Zusammenfassung
Die Analyse der Medienberichterstattung über Rostock bezieht sich auf den durch die Auswahl der Stichprobe markierten Zeitraum vom 24.8. bis 14.9.92.82 Zum besseren Verständnis ist es notwendig, eine kurze Fallbeschreibung voranzustellen, da die Analyse Rostock Kenntnisse über den Verlauf der Ereignisse in Rostock voraussetzt. Die Fallbeschreibung ist auf der Grundlage aller in die Analyse eingegangenen Artikel entstanden.83 Sie soll Aufschluß über den inneren Kontext des Geschehens geben.
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Literatur
Vgl. zum Vorgehen, zur Ziehung der Stichprobe und Auswahl der Dokumente Kap. 11.4.1.1 und 11.4.1.2.
In Ausnahmefällen ist auf Beschreibungen der Rostocker Ereignisse aus anderen Quellen zurückgegriffen, die jeweils angegeben werden. Fallbeschreibungen finden sich auch bei Mika 1994; Funke 1993; Huisken 1993; Jahnke 1993; Nadig 1993.
Abgesehen von sprachlichen Mustern, die einzelnen Akteuren im Diskurs sehr unterschiedlich zugeschrieben werden, ergeben sich auch inhaltliche Differenzen. In der hier vorliegenden „Fall“- „Beschreibung” wird versucht, den gemeinsamen Nenner der gesamten Presseberichterstattung zu erfassen und wiederzugeben. Gegensätzliche Angaben in einzelnen Artikeln sind von daher nicht auszuschließen. Unterschiedliche Zahlenangaben werden LT. durch die Angabe der jeweiligen Spannbreiten verdeutlicht.
Nadig (1993) spricht von 22.000 Lichtenhagenern.
Die Angaben über die Anzahl der in der ZAST wohnenden Asylbewerber variiert zwischen 200 und 300. Die vorgesehene Belegungszahl für die ZAST wird mit 320 angegeben (vgl. Die Welt, 25. 8. 92 ).
Die „Neue Zeit“ (25.8.92) schreibt, daß 80 bis 100 Asylbewerber täglich hinzukämen. Die „tageszeitung” (5.9.92) weist darauf hin, daß die ZAST vor allem im Juni 1992 ständig überfüllt gewesen sei. Nadig (1993: 24) spricht davon, daß im Monat Juni 1992 ca. 1.300 Flüchtlinge nach Lichtenhagen gekommen seien.
Die „Frankfurter Allgemeine Ztg.“ (24.8.92) LB. spricht dagegen von 150 Skinheads und 1.000 Anwohnern, die sich in der Nacht zum Samstag vor der ZAST versammelt hätten.
Die „Ostsee Ztg.“ (25.8.92) berichtet LB. von 800 Randalierern und 3.000 Schaulustigen.
Es wird hier je nach Zeitung von 100 bis 150 Vietnamesen gesprochen.
Dadurch ist es nicht immer möglich, bei der Präsentation der Ergebnisse Redundanzen zu vermeiden. Dies hängt auch damit zusammen, daß das Schreiben immer auf eine lineare Darstellungsweise festgelegt ist, die dem Zusammenwirken und sich wechselseitigen Durchdringen der vorgestellten Argumente nur schwer gerecht wird. Zur besseren Orientierung über den Verlauf der Ereignisse findet sich im Anhang 3 eine Chronologie der Ereignisse. Einige Ergebnisse und Passagen dieses Kapitels sind in einer ersten Voruntersuchung des Falles publiziert (vgl. Althoff 1994 ).
Eine ausfiihrliche Darstellung der Facetten der Täterbeschreibung findet innerhalb des Rahmens „politischer Extremismus“ statt; vgl. Kap. III.2.2.1. Ein Beispiel für diese Opfer-Konstruktion bildet ein Artikel in der Ostsee Ztg. am 25.8.92. Hier werden Jugendliche und Polizei als Täter/Opfer identifiziert und gleichzeitig beide zu Opfern der politischen Verhältnisse gemacht: „Im Zimmer 2227 liegen ein 24jähriger Polizist und ein 17jähriger Jugendlicher nebeneinander. Der eine mit einem komplizierten Armbruch, der andere mit einer Schädelfraktur. Am Abend zuvor noch auf verschiedenen Seiten, liegen sie nun Bett an Bett und sind sich in einem einig: Die Politik hat versagt!’
Die Überforderung der Polizei wird auch mit den Folgen der Wiedervereinigung für den Osten und mit der ostdeutschen Sozialisation begründet; vgl. Kap. 111.2.2.4.
Staatliches Gewaltmonopol und Sicherheit des Rechtsstaates erhalten vor allem inner- halb der Rahmung „politischer Extremismus“ besonderes Gewicht; vgl. Kap. 111.2.2.2.
Die Argumentation bezüglich der unterschiedlichen Behandlung von rechten und linken Tätern findet sich in Kap. 111.2.2.1.
