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Die Genese des Konzepts ‚Stadtteilarbeit‘ in der westdeutschen Stadterneuerungsgeschichte

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„Wer plant hier für Wen…?“

Part of the book series: Stadtforschung aktuell ((STADT,volume 98))

  • 98 Accesses

Zusammenfassung

Wie bereits dargestellt, gehe ich ja bei meiner Auseinandersetzung mit der Praxis ostdeutscher Stadtteilarbeit davon aus, dass sich in ihr eigene, offene und bisher weitgehend unerforschte Entwicklungen vollziehen. Sie ist allerdings in einen institutionellen Rahmen eingebunden, der im Zuge der Systemtransformation aus Westdeutschland übernommen wurde. Das heißt also, dass diese rahmengebenden Institutionen die ostdeutschen Praxen zwar nicht wirklich determinieren, aber durchaus prägen. Der entscheidende Rahmen für meine Arbeit ist dabei das Konzept der ‚Stadtteilarbeit‘, das sich im Laufe der westdeutschen Nachkriegsgeschichte institutionalisiert hat. Für meine Annäherung an die Besonderheiten ostdeutscher Prozesse der Stadtteilarbeit scheint es mir daher wichtig, mich zunächst mit diesem Konzept und dessen Genese vor dem Hintergrund der Entwicklung von Gesellschaft und Stadt in der BRD auseinanderzusetzen.

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Literatur

  1. So findet sich in der Literatur z.B. die Darstellung von Phasen für die Entwicklungen des Planungsverständnisses (vgl. Albers, 1993), der Stadtentwicklung (vgl. Häußermann/Siebel, 1994, S. 33ff.), der Stadterneuerung und Sanierung (vgl. Pfotenhauer, 1998, S. 245 ff.), der Bürgerinnenbeteiligung in der Planung (vgl. Selle, 1994, S. 81 ff.), der Gemeinwesenarbeit (vgl. Mohrlok u.a., 1993, S. 40ff.) und des Politikverständnisses in der Gemeinwesenarbeit (vgl. Oelschlägel, 1994, S. 12ff.), des Verhältnisses von Protest und lokaler Politik (vgl. Roth, 1999, S. 13ff.) oder auch der Behandlung der Thematik Macht und Städtebau in der Sozialwissenschaft (vgl. Bodenschatz/Harlander, 1998, S. 142ff.).

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  2. Gerade hier zeigt sich die Geistesverwandtschaft zum städtebaulichen Funktionalismus. Die Forderung nach einem Abriss von „ungesunden„ Häuserblocks findet sich ja bereits in der Charta von Athen (Le Corbusier, 1984, S. 138). In der Charta wird auch deutlich, dass sich ein solches Abrissprogramm ausdrücklich als ein Programm zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit versteht — was auch bedeutet, dass seine Kritiker sich dem Verdacht aussetzen, unsozial zu denken. So wird in der Charta ausgeführt: „Gewisse Schöngeister, denen ästhetische Belange wichtiger sind als die der Solidarität, kämpfen um die Erhaltung alter malerischer Viertel, ohne sich um das Elend, das Durcheinander und die Krankheiten zu kümmern, die in jenen Vierteln zu Hause sind. Sie laden sich damit eine schwerwiegende Verantwortung auf“ (ebd., S. 152). Diesem Vorwurf setzten sich auch noch die frühen Kritiker der Sanierung in der BRD aus. Allerdings bedeutet das Selbstverständnis dieser frühen Form der Flächensanierung als soziales Programm nicht, dass es nicht auch handfeste ökonomische Interessen an dieser Form der Stadtemeuerung gab: Insbesondere wurde durch den Abriß der Altbaugebiete und deren Ersatz durch eine geringere Anzahl von Neubauwohnungen der innerstädtische Wohnraum verknappt und damit die Nachfrage nach den Wohnungen ‚auf der grünen Wiese‘ verstärkt. Für Berlin wird dies z.B. bei Bodenschatz (1987, S. 174) dargestellt.

