Zusammenfassung
Im Fokus unserer Forschung stand der Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Dieses Quartier bot sich mit Blick auf das bereits an anderer Stelle formulierte Forschungsinteresse aus mehreren Gründen an: Entstanden im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, hat sich Ehrenfeld zu einem in vielerlei Hinsicht vielfältigen, multikulturellen Stadtbezirk entwickelt. Da im Zentrum der Untersuchung die Frage nach dem städtischen Multikulturalismus und dem damit einhergehenden lebenspraktischen Miteinander innerhalb fortgeschrittener Industriegesellschaften stand, war eine naheliegende Verknüpfung zu diesem Stadtteil hergestellt.
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Referenzen
Die Zahlen basieren auf Angaben des Amtes für Statistik der Stadt Köln.
Im Mittelpunkt der Berichte der Stadteilbewohner(innen) stand häufig die Zeit des Nationalsozialismus sowie die Kriegs- und Nachkriegszeit, die prägend für die älteren Ehren-felder(innen) war. In diesem Kontext war es signifikant, dass die historischen Erzählungen über die Zeit des Nationalsozialismus sich auf die Thematik des Krieges und die damit einhergehende Zerstörung Ehrenfelds sowie den anschließenden Wiederaufbau konzentrieren, nicht jedoch auf antisemitische Handlungen; der Hauptaspekt liegt somit auf der Rolle als Opfer von Zerstörung und Gewalt.
„Die Bezeichnung Edelweißpiraten stammt von den mit der Verfolgung von missliebigen Jugendlichen beauftragten NS-Organen als Oberbegriff für Jugendliche, die sich nicht in die HJ einfügen ließen. Sie stammten in den meisten Fällen aus der bündischen Jugend, die am Ende der Weimarer Republik etwa 50.000 Jungen und Mädchen in den verschiedenen Bünden organisiert hatten.“ (Theilen: 1984: 8)
Die Edelweißpiraten wurden von einigen Historiker(inne)n nicht als Widerstandsgruppe anerkannt, viel eher werden sie weiterhin kriminalisiert. Rechtsgrundlage für diese Einschätzung bleibt somit die nationalsozialistische Rechtsprechung. Die Verurteilung als Kriminelle hatte zur Konsequenz, dass die Errichtung einer Gedenktafel an dem Ort in Ehrenfeld, an dem einige der Edelweißpiraten 1944 erhängt wurden, zu kontroversen Diskussionen geführt hatte (vgl. Theilen 1984).
Der Begriff der kommunalen Infrastruktur benennt die gesamte Infrastruktur, alle Teilsysteme einer Stadt, angefangen vom Schulsystem, über die ökonomische Landschaft, die Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr bis hin zur Versorgung durch ein funktionierendes Rechtsund Gesundheitssystem, die Sanierung von Wohnraum sowie eine Veränderung der Einwohnerstruktur.
Da das Thema Arbeit grundlegend ist, wird es in einem eigenen Kapitel gesondert behandelt.
Das Sanierungsgebiet Ehrenfeld-Ost sollte, so lautete die städtische Planung, innerhalb von 10–15 Jahren umstrukturiert werden. Hierfür standen zunächst 8581.000 DM für die Gesamtkosten zur Verfügung, wobei davon 6 Mio DM auf Landeszuwendungen entfallen.
Hierzu das Interview mit Frau Osram (S. 11). Dieses Interview ist in einem anderen Kontext entstanden. Frau Osram spricht von einem Wegzug aus dem Quartier als Konsequenz der Bahnerweiterung (siehe dazu Kapitel IV, Abschnitt 4). Die Interviewpassage lässt sich dennoch in dem hier verwendeten Zusammenhang erwähnen, da die angesprochene Problematik die gleiche ist: Ein veränderter Wohnraum aufgrund struktureller Veränderungen im Quartier.
Ernest Bürgest hat 1925 am Beispiel der Stadt Chicago das bereits an vorheriger Stelle zitierte Modell der konzentrischen Zonen entwickelt. Im Kern der Großstädte, wie er sie damals in den USA vorgefunden hat und wie sie sich auch in Europa entwickelt haben, „liegt der zentrale Geschäftsbezirk mit den großen Kaufhäusern, spezialisierten Geschäften, Hotels, Restaurants, Unterhaltungsbetrieben und mit den Verwaltungsgebäuden der großen Banken und Versicherungen. In dieser Zone findet man die höchsten Bodenpreise (zitiert nach Hamm/Neumann 1996: 184).
