Zusammenfassung
Kein Tier hat die abendländische Philosophie, Logik und Mathematik derart in Atem gehalten wie die Schildkröte. Im Wettbewerb mit ihr gelingt es Achill, dem schnellsten Läufer der Antike, bekanntlich nicht, die Schildkröte — der wegen Achills Überlegenheit ein Vorsprung eingeräumt worden ist — einzuholen, wie schnell er auch immer läuft und egal, wie lange das Rennen dauert. Noch jüngst hat der Londoner Philosoph R. M. Sainsbury diesen virtuellen Wettkampf in seine Abhandlung über Paradoxien aufgenommen. Er beschreibt darin Versuchsanordnung und Argumentationsweise so:
Das erste, was Achilles tun muß, ist, zu dem Ort zu gelangen, von dem die Schildkröte gestartet war. Die Schildkröte jedoch, wiewohl langsam, ist unverzagt: Während Achilles damit beschäftigt ist, seinen Rückstand aufzuholen, ist sie ein kleines Stück vorgerückt. Das nächste, was Achilles also zu tun hat, ist, zu dem neuen Ort zu gelangen, den die Schildkröte nun einnimmt. Während er dies tut, wird die Schildkröte noch ein kleines Stück weiter vorgerückt sein. Wie klein auch immer der Abstand ist: es wird Achilles Zeit kosten, ihn zu überwinden, und in dieser Zeit wird die Schildkröte einen neuen Abstand geschaffen haben. Also, wie schnell Achilles auch laufen mag, alles, was die Schildkröte tun muß, um nicht geschlagen zu werden, ist weiterzukriechen — irgendeinen Fortschritt in der Zeit zu machen, die Achilles benötigt, die vorherige Lücke zwischen ihnen zu schließen.1
„Früher“, begann die Falsche Suppenschildkröte endlich mit einem jammervollen Seufzer, „war ich eine echte Schildkröte.”
Lewis Carroll: Alice im Wunderland, 9. Kap.
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Literatur
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Fähnders, W. (1999). Der Flaneur, der Dandy, der Bohemien und die Schildkröte. In: Römhild, D. (eds) Die Zoologie der Träume. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09789-1_7
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