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  3. In den USA hatten sich schon seit den 20er Jahren — nicht zuletzt im Kontext reformorientierter Stadtplanung — erste Ansätze der ‚community organization‘ zur Aktivierung und Koordination bürgerschaftlicher Aktivitäten, Stärkung der lokalen Ressourcen, Integration der Einwohner-Innen und Intensivierung der Beteiligung an der Siedlungsplanung entwickelt, die sich bald mit beruflicher Sozialarbeit verbanden. Diese Ansätze befruchteten auch ähnlich geartete ‚community development projects‘ im Großbritannien der 60er und 70er Jahre. In den Nie derlanden gab es ebenfalls seit den 20er Jahren das, maatschappelijk opbouwwerk‘ (gesellschaftliches Aufbauwerk), das zunächst die Entwicklung völlig neuer Gemeinden im Rahmen von Landgewinnungsmaßnahmen begleitete, sich später und insbesondere seit den 60er Jahren auch mit der Begleitung von Stadterneuerungsprozessen beschäftigte (vgl. Wendt, 1989, S. 4ff.).

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  4. „Hat die Gemeinwesenarbeit auch in Deutschland eine Chance?„ lautet dementsprechend auch der Titel einer der ersten Aufsätze zur Gemeinwesenarbeit in Deutschland aus dem Jahre 1966. Die Autorin Ingeborg Blauert — Direktorin einer Evangelischen Schule für Sozialarbeit in Berlin — sieht hier zwar durchaus Möglichkeiten, formuliert aber insbesondere angesichts einer in Deutschland weniger als in den USA oder den Niederlanden verwurzelten allgemeinen Überzeugung vom Wert einer demokratische aufgebauten Gemeinwesens auch Bedenken (vgl. Blauert, 1966, S. 218ff.).

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  5. Für diese Diskussion spielte auch die Neuentdeckung des Städtebaus durch die Sozial- und Humanwissenschaften eine Rolle, eingeleitet durch Beiträge wie jene von Jane Jacobs (1963) und im deutschen Raum neben dem bereits erwähnten Beitrag von Mitscherlich insbesondere die Überlegungen von H. P. Bahrdt (1961 und 1968) zu Stadt und Städtebau.

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  6. Wie bei Rucht (1983, S. 58ff.) dargestellt wird, gilt diese thematische und organisatorische Begrenzung sowie der Einsatz integrativer Strategien auf Seiten der Regierungen und Parteien nicht nur für Bürgerinitiativen im Bereich der Stadterneuerung, sondern allgemein für die erste Phase der Entwicklung von Bürgerinitiativen in der BRD.

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  7. Das 1971 verabschiedete Städtebauförderungsgesetz bot nicht nur städtebauliche Alternativen zur ‚Kahlschlagsanierung‘, sondern verlangte auch neue Formen und Inhalte zur vorbereitenden Untersuchung der Gebiete, zur Sozialplanung und nicht zuletzt zur Betroffenenbeteiligung.

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  8. Vgl. hierzu Davidoff (1972). Es gab dann in den 70er Jahren auch einige praktische Versuche mit der Anwaltsplanung, nachzulesen z.B. in dem von Joachim Brech und Rainer Greiff vom Institut für Wohnen und Umwelt herausgegebenen Sammelband „Bürgerbeteiligung mit Experten„ (1978). Eine kritische Würdigung der Versuche mit der Anwaltsplanung findet sich bei Körber/Siebel (1971).

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  9. Zum Beispiel bei Mohrlok u.a. (1993, S. 44).

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  10. Diese Konzepte sind nachzulesen unter Ross (1968) und Boer/Utermann (1970).

