Zusammenfassung
Globalisierung und Informationalisierung, die durch Netzwerke von Reichtum, Technologie und Macht verwirklicht werden, sind dabei, unsere Welt zu transformieren. Sie steigern unsere produktiven Fähigkeiten, unsere kulturelle Kreativität und unser Kommunikationspotenzial. Zugleich schicken sie sich an, Gesellschaften zu entrechten. Weil die staatlichen Institutionen und die Organisationen der Zivilgesellschaft auf Kultur, Geschichte und Geografie beruhen, führen die plötzliche Beschleunigung des historischen Tempos und die Abstraktion von Macht in ein Gewebe von Computern zur Desintegration bestehender Mechanismen sozialer Kontrolle und politischer Repräsentation. Mit Ausnahme einer kleinen Elite von Globapolitanerinnen und Globapolitanern (halb Wesen, halb Strom), haben Menschen auf der ganzen Welt etwas gegen den Verlust von Kontrolle über ihr eigenes Leben, über ihre Umwelt, über ihre Arbeitsplätze, über ihre Volkswirtschaften, über ihre Regierungen, über ihre Länder und letztlich über das Schicksal der Erde. Nach einem alten Gesetz der sozialen Evolution stellt sich der Herrschaft Widerstand in den Weg, Bemächtigung reagiert gegen Machtlosigkeit, und alternative Projekte fordern die Logik heraus, die in der neuen globalen Ordnung eingebettet ist, die wiederum von Menschen auf dem gesamten Planeten zunehmend als Unordnung erfahren wird. Diese Reaktionen und Mobilisierungen erfolgen jedoch — wie dies in der Geschichte häufig geschieht — in ungewohnten Formen und entwickeln sich auf unerwarteten Wegen. Dieses ebenso wie das nächste Kapitel sollen diese Wege erkunden.
Eine Menge Leute haben genau Dein Problem. Es hat mit der sozialen und ökonomischen Doktrin zu tun, dem „Neoliberalismus“. Aber das ist ein metatheoretisches Problem, sag ich Dir. Ihr geht von der Annahme aus, dass der Neoliberalismus eine Doktrin ist. Und mit„Ihr” meine ich alle, deren Pläne und Vorstellungen so starr und klobig sind wie ihre Köpfe. Du hältst den „Neoliberalismus” für eine kapitalistische Doktrin, die sich gegen wirtschaftliche Krisen wendet, die der Kapitalismus auf den „Populismus“zurüekfiihrt. Nun, tatsächlich ist die „Neoklassik” keine Theorie, um Krisen zu erklären oder mit ihnen fertig zu werden. Sie selbst ist die Krise, die zur Theorie und zur ökonomischen Doktrin gemacht worden ist! Das heißt also: Der „Neoliberalismus“ hat nicht den mindesten inneren Zusammenhang, und er hat weder Pläne noch historische Perspektive. Ich meine, es ist reine theoretische Scheiße.
Durito im Gespräch mit Subkommandante Marcos im Lakandonischen Regenwald, 19941
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Durito ist eine ständig auftauchende Figur in den Schriften des Subkommandante Marcos, des Sprechers der Zapatisten. Durito ist ein Käfer, aber ein sehr schlauer: Er ist sogar der intellektuelle Berater von Marcos. Das Problem ist, er hat immer Angst, von den allzu zahlreichen Guerillas um Marcos herum zerquetscht zu werden, deshalb fleht er Marcos an, die Bewegung klein zu halten. Dieser Text von Durito stammt aus Ejercito Zapatista de Liberation NacionallSubkommandante Marcos (1995: 58f); nach der Übersetzung von M.C., mit Zustimmung von Durito.
Dieses Kapitel hat von dem wertvollen intellektuellen Austausch beim International Seminar on Globalization and Social Movements profitiert, das vom Research Committee in Social Movements der International Sociological Society vom 16.-19. April 1996 in Santa Cruz, Cal. abgehalten wurde. Ich danke Barbara Epstein und Louis Maheu, die das Seminar organisiert haben, für die freundliche Einladung.
Beiträge zur theoretischen Behandlung sozialer Bewegungen, die für die hier vorgelegte Untersuchung unmittelbare Bedeutung haben, sind Castells (1983); Dalton und Kuechler Globalisierung, Informationalisierung und soziale Bewegungen (1990); Epstein (1991); Riechmann und Fernandez Buey (1994); Calderon (1995); Dubet und Wievorka (1995); Maheu (1995); Melucci (1995); Touraine (1995); Touraine u.a. (1996); Yazawa (i.E.).
Touraine (1965, 1966): Touraine benutzt eine ein wenig abweichende Terminologie, auf Französisch: principe d’identité, principe d’opposition, principe de totalité. Ich habe mich entschieden, dass es für ein internationales Publikum eindeutiger ist, einfachere Wörter zu benutzen, die dasselbe ausdrücken, auch wenn ich damit Gefahr laufe, das französische Flair einzubüßen.