Eine auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Einkaufsstraße ist die Hohe Straße in unmittelbarer Nähe des Doms. Für die Kölner(innen) war diese Straße immer „etwas Besonderes“ und galt (und gilt immer noch) als einer der ersten Anziehungspunkte für Besucher der Stadt Köln. Doch ebenso wie dies bei der größten Ehrenfelder Einkaufsstraße, der Venloer Straße, zu beobachten ist (vergleiche dazu Abschnitt „Arbeit“), wird auch bei dieser Straße unübersehbar, dass sie durch weltweite Billiganbieter an Qualität und somit an Repräsentationskraft verliert.
Wie in dieser Arbeit noch gezeigt werden wird, sind Migrant(inn)en innerhalb des Arbeitsmarktes sowohl mit institutionalisierten Formen der Diskriminierung konfrontiert, wie beispielsweise durch das Ausländergesetz als auch mit alltäglichen Formen der Diskriminierung. Dies hat zur Konsequenz, dass die Chancen von Migrant(inn)en, einen der persönlichen Qualifikation entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, verglichen mit Autochthonen eher schlecht ist.
Der Begriff der Schicht verliert im Zuge der Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. In dieser Passage soll viel eher auf den Zusammenhang zwischen finanziellen Möglichkeiten und Wohnraumnutzung verwiesen werden.
Die Firma Mühlens ist das Unternehmen, das durch die Produktion von „4711 -Echt Kölnisch Wasser“ weit über die Stadtgrenzen Kölns hinaus bekannt wurde.
Im öffentlichen Personennahverkehr ist die Venloer Straße über zwei U-Bahnlinien (3 und 4) zum einen an die City und zum anderen in Richtung Nordwesten an Bocklemünd angeschlossen. Diese Linien kreuzen im Bereich des Ehrenfeldgürtels die ringförmig verlaufende Gürtelbahn (Linie 13) zwischen Mühlheim und Klettenberg.
Das Nachfragepotential für den Einzelhandel ist nicht zuletzt auch bedingt durch die Abnahme der Produktionsstätten innerhalb des Quartiers gesunken. So gehörten beispielsweise die Beschäftigten der Firma 4711 zum Kundenstamm der umliegenden Einzelhandelsgeschäfte.
Auf das Barthonia-Forum wird hinsichtlich des Themas „Arbeitsmarkt“ noch ausführlicher eingegangen.
Die Zahlen basieren auf Daten des Amtes für Statistik der Stadt Köln. Auffallend an diesen Daten ist, dass sie sich nicht auf alle Nationalitäten beziehen. Insbesondere Asylbewer-ber(innen) aus Nicht-Europäischen Ländern sind in den Statistiken nicht aufgeführt.
Umgekehrt bedeutet dies jedoch auch, dass eine unzureichende formale Integration die Optionsmöglichkeiten der Individuen beeinträchtigt.
Dies trifft fast ausschließlich auf die Jugendlichen zu, mit denen wir sprachen. Doch selbst diese sind nicht selten in einem anderen Stadtteil oder sogar einer anderen Stadt geboren und in ihrem Leben zum Teil schon mehrfach umgezogen.
Peter Gross (1994) spricht in diesem Zusammenhang von der Multioptionsgesellschaft
Park und die Chicagoer Schule hatten die Stadt als ein Mosaik von Dörfern beschrieben. Sie bezogen sich dabei auf die Einwanderungsgruppen im Chicago der 20er Jahre, die in ethnischen Nischen ihr gewohntes Zuhause finden konnten, um von dort aus aufzubrechen in die fremde Stadt. Dieses Bild des Dorfes besitzt weiterhin Aktualität, und begegnete uns im Kontext der Interviews mehrere Male. In der Skizzierung des Stadtteils und des dortigen Lebens griffen die Informant(inn)en mehrfach auf das Bild des Dorfes zurück — als Symbol für den Aspekt der Nähe und Intimität. Dabei müssen jedoch zwei Transformationen vorgenommen werden. Zum einen muss das Bild erweitert werden auf die diversen Lebensstil- und Wir-Gruppen, die im Stadtteil vorzufinden sind, zum anderen lässt sich die Stadt nicht als ein Nebeneinander von Dörfern in Form eines lokalen Nebeneinanders verstehen. Vielmehr besteht ein Nebeneinander im Sinne Martin Albrows (1997).