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  11. Plastisch dargestellt und ironisiert wird diese ambivalente Beziehung zwischen der traditionellen Sozialdemokratie und den Marxistlnnen der studentischen Bewegungen im Lied „Entschuldigung eines alten Sozialdemokraten„ von Franz Josef Degenhardt aus dem Jahre 1968, nachzuhören z.B. auf der Platte „Von damals und von dieser Zeit„. Zwar betont dort der alte Sozialdemokrat bei dem Gespräch mit dem jungen Aktivisten vor dem Werkstor in Bezug auf den Ansatz der APO immer wieder: „So geht das nicht!„ und ihm wird umgedreht vorgeworfen, dass er „spricht und spricht und spricht und spricht„, aber nichts wirklich ändert; aber es wird auch deutlich, dass es in den politischen Zielen durchaus Gemeinsamkeiten gibt.

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  12. Dabei bildeten sich neben den sich als sozialrevolutionär verstehenden Initiativen auch durchaus eher mittelständische Bürgerinitiativen, die zumindest auch vom Ziel einer Besitzstandswahrung getragen waren, etwa im Westend die „Aktionsgemeinschaft Westend e.V.„ (vgl. Stracke, 1980, S. 70ff.).

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  13. Auch in Rolf Schwendters Klassiker „Theorie der Subkultur„ — 1970 geschrieben und 1973 erstmals erschienen — wird der Wohnbereich ausdrücklich als ein Praxisbereich zur Arbeit an einem Gegenmilieu (z.B. gegenseitige Hilfe, Altenhilfe, Kommunen etc.), an der Veränderung des Bestehenden (z.B. Mieterstreiks), an der Selbstorganisation von Betroffenen (z.B. Mietervereine) und an der Selbstorganisation der arbeitenden Gruppen genannt (Schwendter, 1993, S. 305f.). Diese Praxisempfehlungen richten sich an die ‚progressiven Subkulturen‘, unter denen Schwendter versucht, die sich im Umfeld der Student-Innenbewegung und der APO entwickelnden Gegenmilieus zu fassen. Dabei wird aber auch deutlich, dass sich zu Beginn der 70er Jahre bereits eine starke Fragmentisierung der Bewegung eingesetzt hat. Entsprechend deren Bandbreite vom StalinistInnen bis zu Antiautoritäten und von Haschrebelllnnen bis zu oppositionellen ChristInnen müssen die Ziele, die sich bei allen gemeinsam finden lasse, eher vage bleiben und reduzieren sich letztendlich auf die „Umwälzung des Establishments„ und die „grundsätzliche Zerschlagung des Bestehenden„ (ebd., S. 293).

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  14. Der Beschluss sowie zahlreiche Reaktionen aus der Politik, der Justiz, von den Gewerkschaften und von linken Organisationen finden sich bei Knirsch u.a. (1973).

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  15. Zeitgenössische Darstellungen aus Sicht der AktivistInnen finden sich z.B. bei Häuserrat Frankfurt (1974) und bei Wenzel u.a. (o.J.). Für eine sinnliche Annäherung an das Selbstverständnis der ProtagonistInnen dieser ersten, aber auch und erst recht der späteren Wellen von Hausbesetzungen empfehle ich die erläuterte Sammlung von Plakaten der Bewegung bei Leh unter Mitarbeit von Antje (1999). Und deutlich wird die Stimmung in der Bewegung auch durch den „Rauch-Haus-Song„ der Band Ton Steine Scherben, dessen Textzeilen „Das ist unser Haus! Ihr kriegt uns hier nicht raus!„ gewissermaßen zum musikalischen Schlachtruf der Bewegung wurde (nachzuhören auf der LP „Keine Nacht für Niemand„ (1972). Dabei gibt es zwischen der Band und der HausbesetzerInnenbewegung eine besondere Verbindung: Sowohl eine der ersten Kreuzberger Hausbesetzungen sowie die geradezu zur Legende gewordene Besetzung des Bethanienkrankenhauses — nach der Besetzung umbenannt in ‚Georg-von-RauchHaus‘ — im Dezember 1971 fanden nach Konzerten der Band statt. Beschrieben wird dies in der Bandbiographie von Sichtermann u.a. (2000, S. 37ff.).

