Zusammenfassung
Die Höhe der Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahlen ist ein wesentlicher Indikator für Länge und Intensität wirtschaftlicher Krisen in der BRD. Danach dauert die gegenwärtige Krise schon fast vier Jahre. Bei der Diskussion um die Diagnose und Therapie dieser Rezession spielen die Ausführungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) eine wichtige Rolle, handelt es sich nach dem Gesetz über den Sachverständigenrat doch um ein unabhängiges Gremium (vgl. § 1 und § 3 Abs. 1 SVRG). Dieser Begriff der Unabhängigkeit schließt zumindest assoziativ die Neutralität im Sinne einer Interessenungebundenheit ein, zumal es um ein Gremium von Wissenschaftlern geht (§ 1 Abs. 2 SVRG). Sowohl Unabhängigkeit als auch Neutralität sind die Voraussetzungen dafür, daß der SVR einem seiner wesentlichen Aufträge, nämlich über die Sachzusammenhänge im Wirtschaftssystem der BRD aufzuklären, nachkommen, kann.1 Dies war die herausragende Begründung für die Installierung des SVR in der durch das Gesetz festgelegten Weise. Von dieser Aufklärung wurde und wird eine Versachlichung der wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussion erwartet. Eine Darstellung der wirklichen wirtschaftlichen Zusammenhänge muß dazu führen, so die einhellige Meinung bei der Gründung des SVR, daß viele unnütze, sozial schädliche Streitereien verhindert oder erheblich abgemildert werden können. Aufklärung in diesem Sinne soll also sozial-integrativ wirken.2 Implizite Voraussetzung für das Gelingen der Aufklärung ist allerdings, daß es sich bei der zugrunde gelegten marktwirtschaftlichen Ordnung, in deren Rahmen der SVR seine Untersuchungen durchführen soll (§ 2 SVRG), um ein grundsätzlich harmonisches Wirtschaftssystem handelt, bei dem also letztendlich alle Konflikte systemkonform aufhebbar sind, da alle „am gleichen Strang ziehen“.
Dieser Aufsatz wurde im September 1977 abgeschlossen. Das neueste Jahresgutachten 1977/78 konnte deshalb nicht berücksichtigt werden. Dieses Gutachten läßt keine Änderung in den theoretischen Ableitungen, seinen Empfehlungen und seiner Sprache erkennen (abgesehen vom Minderheitsvotum). Es unterstreicht vielmehr die im folgenden getroffenen Feststellungen. Die Reaktionen kurz nach der Veröffentlichung des neuen Gutachtens bestätigen den Beginn der hier vorausgesagten Entwicklung.
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Anmerkungen
Vgl. z.B. die Ausführungen von H. Giersch in: Für und wider das erste Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1964/65, hrsg. von der Deutschen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft e.V., Bad Harzburg 1966, S. 37 f.
Siehe G. Engelhardt, Vom Expertenmonolog zum gesellschaftlichen Dialog, in: R. Molitor (Hrsg.), Zehn Jahre Sachverständigenrat, Frankfurt/M. 1973, S. 188 ff.
Wie diese Marktregeln aussehen und was der SVR darunter versteht, wird weiter unten noch angesprochen werden.
Vgl. dazu etwa das Jahresgutachten 1967, Ziff. 373 oder S. Katterle, Einkommenspolitik und Verteilungskonflikte in einer freiheitlichen Gesellschaft. Zur Kritik einer technokratischen Konzeption, in: F. Lenz (Hrsg.), Beiträge zur Wirtschafts-und Gesellschaftsgestaltung, Festschrift für B. Gleitze, Berlin 1968, S. 313 ff.
Vgl. etwa die Besprechungen der SVR-Gutachten der Jahre 1975 und 1976 vom wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen Institut des DGB „Vom Rat nichts Neues“ in: WSI-Mitteilungen, 29. Jg. (1976), Heft 1, S. 1 ff. und „Umverteilungsprogramm statt Beschäftigungsprogramm“, in: WSI-Mitteilungen, 30. Jg. (1977), Heft 1, S. 1 ff. oder W. Pfaffenberger, Konsequenzen der Wirtschaftskrise im Sachverständigengutachten, in: Das Argument, Bd. 90(1975), S. 264 ff.
Vgl. Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 278.
Ebenda, Ziff. 279.
Vgl. z. B. F. Holzheu, Nach der Konzertierten Aktion die mittelfristig orientierte Regelbindung, in: Finanzarchiv, N. F. Bd. 33 (1975), S. 475 ff.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 278.
Ebenda, Ziff. 278 Abs. 3.
Ebenda.
Ebenda, Ziff. 280.
Ebenda, Ziff. 106 und Ziff. 278.