Benédicte Groussault plädierte in ihrem Vortrag auf der Tagung „Migration. Stadt im Wandel“ (1997) für den Begriff des Netzes. Dieser habe den Vorteil, unterschiedliche Grade der Zugehörigkeit, Nähe und Ferne sowie die Aktivierung zu beinhalten. Dabei ging sie davon aus, dass der/die Einzelne mehreren Netzen zugleich zugehörig ist.
Während der Untersuchungen wurde der Eingangsbereich umgebaut, die vorderen Tische wurden durch hohe Tische und eine an der Wand befestigte Sitzbank ersetzt, diese Gruppe damit in den hinteren Raum genötigt, da die Frauen aufgrund ihres Alters kaum die hohen Bänke erklimmen können.
Leopold Rosenmayr und Franz Kolland (1997: 261) führen am Beispiel der Familienformen aus, wie sich die Individualisierung auf die Lebensformen auswirkt. „So bewirkt die multilokale, auf verschiedene Haushalte verteilte Mehrgenerationenfamilie eine Lebensform, worin der größere Teil des Lebens von Eltern und Kindern sich an verschiedenen Orten abspielt, ohne dass die Beziehungen der Generationen zueinander abbrechen“.
In diesem Sinne sind die oben exemplarisch beschriebenen Orte „Café Merzenich“ und „Café Anders“ nicht nur Inseln und Manifestationen unterschiedlicher Lebensstile, sondern auch Orte der Abgrenzung. Das Publikum des „Café Anders“ besitzt nicht nur größere finanzielle Ressourcen als das des „Merzenich“, sondern setzt sich auch in seinem Habitus deutlich und bewusst ab. Andererseits ist zu vermuten, dass der schwule Kontext des „Anders“ beim Publikum des „Merzenich“ nicht unbedingt auf ungeteilte Zustimmung stößt. Wenngleich eine Pluralisierung stattgefunden hat, sind doch weiterhin Normalitätsmuster gültig, die -dies wird im Kontext Homosexualität wie auch der ethnischen Minderheiten deutlich -definieren, was „abweichend“ ist.
Hinzu kommt, dass sie lieber ein anderes Fach studiert hätte, das Dolmetscher-Studium jedoch ihrem Vater zuliebe begann. Sie beschreibt ausführlich, dass sie ihr Studium erst sehr spät und mit vielen inneren Widerständen zu Ende geführt hat.
Dabei brachte sie eine wechselnde Schullaufbahn hinter sich. Sie erinnert sich im Interview an mehrfache Schul- und Klassenwechsel bereits bis zur vierten Klasse. So wurde sie zunächst in eine Vorklasse eingeschult, kam später in eine separate Klasse mit nur italienischen Kindern. „Und dann die richtige Erinnerung beginnt mit dem 4.Schuljahr in der L-Straße. Bis dahin war es ein ständiges Hin und Her.“ (S. 3)
Davon spricht sie im Interview jedoch kaum.
Dazu sagen Hartmund Häußermann und Walter Siebel (1987: 121): „Umbau einer Stadt heißt immer, in bestehende Zusammenhänge von Gebäuden und Infrastrukturen einzugreifen. Anders als auf der grünen Wiese werden damit nicht nur Flächen umgestaltet, sondern auch Lebenszusammenhänge. Wenn die gewohnte Umgebung verlorengeht, geht immer auch ein Stück Identität, ein Stück gewohnter Sicherheit verloren.“
Diese Trauer korrespondiert mit ihrem Privatleben, insofern sie auch in ihren privaten Beziehungen um Veränderungen trauert. Viele Freunde und Freundinnen habe sie verloren, da diese nach dem Studium weggezogen seien oder ein Bruch entstand, da diese heirateten und eine Familie gründeten und damit ein ganz anderes Leben führten als sie. „Ich habe eine Krise durchgemacht. Da hatte ich ein bisschen Miesgefühl, weil die waren alle weg, plötzlich. Ich musste anfangen, mir neue Freunde zu suchen.“ Zum Zeitpunkt des Interviews beschreibt sie die ehemalige Katechismus- und jetzige Mädchengruppe als einen Ersatz für die verlorenen Freundschaften.
