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Systemisches Verstehen

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Part of the book series: Zugänge zur Moderne ((ZUMO))

Zusammenfassung

Wer versteht? Was stellt den Bezugspunkt, was den Gegenstand des Verstehens dar? Wie vollzieht sich das Verstehen Niklas Luhmann gibt auf diese Fragen eine systemtheoretisch fundierte Antwort:

„Verstehen ist Beobachtung im Hinblick auf die Handhabung von Selbstreferenz. An der Operation, die wir Verstehen nennen, können mithin aktiv und passiv nur selbstreferentielle Systeme teilnehmen Die Operation setzt eine Mehrheit von selbstreferentiellen Systemen voraus.“ (SvS: 79)

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Literatur

  1. Zur Frage, ob Luhmann mit dieser axiomatischen Selbstfestlegung der Systemtheorie seiner Epistemologie der Deontologisierung widerspricht, siehe: Nassehi 1992, aber auch: WissG: 65. Zu Luhmanns Differenztheorie und der aus ihr folgenden operativen Erkenntnistheorie siehe ausführlich: 6.2.1.

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  2. Damit gelingt Luhmann eine Dynamisierung des Systembegriffs: Die Stabilität eines Systems beruht auf seiner Instabilität. Das Bestandsproblem eines Systems besteht demnach darin, seine Elemente kontinuierlich zu reproduzieren. Luhmann: „Es geht nicht mehr um eine Einheit mit bestimmten Eigenschaften, Ober deren Bestand oder Nichtbestand eine Gesamtentscheidung fällt; sondern es geht um Fortsetzung oder Abbrechen der Reproduktion von Elementen durch ein relationales Arrangieren eben dieser Elemente. Erhaltung ist hier Erhaltung der Geschlossenheit und der Unaufhörlichkeit der Reproduktion von Elementen, die im Entstehen schon wieder verschwinden.“ (SoSy: 86)

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  3. Es ist eben dieser Ereignischarakter der Letztelemente psychischer und sozialer Systeme: ihr Auftauchen und wieder Verschwinden, der Luhmanns Autopoiesisbegriff zu einem soziologischen Begriff macht. Denn wenn psychische und soziale Systeme stets nur in actu, zeitpunkt-und ereignisbezogen existieren, der Garant ihrer Realität ihr Operieren ist, dann ist jede zeitliche Ausdehnung, somit ihre dauerhafte Existenz das Resultat von Fremdbeobachtungen und, als Folge eines re-entries der System/Umwelt-Differenz in das System, auch von Selbstbeobachtungen, bei denen die Differenz von vorher und nachher verwendet wird.

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  4. Bei Luhmann sind autopoietische Systeme stets selbstreferentiell geschlossen organisiert, und umgekehrt: Selbstreferentielle Systeme operieren stets autopoietisch. Dies unterscheidet Luhmanns höherabstraktifiziertes Autopoiesis-Konzept, das sowohl für psychische als auch für soziale Systeme gilt, von dem ursprünglichen Maturanas, der es ausschließlich auf lebende Systeme bezieht. Maturana unterscheidet demgemäß selbstreferentielle und autopoietische Systeme: So werden bei ihm neuronale Systeme zwar als selbstreferentiell, nicht aber als autopoietisch charakterisiert.

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  5. Zum logisch daraus folgenden Problem der puren Selbstreferenz, des Heißlaufens des Systems in sich selbst, siehe: 6.2.2.2.

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  6. Dies im Unterschied zu allopoietisch organisierten Systemen wie etwa einem Fahrrad, das seine Bestandteile (Reifen, Dynamo, Rücklicht etc.) keineswegs selbst erzeugt und erhält.

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  7. Den Autonomiebegriff bestimmt Luhmann folgerichtig: „Ein System, das aufgrund von selbstreferentieller Geschlossenheit operiert, operiert autonom Autonomie ist, diesem Begriff zufolge, nichts anderes als die Herstellung der eigenen Einheit durch die eigenen Operationen des Systems.“ (WissG: 289)