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  16. So der Titel eines die Bewegung stark prägenden Werks von Manuel Castells (vgl. Castells, 1975). Gerade dessen in Frankreich 1973 erschienene Werk „Die kapitalistische Stadt„ (Castells, 1977) war zudem auch eines der stadtsoziologische Grundlagenwerke für eine neue, marxistisch geprägte Forschungstradition in Westeuropa.

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  17. Auch diese ‚Strategie der Spaltung‘ gilt — ebenso wie die Radikalisierung des Protestes — nicht alleine für Initiativen im Bereich der Stadterneuerung, sondern ist für Rucht (1983, S. 60ff.) geradezu typisch für eine zweite Phase in der westdeutschen Entwicklungsgeschichte der Bürgerinitiativbewegung.

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  18. Dieses Phänomen ist allerdings kein westdeutsches, sondern eher ein westeuropäisches (vgl. Albers, 1997, S. 324ff.).

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  19. Dabei bleibt die Orientierung auf Diskussionen und Praxen in europäischen Nachbarländern bestehen. War es jedoch vorher Castells’ Losung: „Die Schlußfolgerung heißt Klassenkampf„ (Castells, 1975, S. 123), so dient nun z.B. das ‚rote Bologna‘ als Vorbild. Unter der Regierung der kommunistischsozialistischen ‚Giunta‘ wurde dort nicht nur eine Politik der Altstadterhaltung betrieben, sondern es galt, im Rahmen des direktdemokratischen Konzeptes des ‚Decentramento‘, auch das Prinzip der Selbstverwaltung von Siedlungen durch Siedlungsbewohnerräte und Quartiersversammlungen, „ohne deren Zustimmung keine Strasse und kein Schulhaus gebaut, keine Buslinie verlängert, kein Laden eröffnet, keine Kinderkrippe eingerichtet und kein Haus abgerissen wird„ (Schmid, 1976, S. 45).

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  20. Damit ein Zusammenhang zu sehen ist auch ein sich seinerzeit herausbildender, vermehrter Bedarf der staatlichen und städtischen Stellen an einer sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit den sozialen Problemen der Stadterneuerung und deren Folgen. So war beispielsweise der von Heidede Becker und Jochen Schulz zur Wiesch herausgegebene Band ‚Sanierungsfolgen‘ (1982), der heute bereits zu einer Art Klassiker der Stadterneuerungsforschung geworden ist, das Ergebnis der Vergabe eines entsprechenden Auftrags an das Deutsche Institut für Urbanistik von Seiten des Berliner Senats im Jahre 1978.

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  21. Zur zeitgenössischen Diskussion um die neue Wohnungsnot vgl. zum Beispiel Petzinger/Riege (1981) und die Beiträge bei Evers/Selle (1982). Zur Diskussion um das Phänomen der Gentrification siehe insbesondere die Beiträge in dem von Blasius und Dangschat herausgegebenen Sammelband ‚Gentrification‘ (1990). Seinen Höhepunkt erreichten die Prozesse der Gentrification allerdings erst in den späteren 80er Jahren. Insbesondere dann nahmen autoritäre Eingriffe der Kommunen auf die Stadterneuerung ab und marktvermittelte Steuerungen durch öffentliche Mittel zu. Dies führte zu einer Erneuerung in Form einer „alltäglichen Umwandlung„ (Selle, 1988, S. 18), bei der zwar der städtebauliche Bestand erhalten wurde, sich aber die Bewohnerinnenstruktur der betroffenen Stadtteile grundlegend änderte, etwa wenn im Zuge der Modernisierung schlecht ausgestattete, aber billige Mietwohnungen in teure Eigentumswohnungen umgewandelt wurden.

