Zusammenfassung
Süd- und Mittelamerika wurden über mehrere hundert Jahre hinweg, länger als irgendeine andere außereuropäische Region, von Europa aus regiert. Das macht es verständlich, warum auch nach Entlassung großer Teile des Subkontinents in die Unabhängigkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts die meisten Staatsführer und Intellektuellen weiterhin ihre Augen nach Europa richteten, um sich Rat zu holen, wie die politische Ordnung in den jungen Staaten zu gestalten sei. Die Ideen und Prinzipien, welche die politische Entwicklung in den letzten zwei Jahrhunderten auf dem alten Kontinent geprägt haben —Nationalismus und Demokratie, Gewaltenteilung und Grundrechtsschutz, Rechtsstaatlichkeit und Wohlfahrtsstaat —, sind ebenso zu einem festen Bestandteil der politischen Kultur der Länder Lateinamerikas geworden. Man kann deren jüngere politische Geschichte und aktuelle Situation nicht begreifen, ohne ständig auf Ideenströmungen und Institutionen Bezug zu nehmen, die aus der europäischen Staatslehre und -praxis entlehnt sind. Dies ist die eine Seite des politischen Prozesses. Daneben gibt es aber noch eine zweite Seite, die diesem Eindruck einer getreuen Kopie des europäischen Staatsmodells diametral entgegengesetzt ist und dessen effektive Durchsetzung bis heute erfolgreich verhindert hat. Stichwortartig läßt sich dieses Gegenmodell durch die Prävalenz partikularistischer und klientelistischer Orientierungsmuster gegenüber abstrakten Normen, die Betonung persönlicher Beziehungen und Bindungen gegenüber einer rein sachlichen Betrachtungsweise charakterisieren.
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Waldmann, P. (2002). Warum sich das europäische Staatsmodell in Lateinamerika nicht durchsetzte. In: Der anomische Staat. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09590-3_2
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-09590-3_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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