Zusammenfassung
Im folgenden gilt der Suche nach alternativen Ansatzpunkten einer Politik die Aufmerksamkeit, die die vorherrschende Fiskalisierung und Ökonomisierung in der Finanz-, Sozial- und Umweltpolitik abschwächen oder überwinden kann und damit verstärkt eine Politikgestaltung zuläßt, die sozialen und ökologischen Belangen Vorrang vor fiskalischen und ökonomischen Interessen einräumt. Ansatzpunkte für die Entwicklung „pragmatischer“ Alternativen unter restriktiven politischen und ökonomischen Bedingungen werden in erster Linie in einer vorrangigen Festsetzung von Aufgabenschwerpunkten und deren Finanzierung gesehen. Die mittelfristige Sicherung sozialer Ausgabenanteile und eine verstärkte Infrastrukturförderung bilden weitere alternative Ansätze einer Politik der Mittelverwendung, die mit einer Neugestaltung des Verhältnisses von Steuer- und (sozialer) Beitragsfinanzierung einhergehen (müssen). Schließlich wird eine sozialen Gerechtigkeitsanforderungen Rechnung tragende Alternative darin gesehen, das Leistungsfähigkeits- und Gleichmäßigkeitsprinzip in der Politik der Mittelaufbringung zu stärken.
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Literatur
Die überwiegend vom öffentlichem Sektor bereitgestellte Infrastruktur bildet die le und personelle „Unterbau“ einer Wirtschaft. Zur Infrastruktur werden vor allem Verkehr, Energie-und Wasserversorgung, das Bildungs-und Gesundheitswesen, Wohnungsbau, Umweltschutz-, Sozial-, Kultur-und Freizeiteinrichtungen gezählt. Die Erbringung von Infrastrukturleistungen erfordert dabei nicht nur Kapitalinputs, sondern auch Personal-und Sachausgaben, d.h. Folgekosten im eigentlichen Sinn ohne Finanzierungskosten und Abschreibungen. Infrastrukturprojekte sind vielfach Großprojekte mit langen Ausreifungszeiten und erschwerter Möglichkeit für regionale und nationale Importe. Infrastrukturprojekte sind außerdem wegen ihrer langen Lebensdauer (geringer Anteil der Investitionen am bestehenden Kapitalstock!) an geänderte Nachfragebedingungen (z.B. im Wohnungsbau) nur begrenzt anpassungsfähig. Ferner ist die Anwendung des Marktmechanismus im Infrastrukturbereich nur eingeschränkt möglich, da Infrastrukturprojekte typischerweise eine Vielzahl externer Effekte erzeugen, vielfach dem NichtAusschluß-Prinzip unterliegen und häufig regionale und nationale Monopolstellungen einnehmen. Siehe dazu Nowotny 1996, S. 195f.
Als Modell für die Sanierung der Infrastruktur in Ostdeutschland gilt das für die Jahre 1991 und 1992 aufgelegte „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“. Schwerpunkte dieses Infrastrukturprogrammes waren kommunale Investitionen für die Instandsetzung von Gebäuden und Anlagen, die Bereitstellung von Mitteln für die wirtschaftsnahe Verkehrsinfrastruktur, den Wohnungs-und Städtebau und die Hochschulen, Umweltschutzinvestitionen für Abwasser, Trinkwasser und Deponien und die Finanzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Siehe hierzu Pilz/Ortwein 1992, S. 149f. Ein enormer, auf mehrere 100 Milliarden Mark geschätzter ungedeckter Bedarf in ganz Deutschland wird in folgenden Feldern öffentlicher Investitionstätigkeit gesehen: In Verkehrs-und Kommunikationswegen, in der Stadt-und Dorferneuerung, in der Energieversorgung, bei Umweltschutzmaßnahmen wie der Luftreinhaltung, der Altlastensanierung, des Gewässerschutzes, der Landschaftssanierung, der Abfallwirtschaft usw., im Bildungswesen und bei sozialen Diensten. Siehe dazu die Dokumentation des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, IAB-Werkstattbericht Nr. 7/26.5.1992, S. 21.
