Zusammenfassung
Als Schlüsselwort2 fungiert Identität sowohl in der gegenwärtigen Debatte um die Konstitution des feministischen Subjekts als auch um Politik und politische Handlungsfähigkeit. Doch ungeachtet der Bedeutung, die dem Begriff der Identität in den Diskussionen um die Voraussetzungen und die Konstitution politischer Handlungsfähigkeit zugeschrieben wird, ist der konzeptuelle Gebrauch des Begriffs in feministischen theoretischen und politischen Praxen eher vage. Unstrittig scheint einzig, daß Identität ein zentrales Konzept feministischer Emanzipation darstellt. Gleich, ob es sich um die „Politik der Subjektivität“ (Wunderle 1977) oder um eine „Theorie weiblicher Subjektivität“ (Tapken 1983), um die „andere Stimme“ (Gilligan 1984) oder um „weibliche Freiheit“ (Libreria delle donne 1988) handelt, der Satz „Frauen suchen ihre Identität!“ aus Helge Sanders Rede zur Begründung des Aktionsrates zur Befreiung der Frauen von 1968 sollte zugleich Auftakt und Motto der neuen feministischen Bewegung in der BRD werden. Wenn die Rhetorik der Frauenbewegung auch eine war, die sich oftmals noch auf der Suche nach weiblicher Identität befand, so schien diese bereits zu existieren, darauf wartend, entdeckt und repräsentiert zu werden: Ging es dem Feminismus doch insbesondere um „die Umsetzung der Individualität der Frau in gesellschaftliche Praxis“ (Eckschmid 1979, 83).3
„Das Allgemeine sorgt dafür, daß das ihm unterworfene Besondere nicht besser sei als es selbst. Das ist der Kern aller bis heute hergestellten Identität.“
Theodor W. Adorno 1
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Literatur
Adorno, Theodor W. 1975: Negative Dialektik. Frankfurt, 306.
Zum Konzept der „Schlüsselwörter“ siehe Williams 1976, 9–24. Williams betont, daß die Bedeutungen von Schlüsselwörtern nicht lexikonartig fixiert werden können. Sie sind vielmehr den Anstrengungen verschiedener Akteure unterworfen, sich zu artikulieren und ihrer jeweiligen Artikulation „Gehör zu verschaffen“. Übrigens ist in Williams Zusammenstellung von Schlüsselwörtem Identität noch nicht verzeichnet.
Für erste sozialwissenschaftliche Annäherungen an die Geschichte der Neuen Frauenbewegung, insbesondere unter der Perspektive von Generation und Generationskonflikten, vgl. die Beiträge in Modelmog/Graßel (Hg.) 1994. Die Bedeutung von Fragen der Subjektivität betont etwa Ilse Lenz. Auch Irene Stoehr schreibt für die erste Generation der sogenannten Gründerinnen: „Gleichzeitig besitzen ihre Vertreterinnen ein über eine Art feministischer Offenbarung vermitteltes Bewußtsein ihres Frauseins, das zum zentralen Bezugspunkt ihrer Identität geworden ist (und wahrscheinlich bleiben wird)...“ (Stoehr 1994, 98 ).
Für eine ausführliche Interpretation des Textes der Radicalesbrans,„Frauen, die sich mit Frauen identifizieren”, vgl. Kapitel I1I.3.
Für diese Klärung danke ich Antke Engel.
Siehe hierzu auch Terry 1991.
Siehe auch Ferguson 1993, Kapitel 1.
In diesem Zusammenhang weist Hilge Landweer darauf hin, daß „Diskursanalysen im Anschluß an Foucault stets ex-post Analysen in dem Sinne [sind], daß ein bekanntes Phänomen in seiner Genese als historisch konstruiert verstanden werden soll, und insofern betonen sie nicht Kontingenz, sondern Determiniertheit. Aber jede Konstruktion ist grundsätzlich auch anders möglich — und trotzdem nicht beliebig” (Landweer 1993, 13)
Vgl. für das Folgende Spivak 1988a. Spivak analysiert hier die methodologischen Voraussetzungen für eine „subalterne” Geschichte britischer Kolonialherrschaft in Indien.