„Es kommen ab und zu neue Leute hinzu, junge Leute, die im Grunde sehr nett sind und sich von meiner Mutter herumscheuchen lassen: ich bin jetzt der Boss. Sie ist die einzige alte, sie ist sechzig. Sie sieht Leute kommen, sie sieht Fahrräder und: wo wollen Sie hin mit dem Fahrrad? Also sie regelt den Verkehr. Aber das ist im Grunde, die haben es auch alle akzeptiert.“ (S. 27/28)
Auf das ethnische Wissen werden wir an späterer Stelle noch vertiefend eingehen.
Bis zu diesem Zeitpunkt wohnte sie mit ihrer Familie schräg gegenüber in einer Mietswohnung. Mit dem Auszug der Mieter aus dem Elternhaus zog Familie Breuer sukzessive um. „Aber ich wollte immer nach Hause, ich wollte nach Hause. Und als dann hier ne Wohnung frei wurde, hab ich gesagt, jetzt vermiet ich das nicht mehr, dann gehen wir rüber und wenn wir erstmal ein Teil rübermachen, weil dann waren glaub ich bloß drei Zimmer, ne, die frei wurden“ (S. 8). Nach dem Tod ihrer Eltern hatte Frau Breuer ihre Geschwister ausbezahlt und das Ehepaar begann mit dem Umzug das Haus in Eigeninitiative Stück für Stück zu renovieren. Die beiden Söhne, die inzwischen erwachsen sind, bewohnen getrennte Wohnungen in diesem Haus und pendeln täglich zwischen ihrem Arbeits- bzw. Studienplatz außerhalb Kölns und dem Wohnort.
An einer Stelle im Interview hebt Frau Breuer auch pragmatische Gründe, die für das Quartier sprechen, hervor: „Muss auch dabei sagen, Ehrenfeld ist, wenn auch viele anders sagen, für meine Begriffe ein recht günstiger Stadtteil. Er ist angebunden an, an Verkehrs, also verkehrsgünstig in jeder Richtung. Man hat also die Bahn, man hat den Zug, man hat die Autobahn in der Nähe, ne, die hier schon vor vielen Jahren gebaut worden ist. Und man hat alle Schulen hier. Also jegliche Schulart ist hier vertreten, man kann schon fast sagen im nahen Umkreis, bis auf die Gesamtschule“ (S. 3). Auffällig ist jedoch, dass die hier aufgezählten Gründe — gute Verkehrsanbindung und Schule — für ihr aktuelles Leben kaum von Bedeutung sind, da ihr Leben sich zum einen mehrheitlich im Quartier vollzieht und zum anderen die Schulen für ihre Kinder keine Relevanz mehr besitzen, da diese inzwischen erwachsen sind.
Der Plausch oder der Schwatz auf der Straße.
Darüber hinaus wohnt im obersten Stockwerk ihres Hauses seit über zwanzig Jahren eine griechische Familie.
Ihre Schilderungen sind darüber hinaus stellenweise von einer stark paternalistischen Haltung geprägt, eine Haltung, die beispielsweise auch in Erzählungen im Kontext der Altenhilfe sichtbar wird und auf eine Klientelisierung beider Personengruppen, die sie über ihr „caritati-ves“ Engagement kennenlernte, hinweist.
Bei dem Gespräch ist eine Freundin von Frau Thelen, Frau Heller dabei; das Interview gestaltete sich in weiten Teilen als ein Gespräch mit beiden Frauen. Jedoch werden wir uns im folgenden auf die Biographie von Frau Thelen beziehen.
Auf den Kölner Appell werden wir an anderer Stelle noch einmal gesondert eingehen.
