2/99, S. 13 (16f.).
So Brock (ibid.), S. 18. Ob Art. 191 EG der Gemeinschaft die Kompetenz gibt, die nationalen Parteien-Gesetze zu harmonisieren, ist allerdings fraglich. Ebenso fraglich ist, ob man Europa einen Gefallen täte, wenn der dem Art. 21 GG nachempfundene Art. 191 EG dazu führte, auch Europa zum Selbstbedienungsladen der politischen Parteien zu machen.
Art. 18f. EG.
Art. 17 Abs. 2 EG.
Art. 20 EG.
Vgl. Stein, Die Regelung des Diplomatischen Schutzes im Vertrag über die Europäische Union, in: Ress/Stein (Hrsg.), Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht (1996), S. 97f f.
EuGH, RS 25/70 (Köster), Slg. 1970, S. 1161; RS 138/79 (Isoglucose), Slg. 1980, S. 3333; RS 188–190/80 (Transparenz-Richtlinie), Slg. 1982, S. 2545; RS C-70/88 (Tschernobyl II), Slg. 1991, S. I-4529.
Vgl. nur Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht (2 Bände), 1988;
Schweizer (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht (1991).
Siehe nur EuGH, RS 205–215/82 (Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633; RS C-217/88 (Tafelwein), Slg. 1990, S. I-2879.
Z.B. RS C- 68/95 (T. Port IV), Slg. 1996, S. I-6065.
Art. 230 Abs. 4 EG.
Art. 61ff. EG.
Siehe Pechstein/Koenig, Die Europäische Union, 2. Aufl. 1998, S. 27–42 mit allen Nachweisen der Diskussion.
Art. 11 Abs. 1 EU.
Art. J.4 Abs. 2 EUV (Maastricht).
Art. 17 Abs. 1 und 3 EU.
Art. 17 Abs. 2 EU (Humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen).
Petersberg-Erklärung des WEU-Ministerrates vom 19.6.1992, Bulletin der Bundesregierung Nr. 68 vom 23.6.1992, S. 649ff.
Vgl. Stein, The Legal Framework of the European Security Policy, in: American Society of International Law, Proceedings of the 89th Annual Meeting (1995), S. 525ff.
So hatte z.B. die Türkei einmal anklingen lassen, sie würde NATO-Beschlüsse zu Bosnien-Herzegowina blockieren, wenn die Europäische Union sie nicht als Beitrittskandidat ernst nähme; letztlich kam es nicht dazu.
Jansen, Überlegungen zu einer europäischen Verfassung, in: Rill (Hg.), Aspekte der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union (Hanns Seidel Stiftung 1999), S. 92.
Art. 11 Abs. 1 EU.
Art. F Abs. 2 (heute Art. 6 Abs. 2 EU): „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben“.
Die Grundrechtssprechung begann erst mit den RS 29/69 (Stauder), Slg. 1969, S. 419, 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, S. 1125 und 4/73 (Nold), Slg. 1974, S. 491.
Siehe insbesondere das „Solange T-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BverfGE 37,271.
Vgl. EuGH, RS C-260/89, Slg. 1991, S. I-2925.
Everling, Common Market Law Review 33 (1996), S. 401ff.
Die wenigen „positiven“Entscheidungen betreffen nicht die klassischen Grundrechte, sondern das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder ein allgemeines Diskriminierungsverbot.
Siehe Stein, „Bananen-Split“?, EuZW 1998, S. 261ff.
Während der EuGH im Fall Hoechst (RS 46/87 und 227/88, Slg. 1989, S. 2859) in der Durchsuchung von Geschäftsräumen keinen Verstoß gegen Grundrechte sah, entschied der Straßburger Gerichtshof im Fall Niemitz (NJW 1993, S. 718) und schon vor dem EuGH im Fall Chappel (1989) anders. Divergenzen gab es auch hinsichtlich des Schutzes der Rundfunkfreiheit gegenüber Rundfunkmonopolen; der EuGH sah im Fall ERT (Fn. 55) keinen Verstoß, der Straßburger Gerichtshof im Fall Lentia (1993) aber doch.
Vgl. nur den Bericht der Expertengruppe „Grundrechte“(„Die Grundrechte in der Europäischen Union verbürgen“), Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen
Gemeinschaften, 1999, und den Beschluss des Europäischen Rates zur Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Dok. SN 150/99, Anhang IV.
Siehe oben B. II.
Art. 6 Abs. 1 EU: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam“.
D. Grimm, Missglückt oder glücklos? Vor achtzig Jahren trat die Weimarer Verfassung in Kraft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.8.1999, Bilder und Zeiten Nr. 187, III.
Everling, Sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch Herren der Verträge? Zum Verhältnis von Europäischem Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht, in: Völkerrecht als Rechtsordnung, Festschrift für Hermann Mosler (1983), S. 173ff.
Jansen (Fn. 50), S. 98. Das wäre jedenfalls qualitativ etwas anderes als die „verstärkte Zusammenarbeit“im Sinne von Titel VII des EU-Vertrages.
Jansen (Fn. 50), S. 97f.
So auch Landfried, Die Zeit ist reif, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.9.99, S. 10.
Siehe Fn. 60.
Vgl. M. Stolleis, Der Koloss darf nicht nur marschieren. Wer Recht in Europa schafft, muss auf dessen nationale Traditionen achten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.6.1998, S. 45.
RL 98/43 vom 6.7.1998, Abl. EG Nr. L 213 vom 30.7.1998, S. 9.
Vgl. G. Jochum, Der neue Art. 13 EGV oder „political correctness“auf europäisch“?, ZRP 1999, S. 279.
So auch Koenig, Ist die Europäische Union verfassungsfähig?, in: ZEI report Nr. 4 (Oktober 1999), S. 8 („Die Europäische Union ist gegenwärtig nicht „verfassungsfähig“. Auch in der nächsten Zukunft ist ein Verfassungsbedarf nicht zu erkennen“).
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Stein, T. (2001). Europas Verfassung. In: Timmermann, H. (eds) Eine Verfassung für die Europäische Union. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09857-7_4
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