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  22. Deutlich wird dieses Ausrichtung der neuen Bewegungen bereits auf dem ersten bundesweiten Treffen der Bewegung, dem ‚TUNIX‘-Treffen in Berlin 1978. In der Einladung hierzu heißt es: „Wir haben jahrelang geglaubt, dass mit Aktionen unter dem Motto ‚Weg mit ... ‘ und ‚Nieder mit ... ‘ etwas zu verändern sei, wenn man es nur geschickt genug anstellt. Unsere Phantasie wurde darüber verstümmelt, eingeschläfert und verschüttet. Statt uns wie immer auf die traditionelle Ebene des Widerstandes einzulassen, wollen wir diesmal über neue Formen des Widerstandes nicht nur miteinander diskutieren, sondern sie schon in der Art des Ablaufs unseres Treffens praktizieren. (...) Wir wollen keinen Minimalkonsens, der so platt und abstrakt wie richtig ist. Wir wollen das MAXIMALE FÜR JEDEN! Jeder kann seine eigenen Parolen und Gedanken formulieren, malen, singen und wir können trotzdem — oder gerade deswegen — gemeinsam kämpfen. WIR WOLLEN ALLES UND WOLLEN ES JETZT!!!„ (Einladung zum „Treffen in TUNIX„, Westberlin 27. — 29.01.1978, abgedruckt in Hoffmann-Axthelm u.a., o.J. S. 93. Hervorhebungen im Original). Aus den bei Hoffmann-Axthelm u.a. seinerzeit dokumentierten Materialen und O-Tönen zum Treffen wird auch deutlich, wie konfliktreich sich dabei die Auseinandersetzung mit der klassischen Sozialdemokratie — in Gestalt des anwesenden sozialdemokratischen Wissenschaftssenators Peter Glotz — aber auch mit den Nachfolgeorganisationen der marxistischen StudentenInnenbewegung der späten 60er und frühen 70er gestaltete. So schreibt die „SAZ (Sozialistische Assistentenzelle am Og.)-Zeitung„ zum TUNIX-Treffen: „1968 machten wir uns auf den ‚langen Marsch durch die Institutionen‘ in dieser Gesellschaft, 1978 beginnt die Reise fort von den unwirtschaftlichen Gestaden des ‚Modells Deutschland‘ nach dem fernen TUNIX mit seinem weißen Strand, blauen Meer und roten Mond. (...) Während sich die 68er Bewegung aufmachte, um die Gesellschaft zu verändern, haut die 78er Bewegung aus dieser Gesellschaft ab„ (abgedruckt ebd., S. 124. Hervorhebungen im Original). Allerdings hatte sich eine Veränderung der städtischen Bewegungen nicht erst mit dem TUNIX-Kongress angebahnt. Bereits die erste Häuserkämpfe der frühen 70er waren z.B. in Frankfurt eher von Gruppen getragen, die sich in bewusster Abgrenzung von den dogmatischen ML-Gruppen ‚Spontis‘ nannten (vgl. Schwendter, 1993, S. 398f.). Allerdings nahmen diese noch ganz klar Bezug auf den ‚Klassenkampf ‘ und die Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus.

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  23. Es ist kein Zufall, dass gerade in dieser Zeit der Begriff der ‚Betroffenheit‘ innerhalb der Bewegung immer populärer wird, denn er verweist ja nicht in erster Linie auf einen ‚objektiven‘ Konflikt zwischen ‚oben‘ und ‚unten‘, sondern auf das subjektive, sinnliche Erleben von Planungsfolgen, die der Rationalität des Systems geschuldet sind (vgl. Rammstedt, 1981, S. 460).

