Zusammenfassung
Es mag überraschend erscheinen, im Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Problemstellung eine wissenschaftstheoretische Fundierung anzustreben — nicht nur aufgrund der primär auf Gestaltung zielenden praxisnahen Ausrichtung der Arbeit, sondern auch aufgrund des seit den 80er Jahren insgesamt rückläufigen Trends, sich mit wissenschaftstheoretischen Fragestellungen explizit zu beschäftigen. Nach Kretschmanns diffusionstheoretischer Wissenschaftsforschung befindet sich das Forschungsprogramm des kritischen Rationalismus, gemessen an der Anzahl der Publikationen nach einer Phase der Implementierung, der Expansion und der Differenzierung seit den 80er Jahren in der Exhaustationsphase.165 Das nachlassende wissenschaftliche Interesse an der bedeutendsten wissenschaftstheoretischen Grundkonzeption der Betriebswirtschaftslehre, dem kritischen Rationalismus, kann stellvertretend für die Attraktivitätseinbuße der Wissenschaftstheorie insgesamt gesehen werden. Kretschmann begründet die Abkehr von der Rezeption wissenschaftstheoretischer Programme mit einer subjektivistisch-pragmatistischen Wende in den Meta- und Objektwissenschaften.166 Als weiteren Grund nennt er die zunehmend schwierigere Beurteilung der Leistungsfähigkeit wissenschaftstheoretischer Ergebnisse für außenstehende Objektwissenschaftler.167 Im Fahrtwasser dieser subjektivistisch-pragmatischen Wende in den Wissenschaften gewannen pragmatisch orientierte Leitideen auch in der Betriebswirtschaftslehre an Bedeutung. Doch obwohl eine solche pragmatische Ausrichtung der Wissenschaft per se von meta-wissenschaftlichen Reflexionen nicht entbindet, besteht eine Neigung, unter dem Deckmantel des Pragmatismus ganz auf die meta-wissenschaftliche Fundierung von Forschungsvorhaben zu verzichten. Aus den im folgenden genannten Gründen empfiehlt es sich jedoch, im Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens zu wissenschaftstheoretischen Fragen Stellung zu nehmen:
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Jede wissenschaftliche Tätigkeit ist auf wissenschaftstheoretische Grundlagen angewiesen, denn sie regeln den strukturellen Aufbau der Wissenschaft, indem sie Zielsetzung, Gegenstand und methodisches Vorgehen bei der Problemlösung festlegen.
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Wissenschaftstheoretische Urteile werden bei jeder wissenschaftlichen Tätigkeit getroffen, denn sie „fließen ... als Vorverständnis in die wissenschaftliche Arbeit ein und determinieren den Wert der Ergebnisse in hohem Maße.“168 Bevor die ersten Aussagen zur Erklärung oder Gestaltung des Erkenntnisobjekts gefällt werden, sind bereits Basiswerturteile über Ziele und Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens zumindest implizit getroffen worden. Eine kritische Reflexion dieser Basiswerturteile kann den Erfolg des Forschungsvorhabens wesentlich beeinflussen.
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In der Betriebswirtschaftslehre gibt es kein weithin akzeptiertes Paradigma im Sinne eines dominierenden Forschungsprogramms, das methodologische Grundpositionen hinsichtlich Ziel, Gegenstand und Methoden bzw. theoretische Leitsysteme vorgibt.169 Dieser Pluralismus erfordert eine eigene Positionsbestimmung, ganz gleich, ob er in der Betriebswirtschaftslehre als erwünschter Dauerzustand170 oder als Gefahr für ein dysfunktionales, fortschrittshemmendes Gegeneinander171 gesehen wird.
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Der Glaube an Erkenntnisfortschritt als Zielsetzung für wissenschaftliches und metawissenschaftliches Erkenntnisstreben erfordert, daß jedes Forschungsvorhaben in Relation zu Bestehendem gesetzt werden sollte. Denn nur durch eine kritische Betrachtung neuer Theorien im Rahmen bestehender Wissenschaftsprogramme und vorhandener theoretischer Traditionen wird dem Erkenntnisfortschritt insgesamt Rechnung getragen.
„Der Unterschied zwischen der Amöbe und Einstein besteht darin, daß beide zwar die Methode von Versuch und Irrtumselimination anwenden, aber die Amöbe nicht gern irrt, während Einstein gerade davon angezogen wird: Er sucht bewußt nach seinen Fehlern, in der Hoffnung, aus ihrer Entdeckung und Elimination etwas zu lernen.“63
„... it is not the accumulation of observations which 1 have in mind when I speak of the growth of scientific knowledge, but the repeated overthrow of scientific theories and their replacement by better and more satisfactory ones.“64
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Schildknecht, C. (1998). Wissenschaftlicher Bezugsrahmen. In: Management ganzheitlicher organisationaler Veränderung. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-08705-2_2
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