Diese komparative Analyse beruht auf einer gemeinsamen Studie mit Shujiro Yazawa und Emma Kiselyova, die 1995 durchgeführt wurde. Zur ersten Ausarbeitung der Studie vgl. Castells u.a. (1996).
Die hier vorgelegte Analyse der Zapatisten-Bewegung verdankt wie vieles andere in diesem Buch viel den Beiträgen von zwei Frauen. Professor Alejandra Moreno Toscano, eine hervorragende Stadthistorikerin an der Universidad Nacional Autônoma de México und ehemalige Sekretärin für soziale Wohlfahrt des Bundesdistrikts Mexiko, war während der entscheidenden Verhandlungsperiode zwischen der mexikanischen Regierung und den Zapatisten in den ersten Monaten des Jahres 1994 Stellvertreterin von Manuel Camacho, des Repräsentanten des Präsidenten. Sie hat mir Dokumente, Meinungen und Einsichten zur Verfügung gestellt und mein Verständnis des Gesamtprozesses der mexikanischen Politik 19941996 entscheidend gefördert. Ihre Analyse — der intelligenteste Ansatz, den ich gelesen habe — ist in Moreno Toscano (1996) enthalten. Zweitens war Maria Elena Martinez Torres, eine meiner Doktorandinnen in Berkeley, eine sorgfältige Beobachterin der Bauernschaft in Chiapas. Im Lauf unseres intellektuellen Austausches hat sie mir ihre eigenen Analysen erschlossen (Martinez Torres 1994, 1996). Natürlich trage ich die alleinige Verantwortung für die Interpretation und mögliche Fehler in den Schlussfolgerungen, die in diesem Buch enthalten sind. Zusätzliche Quellen, die ich zur Zapatisten-Bewegung benutzt habe, sind: Garcia de Leon (1985); Arquilla und Rondfeldt (1993); Collier und Lowery Quaratiello (1994); Ejercito Zapatista de Liberacidn Nacional (1994, 1995); Trejo Delarbre (1994a,b); Collier (1995); Hernandez Navarro (1995); Nash u.a. (1995); Rojas (1995); Rondfeldt (1995); Tello Diaz (1995); Woldenberg (1995).
Die mexikanische Regierung behauptet, sie habe Subkommandante Marcos und die wichtigsten Führer der Zapatisten identifiziert, und das scheint plausibel zu sein. Es wurde in den Medien vielfach berichtet. Doch weil sich die Zapatisten zur Zeit der Niederschrift noch immer im Aufstand befinden, halte ich es nicht für richtig, diese Behauptungen als Tatsache zu akzeptieren.
Moreno Toscano (1996).
EZLN (1994: 61); nach der Übersetzung von M.C.
Collier (1995: 1); ähnlich argumentiert Martinez Torres (1994): In dem im November 1995 über das Internet verbreiteten Manifest zum zwölften Jahrestag der Gründung ihrer Organisation betonen die Zapatisten entschieden ihren Charakter als mexikanische Bewegung für Gerechtigkeit und Demokratie, die über die Verteidigung indianischer Identität hinausreiche: „Das Land, das wir wollen, wir wollen es für alle Mexikaner, nicht nur für die Indianer. Die Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, die wir wollen, wir wollen sie für alle Mexikaner, nicht nur für die Indianer. Wir wollen uns nicht von der mexikanischen Nation abspalten, wir wollen ein Teil von ihr sein, wir wollen als Gleiche, als Personen mit Würde, als menschliche Wesen anerkannt werden.chwr(133) Hier sind wir Brüder, die Toten seit jeher. Erneut sterben wir, aber jetzt um zu leben“ (EZLN, Communicado im Internet, 17. November 1995; nach der Übersetzung von M.C.
Deklaration der Zapatisten vom 25. Januar 1994, zit. in Moreno Toscano (1996: 92).
Nach einer am 8. und 9. Dezember 1994 durchgeführten Umfrage hatten 59% der Bewohner von Mexiko-Stadt eine „gute Meinung“ von den Zapatisten und 78% hielten ihre Forderungen für gerechtfertigt (veröffentlicht in der Zeitung Reforma, 11. Dezember 1994).
Marcos, 11. Februar 1994; zit. von Moreno Toscano (1996: 90).
Es ist wohl notwendig, für nicht-mexikanische Leserinnen und Leser die Mehrdeutigkeit von La Neta zu erklären. Neben der anschaulichen weiblichen spanischen Form für „Das Netz“ bedeutet la neta in der mexikanischen Umgangssprache auch „die wahre Geschichte”.
Martinez Torres (1996: 5).
Rondfeldt (1995).
Arquilla und Rondfeldt (1993).