„Ja, wir haben auf der Straße gesungen. Aber russische Lieder. (...) Auf einmal kamen alte Frauen, so ältliche Frauen. ‚Ach, sie haben so schön gesungen, wir habens weit, weit gehört.‘ Kamen so. Nun es war ein schönes Fest, hat uns dort gefallen. Nein, die haben so geklatscht in die Hände wie wir gesungen haben. Und jetzt waren wir wieder weg gefahren, hatten uns eingeladen, in Brombach, ist eine Gegend, nicht weit, Frau Werner hat uns hingefahren.“ (S. 31)
So hebt sie im Interview auch hervor, dass ein Mitarbeiter der Neuapostolischen Gemeinde, die zwar im Quartier, jedoch weiter entfernt gelegen ist als die anderen Gemeinden, die Frauen regelmäßig abholt und wieder zurückbringt.
Sie schildert im Interview auch, dass sich die Familie größtenteils über die Kleiderkammer der angrenzenden Kirchengemeinde einkleidet und auch ihren Hausrat zum Teil über kirchliche Spenden bezieht.
So äußert sie zu Beginn des Interviews: „Und da haben sich die Kinder entschlossen, also wir fahren nach Deutschland, ja“ (S. 2). Ein Hinweis hierauf ist auch, dass sie, wenn sie von der Entscheidung zur Emigration spricht, dies in sehr distanzierter Weise tut. Zwar führt sie mehrfach die Gründe hierfür an, wird dann jedoch sehr schnell kollektivierend, wechselt zum Teil auf eine ideologische Ebene und es hat fast den Anschein, als gehöre sie nicht dazu. „Und in ‘93 haben wir uns entschieden, denn warum, unsere Deutschen wollten, haben wieder versucht die Republik herzustellen, ja, aber man hat es nicht mehr erlaubt, und lange Jahre haben sie gekämpft um die Republik und wurd nicht erlaubt, und da haben die Menschen sich entschlossen, um das Deutschtum zu erhalten, dass wir noch weiter deutsch dürfen reden und als deutsche Bürger sich sehen, ja und da haben sich entschlossen die Menschen, nach Deutschland zu fahren.“
Durch Frau Werner, die über eine ABM-Maßnahme für zwei Jahre beim Kölner Appell beschäftigt war, bekamen die Bewohner(innen) der Übergangswohnungen zumindest zeitweilig Beratung und Unterstützung.
Im Interview spricht sie ausschließlich von Türk(inn)en. Zwar bilden diese die größte Einwanderungsgruppe in der BRD, doch ist zu vermuten, dass Frau Thelen auch alle anderen unter dieser Bezeichnung subsumiert.
Der gesellschaftliche Umgang mit Migration tritt dabei auch deutlich als Hintergrund von Alltagskonflikten zwischen verschiedenen ethnischen Minoritäten hervor. Darauf soll an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen werden.
Vergleiche hierzu die Untersuchungen von Rainer Zoll (1993: 40). Er spricht von einer „kommunikativen Grundhaltung“ gerade junger Menschen, die er als einen Bestandteil bzw. eine Folge des Individualisierungsprozesses versteht, da der Zerfall unhinterfragter Normen und traditioneller Identitätsmuster einen enormen Bedeutungszuwachs der Kommunikation bewirke. „Heute bin ich davon überzeugt, dass die neue Kultur eine kommunikative Kultur sein wird — keineswegs, weil Kommunikation leichter geworden ist: sie ist sogar viel schwieriger geworden, zugleich aber liegt ihr ein viel dringenderes Bedürfnis zugrunde, und sie hat neue Inhalte und Formen.“
Es kann vermutet werden, dass auch seine jüngeren Geschwister mit den Eltern in Ehrenfeld blieben, jedoch macht Camal Khaled keine konkreten Angaben hierzu .
An anderer Stelle wiederum artikuliert er eine vorsichtige Hoffnung, dass die bisher nicht vollzogene Abschiebung als ein gutes Zeichen zu werten sei und die Behörden ihm mit der Drohung vielleicht nur Angst einjagen wollten. Damit versucht er zugleich, dem als willkürlich erlebten Handeln der Behörden eine Sinnstruktur zu verleihen.
Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass selbst wenn die Hürde einer verweigerten Arbeitserlaubnis abgebaut wäre, seine Situation auf dem Arbeitsmarkt weiterhin schlecht bliebe, insofern Camal Khaled weder über einen Schulabschluss noch über eine Ausbildung verfügt.
Im Interview gibt er einige Kostproben seines Könnens und singt seine Lieder vor.
