Zusammenfassung
Die öffentliche Verwaltung hat in Deutschland in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg ihre Form gefunden und ist gleichzeitig insofern auf den Begriff gebracht worden, als man Modelle von Staat und Verwaltung entwickelt hat, die weithin bis heute unser Verständnis und die Sprache prägen, in der wir dieses Verständnis zum Ausdruck bringen. Im folgenden Kapitel ist zusammenzufassen, was sich aus den Kapiteln 11 bis 14 über die Form ergibt. Das geschieht in drei Schritten: Zunächst gehe ich ebenso vor wie im Kapitel 10, um zu verdeutlichen, was sich im Vergleich zu der Zeit davor nach 1870 verändert hat. Damit werden zugleich die im Kapitel 2 aufgeworfenen Fragen beantwortet, soweit sie sich beantworten lassen. Weil die von uns betrachtete Verwaltung ihre Form gefunden hat, ist zweitens noch einmal die Aufmerksamkeit auf die Aufgaben zu richten, die der Verwaltung gestellt sind oder werden, und ist dabei zu klären, was unsere relativ ausführliche Erörterung dieser Aufgaben systematisch erbracht hat. Schließlich sind drittens intensiver als früher das ‚Verwalten‘ und seine Wirkungen anzusprechen, um ein erstes Fazit aus der Fülle der Beispiele zu gewinnen.
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Literatur
Daß diese Entwicklung in den größeren Städten besonders anschaulich wird, wurde hervorgehoben. Die Städte haben sich unmittelbar mit den Folgen des Bevölkerungswachstums auseinandergesetzt. Eine Konsequenz ihres Tuns kommt in der Urbanisierung als Zustand und in dem Bedürfnis nach Urbanität zum Ausdruck. Zum Zustand gehört ein hohes Maß von Versorgung — die Daseinsvorsorge und die zu ihr gehörende Leistungsverwaltung sind zwar nicht allein, aber doch überwiegend in den Städten zum Thema der Politik geworden und haben diese verändert.
Die städtischen Deputationen stellen in mancher Hinsicht einen Versuch dar, ein Stück der Orientierung an ‘Land und Leuten’ durch eine Orientierung an konkreten Objektbereichen, die dazu allerdings isoliert werden müssen, zu ersetzen. Diese Objektorientierung hat die kommunale Entscheidungsfähigkeit vermehrt, weil man nicht auf breiter Front kämpfen, sondern nur um Konkretes streiten mußte, wobei dann auch Niederlagen leichter erträglich sind. Die Isolierung einzelner Bereiche ließ sich aber nicht aufrechterhalten: Aus den vielen Einzelangeboten der Stadt erwuchs deren (auf Erweiterung hin angelegtes) Angebotssystem. Das wurde aber in seiner Wirkung erst nach 1919 und dann vor allem erst nach 1948 erkennbar.
In der Diskussion über das Expertentum, dem wir vor 1914 vor allem im technischen Bereich (Eisenbahnbau, Stromerzeugung und -versorgung) und bedingt auch im medizinischen begegnen, wird häufig die unterschiedliche Autoritätsbasis von Experten und Bürokraten hervorgehoben. Experten sollen ihr Handeln mit dem Hinweis auf den Stand der Wissenschaft und nicht mit dem auf Amts-Macht rechtfertigen; sie sollen sich dem unpersönlichen bürokratischen Gehabe eher entziehen; ihnen soll Autonomie besonders wichtig sein und sie sollen sich deshalb gegen zu detaillierte Regelungen auflehnen. Vgl. z.B. H. Daheim, Berufssoziologie, in: R. König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band 8, 2. Aufl. 1977. Im Berichtszeitraum stellen solche Experten noch keinen dominierenden Typus dar, während sich der Typus des Bürokraten schon
Vgl. M. Haller,Die Klassenstruktur im sozialen Bewußtsein. Ergebnisse vergleichender Umfrageforschung zu Ungleichheitsvorstellungen, in: M. Haller u.a. (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft. Verhandlungen des 24. Dt. Soziologentages. 1989, S. 447ff. Eine größere vergleichende Studie ‘International Social Justice Project’ wird derzeit (1991ff.) durchgeführt; den deutschen Part hat B. Wegener übernommen. Vgl. dazu auch wegen der Literaturübersicht B. Wegener/S. Liebig,Etatismus und Funktionalismus. Ein Vergleich dominanter Ideologien in Deutschland und den USA. Arbeitsbericht Nr. 5. 1991 (Paper des Inst. für Soziologie der Universität Heidelberg).