Die Hauptinformationsquelle zur amerikanischen Miliz und zu den „Patriots“ ist das Southern Poverty Law Center mit Hauptsitz in Montgomery, Alabama. Diese bemerkenswerte Organisation hat seit ihrer Gründung 1979 außerordentlichen Mut und Effizienz dabei bewiesen, Bürger und Bürgerinnen in Amerika gegen Hassgruppen zu schützen. Als Bestandteil ihres Programms hat sie eine spezielle „Klanwatch/Militia Task Force” gebildet, die genaue Informationen und Analysen liefert, um alte und neue gegen Staat und Verwaltung und gegen Menschen gerichtete extremistische Gruppen zu verstehen und gegen sie vorzugehen. Die jüngste in meiner Analyse verwendete Information stammt aus Klanwatch/Militia Task Force (1996, im folgenden KMTF). Eine gut dokumentierte Darstellung der amerikanischen Miliz in den 1990er Jahren ist Stern (1996). Ich habe auch die vorzügliche Analyse benutzt, die mein Doktorand Matthew Zook 1996 über Milizgruppen und das Internet vorgelegt hat (Zook 1996). Zusätzliche Quellen, die speziell für die in diesem Kapitel enthaltene Analyse benutzt wurden, sind J. Cooper (1995); Anti-Defamation League (1994, 1995); Armond (1995); Armstrong (1995); Bennett (1995); Beriet und Lyons (1995); Broadcasting and Cable (1995) Business Week (1995d); Coalition for Human Dignity (1995); Cooper (1995); Heard (1995); Helvarg (1995); Jordan (1995); Ivins (1995); Maxwell und Tapia (1995); Sheps (1995); The Nation (1995); Orr (1995); Pollith (1995); Ross (1995); The Gallup Poll Monthly (1995); The New Republic (1995); The New York Times Sunday (1995a,b); The Progressive (1995); Time (1995); WEPIN Store (1995); Dees und Corcoran (1996); Winerip (1996).
Zitat aus dem Artikel des weißen Suprematisten William Pierce in der Märzausgabe seiner Zeitschrift National Vanguard, zit. nach KMTF (1996: 37). Pierce ist Anführer der National Alliance und Autor des Bestseller-Romans The Turner Diaries.
Die Texas Militia gab ein paar Tage vor dem 19. April 1995, dem zweiten Jahrestag des Waco-Zwischenfalls, folgenden Aufruf heraus: „Alle körperlich geeigneten Bürger sollen sich mit ihren Waffen versammeln, um das Recht zu feiern, Waffen zu besitzen und zu tragen und sich als Milizen zur Verteidigung der Republik zu versammeln“ (zit. im Editorial von The Nation 1995: 656).
KATE (1996).
KMTF (1996); Stern (1996).
Beriet und Lyons (1995); KMTF (1996); Winerip (1996).
Gemeint ist die 1789 der Verfassung von 1787 angefügte Bill of Rights, die im Wesentlichen die Menschen-und Bürgerrechte enthält; d.O.
Gebietskörperschaften mit Rechtssetzungs-und Verwaltungskompetenz; entspricht etwa dem deutschen (Land-)Kreis; d.O.
Stern (1996: 221); ATF —Alcohol, Tobacco, Firearms; d.O.
Beriet und Lyons (1995).
Whisker (1992); J. Cooper (1995).
Beriet und Lyons (1995).
Winerip (1996).
Zook (1996).
Zugleich Staatsdevise der USA, d.O.
KMTF (1996: 14).
Helvarg (1995).
KMTF (1996); Stern (1996); Zook (1996).
KMTF (1996: 16).
Stern (1996: 228).
M. Cooper (1995).
Maxwell und Tapia (1995).
Lipset und Raab (1978).
The New York Times (19956).
Stevens (1995).
Die folgende Analyse von Aum Shinrikyo greift im Wesentlichen auf den Beitrag von Shujiro Yazawa zu unserer gemeinsamen Studie und zu unserem Artikel zurück. Shujiro Yazawa hat den größten Teil der Forschung zu Aum durchgeführt, obwohl ich die Bewegung ebenfalls gemeinsam mit ihm 1995 in Tokyo untersucht habe. Neben Berichten in Zeitungen und Zeitschriften wurden folgende Quellen unmittelbar für die Analyse herangezogen: Aoyama (1991); Asahara (1994, 1995); Vajrayana Sacca (1994); Drew (1995); Fujita (1995); Mainichi Shinbun (1995); Miyadai (1995); Ohama (995); Osawa (1995); Nakazawa u.a. (1995); Shimazono (1995); Yazawa (i.E.).
Nach der Übersetzung von Yazawa; d.Ü.
Enthaltsamkeit bedeutet anstrengende Leibesübungen und weitgehenden Verzicht auf Nahrung und körperliche Vergnügungen als regelmäßige Existenzweise.
Drew (1995).
Osawa (1995)
Mainichi Shinbun (1995).
Castells u.a. (1996); Yazawa (i.E.).
Osawa (1995).
Miyadai (1995)
Baltz und Brownstein (1996).
Touraine u.a. (1996).
Rights and permissions
Copyright information
© 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Castells, M. (2003). Das andere Gesicht der Erde: Soziale Bewegungen gegen die neue globale Ordnung. In: Die Macht der Identität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09737-2_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-09737-2_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-3899-9
Online ISBN: 978-3-663-09737-2
eBook Packages: Springer Book Archive