Zusammenfassung
Eines der entscheidenden politischen Anliegen scheint die Schaffung kollektiver Identität, die Schaffung eines wir zu sein, denn ohne Identität kein politisches Handeln. Der Prozeß der Konstitution von Identität ist dabei allerdings ebensowenig auf Dauer abschließbar wie unproblematisch. Denn es ist ein Prozeß der konstanten Neuverhandlung und des Wettstreits, ein Prozeß, in dem verschiedene politische Akteurinnen konkurrierende Konzeptionen kultureller und politischer Identität artikulieren und zu etablieren suchen; zudem ein Prozeß, in dem das Moment der Herstellung von Identität verborgen werden muß.
„Denn Freiheit ist eigentlich der Sinn dessen, daß es so etwas wie Politik im Zusammenleben der Menschen überhaupt gibt.“
Hannah Arendt 1
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Literatur
Arendt, Hannah 1994: Freiheit und Politik. In: dies.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken Bd. I. München, 201.
Ausführlich hierzu die Beitrage von Claude Lefort u.a. in dem von Ulrich Rödel (1990) herausgegebenen Band Autonome Gesellschaft und hbertäre Demokratie. Frankfurt/M.
Ulrich Rodel formuliert im Hinblick auf Gesellschaft insgesamt: „Solange immer neue politisch aktive Minderheiten und soziale Bewegungen durch ihr selbstbewußtes Betätigen ihrer politischen Freiheitsrechte und das Einklagen neuer Rechte die Öffentlich-politische Sphäre offenhalten und sich far neue institutionelle Arrangements im Rahmen des symbolischen Dispositivs der Demokratie einsetzen, kann die Gefahr gebannt werden. daß dieses institutionell kristallisiert und sich verfestigt oder gar zerstört wird“ (Rodel 1990, 24).
Der Begriff der Performativität rekurriert auf die Sprechakttheorie John L. Austins Austin unterscheidet zwischen konstativen, d.h. beschreibenden, feststellenden Sprechakten, und performativen Sprechakten, durch die eine Situation produziert oder verwandelt wird. Performative Sprechakte sind daher niemals wahr` oder falsch`. sondern sie gelingen` oder schlagen fehl’. Diese Unterscheidung ist für eine Theorie der Identitätspolitik, die sich auf den Begriff der Performativitat stützt, von enscheidender Bedeutung. Vgl ders. Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1972
Benhabib rekurriert in ihrer Kritik an Arendt auf einen Aufsatz Mary Dietz’, in dem diese den geschlechtsspezifischen Bedeutungshintergrund von Arendts scheinbar geschlechtsneutraler Analyse der menschlichen Tätigkeiten der Arbeit, des Herstellens und des Handelns zeigt. Obwohl diese Tätigkeiten von Arendt selbst nicht mit geschlechtlicher Arbeitsteilung in Verbindung gebracht würden, weise Dietz überzeugend nach, daß es die Frauen sind, die jene Tätigkeiten ausführen, die am wesentlichsten für Arendts Verständnis von Arbeit seien: Jene Tätigkeiten, die notwendig sind für die tagtägliche Fortsetzung des Lebens und die Regenerierung des Körpers; und jene reproduktiven Tätigkeiten wie Schwangerschaft, Versorgung der Kinder, Alten, Kranken und Bedürftigen. Vgl. Benhabib 1994, 272, Fußnote 1 sowie Dietz 1990. Entsprechende Textstellen bei Arendt VA, 88ff.
Vgl. hierzu etwa Pitkin 1981; Brown 1987; kritisch zu diesen Positionen Honig 1992.
Unveröffentlichte Schriften Arendts, zitiert nach Breier 1992, 89.
Arendt zitiert nach Nordmann 1994, 58.
Arendt beschreibt den politischen Raum der griechischen polk denn auch in Bühnenmetaphern als agonistischen bzw. dramaturgischen Raum (vgl. VA, 179f). Sie selbst verwendet den Begriff der Performativität allerdings nicht.
