Zusammenfassung
Die Fragestellung dieses Beitrags betrifft Aspekte der Demokratiequalität des österreichischen Parlamentarismus. Ein derartiger Versuch steht vor einem grundsätzlichen Problem: Das tatsächliche Funktionieren „parlamentarischer“ Systeme weicht von den Leitbildern, welche große Teile der Bevölkerung (nicht nur in Österreich) von der Rolle eines Parlaments haben, erheblich ab:
Von einem „parlamentarischen Regierungssystem“ (und von „Parlamentarismus“) wird in der Politikwissenschaft dann gesprochen, wenn die Regierung vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängig ist (vgl. grundlegend von Beyme 1999). Die parlamentarische Mehrheit kann also einer Regierung das Vertrauen entziehen (Misstrauensvotum) und eine ihr genehme Regierung installieren. Dies hat in der politischen Praxis zur Folge, dass die Regierung letztlich von der Führung der parlamentarischen Mehrheitspartei(en) gestellt wird, wodurch sich das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Regierung und Parlament (parlamentarischer Mehrheit) faktisch umdreht: Regierung und Parlamentsmehrheit bilden dann eine politische Aktionseinheit, und de facto kontrolliert die Regierung das parlamentarische Geschehen. Hinzu kommt, dass in modernen Demokratien in der Praxis nicht individuelle Abgeordnete, sondern Parteien gewählt werden (dies ist auch in Staaten mit einem stark personalisierten Wahlrecht nicht anders, wie etwa in Großbritannien mit der relativen Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen, in Frankreich mit seiner absoluten Mehrheitswahl oder in Deutschland, wo die Hälfte der Abgeordneten in Einerwahlkreisen direkt gewählt werden; vgl. Noblen 2000).
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Literatur
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Sickinger, H. (2002). Zur Demokratiequalität des österreichischen Parlamentarismus. In: Campbell, D.F.J., Schaller, C. (eds) Demokratiequalität in Österreich. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09585-9_3
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