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  24. In praktisch allen größeren Städten und sogar in vielen Kleinstädten der Republik kam es zu Besetzungen. Zudem war diese westdeutsche Hausbesetzungsbewegung Teil einer entsprechenden westeuropäischen HausbesetzerInnenbewegung. Siehe hierzu beispielsweise die vergleichende Darstellung entsprechender Bewegungen in Westberlin, London und Amsterdam bei Bodenschatz u.a. (1983). Eine ausfiührliche Darstellung der damaligen Hausbesetzungen in Deutschland und Europa findet sich in einer Dokumentation der Berliner taz mit dem Titel „Sachschäden. Häuser und andere Kämpfe„ (1981). Eine sinnliche Erfahrung des Gefühls der Bewegung ist beispielsweise beim Anhören der LP „Schöner Wohnen — Abber fix!„ (1981) möglich, einer Benefizplatte, deren Erlöse als Prozesskostenhilfe für angeklagte AktivistInnen der zahlreichen Hausbesetzungen im Ruhrgebiet verwendet wurden. Einen Einblick in die zeitgenössischen Reflektionen aus engagierter, wissenschaftlicher Sicht wie auch Erfahrungsberichte von ProtagonistInnen, finden sich in dem von Nitsche (1981) herausgegebenen Sammelband zu Häuserkämpfen in Berlin.

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  25. So schlug beispielsweise der Verfassungsschutz 1981 explizit eine Differenzierung zwischen den Kompromissfähigen — mit denen der Dialog zu suchen ist — und den Systembekämpferinnen — die von den anderen zu isolieren und zu bekämpfen sind — als Strategie im Umgang mit der Hausbesetzerinnenbewegung vor (vgl. Becker, 1982, S. 92f.).

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  26. Auf einem Protestaufkleber von 1984 steht ‚IBA‘ denn auch für „Idealismus der Bewohner Ausgenützt„ bzw. „Initiativen Behutsam Angeschissen„ (vgl. Bodenschatz, 1987, S. 212). Zur gleichzeitig kritischen wie hoffnungsvollen Diskussion einer neuen Bestandsentwicklungspolitik für Berlin in der Stadt- und Planungssoziologie siehe die Beiträge in dem von der Arbeitsgruppe Stadterneuerung herausgegebenen Sammelband ‚Stadterneuerung in Berlin-West‘ (1989).

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  27. Ausführlich stellt er seine Position in dem Buch ‚Statik potemkinscher Dörfer‘ dar (vgl. Homuth, 1984), das eines der einflussreichsten Beiträge zur damaligen Diskussion um die behutsame Stadterneuerung in Berlin und anderswo darstellt.

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  28. Dabei wird die Selbsthilfebewegung zunehmend auch von den seinerzeit gerne ‚etabliert‘ genannten Parteien vereinnahmt. Krummacher spricht hierbei von einem „verdächtige(n) Beifall aller Politikrichtungen zur Selbsthilfe„ und stellt 1986 dar: „Der Selbsthilfebegriff wird in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit ausgesprochen positiv besetzt. Er gilt als Symbol fir Kreativität, Dynamik, als Bereitschaft für unkonventionelle Problemlösungen und nicht zuletzt als Symbol fir Verantwortungsbewußtsein (anderen und dem Staat nicht zur Last fallen). Bei dieser Ausstrahlungskraft des Selbsthilfebegriffs kann es nicht verwundern, dass inzwischen alle Politikrichtungen der Selbsthilfebewegung Beifall zollen„ (Krummacher, 1986, S. 98f.).

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  29. Allerdings stellte Schmals seinerzeit auch dar: „Um nun keine Irritationen aufkommen zu lassen, muss angemerkt werden, dass ‚emanzipatorische Planungsmodelle‘ gegenwärtig — d.h. im Rahmen der ‚politischen Wende‘- wieder stark in den Hintergrund politisch-administrativer, aber auch gesellschaftlicher Interessen getreten sind. Als ‚konkrete Utopie‘ werden sie jedoch von basisdemokratischen Initiativgruppen (vgl. Konzepte ‚bewohnerorientierter‘ oder ‚behutsamer‘ Stadterneuerung) nach wie vor und inhaltlich begründet werden„ (Schmals, 1988, S. 172).

