Zusammenfassung
In der offiziellen arbeitsmarktpolitischen Diskussion herrscht noch immer die traditionelle neoklassische Betrachtungsweise vor. So wird vorgegeben, durch eine mehr oder minder ausgeprägte Lohnpause, durch weitere beharrliche Senkung der Lohnquote, durch großzügige Kostenentlastungen der Unternehmen über Steuersenkungen und Subventionen, durch allgemeine Gewinnstimulierung und globale Wachstumsförderung ließe sich das Desaster auf dem Arbeitsmarkt lindern. Neue Wege der Arbeitsmarktpolitik seien nicht erforderlich. In dieser einfachen Logik kommt der Lohn- und Produktivitätsentwicklung eine Schlüsselfunktion zu. In monotoner Regelmäßigkeit warnen die Wirtschaftsinstitute1 vor zu hohen Lohnsteigerungen, unterstützt vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und neuerdings auch von der Bundesbank. Letztere führte im Geschäftsbericht für das Jahr 1976 das hohe Niveau der Arbeitslosigkeit im wesentlichen auf die „Spätfolgen früherer inflationärer Übersteigerungen“, auf ein überhöhtes Lohnund Rohstoffkostenniveau, auf einkommensnivellierende Tarifverträge (z. B. Vereinbarungen über Sockelbeträge) sowie „unerwünschte Nebenwirkungen sozialpolitischer Fortschritte“ zurück. Das Argumentationsmuster ist neoklassisch. So wird die Lösung der Arbeitsmarktkrise auch in der „Korrektur der Verteilungsrelationen“ und der Zunahme der Investitionstätigkeit gesehen.
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Anmerkungen
Insbesondere das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) betont stets in den „Gemeinschaftsgutachten“, daß beschäftigungs-und preisniveauskonforme Lohnzuwächse immer noch unter den Empfehlungen der anderen Institute liegen müßten. Bemerkenswert ist allein, daß solche Thesen, stets ohne auch nur den durchsichtigsten Schleier der Begründung, von der Öffentlichkeit unbeanstandet zur Kenntnis genommen werden.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1977/78, Bonn 1977.
A.C. Pigou, The Theory of Unemployment, London 1933, S. 248 ff.
In der aktuellen Diskussion stehen freilich die unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt vorherrschenden Unvollkommenheiten, also die Abweichungen vom Gleichgewichtsmodell, im Vordergrund der Betrachtung, obwohl von den Marktunvollkommenheiten in der Produktion, Zirkulation etc. erhebliche indirekte Wirkungen auf den Arbeitsmarkt ausgehen. So wird etwa von den Neoklassikern der Einfluß der Oligopolisierung auf vielen Produktmärkten auf den Arbeitsmarkt gerne übersehen.
H. Giersch, Konjunktur-und Wachstumspolitik in der offenen Wirtschaft, Allgemeine Wirtschaftspolitik, Band 2, Wiesbaden 1977, S. 268.
S. Nehring, R. Soltwedel, Probleme der Beschäftigungspolitik, in: Konjunkturpolitik, Heft 4/1976, insbesondere S. 211 ff.
R. Soltwedel, Konjunkturelle oder strukturelle Arbeitslosigkeit — ungelöstes Zurechnungsproblem, in: WSI—Miteilungen, Heft 5/1977, S. 304 ff. — Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1976, o.O., 21.4.1977, S. 37 ff.
Ch. C. Holt, Job Search, Phillips’ Wage Relation, and Union Influence: Theory and Evidence. In: A.E. Phelps (Ed.), Economic Foundations of Employment und Inflation Theory, London 1970.
Vgl. zu den verschiedenen Begriffen von Arbeitslosigkeit: R.G. Lipsey, Structural and Deficient Demand Unemployment Reconsidered. In: B.J. McCormick, E.O. Smith (Ed.), The Labor Market, Harmondsworth 1968, S. 245 ff.
H. Giersch, Konjunkturelle, strukturelle und internationale Aspekte des Arbeitslosenproblems, in: Wege zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Kieler Diskussionsbeiträge Nr. 49, Januar 1977, S. 42.
Dies schließt die Einengung innerbetrieblicher Arbeitsmärkte, die Einschränkung der zunehmenden Segmentierung in berufsfachliche Märkte mit wechselseitiger Abschottung ebenso ein wie das Aufbrechen von „closed-shop“-Praktiken im Gefolge der Verbesserung des Kündigungsschutzes.
