Zusammenfassung
Der Universalismus hat nicht empirischen, sondern rationalen Charakter. Er löst die Menschen geistig aus ihren Kollektiven, er hat individuierenden und gleichzeitig nivellierenden Charakter. Er macht den Einzelmenschen als ens rationale zum Ausgangspunkt aller Betrachtung. Maßgebend ist ihm das, was für den allein auf sich und seinen Verstand gestellten normalen Einzelmenschen plausibel und nützlich ist, und das ist für jeden und alle dasselbe, ungeachtet aller individuellen Besonderheiten. Auf dieser Grundlage des abstrakten Individuums basiert sein Anspruch, Geltung „für alle“ zu haben, Aussagen über das zu machen, „quod semper, quod ubique, quod omnibus“. Der universalistische Individualbegriff erfaßt per definitionem nur das, was in allen Individuen gleich und übereinstimmend ist, und verfehlt notwendig die Spezialität und Einmaligkeit der realen Erscheinung. Jede universalistische Neigung wird darum als Gegenreaktion eine original-individualistische Welle zur Folge haben, so wie die Aufklärung, beginnend mit Hamann und Herder, die Romantik zur Folge hatte und der sozialistische Universalismus der sechziger und siebziger Jahre die Postmoderne nach sich zog. Alle Versuche — wie sie der Kommunitarismus macht —, in dieser Polarität zu einer Synthese zu kommen und einen von dieser Schwäche befreiten Universalismus zu propagieren, müssen scheitern; es hilft nichts, als dieser Schattenseite des Universalismus ins Gesicht zu sehen und die Berechtigung der partikularistischen Gegenbewegung anzuerkennen.
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Literatur
José Ortega y Gasset, Tagebuch einer Sommerfahrt, S. 40.
Petrus Abaelard, Das Universalienproblem, S. 245.
Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, S. 163f.
Lorenz v. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, S. 125.
Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 3. Buch § 18. Die heutige Erscheinung dieses „Gespenstes“ ist der Herr im dunklen Anzug in der 1. Klasse der Eisenbahnen und Flugzeuge.
Alexander Rüstow, Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. 2 S. 659, Anm.23.
Vgl. im 3. Kapitel IV.1. die Verwendung bei Troeltsch, der vom „soziologischen Doppelcharakter von Individualismus und Universalismus“ spricht; Max Weber, Die protestantische Ethik S. 198 Anm.23: „Der Ausdruck `Individualismus’ umfaßt das denkbar Heterogenste.”
Alexander Rüstow a.a.O. mit Hinweis auf Johannes Kühn (Morus und Rousseau, Historische Vierteljahrsschrift 1926); zu dem Phänomen der fruchtbaren Doppeldeutigkeit von Begriffen vgl. unten im 7. Kapitel II.1.
David Riesman; vgl. auch Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, S. 114ff. und dazu Ralf Dahrendorf, Kulturpessimismus vs. Fortschrittshoffnung, S. 217.
Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, S. 263f.
Baruch Spinoza, Politischer Traktat, Kap.III § 3.
Vgl. Emile Durkheim, Division du travail, 1973, S. 336ff.
Georg Simmel, Über sociale Differenzierung, S. 53.
Niklas Luhmann, Soziale Systeme, S. 353.
Für die er den Begriff der „Komplexität“, auf das Individuum bezogen, benutzt; vgl. Niklas Luhmann a.a.O. S. 304.
Niklas Luhmann, Grundrechte als Institutionen, S. 53 Anm. 2.
A.a.O. S. 49.
Die Person als Person kann sich nur bewahren durch eine partielle Nicht-Partizipation; vgl. dazu Paul Tillich, Christian Thought and Social Action.
Und auch diesen Gemeinplatz kann man in Zweifel ziehen, wie das in erfrischender Weise Otfried Höffe (Kategorische Rechtsprinzipien, S. 56) tut. Ob die Rollen Bischof-Bauer (beispielsweise) im Mittelalter weniger gegeneinander differenziert waren als heute?
Alvin W. Gouldner, The Coming Crisis of Western Sociology, S. 277.
Georg Simmel, Über sociale Differenzierung, S. 63; vgl. dazu auch Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, S. 118 und Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken, S. 187.
Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 41.
G.W.F. Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 207 Zusatz; vgl. dazu im 12. Kapitel I.3.
Vgl. dazu Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, S. 231, 234.
Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 3. Buch, § 20.
Charles Ackerman/Talcott Parsons, The Concept of „Social System“ as a Theoretical Device, S. 37f.