Vgl. R. Nozick, Anarchy, State and Utopia. ( Oxford ) 1974.
Der Einwand bei R.E. Lane, Market Justice, Political Justice, in: American Political Science Review 1986, S. 383ff., was die allgemeine Erfahrung erklärt, daß unabhängig von der jeweiligen faktischen Leistung politische Privilegien eher abgelehnt und Anhäufung von Reichtum und Macht im Zweifel eher bewundert werden.
Die Unfähigkeit der deutschen ‘Dienstklasse’, soziale Ungleichheit zur Kenntnis zu nehmen, hebt R. Dahrendorf 1965 — zur Abgrenzung der Dienstklasse S. 104ff. — u.a. S. 148f. hervor und verweist auf Th. Geiger,Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel. 1949, wo es S. 168 heißt: „Eine Klasse leugnet mit Entrüstung, Klasse zu sein, und führt einen erbitterten Klassenkampf gegen Wirklichkeit und Idee des Klassenkampfes.“
Daß sich daran nichts geändert hat, zeigen die Entwicklungen seit 1991 und die allmählich erstarkende ‘Wut auf den Staat’, also die Politik, der man fast ausschließlich die Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern zur Last legt. Das bringt mit übermäßigen Erwartungen eine eindeutige Überforderung der Politik und ihrer Möglichkeiten zum Ausdruck. Zu ihr haben freilich nicht nur die überlieferten Erwartungen an Staat und Politik beigetragen, sondern entscheidend auch die Selbstüberschätzung der Politik und die uneinlösbaren Versprechungen, die daraus hervorgegangen sind.
Vgl. dazu M. Stürmer Die Grenzen der Macht. Begegnung der Deutschen mit der Geschichte. 1992, S. 68ff.
H. Dreier,Zur ‘Eigenständigkeit’ der Verwaltung, in: Die Verwaltung 1992, S. 137ff. Dreier referiert einleitend Arnold Koettgen, der 1957 diese Alternative aufwarf, und gibt anschließend Auskunft über die Positionen von Hans Peters (’Die Verwaltung als eigenständige Staatsgewalt’) und Ernst Forsthoff, der 1974 vor der ’Subalternisierung der Verwaltung’ gewarnt hat. auch mit zunehmender Qualität der Verwaltung immer häufiger entdeckt und genutzt wurden.
H. Dreier a.a.O. S. 152 spricht davon, daß viele Kategorien des Verwaltungsrechts (und Streitigkeiten innerhalb der Verwaltungsrechtslehre) im Grunde nur Variationen des „einen, zentralen Sachverhalts“ seien: „des durch Phänomene des Wählers, Wägens und Wertens gekennzeichneten, von der Judikative unterschiedlich kontrollierten Entscheidungsspielraums der Exekutive im insofern unausweichlich stets auch ‘politischen Prozeß’ gemeinwohlorientierter Verwaltungstätigkeit.” Die Verwaltung hat ein ’Konkretisierungsrecht’.
H. Heimpel,Die halbe Violine. Eine Jugend in der Residenzstadt München. 1949, S. 23.
W. Schüssler Die Daily Telegraph Affaire. Fürst Bülow, Kaiser Wilhelm und die Krise des Zweiten Reiches 1908. 1952, S. 86.
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Ellwein, T. (1993). Verwaltung 1871 – 1918. In: Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09632-0_15
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