Vgl. Kap. IV. 2. 3.
Die Bezeichnung Sonnenblumenhaus rührt ursprünglich von den Sonnenblumenmosaiken an der Giebelwand (vgl. Kap. 1II.1). Im vorliegenden Kontext legt sie eine Interpretation nahe, die das Sonnenblumenhaus als Symbol einer Täuschung herstellt: das Haus erscheint (von außen) so harmlos, ist aber ein Ort für Schleuser und illegale Flüchtlinge. Der Verweis auf die „Schlepper“, die die Asylbewerber in die Bundesrepublik einschleusen, erinnert an das Einschleppen von Krankheiten (Gerhard 1992), auch läßt es die Asylbewerber als eine anonyme fremdbestimmte Masse erscheinen, die gegen den Willen der Bundesrepublik einreisen. verzögerten so das Asylverfahren (Mitteldeutsche Zeitung, 26.8.92).
Es tauchen im Diskurs auch Vorschläge über die direkte Abschiebung von kriminellen Asylbewerbern auf (vgl. Frankfurter Allgemeine Ztg., 27.8.92).
Zur Entstehung des Deutungsmusters vgl. Link 1988 sowie 1983 und Kap. W.2. 3. Vgl. auch Kap. V.
Vgl. z.B. „Neues Deutschland“ vom 27.8.92: „Die Randalierer von Rostock sind nur die Geister, die sie (die Politiker, M.A.) riefen.” Dieses Bild taucht mit verändertem Bezug auch in einem etwas späteren Zusammenhang auf. Als die Ausschreitungen in Lichtenhagen über mehrere Tage weitergehen und die ZAST längst geräumt ist, distanzieren sich Teile der Anwohner von den Randalierern, was in gleicher Weise beschrieben wird: „Es scheint, daß Lichtenhagen die Geister, die es rief, nicht mehr loswerde.“ (Stuttgarter Nachrichten, 29.8.92) Vgl. Kap. 111.2.1.4.
Als weitere Möglichkeit solchen Ausschreitungen adäquat zu begegnen, wird auch die Notwendigkeit der Bestrafung der (rechten) Täter und die Bekämpfung des Rechtsradikalismus genannt. Hier müsse das Strafrecht wirken, ebenso wie zur Bekämpfung des Asylrechtsmißbrauchs das Asylrecht geändert werden müsse. Die Asylbewerber werden durch diese Argumentation mit den rechten Tätern auf eine Stufe gestellt. In beiden Fällen erscheinen rechtliche Zugriffe als Lösung der bestehenden Probleme. Diese Argumentation wird in Kap. 111.2.2.2 vorgestellt.
Die Quotenregelung ist im Einigungsvertrag verankert und verpflichtet die neuen Bundesländer, eine bestimmte Quote an Asylbewerbern aufzunehmen.
Nach einer Klausurtagung am 22. und 23. August 1992 erteilt die SPD ausdrücklich ihre grundsätzliche Zustimmung zu einer Ergänzung des Art. 16 GG unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Kap. IV. 2. 6 ).
Diese Argumente und diejenigen, die sich auf Kriminalität und Mißbrauch beziehen, werden hier nicht mehr wiederholt, sondern als bekannt vorausgesetzt; vgl. Kap. II1.2. 1. 3.
Im Oktober 1991 verabschieden Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Beschleunigung der Asylverfahren. Das B. Beschleunigungsgesetz (seit 1978) tritt am 1.7.92 in Kraft. Hintergrund dieser Änderung des Asylverfahrensrechts ist, daß im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf ca. 360.000 unbearbeitete Asylanträge vorliegen. Ein Asylbescheid dauert ca. 12 Monate. Dieser Verwaltungsgang soll dadurch abgekürzt werden, daß nicht mehr die Ausländerbehörden und deren „Beachtlichkeitsprüfung“ am Anfang und Ende des Verfahrens stehen, sondern der Bund und das Bundesamt von Anfang an allein entscheiden. Asylbewerber sollen so lange in Sammelunterkünften untergebracht werden, bis binnen sechs Wochen endgültig über deren Anträge entschieden ist. Dafür sollen 50 neue Außenstellen eingerichtet und das Personal erhöht werden. Der Vollzug des Gesetzes ist bis zum April 1993 ausgesetzt, da vor allem in den neuen Bundesländern die Kasernen, die als Sammelunterkünfte vorgesehen sind, nicht bereitgestellt werden können. Das Gesetz ist auch deshalb in der Folge wirkungslos, weil im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge 2.200 Mitarbeiter fehlen; allein 1.000 neue Planstellen für Personal, das über Asylanträge entscheiden soll, sind nicht besetzt.
In der Medienberichterstattung über die Auschreitungen wird keine Unterscheidung zwischen rechtsextremen und rechtsradikalen Tätern vorgenommen. Die Begriffe werden synonym verwendet. Auch lassen sich keine Hinweise darüber finden, inwieweit sich auch Frauen unter den Tätern befinden.