Es ist eine Veränderung in der Musikbranche zu beobachten, insofern Musiker(innen) mit Migrationshintergrund zunehmend in den Medien präsent sind.
Auf diese Familienorientierung verweist auch die Tatsache, dass Camal Khaled seine Wünsche nach einer Musikkarriere auch an seinen jüngeren Bruder delegiert, dessen Chancen nach Camal Khaleds Schilderungen größer sind. Dabei sieht er sich als der Mentor und „Manager“ seines Bruders, ohne die Hoffnung aufzugeben auf diesem Wege seine eigenen Chancen zu verbessern. Er hofft, dass zumindest sein Bruder eine erfolgreiche (Migrations)Karriere machen wird: „Ich denke, einer von der Familie ist besser. Einer der da rauskommt.“ (S. 1)
Im Unterschied zu Camal Khaled waren diese jungen Menschen jedoch noch über die Schule an den Stadtteil gebunden.
Der Bau des Mediaparkes wurde in den 80er Jahren auf dem Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofes im Zentrum Kölns begonnen. Interesse der Stadt war es dabei, Medienschaffende verschiedener Branchen zu binden und Köln als Medienstadt zu konsolidieren. Inzwischen haben sich unter anderem Eins Live, der Musiksender VIVA und Emi-Elektrola im Mediapark niedergelassen. Ergänzung finden die Bürokomplexe durch ein großes Kino, das Kölner Filmhaus, Cafes und Restaurants, sowie Wohnhäuser, gruppiert um eine Platzanlage mit Wasser- und Grünflächen.
Eine Strategie, die mit seinem Umgang mit dem Vater korrespondiert. Meinungsverschiedenheiten mit ihm gehe er aus dem Weg, indem er ihm in Konfliktsituationen scheinbar zustimme, aber seinen Weg weiter verfolge. Dabei rekurriert auf das Alter seines Vaters: „Und die älteren Männer, die sind so. Aber ich akzeptiere das auch, weil ist okay. Mit denen hab ich ja sowieso auch nichts so großes vor.“ (S. 18)
Mit ihrer Biographie stellt Sabine Fichte quasi den Prototyp des individualisierten Menschen Beckscher Prägung dar. Übersehen werden in der wissenschaftlichen Diskussion um Individualisierung jedoch, wie Sedef Gümen kritisch anmerkt, die Migrant(inn)en als Träger(innen) des Individualisierungsprozesses. „Es scheint daher als paradox, dass gerade Einwanderinnen und Einwanderer, die eigentlich als regional- und statusmobil im Wanderungsprozess zu kennzeichnen sind, in der bundesdeutschen Diskussion über Individualisierung und Plurali-sierung von Lebenslagen kaum als Subjekte vertreten sind.“ (Gümen 2000: 172)
Hier folgt sie in weiten Teilen der Kölschen Selbstinszenierung, nach der der Kölner ohne sein Veedel, seinen Dom und den Rhein unglücklich ist. Dieser Lokalpatriotismus wird insbesondere in den zahlreichen kölschen Karvnevalsliedern gern und wiederholt besungen.
Zu berücksichtigen ist hier auch, dass sie damit auf die innerhalb der BRD geforderte Legitimation der Einwanderung zurückgreift: als Deutsche kehren die Aussiedler „heim“. Gerade in Bezug auf diese Migrationsgruppe wird vor dem Hintergrund des ius sanguinis massiv eine nationale Semantik bemüht.