Bezeichnenderweise führte J. Rueff — ausgerechnet im Jahre 1931 — die damalige Arbeitslosigkeit im wesentlichen auf das System der Arbeitslosenversicherung zurück. Vgl. J. Rueff, L’Assurance Chômage Cause du Chômage permanent. In: Revue d’Economic Politique (1931), S. 211.
H. Giersch, Konjunktur-und Wachstumspolitik, a.a.O., S. 252. — Ders., Beschäftigungspolitik ohne Geldillusion, in: Die Weltwirtschaft, Heft 2/1972, S. 128.
G. Fels, H. Giersch, H. Müller-Groeling, K.D. Schmidt, Neue Rollenverteilung in der Konjunkturpolitik. In: Die Weltwirtschaft 1971, S. 7/8. — „Bei vorgegebener Geldmengenexpansion und einer dem Grundgesetz gehorchenden Budgetpolitik kann niemand anders für Vollbeschäftigung und damit auch für die Rückkehr zur Vollbeschäftigung sorgen als die Tarifpartner. Denn für den Arbeitsmarkt gilt als ökonomisches Gesetz dasselbe wie für andere Märkte. Wo immer zu hohe Entgelte vereinbart und nicht durch Inflation gesenkt werden, gibt es ein Ungleichgewicht in Form eines Angebotsüberhanges. „H. Giersch, Konjunkturelle, strukturelle und internationale Aspekte des Arbeitslosenproblems, a.a.O., S. 43.
„Denn wie die klassische Theorie in eine Anklage ausmündet, so neigt die Grenzproduktivi-tätstheorie zur Apologie ...“ E. Preiser, Erkenntniswert und Grenzen der Grenzproduktivitätstheorie. In: ders., Bildung und Verteilung des Volkseinkommens, Göttingen 1973, S. 266.
K.W. Rothschild, Lohntheorie, Berlin/Frankfurt/M. 1963, S. 21.
Vgl. W. Hofmann, Sozialökonomische Studientexte, Einkommenstheorie, Berlin 1965, S. 232f.
Auf diese Implikation macht P.H. Douglas aufmerksam, P.H. Douglas, The Theory of Wages, New York 1934, S. 70.
Vgl. K.W. Rothschild, Lohntheorie, a.a.O., S. 43 ff., — J. Robinson, Theory of Imperfect Competition, London 1954, S. 267 ff.
R.A. Lester, Shortcomings of Marginal Analysis for Wage-Employment Problems. In: American Economic Review, Vol. 36, 1946, S. 63 ff.
F. Machlup, Marginal Analysis and Empirical Research. In: American Economic Review, Vol. 36, 1946, S. 519 ff.
R.A. Lester, F. Machlup, G.J. Stigler, Communications, in: American Economic Review, Vol. 37, 1947, S. 135 ff.
R. Soltwedel, D. Spinanger, Beschäftigungsprobleme in Industriestaaten, Nürnberg 1976, S. 282 ff.
Im übrigen werden Mindestlöhne häufig gerade aufgrund extremer Unterbezahlungen und Diskriminierung (z.B. bei Schwarzen) festgelegt. Darüber hinaus sind bei möglicher Arbeitsintensivierung nach erfolgter Lohnerhöhung sogar positive Beschäftigungseffekte denkbar. Vgl. K.W. Rothschild, Lohntheorie, a.a.O., S. 35.
R. Soltwedel, D. Spinanger, Beschäftigungsprobleme in Industriestaaten, a.a.O., S. 295. — Würde tatsächlich im Sinne der Neoklassiker das Verhältnis von Lohnsatz und Grenzproduktivität durch die Sozialpolitik mit negativen Beschäftigungsfolgen verändert, so wäre z.B. zu vermuten, daß die Einführung eines Arbeitslosenversicherungsbetrages der Arbeitgeber (oder eine Erhöhung des Betrages) stets mit negativen Beschäftigungseffekten sanktioniert würde, weil auf den margin alen Arbeitsplätzen die Lohnkosten einschließlich der Lohnnebenkosten über der Grenzproduktivität lägen. Statt dessen ist eher eine Preisüberwälzung zu erwarten, die Maßnahme selbst wäre — obwohl sie die unternehmerische Kostenrechnung tangiert — beschäftigungsneutral.