Ähnlich Jürgen Habermas (Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 119.): „Allein Lebensformen, die… universalistischen Moralen entgegenkommen, erfüllen notwendige Bedingungen dafür, daß die Abstraktionsleistungen der Dekontextualisierung und der Demotivierung auch wieder rückgängig gemacht werden können.“
Talcott Parsons, Gesellschaften. Evolutionäre und komparative Perspektiven, S. 148.
Der Kommunitarismus ist objektiv eine Rückwendung zu den Einsichten von Arnold Gehlen, die Habermas früher scharf zurückgewiesen hat (z.B. in Jürgen Habermas (Hrsg.), Stichworte zur geistigen Situation der Zeit, Einleitung, S. 19.); die „Diskussion über Unregierbarkeit” (vgl. Claus Offe, „Unregierbarkeit“. Zur Renaissance konservativer Krisentheorien) wird jetzt im Rahmen des Kommunitarismus von denen geführt, die sie früher tabuisiert haben — wogegen gar nichts einzuwenden wäre, wenn die Wende als solche kenntlich gemacht würde.
Michael Walzer, Die kommunitaristische Kritik am Liberalismus, S. 160.
Dieser Begriff ist besser (nämlich rousseauistisch belehrt) als der des „status naturalis“ von Hobbes, der ihn als Wildbahn verstand.
Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, S. 9. Wir werden den Text im 5. Kapitel IV.2. wieder aufgreifen.
Alasdair Maclntyre: Ist Patriotismus eine Tugend?
Vgl. dazu im 12. Kapitel III.1; DoIf Sternberger, Verfassungspatriotismus; Jürgen Habermas, Eine Art Schadensabwicklung, S. 75; ders., Faktizität und Geltung, S. 642; Hans Kleger, Verfassungspatriotismus und Demokratie, S. 108; Wolfgang Kersting, Verfassungspatriotismus, kommunitäre Demokratie und die politische Vereinigung der Deutschen, S. 143; Dieter Oberndörfer, Die offene Republik als Staatsform der Zukunft, S. 168.; D. Kluxen-Pyta, Verfassungspatriotismus und nationale Identität, S. 117.
Wolfgang Kersting a.a.O. S. 156.; vgl. dazu auch unten 11. Kapitel III.2.
Im 7. Kapitel III.u.IV.
DoIf Sternberger, Verfassungspatriotismus 1990, S. 30.
Das alte Reich wird wiedererweckt z.B. von dem „Westbindungs“-Autor Karl Härter, „Westbeziehungen zwischen Revolution und Reform: Deutschland und Frankreich 1789–1815”, S. 45ff.
Christian Meier in der „What’s right“-Debatte der FAZ.
DoIf Sternberger, Verfassungspatriotismus, S. 24.
Ulrich K. Preuß, Legalität und Pluralismus, S. 9–31.
Vgl. Jürgen Seifert, Haus oder Forum. Wertsystem oder offene Verfassungsordnung, S. 331ff.
U.K. Preuß, Zu einem neuen Verfassungsverständnis. Wie kann der Geist der Revolution institutionalisiert werden? im Unterschied zu ders. Legalität und Pluralismus, S. 17ff.
Unten im 6. Kapitel I.6.
Georg Simmel, Über sociale Differenzierung, S. 57.
A.a.O. S. 59; richtig stellt heute Gvozden Flego, Gemeinschaften ohne Gesellschaft, S. 66, das Ethische und das Ethnische einander gegenüber. Vgl. auch im 12. Kapitel II.2.
Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, S. 266, 268.
Vgl. Sibylle Tönnies, Der Dimorphismus der Wahrheit, S. 43ff.
Vgl. René König, Die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bei Ferdinand Tönnies.
Ferdinand Tönnies, Die Sitte, S. 94. Gut zum intrinsischen Charakter der Sitte Klaus Frerichs, Sitte, Gesetz und Bedeutung, S. 275. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Sittlichkeit und Sitte ist offenbar in Auflösung begriffen, vgl. den Sprachgebrauch bei Jürgen Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, S. 119.
Vgl. unten 9. Kapitel II.
Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, S. 101, Hervorhebung von mir; vgl. auch unten im 11. Kapitel III.
Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, 3. Buch § 19; vgl. dazu Cornelius Bickel, Ferdinand Tönnies, S. 288, 308ff.
Sibylle Tönnies, Der Dimorphismus der Wahrheit, Kap. „Polarität“.
Vgl. dazu Cornelius Bickel a.a.O. S. 290; vgl. auch im 12. Kapitel I.3.
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Tönnies, S. (1995). Der abstrakte Mensch. In: Der westliche Universalismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09645-0_3
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