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  8. Die Annahme der Möglichkeit, sich in das zu verstehende Subjekt hineinversetzen zu können, setzt sich in der philosophischen Hermeneutik u. a. fort über Boeckh (1966) und Dilthey (1957) bis heute, wenn Bettis (1962) Kritik an Gadamers Wahrheit und Methode (1972) zum Teil aus dem Selbstverständnis der romantischen Hermeneutik heraus erfolgt. So bestimmt Betti es als Aufgabe des Interpreten, in den von ihm auszulegenden „Objektivationen [des Geistes, wit] den beseelenden Schöpfergedanken wiederzuerkennen, die Auffassung nachzudenken (!) bzw. die Anschauung wiederzufinden, die sich in ihnen bekundet. Hier also ist das Verstehen ein Wiedererkennen und Nachkonstruieren (…) Es geht demnach eine Umkehrung (Inversion) des Schaffensprozesses vor sich: eine Umkehrung, derzufolge der Interpret auf dem hermeneutischen Wege den schöpferischen Weg in umgekehrter Richtung durchlaufen soll, dessen Nach-denken (sic!) er in seiner Innerlichkeit durchzuführen hat.“ (Betti 1962: 12f.)

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  9. Was ein System als Verstehen erklärt, ist real in seinen Konsequenzen, d. h. in seinen Anschlußselektionen, ließe sich in Modifikation des Thomas-Theorems formulieren.

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  10. Die Gleichsetzung von `Mensch’ und psychischem System ist irreführend. Das psychische System ist ein System neben anderen. Luhmann dekomponiert den `Menschen’ in eine Reihe autopoietischer Systeme: etwa organisches System, Immunsystem, neurophysiologisches System, psychisches System. Zwischen ihnen gibt es keine operativen Überschneidungen: Sie operieren autonom, sind wechselseitig füreinander Umwelt, jedoch aufeinander angewiesen. Der `Mensch’ ist Luhmann zufolge kein Supersystem, das die verschiedenen Systeme zur Einheit integriert, sondern ein Agglomerat verschiedener autopoietischer Systeme. Daß Luhmann den Begriff des `Menschen’ verabschiedet, ist eine theorielogische Konsequenz des AutopoiesisKonzeptes: Wäre der `Mensch’ als eine autopoietische Einheit zu denken, die die verschiedenartigen Systeme (die dann Subsysteme waren) integriert, dann müßte ein Element benennbar sein, über dessen Selbsterzeugung und rekursive Vernetzung sich das `System Mensch’ reproduziert und von allen anderen Systemen unterscheidet. Da es dieses distinkte Element nicht gibt, kann Luhmann den Begriff des `Menschen’ theorielogisch aufgeben. Dies hindert ihn nicht, trotzdem abkürzend oder zu Akzentuierungszwecken immer wieder den Terminus `Mensch’ zu verwenden. Zu Luhmanns `Menschbegriff vgl.: SozA 6: f, h, Fuchs 1994, Bergmann 1994, Dziewas 1992.

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  11. Vgl. SozA 6: c. Später stellte Luhmann den auf Kognition verkürzten Elementbegriff des psychischen Systems in Frage, da sich neben dem Gedanken bzw. der Vorstellung auch noch andere bewußtseinstypische Operationsweisen unterscheiden lassen: „Man spricht von Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen als verschiedenen »Fähigkeiten« des Bewußtseins und läßt dabei offen, was denn die Einheit (der Operationsweise) des Bewußtseins ist. Sicher geht es um ein Prozessieren von Aufmerksamkeit, aber welches Wort sollte man wählen, um dies zu bezeichnen? Ich habe vorgeschlagen, von Denken zu sprechen, bin damit aber nicht sehr zufrieden. Husserl hatte, und das wäre ein weiterer ernstzunehmender Kandidat, von intentionalen (gerichteten) Akten gesprochen.“ (SozA 6: a/30)

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  12. Dies erlaubt es, wie Luhmann im folgenden ironisch bemerkt, „den Menschen als Teil der gesellschaftlichen Umwelt zugleich komplexer und ungebundener zu begreifen, als dies möglich wäre, wenn er als Teil der Gesellschaft aufgefaßt werden müßte; (…) Dem Menschen werden so höhere Freiheiten im Verhältnis zu seiner Umwelt konzediert, insbesondere Freiheiten zu unvernünftigem und unmoralischem Verhalten.“ (SoSy: 289) Luhmanns Theorieanlage nimmt zwar eine Ex-Kommunizierung der handelnden Subjekte vor, doch gleichwohl bleiben psychische Systeme Bedingung von Kommunikation. Bei Fuchs heißt es: „(…) wir addieren uns nicht zu einem Sozialsystem. Wir sind eingeschlossen in unsere Köpfe, und da kommen wir nicht hinaus. Aber gemeinsam (durch unsere Beiträge) sind wir beteiligt an der Produktion eines Sozialsystems, das sich, um es vorläufig metaphorisch auszudrücken, von uns ablöst, seine eigenen Gesetzmäßigkeiten hat und entsprechend dieser Gesetzmäßigkeiten und Eigenarten beobachtet werden muß.” (Fuchs 1993: 22 f.)