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  30. Hinte schreibt hierzu: „Verglichen mit gemeinwesenarbeiterischen Konzepten hat sich in der SSA insbesondere die Haltung im Kontakt zu Bürgern gewandelt. Wurden einst in der Zusammenarbeit mit Bewohnern immer auch pädagogische Zielvorstellungen transportiert — zwecks Erhöhung ihrer Glücksfähigkeit, ihrer Friedfertigkeit, Revolutionsbereitschaft oder ihres Solidaritätsstandards, so geht SSA davon aus, dass wir Professionelle uns hauptsächlich um unser eigenes Lebensglück zu kümmern haben und zumeist nicht mal diesen Härtetest dauerhaft bestehen. Aus diesem Grund können wir keine Kompetenz für das Lebensglück der uns ans Herz gelegten Klienten beanspruchen„ (Hinte, 1987, S. 11).

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  31. Wie bei der ‚behutsamen Stadterneuerung‘ war es auch hier wieder eine IBA, in der versucht wurde, die neue Planungskultur und die neuen Planungsstrategien modellhaft, aber gleichzeitig sehr öffentlichkeitswirksam in die Tat umzusetzen — nämlich die IBA Emscher Park. Vergleiche hierzu die Beiträge zur IBA Emscher Park von Selle (1999) und Ganser u.a. (1993).

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  32. Und sie sind auch nicht das Ergebnis von weiteren Konflikten zwischen ‚unten‘ und ‚oben‘ in der Stadtemeuerung. Zwar gab es auch in den 90er Jahren immer wieder stadtteilbezogenen Protestbewegungen, etwa eine weitere kleine Welle von Hausbesetzungen in Ostberlin zu Beginn der 90er Jahre. Solche Bewegungen blieben jedoch lokal begrenzt und konnten ‚von oben‘ schnell mit den bereits bewährten Instrumenten befriedet werden, ohne dass sich daraus nachhaltige Konsequenzen in der Stadterneuerungspraxis ergeben hätten.

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  33. Sehr deutlich wird dieser Wandlungsprozess auch an der Biographie einiger der ProtagonistInnen aus den städtischen Bewegungen. So ist beispielsweise der Mann, der im Frankfurter Häuserkampftribunal 1974 für den „Revolutionären Kampf’ spricht und dabei ausführt „Und auf dieser Seite, Genossen, stellt sich eben ganz klar die Alternative zwischen einem Reformismus, der letztendlich die Praxis des Kapitals darstellt — in Frankfurt haben wir es konkret erlebt — oder dem, was als Aktionen von Politrockern diffamiert wird, was in Wirklichkeit aber heißt: Massenwiderstand gegen die reaktionäre Gewalt gewaltsam zu organisieren!„ (aus dem Redebeitrag auf dem Häuserkampf-Tribunal, abgedruckt bei Wenzel u.a., o.J., 94f.) einige Jahre später Minister in Hessen und heute Bundesaußenminister. Plastisch wird die Veränderung des Verhältnisses zwischen ‚oben‘ und ‚unten‘ im Verlauf der westdeutschen Nachkriegsgeschichte auch an einem besonders symbolträchtigen Beispiel, nämlich dem der Erweiterung des Flughafens Rhein-Main. Die Erweiterung durch den Bau der Startbahn West in den frühen 80er Jahren wurde noch von der Staatsgewalt gegen eine breite Protestbewegung durchgekämpft, und zwar in einer der verschärftesten Auseinandersetzungen, welche die Nachkriegsgeschichte der BRD erlebt hat. Bei den Ende der 90er Jahre einsetzenden Bestrebungen fir den Bau einer weiteren Startbahn wurde hingegen auf Anregung des ‚Gesprächskreises Flughafen‘ der hessischen Landesregierung ein Mediationsverfahren eingesetzt, bei dem zwischen Betroffenen, BürgerInneninitiativen, Umweltverbänden, der Politik und dem Flughafenbetreiber eine win-win-solution gefunden werden sollte. Allerdings wird an diesem Beispiel auch die Ambivalenz dieser Entwicklung deutlich. Während von Seiten des ‚Gesprächskreises Flughafen‘ dargestellt wurde, das Verfahren solle ein Schritt weg vom Obrigkeitsstaat sein, befürchteten viele der BürgerInneninitiativen, dass sie mit dem Verfahren lediglich von der Ebene der direkten Widerstandes abgebracht werden sollten, ohne dass eine reale Möglichkeit für sie bestand, nit einem Erfolg daraus hervorzugehen. In der Folge wurde die Teilnahme an dem Verfahren auch auf breiter Basis verweigert. Aus der Perspektive der Bürgerinneninitiativen ist dieser Prozess nachzulesen bei Wilk (1999, S. 99ff.).