Hierbei handelt es sich um einen sogenannten Gastkommentar, der sich nicht auf die Demonstration in Lichtenhagen bezieht, sondern nur zu den Ausschreitungen in Lichtenhagen und zu dem Überfall auf die ZAST Stellung nimmt.
Eine Differenzierung zwischen Linken und Autonomen findet nicht statt, beide Begriffe werden synonym verwendet.
Die Gegenüberstellung von Rechten und Linken in ihrer unterschiedlichen Bedeutung für den Staat wird hier auch exemplarisch verdeutlicht durch die den jeweiligen Gruppen zugeschriebenen Slogans: „Ich scheiß’ auf Deutschland“ bildet ein sehr gegensätzliches Identifizierungsmuster zu „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein”.
Bei dem folgenden Zitat handelt es sich vor allem im zweiten Teil um eine extremtypische Argumentation. Der Verweis auf die Vorfälle in München und die damit verbundene Kritik an der Polizei bildet jedoch ein prototypisches Argument innerhalb dieses Diskursstranges.
Am 24.8.92 findet in Bonn eine spontane Demonstration gegen Rechtsradikalismus statt, vgl. Kap.1II.1.
Eine andere Facette des Diskurses im Kontext der Ursachenbenennung fir die Rostocker Ereignisse steht eher im Gegensatz zu den oben beschriebenen Auffassungen, obwohl sie ebenfalls eine „Egalisierung“ von Links-und Rechtsextremismus vornimmt: Rostock zeige, daß in der Bundesrepublik mit rechtem Protest und rechter Gewalt anders umge-
Bevor ein Vermummungsverbot rechtlich kodifiziert wurde, mußte, wenn man vermummte Personen strafrechtlich belangen wollte, ihnen eine Straftat nachgewiesen werden. Vermummung als solche stellte weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit dar. Mit dem Vermummungsverbot wird der „vermummte Demonstrant“ ganz unabhängig von einer Gewalttat strafrechtlich verfolgt (vgl. § 27 II Nr. 2 VersG). „Bestraft wird nicht erst die ‘erfolgreiche’ Verletzung, sondern bereits eine Handlung, die gefährlich ist oder auch nur unter Umständen gefährlich sein könnte.” (Frehsee 1997: 16) Von daher könnte im engeren Sinne von einer Ausweitung und Verschärfung des Strafrechts gesprochen werden. In der Argumentation wird dagegen insofern eine Verharmlosung behauptet, als ehemals strafrechtlich verfolgte Gewalttäter jetzt strafrechtlich nur als vermummte Demonstranten geahndet würden.
Der rechtlich verankerte kleine Lauschangriff erlaubt Telefonüberwachung, die Öffnung von Briefen, das Anbringen von Abhörgeräten und das Abhören von Gesprächen in öffentlichen Räumen. Nur bei Gefahr im Verzug ist ein Eingriff in den Wohn-und Intimbereich von Privatpersonen bei Anwesenheit des Verdeckten Ermittlers in der Wohnung des Betroffenen erlaubt. Der große Lauschangriff sieht ein Anbringen von Abhörgeräten, optischen Sehhilfen und elektronischen Aufklärungsgeräten auch im Wohnbereich vor. (Raith 1995: 95) Der große Lauschangriff ermöglicht so eine Überwachung von in einer Wohnung nicht öffentlich gefiihrten Gesprächen, die in Abwesenheit eines nicht offen ermittelnden Beamten stattfinden (Hassemer 1993: 105 ).
Vgl. exemplarisch Heitmeyer et al. 1992; Willems 1993 und vgl. die Ausführungen in meiner Einleitung.
Enzensberger (1992: 73) merkt dazu an, daß bei Atomkraftgegnern niemand auf die Idee gekommen wäre, Jugendclubs zu bauen.
Der Kontext, in dem diese Argumentation auftaucht und der hier nicht erneut vorgestellt wird, erklärt die Verantwortung der Asylbewerber mit ihrem Verhalten (vgl. Kap. 111.2.1.1 und M.2.1.2).
Daß die neuen Bundesländer zu DDR-Zeiten einen Anteil von 1,2% Ausländern in der Bevölkerung hatten und Ende März 1992 einen von ca. 0,75 (vgl. Heinsohn 1993: 6) - im Vergleich der Ausländeranteil sogar abgenommen hat - wird nicht thematisiert.
Ein Argument, das auch im Zusammenhang mit der Befürwortung einer geringeren Quote für die neuen Bundesländer auftaucht (vgl. Kap. 111.2.1.3). Das Verhalten der Polizei wird auch hinsichtlich seiner Passivität kritisiert; dieser Aspekt wurde in Kap. 111.2.1.1 vorgestellt.
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Althoff, M. (1998). Rekonstruktion des Diskurses über Rostock. In: Die soziale Konstruktion von Fremdenfeindlichkeit. Studien zur Sozialwissenschaft, vol 203. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09761-7_4
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