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  13. Wie Luhmann es von seiner soziologischen Theorie, die auf „Universalität der Gegenstandserfassung“ (SoSy: 9) zielt, verlangt.

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  14. Wie dies im übrigen, folgt man Schwinn (1993a, 1993 b), auch bei Webers Theorie zu beobachten ist.

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  15. Zur Kritik des Theorieelements der strukturellen Kopplung siehe: Schemann 1992.

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  16. So heißt es bei Luhmann explizit: „Kommunikation setzt immer eine Mehrheit psychischer Systeme voraus.“ (WissG: 23) Dabei müssen die psychischen Systeme nicht anwesend sein, es kann sich z. B. auch um eine schriftliche, gefunkte oder digitale Kommunikation handeln. Obendrein kann einer der Beteiligten bereits verstorben sein.

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  17. Dies korrespondiert im übrigen mit der Alltagserfahrung, die zwischen vertrauter Lebenswelt und unvertrauter moderner Gesellschaft unterscheidet. Die Alltagsinteraktion ist nur noch schwerlich an bedeutende gesellschaftliche Semantik, wie sie in den sozialen Systemen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft etc. Gewonnen wird, anschließbar. Dies wird — insbesondere literarisch — in den Topoi der Entfremdung und Sinnlosigkeit beschrieben. Schwanitz zeigt dies virtuos in seiner systemtheoretisch inspirierten Interpretation der Gattungsgeschichte des Dramas auf: „Das [moderne, wit] Drama demonstriert die Unmöglichkeit, Gesellschaft von Interaktion her zu verstehen, gerade am Typ der quasi-natürlichen Interaktion von Intimmilieus, in denen allein Interaktion noch als bedeutend gelten konnte. Das neue Thema von Ibsen, Strindberg und Shaw sind denn auch zerrüttete Ehen: an ihnen konnten Bilder trübster Entmutigung, niederschmetternder Trivialität und zermürbender Monotonie gewonnen werden, (…).“ (Schwanitz 1990b: 128 f.)

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  18. Auch auf der Ebene sozialer Systeme integriert Luhmann die autonomen Funktionssysteme zum Gesamtsystem Gesellschaft durch die verschiedenartigsten strukturellen Kopplungen. So wird z. B. die Kopplung von Politik und Wirtschaft hauptsächlich durch Steuern und Abgaben erreicht, die Kopplung von Recht und Wirtschaft durch Eigentum und Vertrag. Die jeweilige funktionale Autonomie bleibt davon unberührt.

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  19. Ein psychisches Verstehen ist hingegen auch ohne Kommunikation möglich. Luhmann: „In einem sehr allgemeinen Sinne ist Verstehen auch als einseitige oder wechselseitige Wahmehmung psychischer Systeme möglich, also auch ohne Kommunikation. (…) Es mag ein punktuelles Aufblenden und Abblenden des Verstehens geben, ohne daß Kommunikation in Gang kommt“ (WissG: 25 f.) Wie Luhmann die Ausnahme zuläßt, daß etwas nicht in der Sinnform wahrgenommen wird, was dann „momenthafter Impuls, dunkle Stimmung oder auch greller Schreck ohne Verknüpfbarkeit, ohne Kommunikabilität, ohne Effekt im System [bleibt, wit]” (SoSy: 98), so räumt er auch ein punktuelles Verstehen ein, das ebenfalls — entsprechend der Theorieanlage — keine Wirkungen im Sozialen haben kann.

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  20. Die drei sozialen Systemarten sind weder aufeinander rückflihrbar noch untereinander hierarchisierbar. Sie sind vielmehr autonom und interdependent — auch ein Grund, warum Luhmann von sozialen Systemen im Plural spricht.

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  21. Eben dies war in der soziologisch-methodologischen Diskussion Anlaß, die Systemtheorie auf ihr Verhältnis zur (philosophischen) Hermeneutik hin abzuklopfen, um Vereinbarkeit/Unvereinbarkeit und mehr/weniger Komplexitätserfassung zu beobachten. Vgl. Kneer/Nassehi 1991, Nassehi 1997a, 19976, Schneider 1991, 1992a, 1992b, 1994a, 1994b, 1995, 1997, Bora 1994, 1997, Sutter 19976.

