Zusammenfassung
In diesen Passagen aus Zeitungsartikeln der drei deutschsprachigen Länder zeigt sich eine gemeinsame, wiederkehrende Struktur, ein Muster des Denkens über die Anwesenheit bzw. den weiteren Zuzug von ausländischen Arbeitskräften. Solche Denkmuster bezüglich eines eingrenzbaren, politisch umstrittenen Themas finden sich in öffentlichen Texten zumeist explizit oder implizit im Rahmen einer Stellungnahme pro oder contra in Frage stehende politische Maßnahmen, Entscheidungen oder Meinungen. Es können Stellungnahmen zu einer ganz konkret anstehenden politischen Entscheidung oder zur allgemeinen Haltung gegenüber einem gesellschaftlichen oder politischen Phänomen sein. Im vorliegenden Fall können es z. B. Stellungnahmen pro oder contra den in der Bundesrepublik Ende 1973 verfügten Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte oder allgemein pro oder contra Anwesenheit oder zahlenmäßige Zunahme von ausländischen Arbeitskräften sein. Die gemeinsame Denkstruktur in den vorliegenden Zitaten kann formuliert werden als: Die Anwesenheit bzw. der Zuzug von ausländischen Arbeitskräften ist zu betrachten und zu bewerten unter dem Gesichtspunkt ihres betriebs- oder volkswirtschaftlichen Nutzens oder sogar ihrer Notwendigkeit für das Funktionieren der einheimischen Wirtschaft. Während diese gedankliche Struktur in den Zitaten ersichtlich ist, ist die behauptete argumentative Funktion dieser Denkfigur darin zumeist nicht eindeutig. Sie wird oft erst im Gesamtzusammenhang des Textes deutlich. Es lässt sich daraus dann ein sehr allgemeines Argumentationsmuster folgenden Inhalts formulieren: Weil eine Handlung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einen Nutzen erbringt oder sogar unter dem wirtschaftlichen Nutzenaspekt als notwendig erscheint, ist sie zu befürworten bzw. sollte sie ausgeführt werden. Ein solches Argumentationsmuster kann als Topos vom wirtschaftlichen Nutzen bezeichnet werden.
Darin macht sich — bei vielen sehr wider Willen — die Einsicht geltend, daß Lebensstandard, Wirtschaftswachstum und Kapitalakkumulation in der Bundesrepublik nur durch die Arbeitskraft des Importproletariats aufrechterhalten werden können. (Die Zeit 10.3.1972)
Daß die heimische Industrie sie benötigt, steht außer Zweifel — so lange jedenfalls, als hierzulande die Hochkonjunktur das bodenständige Arbeitskräftereservoir aufsaugt. (Die Presse 30.1.1973)
Es ist unbestritten, daß die Gastarbeiter zum Wirtschaftswachstum der westlichen Industriestaaten, also auch Österreichs, wesentlich beigetragen haben. (Arbeiter-Zeitung 3.5.1973)
Die Kommission geht davon aus, dass die Schweiz noch während langer Jahre auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sein wird, und befürwortet deshalb Massnahmen, die die Eingliederung der Ausländer in unsere Gesellschaft erleichtern. (Tages-Anzeiger 25.7.1973)
Schließlich wird darauf verwiesen, daß die Wirtschaft der Bundesrepublik auch im Falle einer Rezession auf die Hilfe der Ausländer angewiesen ist. (FAZ 29.11.1973)
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Literatur
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Wengeler, M. (2000). Von »Belastungen«, »wirtschaftlichem Nutzen« und »politischen Zielen«. Die öffentliche Einwanderungsdiskussion in Deutschland, Österreich und der Schweiz Anfang der 70er Jahre. In: Niehr, T., Böke, K. (eds) Einwanderungsdiskurse. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-08020-6_7
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