Derrida beschreibt das performative als eine „`Mitteilung’, die sich nicht wesentlich darauf beschrankt, einen semantischen Inhalt zu befördern, der bereits durch die Absicht auf Wahrheit konstituiert und überwacht wurde“ (Derrida 1988, 305).
Für Nietzsche, argumentiert Terry Eagleton, „ist jede Handlung eine Art Fiktion: Sie unterstellt ein kohärentes, autonomes, menschliches Subjekt (etwas, das Nietzsche als Illusion betrachtet), sie impliziert, daß die Überzeugungen und Annahmen, aufgrund derer wir handeln, eine feste Grundlage haben (was für Nietzsche nicht der Fall ist), und sie nimmt an, daß die Folgen unserer Handlungen rational kalkuliert werden können (in Nietzsches Augen eine weitere trauige Wahnvorstellung“ (Eagleton 1993, 165).
Vgl. hierzu auch Honig 1992, 217ff.
So beschreibt Arendt das Leben der Frauen als vollständig „von den Funktionen des Körpers bestimmt und genötigt“ (VA, 69).
Vgl. Arendts Briefwechsel mit Gershom Scholem. Arendt spricht hier von ihrem Jüdischsein als Teil ihrer „Substanz“. Wiederholt betont sie die,.gegebene”, „private` Faktizität ihrer Jüdischkeit, für die Arendt gar ihre Dankbarkeit ausdrückt: „Es gibt so etwas wie eine grundlegende Dankbarkeit für das, was ist, wie es ist; für das. Was gegeben wurde und nicht gemacht sein konnte; für Dinge, die physei und nicht nonio,sind“ (zitiert nach: Honig 1992, 229, Übersetzung S.H.).
Auch von anderen feministischen Theoretikerinnen ist Arendt für diese `reine’ Definition des Politischen und die daraus resultierende sehr formale Abschließung der politischen Sphäre gegenüber der Gesellschaft zu Recht kritisiert worden (vgl. Benhabib 1988, 1991) Die Unterscheidung zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Politischen, argumentiert Benhabib, ist in der modernen Welt nicht sinnvoll, da weder der Zugang zur Öffentlichkeit noch die Gegenstände der öffentlichen Debatte im vorhinein festgelegt werden können. Schon der Kampf, etwas öffentlich zu machen, ein Anliegen auf die Tagesordnung der politischen Debatte zu setzen, ist ein politischer Kampf, in dem es nicht zuletzt um Freiheit und Gerechtigkeit geht (vgl. Benhabib 1991, 152).
In Vita activa bringt sie den Verlust des öffentlich-politischen Raums in Verbindung mit dem Entstehen der Gesellschaft (38ff). Der Raum des Gesellschaftlichen entstand als „das Innere des Haushalts mit den ihm zugehörigen Tätigkeiten, Sorgen und Organisationsformen aus dem Dunkel des Hauses in das volle Licht des öffentlich politischen Bereichs trat“ (VA, 38ff). Das Soziale schiebt sich als eigene Sphäre gleichsam zwischen das Private und das Politische. Nicht nur die alte Scheidelinie zwischen privaten und öffentlichen Angelegenheiten ist dadurch verwischt worden, auch der Sinn dieser Begriffe wie die Bedeutung, die eine jede der beiden Sphären für das Leben des einzelnen als Privatmensch und als Bürger eines Gemeinwesens hatte, veränderte sich dadurch bis zur Unkenntlichkeit (ebd., 38). Arendts pessimistische Analyse des „Siegs des Sozialen” liefert einerseits die Begründung, warum sie die offensichtlich gefährdete Grenze zwischen öffentlich und privat so vehement verteidigt, hat aber andererseits die dichotome. statische Konzeption verschiedener Räume selbst zur Voraussetzung.
Die Diskussion um die Materialität des Körpers bzw. von Geschlecht bestimmt seit geraumer Zeit Teile der feministischen Theorie. Siehe hierzu insbesondere das Buch von Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt 1995.
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Hark, S. (1999). Politik ohne Geländer Identitätspolitik neu denken. In: deviante Subjekte. Kieler Beiträge zur Politik und Sozialwissenschaft, vol 14. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09665-8_5
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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