Zusammenfassung
Dieses Kapitel 7 sowie die folgenden Kapitel 8, 9, 10 und 11 stehen inhaltlich in einem engen Zusammenhang. Dieser wird hier nur aus Gründen der übersichtlichen Darstellung auseinandergezogen. Alle vier Kapitel beschäftigen sich mit der Frage nach der Herkunft der in einer komplexen Handlungsverkettung auftretenden sprachlichen Realisierungsmittel. Da es keine Eins-zu-Eins-Zuord-nung gibt, kann in die Gestaltung der textuellen Oberflächen, also bei der Auswahl der semantisch-propositionalen Bestandteile, auf verschiedene Weise ‘eingegriffen’ werden. In diesem und den folgenden Kapiteln wird nunmehr die Perspektive auf die Texte verändert: Rekonstruierbare Herkunftsbeziehungen propositionaler Mittel - sie entstammen ideologischen, diskursiven, sprachpolitischen und propagandistischen Zusammenhängen - werden als Ergebnisse von Importen in die im Entstehen begriffenen Handlungsverkettungen (Texte) betrachtet. Solche “Interventionen” verdeutlichen, was Inszenierungscharakter der Texte genannt worden war (vgl. oben § 5.5) und worauf sich die NS-Propaganda kaprizierte (vgl. unten Kap. 11). Auf diese Art und Weise wird die allgemeine Erwartung der Polyphonie der Texte konkretisiert.
Innerhalb eines Europas von höchstem Glanz und einem gemeinsamen geistigen Streben entwickelt sich das innerdeutsche Versailles, das teutonische Kollektiv auf der Grundlage krimineller Sozietät und, wo immer sich die Gelegenheit bietet, bearbeiten sie die Musen. Die großen Wagen genügen ihnen nicht, die wisentumröhrten Waldschlösser, die ergaunerte Insel im Wannsee - kulturell soll Europa sie bestaunen! Haben wir nicht Talente unter uns von der Klangfülle einer Gießkanne und dem Pathos einer Wasserleiche und Maler, denen wir nur die Richtung zu weisen brauchen: der hohe Herr am Ausgang der Jagd, die Büchse raucht, den Fuß auf dem geblatteten Sechzehnender, die Morgennebel steigen aus den Gründen und schaffen der Situation das Urtümliche und das Waldesweben? Und dann der Blockwart hat bunte Untertassen - sie werden Europa aufhorchen machen; vor allem aber ausrotten muß man: das Ostische, das Südliche, das Westliche, außerdem das Romanische, das Gotische, das Impressionistische, die Staufer, die Habsburger, Karl den Großen - dann bleiben sie allein übrig, vielleicht noch Heinrich der Löwe und Schneewittchen. Aus diesen Resten bilden sie ihre Kulturkammern, ihr ästhetisches Sing-Sing. (Gottfried Benn: “Kunst und Drittes Reich”)
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Sauer, C. (1998). Das Ideologische und die Ideologie. In: Der aufdringliche Text. DUV: Sprachwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-08347-4_7
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