Längerfristig führen Infrastrukturinvestitionen zu hoher und steigender Kapitalproduktivität für private Investitionen, indem private Investoren öffentliche Vorleistungen direkt oder über höhere Qualität des „Human-Kapitals“ (durch besseres Ausbildungs-oder Gesundheitswesen) indirekt nutzen. Je mehr im Zuge verschärften globalisierten Wettbewerbs mit strukturbedingter Unterauslastung volkswirtschaftlicher Kapazitäten gerechnet werden muß, desto wichtiger und erfolgversprechender wird der Einsatz langfristig konzipierter Infrastrukturprogramme, die neben ihren stabilisierungspolitischen auch wachstumspolitische Effekte haben. Vgl. dazu Hikkel/Priewe 1989 und das „Weißbuch” der EU-Kommission „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung“, Brüssel 1993.
Einen ersten gesamtstaatlichen Versuch, in Rahmen der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern einen Katalog für „notwendig“ erachteter Ausgaben und daraus zu finanzierender Aufgaben aufzustellen, unternahm eine im Jahr 1972 vom Finanzplanungsrat eingesetzte Arbeitsgruppe. Die aus Beamten von Bund, Ländern und Gemeinden zusammengesetzte Arbeitsgruppe erfaßte (durch Gesetz oder Vertrag vorgegebene) „feststehende Ausgaben” nach Ausgabenarten und bestimmten Aufgaben bzw. Maßnahmen. Auch wenn keine Einigung über Art und Umfang der feststehenden Ausgaben und damit über die notwendigen Ausgaben erzielt wurde, dokumentierten Bund, Länder und Gemeinden ihre „strittigen Positionen“ insbesondere bezüglich der Verteidigungsausgaben, der Liquiditätshilfen an die Bahn, der Personalausgaben und vom Bund und/oder von den Ländern mitfinanzierten Sachinvestitionen der Gemeinden in den Bereichen Straßen, Schulen und Abwasserbeseitigung/Kanalisation. Vgl. Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe Ausgabenentwicklung des Finanzplanungsrats, Bonn, März 1973, S. 2.
Fritz Neumark unterscheidet zwischen steuertechnischen und materiellen Grundsätzen der Besteuerung: Steuertechnische Grundsätze wie die Postulate der Steuertransparenz, der Praktikabilität steuerlicher Maßnahmen und der Stetigkeit steuerrechtlicher Normen stehen den materiellen Grundsätzen wie den fiskalisch-budgetären, ethisch-sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Besteuerungsgrundsätzen gegenüber. In Theorie und Praxis werden die steuertechnischen im Vergleich zu den materiellen Steuerpostulaten als subsidiär angesehen. Vgl. dazu Neumark 1970, S. 334, 371f. und 379.
Der bekannteste der zahlreichen Vorschläge zur Einkommensteuerreform ist die Stufentarif-Regelung des wirtschaftspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Gunnar Uldall, der Steuersätze von 8%, 18% und 28% vorsieht. Siehe Uldall 1996, S. 276.
Das Steuersystem ist um so gerechter, je weniger die Steuerbemessungsgrundlage geschmälert werden kann, also je weniger zuvörderst „wohlhabende“ Bürger von den verteilungspolitisch fragwürdigen Steuererleichterungen profitieren können. Siehe Neumark 1970, S. 90ff.; Pohmer 1996, S. 288.