Vgl. E. Heuß, Grundelemente der Wirtschaftstheorie, Göttingen, 1970, S. 188. — Siehe auch die Kritik von H. Neisser: „The Law of Markets does not secure the reabsorption of workers; there is no rigid association between purchasing power and quantity of output nor between output and employment.“ „Permanent“ Technological Unemployment, in: American Economic Review, 1942, S. 57.
Zur Begriffserklärung siehe A.E. Ott, Technischer Fortschritt, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 10, Tübingen 1959, S. 309.
„ ... so liegt es auf der Hand, daß der arbeitsparende technische Fortschritt bei Kapitalmehraufwand ... die für die Entwicklung des Kapitalismus typische Form des technischen Fortschritts darstellt, und zwar seit der industriellen Revolution bis zur gegenwärtigen Zeit der Atomtechnik und Automation.“ A.E. Ott, Technischer Fortschritt, a.a.O., S. 310.
H. Giersch, Konjunktur-und Wachstumspolitik, a.a.O., S. 268.
Ebenda.
Vgl. R.A. Lester, Economics of Labor, New York, 1949, S. 115.
E. Lederer, Wirkungen des Lohnabbaus, Tübingen 1931, S. 13/14. — Ähnlich argumentiert H. Neisser: „Would not a sufficient lowering of wage rates revert the development and bring about the application of older processes requiring much less capital per worker? This argument overlooks that, even at a considerably lower wage rate, the puddling process may be less profitable than the open hearth process. In other words: the transition from one process to another ist not correctly described by moving along a given marginal productivity curve for capital: a shift in the curves was caused by technological progress.“ H. Neisser, „Permanent“ Technological Unemployment, a.a.O., S. 66.
Vgl. K.W. Rothschild, Lohntheorie, a.a.O., S. 43 f. — J. Robinson, The Theory of Imperfect Competition, a.a.O.
E. Heuß, Grundelemente der Wirtschaftstheorie, a.a.O., S. 216. — Heuß bemüht sich, die gegenwärtige Arbeitslosigkeit als späte Folge der Septemberstreiks 1969 darzustellen: zunächst hatte die allgemeine Nachfragesteigerung zu einer Nachfragesoginflation geführt, die Erweiterungsinvestitionen induziert habe; mit dem Übergang zur Kostendruckinflation seien dann Rationalisierungsinvestitionen in Gang gesetzt worden. Zur Absorption der Arbeitslosen sei ein besonders hohes Investitionswachstum erforderlich. Siehe E. Heuß, Technischer Fortschritt in der Marktwirtschaft, in: Wirtschaftsdienst, Heft 1/1977, S. 226 ff.
Vgl. E. Arndt, Theoretische Grundlagen der Lohnpolitik, Tübingen 1957, S. 63. “ R.A. Lester, Economics of Labor, a.a.O., S. 1781 f.
R.A. Lester, Economics of Labor, a.a.O., S. 115.
So wird über die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Unternehmensbefragung berichtet: „Das Ergebnis zeigt, daß sich 93 % der Firmen im Fall von Lohnzuschüssen nicht zu mehr Einstellungen veranlaßt sehen und daß für Einarbeitungszuschüsse eine ähnliche Quote gilt (91 %). Dieses Ergebnis deutet zugleich darauf hin, daß die Bedeutung des Lohnniveaus als Ursache für die anhaltend schwache Nachfrage nach Arbeitskräften, also für die „mangelnde Konkurrenzfähigkeit“ der nicht besetzten Arbeitsplätze, offensichtlich überschätzt wird.“ G. Nerb, L. Reyher, E. Spitznagel, Struktur, Entwicklung und Bestimmungsgrößen der Beschäftigung in Industrie und Bauwirtschaft auf mittlere Sicht, in: IAB-Mitteilungen, H. 1/1977, S. 185.
Anders urteilt E. Arndt, Theoretische Grundlagen der Lohnpolitik, a.a.O., S. 64f. „Die grundlegende Ursache für das Versagen der Marktgesetzlichkeit auf dem Arbeitsmarkt ist ohne Zweifel die mangelnde Marktfähigkeit der Arbeit. Die Arbeitskraft ist keine Ware; sie nimmt in dieser Beziehung eine absolute Sonderstellung ein.“ Ebenda, S. 64.
Vgl. R.A. Lester, Economics of Labor, a.a.O., S. 100.
Vgl. Vorschläge des DGB zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung, o.O., 1977, S. 6, 7.
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Priewe, J. (1978). Zur Kritik neoklassischer Arbeitsmarkttheorien. In: Arbeitsmarktpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09287-2_1
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