Zusammenfassung
Die Bewegung des Sandinismus war also nicht so etwas wie die Nachhut einer Avantgarde.124 An ihrer sozialen Phänomenalität125 sind insbesondere die sie auszeichnende Jugendlichkeit, ihr “Pluriklassismus”, die wenn auch geringere Partizipation von Frauen, die Bedeutung sozial-christlicher Momente, die Beteiligung verarmter Mittelschichten und einer vorherrschenden städtischen und ruralen “Armutskultur” hervorgehoben worden.126Für die sozialen Trägerguppen der Insurrektion und der FSLN hat Vilas127 die vergleichsweise geringe Beteiligung von Arbeitern und Bauern und das Überwiegen von Handwerkern und Kleinproduzenten des sogenann-ten informellen Sektors bzw. von “Studenten”128 aufgezeigt. Damit bestätigte sich sozialstatistisch ein proportionales Gefüge des “Mobilisierungspotentials”, das O. Nunez als “dritte Kraft in der sozialen Bewegung der Befreiung” bezeichnet hat.129 Entfernt von einer bloßen Residualkategorie, die sich irgendwie von den politischen “Projekten” der “Bourgeoisie” und der “Arbeiterklasse” subtrahieren ließe,130 waren es diese “als solche ideologischen Kräfte” insbesondere aus der kleinen Warenproduktion, d.h. Handwerker und “auf eigene Rechnung” Arbeitende, welche die “Hauptkraft” der Insurrektion ausmachten. Die Anwendung klassenreduktionisti-scher Bestimmungen würde also, wie Vega ausgeführt hat, kaum erhellen können, wie inmitten einer extremen “organischen” Schwäche des industriellen Proletariats und der weitgehenden Abwesenheit einer bedeutenden gewerkschaftlichen Tradition jener radikalste Sektor des populären politischen Raums schließlich die Vorherrschaft innerhalb der Regimeopposition erobern konnte.131
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Referenzen
vgl. Mires 1982
vgl. dazu methodisch etwa Melucci 1988; ders. 1988a; B. Klandermans 1986, S. 13–39 (Spezial-Nr. zu: “Comparative Methods and Research on Collective Behavior and Social Movements”)
Walker 1982; Alegria/Flakoll 1982, S. 212ff; Harris/Vilas 1985, S. 259ff; Tefel 1978; S. 52ff. Zur Beschreibung der Merkmale und sozialen Kräfte in einem anderen paradigmatischen Zusammenhang vgl. Villagra 1982, S. 115–124
Vilas 1984, auf der Basis von Zahlen des INSSBI (vgl. auch INSSBI [Instituto Nicaraguense de Seguridad Social y Bienestar] 1989, S. 6f); s. auch PREALC (Organizacion Internacio-nal del Trabajo, Documento de trabajo: Programa gerional del empieo para America Latina y el Caribe [Empieo y salarios en Nicaragua], Sept.) 1980, S. 115f
Diese Kategorie umfaßt in Nicaragua häufig auch Sekundar- und Oberschüler.
O. Nunez 1980, ders. 1982 und 1984
In späteren Arbeiten Nunez’ erhält die “dritte Kraft” wieder stärkere Beiklänge eines sozialen Residuums zwischen den “historischen Projekten” der “Bourgeoisie” und der “Arbeiter- und Bauern-Allianz”, Nunez 1987, S. 53–73.
Vega 1981, S. 197; vgl. auch Godio 1979, Godio 1983, S. 101
vgl. beispielsweise Moore 1988
zu dieser Diskussion vgl. Thompson 1968; Hobsbawm 1962; Stedman Jones 1974, S. 460–508; Calhoun 1982
vgl. dazu Bourdieu 1985, S. 41f
Eine strikt klassenreduktionistische Analyse der nicaraguanischen Revolution findet sich bei C. Favre 1980, Bd. 2, S. 563ff; klassentheoretisch versuchen auch O.R. Vargas (1978, S. 66–73) und Gilly (1978 u. 1980) zu argumentieren.
vgl. Booth 1982 und 1982a (insbes. Kap. 1)
Hirschmann 1970
Mit McCarthy/Zald 1973b benennt Booth (1982a) in der mangelhaften Kapazität des Regimes zur Beschaffung institutioneller Loyalität und der anwachsenden “institutionellen” Unterfüt-terung der “politisch-elitären” Opposition jene “unterscheidenden Ressourcen”, die für den Übergang zu revolutionären Mobilisierungen erklärend verlangt sind.