Im Vorwort seines Buches „Deutsche Geschichten. Menschen unterschiedlicher Herkunft erzählen“ schreibt Paul Mecheril (1996:14): „Mit dem Ziel, zur Anerkenntnis der deutschen Gesellschaft als pluraler Gesellschaft beizutragen ist zugleich beabsichtigt, einen Beitrag zur Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins, von dem, was ‘deutsch’ ist, zu leisten. Das Recht, den Ausdruck ‘Deutsch-Sein’ anzuwenden — so bringen es „Deutsche Geschichten“ zum Ausdruck — ist nicht an eine bestimmte Physis oder eine bestimmte Abstammung gebunden: relevant ist einzig und allein, ob jemand seinen oder ihren Lebensmittelpunkt in dem Gebiet hat, das als Deutschland bezeichnet wird.“
Uwe Sander (1995:249) schreibt hierzu: „Indem Nationalität z.B. in den Funktionssystemen des Rechts, der Politik, des Schulwesens, des Arbeitsmarktes usw. berücksichtigt wird und formal die komplementären Publikumsrollen definiert, kann diese Begleitsemantik nicht verschwinden, sondern bleibt immer latent vorhanden und bietet sich somit auch immer als Ansatzmöglichkeit für prekäre Exklusionstendenzen auf der sozialen Interaktionsebene an.“
Helma Lutz verwies im Rahmen eines projektbezogenen Workshops in Bezug auf Frau Breuer auf die Macht der „Alteingesessenen“ bzw. „Etablierten“ und die Strategien des Ausschlusses oder der Integration der Zugezogenen. Unter Rückgriff auf Norbert Elias’ und John Scotsons Studie „The Established and the Outsiders“ zeigte sie die Strategien des Machterhalts durch die ‚Etablierten‘ auf. Vergleiche hierzu auch den Artikel von David May (2001), der das Etablierten-Aussenseiter(innen)-Konzept in seiner Arbeit über einen Dortmunder Stadtteil, der in starkem Maße durch Einwanderung geprägt ist, anwendet.
Dabei bilden Klassenkategorien einen Aspekt, der in ihrer Haltung gegenüber den Bewohnern der Obdachlosenschlafstelle enthalten ist. Beides geht jedoch nicht ineinander auf.
Hierzu schreibt Renate Nestvogel (1995: 153/154): „Sinnvoller ist es daher, von einem Konzept der Pluralität von Subjektpositionen auszugehen, das auch die Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen erfasst, die sich dem dualistischen Verständnis von männlichweiblich, fremd-eigen, ost-west etc. entziehen. Diesem Konzept von differentiellen Subjektpositionen kommt in der interkulturellen Bildungsarbeit insofern ein wichtiger Stellenwert zu, als es die simplen Dualismen in komplexere und realitätsgemäßere Zugehörigkeiten überführt. Solche Zugehörigkeiten können dafür sensibilisieren, dass es unterschiedliche ‚Wir‘ geben mag. (...) Diese ‚Wir‘ bilden sich heraus, bleiben erhalten oder vergehen wieder, sie sind von kurzer oder längerer Dauer, sie können ins Bewusstsein gebracht oder ignoriert, gefördert oder — zugunsten von Dualismen — vernachlässigt werden, sie mögen tief im Unbewussten verankert sein wie die Bindungen aus früher Kindheit oder eher bewusst erzeugt werden, sie können ausgrenzend und vereinnahmend sein, und ebenso können sie sich ergänzen. Sie spiegeln die verschiedenen Facetten der eigenen Lebenswelt wider und die Verbundenheit mit wie auch die Grenzen zu anderen. Ein differentielles Wir ermöglicht es, die Ethnien- und andere Zugehörigkeiten übergreifenden Gemeinsamkeiten herauszustellen.“
Mit „heimatorientiert“ werden die Vereine bezeichnet, die früher von den eingewanderten Minderheiten gegründet wurden, um sich einerseits mit „heimatorientierten“ Problemen auseinanderzusetzen und andererseits gegen ihre Diskriminierung und Ausgrenzung in der BRD gemeinsam vorzugehen. Heute sind diese Vereine — wie wir in Ehrenfeld beobachten konnten — als lokale Räume zu betrachten, in denen zunehmend auch stadtteilbezogene metakommunikative Prozesse organisiert werden. Dass diese Vereine nur „Heimatpolitik“ betreiben würden, hat sich während der Feldforschung nicht bestätigt.