Vgl. Jahresgutachten 1964/65, Ziff. 248, Jahresgutachten 1965/66, Ziff. 97 ff., 202 ff., Jahresgutachten 1966/67, Ziff. 243 ff., 270 ff., 290ff., 302 ff.
Vgl. H. Giersch, Probleme stabilisierungskonformer Lohnpolitik, in: Kyklos, Vol. 20 (1967), S. 147 ff. oder A. E. Ott, Zur Konzeption der Sachverständigen, in: Der Volkswirt, Nr. 46 vom 17.11.1967, S. 2529 ff.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 278 Abs. 3.
Jahresgutachten 1975/76, Ziff. 295 Abs. 1.
Vgl. Jahresgutachten 1974/75, Ziff. 364-369 sowie M. Friedman, Die Rolle der Geldpolitik, in: Die optimale Geldmenge, Frankfurt 1976 (Taschenbuchausgabe), S. 143 ff. und ders., Nobel Lecture: Inflation and Unemployment, in: Journal of Political Economy, Vol. 85 (1977), S. 451 ff.
Vgl. etwa Jahresgutachten 1975/76, Ziff. 64 Abs. 3.
Vgl. Jahresgutachten 1976/77, S. 69, Tabelle 17.
Jahresgutachten 1975/76, Ziff. 65-68, Ziff. 90.
Ebenda, Ziff. 68.
Vgl. A. O. Okun, The Gap between Actual und Potential Output, In: The Battle against Unemployment, The Council of Economic Advisers and Yale University (Hrsg.), New York 1965, S. 13ff.
Alternative Investitionsfunktionen und ihre empirische Relevanz untersucht P. v. d. Lippe, Beschäftigungswirkung durch Umverteilung? in: WSI-Mitteilungen, 30. Jg. (1977), Heft 8, S. 505 ff.
Vgl. dazu H. Scherf, Produktivitätsorientierte Lohnpolitik und Preisstabilität, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 98 (1967), S. 117 ff.
Vgl. B. Molitor, Keine glückliche Hand — Der Sachverständigenrat und die Verteilungspolitik, in: Zehn Jahre Sachverständigenrat, a.a.O., S. 160. Angemerkt werden muß, daß solche marktwidrigen Verhaltensweisen bezüglich der Preissteigerungen auf Gütermärkten, also Zurückhaltung bei der Ausnutzung von Preissteigerungsspielräumen durch Unternehmen in den SVR-Gutachten in dieser Eindringlichkeit wie bei den Gewerkschaften nirgends gefordert werden.
Vgl. Jahresgutachten 1976/77, Anhang, Abschnitt VIII, S. 212 ff.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 321.
Vgl. Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 281.
Vgl. Jahresgutachten 1974/75, Ziff. 337 und Jahresgutachten 1975/76, Ziff. 312 ff.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 283.
Ebenda. Es sei daran erinnert, daß die Sachverständigen auch als die „Fünf Weisen“ bezeichnet werden. Vgl. zum Zusammenhang von SVR und religiösem Aphorismus die Bemerkungen von G. Engelhardt, a.a.O., S. 199.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 283 und 122 ff.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 277.
Ebenda, Ziff. 284 ff.
Jahresgutachten 1975/76, Ziff. 455.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 298, Abs. 3, 4, 5.
Ebenda, Abs. 6.
Vgl. Jahresgutachten 1975/76, Ziff. 370 ff. und Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 361 ff.
Jahresgutachten 1976/77, Ziff. 361 Abs. 3.
So ist doch bemerkenswert, daß die Übernahme von unternehmerischen Risiken durch Arbeitnehmer vom SVR nicht gekoppelt wird mit der Einräumung von Mitentscheidungsrechten für Arbeitnehmer.
Einen Überblick über diese Entwicklung findet sich z.B. bei M. Bolle (Hrsg.), Arbeitsmarkttheorie und Arbeitsmarktpolitik, Opladen 1976.
Vgl. etwa die Studie von B. Lutz und W. Sengenberger, Arbeitsmarktstrukturen und öffentliche Arbeitsmarktpolitik, Göttingen 1974.
Vgl. die Besprechung des Gutachtens von 1975/76, a.a.O., S. 2 und die des Gutachtens von 1976/77, a.a.O., S. 5.
„Vom Rat nichts Neues“, a.a.O., S. 3.
Vgl. etwa die „Vorschläge zur Beendigung der Massenarbeitslosigkeit“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 22. Jg. (1977), Heft 5, S. 625 ff.
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Mattfeldt, H. (1978). Determinanten der Arbeitslosigkeit in der BRD. Zur Interpretation des Sachverständigenrates. In: Arbeitsmarktpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09287-2_2
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