Zusammenfassung
Die Selbsterhaltung des Staates bei Angriffen aus dem Innern ist eine Aufgabe, die sich jedem politischen System stellt. Will es seine Existenz und Funktionsfähigkeit erhalten, so muß es gegen zerstörerische Kräfte im Innern vorgehen. In diktatorischen Systemen ist dies eine Selbstverständlichkeit. Im demokratischen Verfassungsstaat jedoch bestehen berechtigte Bedenken, gegen Staatsbürger vorzugehen. Der demokratische Staat kann sich aber gegen einen zerstörerischen Mißbrauch demokratischer Grundfreiheiten nur wehren, indem er antidemokratischen Kräften bestimmte Grundfreiheiten entzieht. Aber ist eine solche Reaktion nicht ein Verstoß gegen die ureigensten demokratischen Grundsätze der Freiheit und Gleichheit, und verletzt das demokratische System dadurch nicht seine eigenen Grundprinzipien? Darf eine Demokratie selbst solch repressive Züge annehmen? Der demokratische Staat setzt seine eigene Existenz und damit die Grundfreiheiten seiner Bürger aufs Spiel, wenn er nicht handelt. Dieses grundlegende Problem jedes westlichen demokratischen Verfassungsstaates wird das „demokratische Dilemma“ genannt1.
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Literatur
Mehr zu dem „demokratischen Dilemma“ in: Boventer, Streitbare Demokratie, 1985, S. 14–18 und 31–82 und Friedrich, Democracy’s Dilemma, 1968.
Die Einbeziehung weiterer europäischer Lander, wie Großbritannien oder Italien, wäre sicherlich interessant. Sie würde aber den Rahmen dieser Arbeit insofern sprengen, als die vergleichende Vorgehensweise ein besseres Verständnis der politischen Kultur der untersuchten Lander ermöglichen soll. Großbritannien ware insofern von Bedeutung, weil die Materie dort nicht verfassungsrechtlich und wenig gesetzlich geregelt wird, sondern vielmehr auf pragmatischen Maßnahmen beruht. Italien hätte wegen seiner Sonderposition auch in den Vergleich einbezogen werden können, weil die italienische Vergangenheit am ähnlichsten zu der deutschen wäre. Italien hat die Materie ähnlich wie Frankreich geregelt mit der Ausnahme des Verbots der faschistischen Bewegung (Art. XII der Schlußbestimmungen: „Die Neuorganisation, unter irgendeiner Form, der verbotenen faschistischen Partei ist verboten“). Einige Abgeordnete der Alleanza Nazionale plädierten für deren Abschaffung, was vielleicht eine gewisse Niederlage des Streitbarkeitsprinzips bedeutet hätte. Auch interessant wären die neuen Demokratien Südeuropas, die nach ihren diktatorischen Erfahrungen in ihre Verfassungen einige Elemente der Streitbarkeit eingeführt haben (vgl. z.B. Art 46 Abs. 4 der portugiesischen Verfassung).
Neumann/Lasserre, Ländervergleich, 1980, S. 22.
Beyme, Vergleich, 1988, S. 30.
Beyme, Vergleichende Regierungslehre, 1966, S. 85.
Herz, Soziale Bedingungen, 1975, S. 9.7
Zu den verschiedenen Instrumenten gibt es vielerlei Literatur, auf die jeweils verwiesen wird.
Die PKK wurde zeitgleich in Deutschland und Frankreich verboten.
Sekten sind sicherlich ein immer gravierenderes Problem in Deutschland und Frankreich (aber auch fìtr andere Demokratien wie beispielweise Japan mit der Aum-Sekte). Beson- ders interessant ist der Fall der Scientology Church, einer Sekte, die zuerst als eine wirt-schaftlich kriminelle Organisation jedoch ab 1996 in Deutschland zunehmend als eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung angesehen wurde. Deshalb werden seitdem von den Innenministern Bayerns und Baden-Württembergs Mittel der streitbaren Demokratie auf diese angewandt (Beobachtung durch den Verfassungsschutz und Befragung von Anwärtern des öffentlichen Dienstes über Mitgliedschaft in der Scientology Church).
Backes/Jesse, Totalitarismus, 1985, S. 308, weiter „Soziale Bewegungen werden von breiteren, potentiell mobilisierbaren Bevölkerungsgruppen getragen, die gesellschaftliche Krisenzustände als ungerecht erfahren und von einem institutionellen Engagement keine Lösung ihrer Probleme erwarten“. Außerdem verstehen sich „außerparlamentarisch wirkende Prostestgruppen häufig selbst als,Bewegung`, suggerieren damit einen Massenanhang, der objektiv oftmals nicht oder jedenfalls nicht in dieser Form vorhanden ist. Von sozialen Bewegungen sollte erst gesprochen werden, wenn sich breitere Bevölkerungskreise mit den politischen Zielen der Protestler identifizieren. In der repräsentativen Demokratie können soziale Bewegungen ein Indiz für Versäumnisse der staatlichen Institutionen bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme sein, ebenso jedoch auch ein Beleg für den Grad postmaterialistischen Denkens oder gar ein Symptom für die Lebendigkeit der Demokratie. Die Einschätzung hängt davon ab, wie stark sich extremistisches Gedankengut in den Bewegungen manifestiert”, in: Backes/Jesse, Politischer Extremismus, 1996, S. 522.
Merk/Werthebach, Innere Sicherheit, 1986, S. 76.
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Canu, I. (1996). Einleitung — Definition der Problematik. In: Der Schutz der Demokratie in Deutschland und Frankreich. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09626-9_1
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