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  22. Kneer/Nassehi resümieren pointiert: „Die Kommunikation kommuniziert und denkt nicht. Und: Das Bewußtsein denkt und kommuniziert nicht.“ (1994: 73)

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  23. Zur Kritik der Übertragungsmetapher in der Kommunikationstheorie vgl.: Merten 1977: 43 ff. Dort finden sich im Anhang 160 Definitionen des Kommunikationsbegriffs (ebd.: 168 ff.).

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  24. Dieser Gedanke eröffnet interessante Beobachtungsperspektiven auf die Entwicklung der Lyrik: zum Beispiel als sukzessives Verstummen ob der — nicht kulturpessimistisch, sondern systemtheoretisch zu begründenden — Unmöglichkeit von Authentizität. Siehe dazu den sehr instruktiven Briefwechsel zwischen Peter Fuchs und dem österreichischen Lyriker Ferdinand Schmatz (Fuchs/Schmatz 1997).

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  25. Dilthey: „Das letzte Ziel des hermeneutischen Verfahrens ist, den Autor besser zu verstehen, als er sich selber verstanden hat. Ein Satz, welcher die notwendige Konsequenz der Lehre von dem unbewußten Schaffen ist.“ (1957:331) Mit dieser Interpretation der Schleiermacherschen Unterscheidung zwischen grammatischem und psychologischem Verstehen weist Dilthey der Rekonstruktion des Erzeugungsprozesses von „schriftlich fixierten Lebensäußerungen” (ebd.: 332) eindeutig den Vorrang zu gegenüber einem grammatischen, auf die Strukturen des Textes abhebenden Verstehen. Zur Fehlrezeption Schleiermachers vgl. Japp 1995, zum Vergleich des Begriffs des Verstehens bei Dilthey und Luhmann vgl. Hahn 1992.

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  26. An anderer Stelle heißt es bei Luhmann: „(…) alle Kommunikation [ist, will strukturell gekoppelt an Bewußtsein. Ohne Bewußtsein ist Kommunikation unmöglich. Kommunikation ist total (in jeder Kommunikation) auf Bewußtsein angewiesen — allein schon deshalb, weil nur das Bewußtsein, nicht aber die Kommunikation selbst, sinnlich wahrnehmen kann und weder mündliche noch schriftliche Kommunikation ohne Wahrnehmungsleistungen funktionieren könnte. (…) Und trotzdem ist das Bewußtsein weder das »Subjekt« der Kommunikation noch in irgendeinem anderen Sinne »Träger« der Kommunikation. Es trägt zur Kommunikation keinerlei Operationen bei (…). Kommunikation funktioniert nur, weil zwischen so heterogenen Operationsweisen keine Rekursionen hergestellt werden müssen und weil die Kommunikation die Voraussetzung von Bewußtsein nicht thematisieren muß, sondern sie sich durch strukturelle Kopplungen geben läßt.“ (GdG I: 103 f.)

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  27. Was im übrigen nicht zu verwechseln ist mit dem Schema vom Ganzen und seinen Teilen, bei dem das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Siehe dazu Luhmanns Kritik und seine Substitution dieses Schemas durch die System-Umwelt-Differenz und die Theorie seibstreferentieller Systeme: SoSy: 20 ff.

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  28. Doch das spielt sich auf der Ebene der Bewußtseinssysteme ab, ist also sozial (und soziologisch) unzugänglich.

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  29. Luhmann unterscheidet somit zwischen verstehenden/nicht verstehenden Systemen — eine Konzeptualisie rung von Verstehen, die wissenschaftstheoretisch die von der Hermeneutik formulierte Differenz zwischen erklärenden Naturwissenschaften und verstehenden Geisteswissenschaften einzieht zugunsten eines — höher abstraktifizierten — verstehenden bzw., wie noch zu zeigen sein wird, beobachtenden Paradigmas (vgl. 6.1).