Diese werden entsprechend auch von Booth bemüht. (Booth 1982a, S. 7)
vgl. Halbwachs 1967, S. 121
Ähnliches müßte man mit Lévi-Strauss’ Behauptung, daß zumindest das “erfahrungsgebundene” Zeichen “gesichert” sei, annehmen, (vgl. dazu: Barthes 1979, S. 43f)
Das macht meines Erachtens auch eine der Schwierigkeiten aus, an denen sich M. Halbwachs abgearbeitet hat, wenn er neben der Geschichte des Archivs eine “lebendige” Geschichte auszumachen versuchte, (vgl. Halbwachs 1967)
Man könnte mit Aristoteles sagen, daß das Gedächtnis in diesem Sinne (d.h. mit stets re-troaktiven Auswirkungen) nicht zur Gattung des “Aufbewahrten” und “Festgehaltenen”, also zum Habitus, sondern zum Akt (dem Geschehen-lassen-können) gehört, (vgl. Aristoteles, Topik, 125b 15–19; hier zitiert als: Aristoteles 1995, übers. v. E. Rolfes, Hamburg, Bd. 2)
vgl. Ricardo Garcia (PSN), Was der ganze Rummel wert ist, Sept. 1977, S. 1250ff; später auch: Alvaro Ramirez (PSN), Nicaragua: Vom bewaffneten Kampf zum Aufbau, Jan. 1980, S. 97 (R. Garcia 1977; A. Ramirez 1980)
Damit handelt es sich, um es zu wiederholen, um nicht mehr als jene bloß reaktiven sozialwissenschaftlichen Denkweisen, die sich aus ihren Voraussetzungen selbst ergeben, nämlich den zwangsläufig reaktiven Verbindungen zwischen individualpsychologisch begriffenen Egos und soziologisch objektivierten “Wir-Gruppen”, worin sich bereits auch die Verständnisschichten einer immer wechselseitigen modernen Ausschließung von “Ich/Selbst” und “Wir” abgelagert haben.
So L. Gabriel 1982
“Die große Macht der Zukunft ist der Sandinismus”, in: Ramirez 1984
vgl. Mires 1982, S. 35–54, a.a.O.
vgl. Fals Borda 1992, S. 303ff
In dieser Weise stellen Calderon et.al. die Frage, vgl.. F. Calderon, A. Piscitelli, J. L. Reyna 1992, S. 19–36
So Evers 1985, S. 43–71, S. 44
vgl. auch Laclau 1985
vgl. z. B. Stoltz Chinchilla 1992, S. 47
Laclau/Mouffe 1991, S. 188, S. 196
A. Esobar hat an der These, daß die artikulatorische Art demokratischer Kämpfe sich nur in Gesellschaften zeigen, in denen die demokratische Revolution eine bestimmte Schwelle überschritten hat, kritisiert, daß dieser Schwellenbegriff eine Art von teleologischem, rationalistischem Evolutionsdenken einschließe. Dies sei unvermeidlich von einem gewissen Grad an “Eurozentrismus” begleitet. (“Culture, Economics, and Politics”, in: Escobar/Alvarez 1992, S. 79) Ich stimme der Kritik, nicht aber ihrer Schlußfolgerung zu, da der Vorwurf des “Eurozentrismus” einerseits zu kurz greift und andererseits geeignet ist, die historisch-spezifische Partizipation des ibeo-ameri-kanischen Antagonistischen am “Westlich-Politischen” unter der Perspektive eines terceromundisti-schen Allerweltbezugs zu verdecken.
Mit dieser Metapher äußert sich in einem hier verwandten Sinn Jean-Luc Nancy 1992, S. 371–398
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Scheulen, H. (1997). Die Volksbewegung und der politische Mythos “Sandino”. In: Übergänge der Freiheit. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09057-1_12
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