Da die Bildung des Vermögens insbesondere durch die (progressive) Einkommensteuer stark vorbelastet ist, ist der Spielraum für eine höhere Vermögensteuer-Belastung verfassungsrechtlich begrenzt. Konkret bedeutet das für das Bundesverfassungsgericht zweierlei: Die Besteuerung darf nicht den „Vermögensstamm“ (Substanz des Vermögens!) antasten, und die Erträge stehen dem Staat allenfalls bis zur Hälfte zu. Vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgericht vom 22. Juni 1995 und Kirchhof 1995, S. 27f.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen „Einheitswertbeschlüssen“ zur Vermögen-und Erbschaftsteuer vom Juni 1995 die Vermögensteuer zu einer „Sollertragsteuer” erklärt, also zu einer Komplementärsteuer der Einkommensteuer. Demzufolge sollen künftig wertvolle, aber ertraglose Vermögen, wie z.B. unbebaute Grundstücke als noch gar nicht realisierte Veräußerungsgewinne zu Erträgen umdeklariert und besteuert werden können. Vgl. Mundorf 1996, S. 2.
Im Zuge der Diskussion um die „Große Steuerreform“ wird zur Beseitigung der Mängel des für zu kompliziert, leistungsfeindlich und ungerecht gehaltenen deutschen Steuersystems eine „radikale” oder „nachhaltige“ Senkung der Steuersätze im Einkommensteuerrecht befürwortet. Vgl. Uldall 1996, S. 277; Däke 1996, S. 282.
Die Deregulierung beispielsweise im Sinne der Beschleunigung von Autobahn-Bauvorhaben (etwa nach dem Investitionserleichterungsgesetz für die neuen Bundesländer) kann nach dem Leitbild dauerhaft umweltgerechter Entwicklung dann noch gerechtfertigt werden, wenn als Folge verkürzter Verfahren bei Rechtsstreitigkeiten die Bauprojekte schneller fertiggestellt werden können, die in Deutschland erreichten Umweltstandards aber mittel-und langfristig nicht beeinträchtigt werden. Vgl. Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen 1996.
Der hier vertretenen, auf politische Gestaltung setzenden Alternative widersprechen auch die die Arbeitslosenversicherung betreffenden sowie die Individualisierung und Ökonomisierung der Sozialpolitik befördernden Vorschläge wie die des BDI-Vizepräsidenten Tyll Necker, zur Senkung von Lohnnebenkosten Teilrisiken privat abzusichern. Die Arbeitslosenversicherung soll als Pflichtversicherung dergestalt „liberalisiert“ werden, daß dem Versicherten die freie Wahl des Tarifs eingeräumt werde, bei einem höheren Tarif mit dem Eintritt der Arbeitslosigkeit vom ersten Tag an Arbeitslosenunterstützung zu erhalten oder bei einem niedrigeren Tarif die ersten Monate auf Leistungsbezug zu verzichten. Vgl. dazu die Süddeutsche Zeitung vom 13.8.1996, S. 2.
Die Umweltminister der EG-Mitgliedstaaten haben 1985 eine EG-Richtlinie beschlossen, bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorzunehmen. Die EG-Richtlinie hat die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die UVP in nationales Recht zu transformieren. Siehe SRU 1987, Ziff. 119.
Steuerliche Entlastungen gelten gegenüber steuerlichen Belastungen (z.B. Abgaben) deshalb als ökologisch wenig effektiv, weil (nach § 7d Einkommensteuergesetz) zunächst der notwendige Nachweis des hohen (steuervergünstigenden) Aufwendungsanteils von mindestens 90%, der dem Umweltschutz zu dienen hat, dazu führt, daß vor allem teure, leicht nachweisbare nachgeschaltete Technologien installiert werden. Ein weiterer Nachteil steuerlicher Vergünstigungen liegt darin, daß Steuernachlässe nur denjenigen Emittenten zugute kommen, die steuerpflichtige Gewinne erwirtschaftet haben. Da aber „gewinnlose“ Unternehmen keine Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen können, erhalten gerade diejenigen Unternehmen keine fiskalischen Anreize, die einen besonders hohen Bedarf haben, Umweltschutzinvestitionen zu tätigen.
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Pilz, F. (1998). Ansätze politikfeldspezifischer Alternativen. In: Der Steuerungs- und Wohlfahrtsstaat Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09634-4_11
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