Zusammenfassung
Die Literaturen in den slawischen Sprachen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien entstehen unter den Bedingungen von Fremdherrschaft, als Teil des Versuchs, sich durch Sprache und Literatur national zu behaupten. Ein historischer Überblick setzt daher eine klare Unterscheidung zwischen dem Wunsch nach nationaler und sozialer Befreiung einerseits und nationalistischen Ideologien andererseits voraus. Oft erklären sich die mythologischen und geschichtlichen Komponenten einer nationalen Ideologie aus authentischen Bedürfnissen, und diese auszudrücken, gehörte zu den wichtigen Anliegen der Literatur. Doch abgesehen von der Funktion, Sprachrohr des Volkes zu sein, entwickelt jede dieser Literaturen auch spezifische künstlerische Verfahren, die ihre literarische Tradition bilden. Die umfangreiche Materie lässt es nicht zu, dass man sie auf nur eine Funktion reduziert; deshalb kann auch der gewichtige Aspekt der nationalen Ideologien nur bedingt isoliert betrachtet werden.
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Literatur
Antun Barac, ein bedeutender kroatischer Literaturhistoriker, wird in seiner Geschichte der jugoslawischen Literaturen von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1977, den Besonderheiten der Nationalliteraturen der Kroaten, Serben, Slowenen und Makedonier gerecht, er stellt sie übersichtlich in kulturhistorische und politische Zusammenhänge und vergleicht sie sowohl untereinander wie auch mit anderen europäischen Literaturen. Übersetzt und bearbeitet wurde die deutsche Ausgabe (die um das Kapitel „Jugoslawische Gegenwartsliteraturen“, das von mehreren Autoren stammt, erweitert wurde) von Rolf-Dieter Kluge. Eine muslimisch-bosnische und eine montenegrinische Literaturgeschichte werden bei Barac nicht gesondert betrachtet. Die Bibliographie von Reinhard Lauer, Serbokroatische Autoren in deutscher Übersetzung. Bibliographische Materialien (1776–1993). Teil 1: Chronologischer Katalog, Wiesbaden 1995, ist ein wichtiges Nachschlagewerk, das schnelle Informationen über die literarischen Texte ermöglicht, die in deutscher Sprache zugänglich sind. Die Einleitung des Herausgebers („Zur Übersetzungsrezeption serbischer, kroatischer und bosnischer Autoren im deutschen Sprachraum“) ist eine aktuelle Bestandsaufnahme, die deutschen Lesern die Benutzung der Bibliographie erleichtert und sie zugleich in die Produktion und Rezeption dieser Literaturen einfuhrt. Gleiches gilt für R. Lauer (Hg.), Sprachen und Literaturen Jugoslawiens, Wiesbaden 1985.
Die neuesten Einträge in Kindlers Neues Literatur Lexikon Band 20, München 1988, bieten kurze Informationen und weiterführende Literaturangaben: Alois Schmaus (fortgeführt von Klaus Detlef Olof), „Die slowenische Literatur“; Marija Smoliɣ, „Die kroatische Literatur“; Alois Schmaus (fortgeführt von Dušan Marinkoviɣ), „Die serbische Literatur“; Borislav Pavlovski, „Die makedonische Literatur“.
Ivo Frangeš, Geschichte der kroatischen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Köln, Weimar, Wien 1995, wird dem Anspruch gerecht, nicht nur chronologische Fakten aufzuzählen, sondern die Umrisse der Stilepochen komplex zu zeichnen und die Werke der einzelnen Autoren in Bezug auf ihre ästhetische Bedeutung literaturkritisch zu hinterfragen (der Anhang listet bio- und bibliographische Daten auf).
Smail Baliɣ, Das unbekannte Bosnien. Europas Brücke zur islamischen Welt. Köln, Weimar, Wien 1992, bringt dem Leser die Literatur (neben der Geschichte und der Kultur) der bosnischen Muslime näher.
Einzelne Aspekte der Literaturgeschichte:
Zur serbischen Volkspoesie und ihrer Rezeption in Deutschland: Miljan Mojasevic, Jacob Grimm und die serbische Literatur und Kultur, Marburg 1990. Die Studie hebt die Bedeutung hervor, die fur die Poetik Jacob Grimms seine Begegnung mit Karadžiɣ und der serbischen Kultur hatte.