Hierbei gehen wir zunächst idealtypisch davon aus, dass alle Bewohner(innen) im Stadtteil prinzipiell gleiche Teilnahmechancen besitzen. Wozu es führen kann, wenn ein Teil von ihnen nur eingeschränkten Zugang hat, werden wir im Abschnitt „Skandalisierung der Mobilität“ diskutieren. Außerdem können Diskurse auch dazu dienen, bestimmte Gruppen im Stadtteil zu diskriminieren und Ausschlussmechanismen im Stadtteil zu etablieren. Wie wir wissen, kommen in der Herstellung gesellschaftlicher Beziehungen immer auch institutionalisierte Machtverhältnisse zum Ausdruck, welche die Möglichkeit einer öffentlichen und allgemeinen Kommunikation modifizieren können. Solche Pseudo-Diskurse können mitbestimmen, was im Stadtteil in bestimmten Zusammenhängen und Situationen als Wirklichkeit zu gelten hat. Als Beispiel sind die am Mythos des Volkes orientierten Macht- und Ausgrenzungsdiskurse zu nennen oder ethnisches Alltagswissen als Rezeptwissen (Alfred Schütz), das im Quartier eine gemeinsame Hintergrundüberzeugung vieler Menschen darstellen kann.
Mehr dazu vgl. Ehrenfelder Post, Sanierungszeitung N. 1 vom März 1995.
Auf die Kampagne werden wir in Kapitel VI ausführlich eingehen.
Vgl. zu diesen Aktionen Ehrenfelder Wochenspiegel vom 13. August 1997.
Auf dem Titelblatt heißt es: „Die humanistische Stadtteilzeitung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt“.
Ulrich Beck spricht in diesem Zusammenhang von der Subpolitisierung der Gesellschaft.
Jürgen Habermas (1992: 32ff) spricht in diesem Diskussionszusammenhang von „Transzendenz von innen“.
Die von Individuen erzeugten Meinungen und Vorstellungen, werden so schrittweise — wie Wolfgang Gessenharter (1996: 6) betont — in die „gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeiten“ eingebunden, „wobei die ‘Reziprozität der Perspektiven’, das heißt die gegenseitige Vergewisserung, sich zu verstehen, diese Einbindungen erst erfolgreich sichert.“
Unter sozio-historischen Bedingungen „reflexiver Modernisierung“ (vgl. Beck/Giddens/Lash 1996) sind die Individuen als aktive, kompetente „Konstrukteure“ ihrer Wirklichkeiten zu verstehen. Dies ist etwa in allen Spielarten der sich auf Alfred Schütz beziehenden Soziologie der Fall: von der Ethnomethodologie (Harold Garfinkel) und neuen Wissenssoziologie (Ber-ger/Luckmann) bis hin zur historisch-rekonstruktiven Hermeneutik (Soeffner 1987). Aus dieser Perspektive interpretieren wir die kontrovers diskutierten Folgen der „Individualisierung“ nicht als Entsolidarisierung, wie in anderen Untersuchungen auch herausgearbeitet wurde (vgl. Vester u.a. 1993; Zoll 1993).
Diese Vorgehensweise hat sich in soziologischer bzw. ethnologischer Manier als ertragreich erwiesen.
Die Bahnerweiterung ist zwischenzeitlich über die Planungsphase hinaus gekommen. Auf der Strecke Köln-Aachen wird bereits seit 1998 gebaut.
Wie zu Beginn dieses Kapitels bereits erwähnt, hat die Erweiterung des Bahnverkehrs auch positive Aspekte. Aus ökologischen und verkehrstechnischen Überlegungen ist die Erweiterung der Bahnstrecke, die vielfach von Pendler(inne)n genutzt wird, zu befürworten. Aus systemischer Perspektive wird durch die Bahnlinie eine Verbesserung der infrastrukturellen Gegebenheiten, sprich der Verkehrsanbindung, erzielt. Für die Bewohner(innen) der anliegenden Straßenzüge, die die Bahn selbstverständlich auch als Verkehrsmittel nutzen, überwiegen jedoch die negativen Auswirkungen der Gleiserweiterungen. Wir beziehen uns in unseren Überlegungen primär auf die Interessen der Anwohner(innen), bezogen auf das Projekt der Bahnerweiterung — auch wenn diese eher einen kleinen Ausschnitt der systemischen Gegebenheiten widerspiegeln.
Inzwischen konzentriert sich in Ehrenfeld die Geschäftslandschaft fast ausschließlich auf die Venloer Straße, die sich zu einer der größten Einkaufsstraßen Kölns entwickelt hat.
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Bukow, WD., Nikodem, C., Schulze, E., Yildiz, E. (2001). Ein „Veedel“ im Umbruch. In: Die multikulturelle Stadt. Interkulturelle Studien, vol 6. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09741-9_4
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