Zusammenfassung
Die dieser Studie zugrunde liegende Fragestellung ergibt sich aus der theoretischen Annäherung an die Altersphase als lebenslanger Prozeß, der bei den heutigen Alten durch Prozesse der Biographisierung als Subjektseite des gesellschaftlichen Individualisierungsprozesses begleitet wird, sowie aus den theoretischen Annäherungen an die Kategorie ‘Land’ als sozialstrukturelle und sozialweltliche Dimension, durch die Lebensverläufe und Lebenssituationen durch landspezifische sozialkulturelle Bedingungen, Deutungs- und Handlungsmuster sowie Sinnbezüge geprägt sind. Sie geht ebenso davon aus, daß die Kategorie ‘Land’ als dynamische Dimension gefaßt werden muß, die durch zeitgeschichtliche Entwicklungsprozesse Veränderungen erfahrt. Die zeitgeschichtlichen Entwicklungsprozesse des Landes seit der Nachkriegszeit können als Individualisierungsdynamik bezeichnet werden, die das Potential kollektiver Lebenszusammenhänge und die Einbeziehung des Subjekts in soziale Netzwerke verändert hat. Wichtige Grundlagen dörflicher Vergemeinschaftung, d.h. die ‚Kollektivierungsmotoren‘ des ländlichen Raums (Sander 1987, 119), haben sich verändert. Die bisherigen Forschungsergebnisse zu Fragen des Alterns auf dem Land weisen darauf hin, daß diese Individualisierungsdynamik auch die Lebensführung von alten Menschen wesentlich tangiert hat. Die durch die quantitativ angelegten Studien hervorgebrachten Ergebnisse können nämlich auch anders als bisher interpretiert werden. Die Reduzierung gemeinschaftlicher und mehrgenerationenbezogener Familien- und Haushaltsformen im Alter, die zunehmende Entberuflichung des Alters auf dem Land, die Kommunikationsverdünnung und die aufgedeckten Probleme von Langeweile und Isolation können auch als Freisetzungsprozesse aus den traditionell ländlichen Vergemeinschaftungsformen gedeutet werden. Diese Freisetzungsprozesse bedeuten nun keineswegs eine automatische Angleichung an städtische Lebensverhältnisse und Lebensformen oder die Auflösung der Kategorie Land.
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Literatur
Ein zentraler Kritikpunkt an dem Verfahren von Schütze bezieht sich auf diese grundlagentheoretische Annahme der Nähe zwischen Erzählung und vergangenem Ereignisablauf. V. Wensierski (1994) faßt die Kritik in zwei Argumentationsmustem zusammen. Das eine wendet gegen die Kongruenz von vergangenem Ereignisablauf und Erzählung vor allem die Fiktionalität aller erzählten Texte ein. Die andere Position stellt demgegenüber die generative Struktur der erzählten Lebensgeschichte in Frage. Sie versteht biographische Rekonstruktion immer als Konstruktion einer in der Gegenwart lebenden ErzählerIn, deren Funktion der gegenwärtigen Identitätskonstruktion und der Präsentation des gegenwärtigen Selbstbildes diene (vgl. zur Kritik am Verfahren von Schütze Fischer 1978, Bude 1985, Nassehi 1994 ). Jakob (1997) ist zuzustimmen, wenn sie darauf hinweist, daß die Prämisse der Nähe zwischen Erzählung und vergangenem Ereignisablauf keineswegs bedeute, daß die Erzählung mit dem Erlebtem identisch sei. Sie schreibt: „Eine autobiographische Erzählung erfolgt immer aus der Retrospektive und damit können Verschiebungen in der Bewertung der Relevanz einzelner Ereignisse verbunden sein. Spätere Ereignisse lassen das früher Geschehen in den Hintergrund treten oder führen zu einer neuen Einordnung in den biographischen Gesamtzusammenhang. Auch die Situation zum Zeitpunkt des Interviews beeinflußt die Hervorbringung der lebensgeschichtlichen Erzählung. Im Prozeß der Erinnerung wird die Lebensgeschichte strukturiert, dies erfolgt allerdings unter Bezugnahme auf die vergangenen Ereignis-und Erfahrungsabläufe: “das Leben kann nicht neu erfunden werden, und selbst die Organisiertheit unterliegt Faktoren der Gestaltetheit, die aus der erlebten Lebensgeschichte resultieren” (Rosenthal 1995, 167)“ (456). Allerdings lassen sich die geäußerten Kritiken nicht mit eindeutigen Antworten aus dem Weg schaffen. Jakob (1997) verweist in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit grundlagentheoretischer Forschungsarbeiten, „die den Prozeß der Biographiekonstruktion unter Rückgriff auf lebensgeschichtliche Erfahrungen in den Blick nehmen” (457).
Alle im folgenden genannten Orts-und Personennamen sind anonymisiert.
Ähnliche Erfahrungen werden bei Riemann 1987; Krüger/Fuchs-Neinritz 1991; Jakob 1993
Die Transkriptionen geben die Äußerungen der Informantinnen buchstabengetreu wider.Dialekte und Versprecher wurden bei der Transkription berücksichtigt. Die Interpunktion entspricht nicht grammatikalischen Regeln. Ein Komma bedeutet eine kürzere Pause (Luftholen, Stocken o.ä.), ein Punkt am Ende des Satzes ein Senken der Stimme. Pausen werden im Text mit einem Punkt markiert, wobei jeder Punkt eine Pause von etwa einer Sekunde bedeutet. Unterstrichene Wörter oder Wortteile werden besonders betont. Ein in Klammem gesetztes Fragezeichen bedeutet, daß das Wort bzw. der Satzteil unverständlich geblieben ist. Ebenfalls in Klammem stehen Anmerkungen zu nichtsprachlichen Äußerungen des/r Interviewten.
Die Interpretation erfolgte in einer Gruppe, die sich aus Silke Baumgardt, Claudia Dartsch und der Autorin zusammensetzte.
Zwei weitere Interviews wurden aufgrund der Anwesenheit der Ehepartner, die fortwährend in den Interviewverlauf und in die Erzählungen intervenierten, keiner weiteren Analyse unterzogen.
Aufgrund des in dieser Arbeit gewählten Neuzugangs zum Thema,Altern auf dem Land’ und der dadurch bedingten mangelnden Rückgriffsmöglichkeit auf Vorarbeiten konnten bestimmte Kategorien bei der Auswertung der Interviews und Fragen, die sich im Laufe des Interpretationsprozesses stellten, nicht weiter systematisch verfolgt werden. Dies betrifft zum Beispiel Fragen nach geschlechtsspezifischen Unterschieden in den Biographien. Entsprechende Differenzen werden z.T. deutlich, bedürfen aber weiterer systematischer Analysen, um die Frage nach geschlechtsspezifischen Unterschieden im Hinblick auf das Altern auf dem Land zu beantworten.
Zitate werden in doppelten Anführungsstrichen („), Formulierungen, die in Anlehnung an die Interviewtranskriptionen übernommen wurden, mit einfachen Anführungsstrichen (,) markiert.
Auf die Literaturangabe der Chronik wird aus Gründen der Anonymhaltung des Untersu- chungsgebietes verzichtet.
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Schweppe, C. (2000). Fragestellung und methodisches Vorgehen der Studie. In: Biographie und Alter(n) auf dem Land. Studien zur Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, vol 17. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09429-6_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-09429-6_5
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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