Spivak verortet Identität vollständig innerhalb von Diskurs bzw. Sprache: „We know no world that is not organized as a language, we operate with no other consciousness but one structured as language — languages that we cannot possess, for we are operated by those languages as well. The category of language, then, embraces the categories of world and consciousness even as it is determined by them” (Spivak 1988b, 77f). Zum sogenannten linguistic turn innerhalb der feministischen Historiographie siehe auch Canning 1994.
Vgl. hierzu auch Kögler 1990.
Vgl. hierzu auch Kögler 1994, 160. daß das Regieren einer politischen Gemeinschaft eine pastorale Angelegenheit darstellt, ganz analog und in Kontinuität zur Sorge um ‘einen Haushalt, Seelen, Kinder, eine Provinz, einen Konvent, einen religiösen Orden oder eine Familie’“ (Bernauer/ Mahon 1994, 599 ).
Mit dieser in gewisser Weise „handlungstheoretisch” zu nennenden Wendung in der Thematisierung von Macht gelingt es Foucault auch, eine Differenz zwischen Macht und Gewalt einzuziehen. Im Unterschied zu Macht, die auf das Handeln anderer einwirke, wirke Gewalt direkt auf den Körper, sie zwinge, beuge und zerstöre. Ein Gewaltverhältnis schließe alle Möglichkeiten aus; es bleibe ihm kein anderer Gegenpol als der der Passivität (vgl. SM, 254).
Sage mir, was deine Bedürfnisse sind, und ich sage dir, wer du bist”, hat Foucault den Geständnisimperativ der modernen Humanwissenschaften plastisch formuliert. Seine verdinglichte, feministisch-lesbische Entsprechung findet sich in dem Slogan „Sage mir, mit wem du schläfst, und ich sage dir, wer du bist”.
Zu naturalisierenden und pathologisierenden Identitätsbeschreibungen siehe etwa die neuen Untersuchungen zum sogenannten Homo-Gen anhand von Zwillingsuntersuchungen oder zum „Ursprung” von Homosexualität in einem „abnormen”, „defekten” Hypothalamus. Zum Hypothalamus vgl. Le Vay, Simon 1994: Keimzellen der Lust. Heidelberg/Berlin/ Oxford; zum sogenannten „schwulen Gen” vgl. Bailey, J. Michael/Pillard, Richard C. 1991: A Genetic Study of Male Sexual Orientation. In: The Archives of General Psychiatry 48, 108–96; dies. 1991: Are Some People Born Gay? In: New York Times 17. 12., A21. Für eine kritische Auseinandersetzung mit den letztgenannten Autoren vgl. Stein, Edward 1993: Evidence for queer genes. An interview with Richard Pillard. In: glq. A Journal of Lesbian and Gay Studies 1/1, 93–110.
Ich folge hier dem naming-Konzept von Jane Jenson, die den Prozeß des naming gleichsetzt mit der Bildung kollektiver Identität. Die politisch-strategischen Dimensionen kollektiver Identität rücken dadurch stärker ins Blickfeld. Vgl. Jenson 1993. Antje Wiener, die mich mit der Arbeit Jane Jensons bekannt machte, sei an dieser Stelle gedankt..
Am Beispiel der Wiederaneignung vormals denunziatorischer Begriffe — wie „lesbisch” oder „schwul” — durch soziale Bewegungen wird sinnfällig, worum es hier geht. Der Inhalt der Namen (sprich: Identitäten) ist arbiträr. Entscheidend ist, wie sie von den verschiedenen Akteuren oder Institutionen eingesetzt und besetzt werden. So wird etwa die erst kürzlich eingeführte Verwendung der Begriffe „lesbisch” und,.schwul” im Deutschen Bundestag als symbolischer Erfolg lesbischer und schwuler Emanzipationsbewegung verhandelt.