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  30. Das Zitat stammt zwar aus Luhmanns früherer Theoriekonzeption vor der `autopoietischen Wende’, in der er die Funktion von Systemen noch primär in der Reduktion von Komplexität sah und mit dem „Sinnbegriff die Ordnungsform menschlichen Erlebens“ (HaLu: 31) bezeichnete. Die Unterscheidung früher/später Luhmann gründet darin, ab wann Luhmann seine Systemtheorie im Gefolge des Paradigmenwechsels in der allgemei nen Systemtheorie, eingeleitet durch Maturana und Varela, auf die Theorie autopoietischer Systeme umstell te. Die Reduktion von Komplexität bleibt zwar auch in der Theorie selbstreferentieller, operativ geschlossener Systeme systemkonstitutiv, doch sie ist nicht mehr Funktion, sondern Mittel `um zu’. Trotz der gravierenden theoretischen Umorientierungen, die sich mit den Begriffen Autopoiesis, Fremd-/Selbstreferenz und Beobachtung markieren lassen, behielt der Sinnbegriff seinen zentralen theoretischen Stellenwert bei — nunmehr in seiner Geltung generalisiert und reformuliert far die Autopoiesis psychischer und sozialer Sy steme. Zum Paradigmenwechsel innerhalb der Systemtheorie siehe: Schulze-Böing/Unverferth 1986. Kra wietz (1992) bezweifelt dagegen mit bedenkenswerten Argumenten, daß es sich um einen Paradigmen wechsel handelt.

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  31. An anderer Stelle heißt es: „Die Co-evolution hat zu einer gemeinsamen Errungenschaft geführt, die sowohl von psychischen als auch von sozialen Systemen benutzt wird. Beide Systemarten sind auf sie angewiesen, und für beide ist sie bindend als unerläßliche, unabweisbare Form ihrer Komplexität und ihrer Selbstreferenz.

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  32. Schon der frühe Sinnbegriff Luhmanns, wie er ihn vor seinem Paradigmenwechsel zur Theorie autopoieti scher Systeme begründete, hob insbesondere darauf ab, die Sinnhaftigkeit des Handelns nicht mit Zweckge richtetheit gleichzusetzen. Denn die spezifische Funktion von Zwecken bestehe gerade darin, so Luhmann, daß sie nur eine Möglichkeit in den Blick nähmen, alle anderen hingegen ausblendeten, während die Sinn-form in der Systemtheorie den Horizont der Möglichkeiten gerade weite. (Vgl. Luhmann 1973: 3 ff.)

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  33. An anderer Stelle heißt es bei Luhmann: „Das Phänomen Sinn erscheint in der Form eines Überschusses von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns.“ (SoSy: 93) Dabei betont Luhmann ausdrücklich, daß Begriffe wie Handeln oder Erleben sowohl auf psychische als auch auf soziale Systeme re ferieren. Die Systemtheorie werde mit ihnen nicht auf die Referenz `psychisches System’ festgelegt.

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  34. Luhmann merkt wiederholt an, daß sein Sinnbegriff auf den Husserlschen zurückgeht. Vgl. zu Luhmanns Bezug auf Husserl: Nassehi 1992, 1993, Srubar 1989.

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  35. Husserls Begriff der Intention meint das Gerichtetsein des Bewußtseins auf etwas. Alle Akte des Bewußt seins beziehen sich auf intentionale Gegenstände, die jedoch keineswegs real sein müssen.

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  36. Zum Beispiel: Ein Würfel hat sechs quadratische, rechtwinklig zueinander stehende Flächen und keine gleichmäßig gewölbte, winkellose Oberfläche wie eine Kugel. Der Sinn des begrifflichen Konstrukts Würfel wird somit erst durch seine Unterscheidung von anderen Konstrukten deutlich (vgl. Preglau 1997: 69 f., das Würfelbeispiel stammt von Husserl 1950b: 77 ff.) Diese über Differenzen konstituierte Verweisungsstruktur macht den phänomenologischen Sinnbegriff kompatibel mit Luhmanns Beobachtungstheorie, derzufolge je des Beobachten ein „»Unterscheiden-und-Bezeichnen«“ (WissG: 81) ist.

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  37. An anderer Stelle heißt es: „Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns »Kultur«, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfaßt diejenigen Bestand teile der Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden, und n u r diese.“ (WL: a/175)

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  38. So können nach Weber genetische oder physiologische Gegebenheiten zwar durchaus Einfluß auf sinnhaft orientiertes Handeln haben. Sie seien vom Soziologen entsprechend als Daten hinzunehmen. Als nicht sinn haft, also nicht durch menschliches Handeln hervorgebrachte Tatsachen stellen sie Weber zufolge jedoch „u n verstehbare Tatsachen“ (WuG: 3, vgl. auch: ebd.: 6) dar.