Im Sammelband von Reinhard Lauer (Hg.), Sprache, Literatur, Folklore bei Vuk Stefanoviɣ Karadžiɣ, Wiesbaden 1987, wird Karadzic als zentrale Persönlichkeit der serbischen sprachlichen und kulturellen Entwicklung dargestellt. Eine kritische Auseinandersetzung mit der serbischen Volksdichtung bietet Lauer in seinem Aufsatz „Das Wüten der Mythen. Kritische Anmerkungen zur serbischen heroischen Dichtung“, in: ders. und Werner Lehfeldt (Hg.), Das jugoslawische Desaster. Historische, sprachliche und ideologische Hintergründe, Wiesbaden 1995. Die Moderne in einem geographisch breiten Kontext analysiert Reinhard Lauer (Hg.), Die Moderne in den Literaturen Südosteuropas, München 1991. Eine wichtige Anthologie der Texte von Crnjanski, Ristiɣ, Dedinac, Matiɣ u.a.: Holger Siegel (Hg.), In unseren Seelen flattern schwarze Fahnen. Serbische Avantgarde 1918–1939, Leipzig 1992. Diese Anthologie macht sichtbar, wie sehr die europäische Avantgarde ein internationales Phänomen der Epoche war. Der Beitrag der serbischen Autoren zu dieser Epoche ist von großer Bedeutung sowohl für die serbische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts wie auch für die europäische Literatur im Allgemeinen (wobei die bescheidene Rezeption dieser Literatur und ebenso dieses Bandes nicht viel Auskunft über ihre Bedeutung zu geben vermag).Informativ zum serbischen Nachkriegsroman: Angela Richter, Serbische Prosa nach 1945: Entwicklungstendenzen und Romanstrukturen, München 1991; im Überblick von Dagmar Burkhart und Vladimir Biti (Hg.), Diskurs der Schwelle. Aspekte der kroatischen Gegenwartsliteratur, Frankfurt/M., Berlin u.a. 1996, werden die Gattungen der kroatischen Gegenwartsprosa in ihrer Verschiedenartigkeit vorgestellt: von den historischen Romanen Fabrios bis zu den Kriminalromanen oder den fantastischen, postmodernen und experimentellen Autoren um die Zeitschrift „Quorum“. Weitere Aufsätze: Giga Graɣan, Was heute anders ist. Der kroatische Essay A. D. 1990–1991, (Most/The Bridge, A Journal of Croatian Literature — Croatian Literature Series, Vol. 10), Zagreb 1991; Krešimir Nemec, Der kroatische Roman der achtziger Jahre, (Most/The Bridge, Vol. 3), Zagreb 1990; Velimir Viskoviɣ, „Dossier: Miroslav Krleža“, in: Most/Die Brücke (Zeitschrift der Gesellschaft kroatischer Schriftsteller), Heft 1–2, 1996. Zu Serbien: Alida Bremer, „Neuere serbische Literatur: Zwischen Geschichte, Mythos und Nation“, in: Die Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte, Nr. 5/1992, S. 457–462; Serbian Literary Quarterly. No. 4 (Belgrad 1986); und No. 3–4 (Belgrad 1987); Svetlana Slapšak, „Serbische Alternativen“, in Alida Bremer, (Hg.), Jugoslawische (Sch)erben. Probleme und Perspektiven, Osnabrück, Münster 1993. Ferner: Neue Literatur, Nr. 1/93 (Neue Folge, Themenheft: Grabreden. Literaturen im Krieg); Neue Literatur, Nr. 1/95 (Neue Folge; Themenheft: Bücher sind Brücken, Lyrik und Prosa aus Bosnien-Herzegowina und der Emigration). Aktuelle durch den Krieg angeregte literarische Texte und Gedichte finden sich im Sammelband von Dunja Melɣiɣ (Hg.), Das Wort im Krieg. Ein bosnisch-kroatisches Lesebuch, Frankfurt 1995. Ferner: Miljenko Jergoviɣ, Sarajevo Marlboro, Wien, 1996; Semezdin Mehmedinoviɣ, Sarajevo Blues, Göttingen 1999.
Kulturanthropoligische Studien:
Die erste und bisher bekannteste kulturanthropologische Studie zu diesem Raum stammt von Gerhard Gesemann, Heroische Lebensform. Zur Literatur und Wesenskunde der balkanischen Patriarchalität, Berlin 1943, die in ihrer Analyse der Volkspoesie, der dokumentarischen und literarischen Texte zu erstaunlichen Erkenntnissen führt, die — trotz Entstehungsjahr und -ort der Studie — auch heute noch von Interesse sind.
Die Studie von Dagmar Burkhardt, Kulturraum Balkan: Studien zur Volkskunde und Literatur Südosteuropas, Hamburg 1989, legt durch die Analyse der mündlichen Dichtung und der Volksbräuche die Konturen der Gesellschaft ebenso wie die poetologischen Voraussetzungen für die Literatur dar.
Eine (post)moderne Umwandlung der patriarchal-nationalistischen — schon von Gesemann beobachteten — Phänomene beschreibt Ivan Čoloviɣ, Bordell der Krieger. Folklore, Politik und Krieg, Osnabrück 1994.
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Bremer, A. (1999). Literaturen und nationale Ideologien. In: Melčić, D. (eds) Der Jugoslawien-Krieg. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09609-2_18
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