Dennoch dominiert auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur eine Sicht, die diese Differenzen als Anzeichen evidenter, genuin gegebener Identitäten begreift. Auf die damit verbundenen epistemologischen Probleme hat Alberto Melucci (1989) hingewiesen. Er spricht von Ontologisierung bzw. Reifizierung der sozialen Akteure bzw. Bewegungen (42ff). Behandelt man, argumentiert Melucci, die sozialen Akteure als „unified empirical datum” (18), so führt das dazu, diese als etwas „Gegebenes” zu reifizieren. Diese Sicht ist für die Analyse aktueller Bewegungen innerhalb „komplexer Gesellschaften”, deren signifikantestes Merkmal die zunehmende Fragmentierung von Akteuren, Feldern und Formen von Handlung ist, korrespondierend dazu auch die Bewegungen selbst differenzierter, heterogener, komplexer und fragiler werden, nicht nur problematisch, sondern analytisch unzulänglich. Melucci plädiert hingegen dafür, sich von der traditionellen Sicht sozialer Bewegungen, die diese als historische Akteure auf der Bühne der Weltgeschichte, dem Ziel der Befreiung entgegen marschierend, betrachte, zu verabschieden (19). Auch Margaret Somers (1994) hat auf die Problematik der Positivierung bzw. Reifizierung von Identitäten in kategorialen Ansätzen hingewiesen. Keineswegs sei davon auszugehen. daß Personen, die ähnlichen sozialen Kategorien angehören, auch eine ähnliche oder gar die gleiche Identität ausbilden bzw. vergleichbare Interessen vertreten: „Why should we assume that an individual or a collectivity has a particular set of interests simply because one aspect of their identity fits into one social category” (624).
In ihrem jüngsten Buch revidiert Flax diese Position jedoch grundlegend. Während sie an der Notwendigkeit von Subjektivität festhält, ist Flax hier wesentlich skeptischer, was die spezifisch moderne Form des Subjekts sowie dessen Status als Voraussetzung politischen Handelns betrifft: „Does emancipatory action — and the very idea and hope of emancipation — depend upon the development of a unitary self capable of autonomy and undetermined self-reflection?… I believe a unitary self is unnecessary, impossible, and a dangerous illusion. Only multiple subjects can invent ways to struggle against domination that will not merely recreate it.” (Flax 1993, 92f., Hervorhebung S.H.)
Vgl. Laclau/Mouffe 1991; Mouffe 1992, 1993; Laclau 1994.
Annehmen” ist hier in der zweifachen Bedeutung von einerseits akzeptieren, übernehmen, sich zueigen machen und andererseits vermuten, voraussetzen zu verstehen.
Vgl. Lacan 1973 [1949], 61–70.
Eine weitere Bedeutung von Kaptation ist: Erschleichung, Erbschleicherei.
Vgl. hierzu auch Bowie 1994, 90.
Entlang der Entwicklung des Narzißmuskonzepts Freuds zeigt Lili Gast (1992), wie diese radikale Einsicht in die Unmöglichkeit stabiler Subjektbildung in der Geschichte der Psychoanalyse rückgängig gemacht wird. Diesen Hinweis verdanke ich Wolfgang Hegener.
Vgl. für das Folgende Laclau 1994, 2ff.
Im Hinblick auf ethnische Kategorisierungen schreibt Zygmunt Bauman:,... the continous existence of an ethnic category depends solely on the maintenance of a boundary whatever are the changing cultural factors selected as the border posts; that it is in the end the ethnic boundary that defines the group, not the cultural stuff that it endorses [...] the very identity of that cultural stuff is an artefact of firmly drawn and well guarded boundary, though the designers and guardians of borders would as a rule insist on the opposite order of causality” (Bauman 1992b, 678, Hervorhebung S.H.).
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Hark, S. (1999). Der Identität(s)Politik auf den Leib gerückt: Theoriereflexionen. In: deviante Subjekte. Kieler Beiträge zur Politik und Sozialwissenschaft, vol 14. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09665-8_2
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-2586-9
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