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  39. Interaktion ist hier nicht im Luhmannschen Sinne als ‘unter Anwesenheitsbedingungen operierend’ zu ver stehen, sondern abstrakter als ‘in Beziehung treten’.

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  40. Im Falle einer vergangenen Handlung liegt Egos sinnhaftes Handeln objektiviert vor — in Form von Artefak ten (vgl. WuG: 3).

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  41. Freilich konzipiert Weber seinen (Fremd-)Verstehensbegriff vornehmlich als Methode der Soziologie, aus dem sich jedoch ein Verstehensbegriff herausschälen läßt, der sowohl das — von Weber als problemlos funktionierend unterstellte — wechselseitige Verstehen von Handelnden als auch das reflexiv-wissenschaftliche umgreift (vgl. 6.1.1).

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  42. Weber: „Stets handelt es sich um den im Einzelfall wirklich oder durchschnittlich oder im konstruierten ‘reinen’ Typus von den Beteiligten gemeinten, empirischen, Sinngehalt, niemals um einen normativ »richtigen« oder metaphysisch »wahren« Sinn.“ (WuG: 13)

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  43. Siehe Webers Definition der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft: WL: a/170 ff.

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  44. Der Begriff der sozialen Beziehung spezifiziert bei Weber den Begriff des sozialen Handelns: „Soziale »Beziehung« soll ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orien tiertes Sichverhalten mehrerer heißen. (…) Ein Mindestmaß von Beziehung des beider seitigen Handelns aufeinander soll also Begriffsmerkmal sein.“ (WuG: 13) Im Unterschied zum sozialen Handeln liegt bei einer sozialen Beziehung somit eine wechselseitige sinnhafte Orientierung am je anderen vor, was jedoch keineswegs präjudiziert, welcher Art diese Beziehung ist. Es kann sich ebenso um „Kampf, Feindschaft, Ge schlechtsliebe, Freundschaft, Pietät” (ebd.) handeln. Im Unterschied zu Durkheim setzt Weber in seiner Konzeption sozialer Beziehungen somit keine Solidarität voraus.

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  45. Siehe dazu kritisch aus handlungstheoretischer Sicht die Auseinandersetzung mit Luhmanns Begriff der Autopoiesis bei Schmid 1987, Haferkamp 1987, Berger 1987.

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  46. Wagner (1994) argumentiert hingegen, daß Luhmann seinen eigenen differenztheoretischen Grundlagen widerspreche und sich seine Theorie als eine Neuauflage der Hegelschen Dialektik rekonstruieren lasse.

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  47. So ist, wie Schütz schreibt, „scharf zwischen dem Handeln in seinem Vollziehen als Erzeugen von Handlun gen (actio) und der bereits fertig konstituierten Handlung als durch Handeln Erzeugtem (actum) [zu, wit] unterscheiden.“ (SA: 50) Analog unterscheidet Luhmann den beobachtenden Gedanken, der in actu nicht be obachtbar ist, von dem beobachteten Gedanken, den er zur besseren Unterscheidung Vorstellung’ nennt (vgl. SozA 6: c/60 ff., vgl. 3.1.3).

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  48. Wie Luhmann die Gegenwart als Einheit der Differenz von Ereignishaftigkeit und Dauer beschreibt, so faßt Schütz den in die Vergangenheit verlagerten Sinn als zeitlich (und sachlich) wohlumgrenzt sich heraushe bend aus der unterschiedslosen Dauer des dahinfließenden Bewußtseinsstroms.

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  49. Unter „leistenden Intentionalitäten“ versteht Schütz mit Husserl: „Wir wissen seit Husserls Ideen, daß Sinngebung nichts anderes ist, als eine Leistung der Intentionalität, durch welche die bloß sensuellen Erlebnisse (die »hyletischen Daten«) erst »beseelt« werden. Was sich uns also bei flüchtigem Überblick als sinnhaft präsentiert, hat sich erst durch eine vorangegangene intentionale Leistung des Bewußtseins zu einem Sinn-haften konstituiert.” (SA: 46) Nichts anderes reformuliert Luhmann auf der Ebene sozialer Systeme, wenn sich in der Kommunikation die Technik der Invisibilisierung der eigenen Asymmetrisierungen in Seinsse mantiken niederschlägt: Denn Kommunikation operiert immer ontologisch, indem sie das Sein von etwas unterstellt, indem sie es kommuniziert (vgl. Nassehi 1992: 61).