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  34. Einen Überblick über die Diskussion zu einer neue Bedeutung des Modells der ‚Zivilgesellschaft‘ seit den 90er Jahren in kommunalen Handlungsfeldern geben z.B. der von Michael Haus herausgegebene Sammelband „Bürgergesellschaft, soziales Kapital und lokale Politik„ (2002).

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  35. Den Schock, den dann die PraktikerInnen der Stadterneuerung in ostdeutschen Städten erlebten, schildern Lang und Sophianos für Leipzig so: „Ausgerüstet mit dem organisatorischen wie fachlichen Wissen aus 20 Jahren Städtebaufrderungspraxis der alten Bundesrepublik und unterstützt von (häufig wechselnden) Beratern und Planungsbüros, mussten sie jedoch schon nach kurzer Zeit erkennen, dass viele bis dato gängige und bewährte Muster angesichts der hiesigen Verhältnisse versagten. Für die Dimension der Stadterneuerung Leipzig gab es keinen Vergleich„ (Lang/Sophianos, 1995, S. 139). Zu den Besonderheiten ostdeutscher Städte siehe auch Häußermann (1997). Einen guten Überblick über die stadt- und planungssoziologischen Diskussionen zu den sozialen und räumlichen Tendenzen ostdeutscher Städte nach der Wende geben die Beiträge in dem von Häußermann und Neef herausgegebenen Sammelband „Stadtentwicklung in Ostdeutschland„ (1996). Zu aktuellen Diskussionen um spezifisch ostdeutsche Tendenzen der Stadtentwicklung vgl. den von Hannemann u.a. herausgegebenen Tagungsband „Neue Länder — neue Sitten? Überlagerungen von Transformation und Globalisierung in ostdeutschen Städten„ (2002).

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  36. Vgl. beispielsweise Staubach (1995).

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  37. Vgl. beispielsweise Lüttringhaus (2000).

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  38. Vgl. beispielweise die ethnographische Erkundung der Gemeinden im Bitterfelder Industrierevier bei Bittner (1998), die Erforschung der ostdeutschen Gemeinde ‚Waldleben‘ bei Neckel (1999), die Untersuchung einer dörflichen Gemeinde in Mecklenburg bei Frank (1999) und des sächsischen Kurortes Oberwiesenthal bei Bachmann/Wurst (1996) oder auch historische Kleinode wie etwa die Feldstudie, die der Schwede Hans Axel Holm (1970) in den späten 60er Jahren in einem mecklenburgischen Städtchen durchführte.

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  39. Was natürlich nicht heißt, dass es sie gar nicht gibt. Eine solche Ausrichtung hat z.B. die Untersuchung von stadtteilbezogenen Leipziger Bürgerinitiativen bei Krämer-Badoni u.a. (1998).

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Schmitt, J. (2004). Die Genese des Konzepts ‚Stadtteilarbeit‘ in der westdeutschen Stadterneuerungsgeschichte. In: „Wer plant hier für Wen…?“. Stadtforschung aktuell, vol 98. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09185-1_2

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