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  50. Die Schützsche Differenzierung in Selbst-und Fremdverstehen führt in der Konsequenz zu einem in fünf Sinnschichten differenzierten Sinnbegriff, deren erste solipsistisch, die weiteren vier sozial gefaßt sind, wobei bei letzteren zu unterscheiden ist, ob es sich um Egos Konstitution von Sinn (Sinnschichten zwei, drei und vier) handelt, bei der sich in Ego Alter spiegelt, oder um die Alters (Sinnschicht fünf), also um das Fremdverstehen, dessen Gegenstand eben in dem Sinn besteht, der durch die Sinnschichten eins bis vier konstituiert wird. Schütz bezieht sich hier zwar auf wissenschaftliches Verstehen. Doch — wie für Weber — haben alltägliches und soziologisches Verstehen ihre Wurzel in derselben Sinnstruktur (vgl. 6.3.3).

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  51. Die Konstitutionsprozesse von Sinn lassen sich Schütz zufolge anhand zweier zeitlich zu unterscheidender Motivarten rekonstruieren: anhand von weil-Motiven, die einen biographischen Vergangenheitshorizont, und anhand von individuellen um-zu Motiven, die einen Zukunftshorizont aufspannen (vgl. auch: GA I: c/80 f.).

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  52. Bei den fraglos gegebenen Deutungsschemata, die ebenfalls ein Netz von Bedeutungen darstellen, durch das sich der täglich erfahrbare und produzierte Sinn erst interpretieren läßt, handelt es sich Schütz zufolge um nichts Metaphysisches, sondern um etwas durch dich und mich, die Menschen Produziertes, auch wenn sich der selbstproduzierte Sinn im Laufe der Evolution quasi von den Handlungen der Menschen ablöst und nun scheinbar den Dingen selbst anhaftet. Für Schütz wie für Weber ist es unstrittig, daß Sinn ein menschliches Produkt, an menschliches Handeln gebunden ist, während Luhmann die Sinnform als eigenständiges, von psychischen und sozialen Systemen entkoppeltes Medium einführt. In diese Richtung zielt denn auch Ha bermas’ Kritik, wenn er Luhmanns Ausweitung des Sinnbegriffs auf soziale Systeme kritisiert: „Ich möchte nun zeigen, daß auch dieser Versuch [Sinn als eine emergente Eigenschaft soziokultureller Systeme überhaupt einzuführen, wit] in ein Dilemma führt: entweder wird eine Kategorie von »Sinn« zugelassen, die zur Explikation der sinnhaften Strukturen von Handlungssystemen ausreicht, dann wird der grundbegriffliche Rahmen der Systemtheorie gesprengt; oder »Sinn« bleibt mit diesem Rahmen kompatibel, dann kann dieser Begriff nicht die spezifische Beweislast tragen, die eine nicht-objektivistische Begriffsstrategie ihm aufbürden muß.“ (Habermas 1971b: 182)

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  53. Zu Schütz’ Wnde zur Lebenswelt vgl.: Lehmann 1983: 38 ff., 1988: 98 ff.

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  54. Freilich zeigt sich auch hier das Schützsche Oszillieren zwischen Phänomenologie und Handlungstheorie. Denn der Phänomenologie zufolge basiert jedes Fremdverstehen auf dem Selbstverstehen. Bewegt sich Schütz hingegen in seiner Argumentation im Bereich der Sozialwelt, dann konzipiert er das Fremdverstehen als ein strikt von Ego zu trennendes Verstehen Alters, also als Beobachtung.

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  55. Freilich versteht sich Luhmann als alles andere denn als ein Transzendentaltheoretiker. Doch hinsichtlich der augenfälligen Konvergenzen zwischen der Bewußtseinsphilosophie und seiner „empirischen Theorie selbstreferentieller Systeme für den Sonderfall des Bewußtseins“ (SozA 6: c/55) konzediert auch Luhmann, daß es „späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben [mag, wit] festzuhalten, daß man dies alles langst ge wußt hat und daß man es bei Aristoteles, Kant, Fichte und vor allem bei Husserl schon finden kann.” (ebd.)

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Wittenbecher, I. (1999). Systemisches Verstehen. In: Verstehen ohne zu verstehen. Zugänge zur Moderne. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09107-3_2

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