Zusammenfassung
Die kulturelle Selbstbeschreibung der Moderne war stets von einer erheblichen Ambivalenz geprägt: Zum einen konnte man sich das erste Mal in der abendländischen Geschichte mit der Selbstzumutung ausstatten, man sei selbst der Urheber des innerweltlichen Geschehens. Die moderne Kultur ist geradezu beseelt davon, an die Gestaltbarkeit der Welt, an den Fortschritt der menschlichen Geschichte und an die nahezu universale Problemlösungskompetenz von Wissenschaft, Politik und Ökonomie zu glauben: Wissen gegen das Vorurteil der Religion und der Metaphysik; Demokratie gegen den Herrschaftsanspruch feudaler und geistlicher Aristokraten; Unternehmergeist und Arbeitsmoral gegen die Wohlstandsmängel der Subsistenzwirtschaft und die soziale Not von Mangelökonomien. Zum anderen aber prägt die moderne Kultur eine grundlegende Verunsicherung: Die Enttraditionalisierung der Lebensführung und die radikale Erosion von Erfahrungswissen aufgrund der Beschleunigung von Ereignissen, die vielfältigen und oft beschriebenen Freisetzungsprozesse aus alten Versorgungsbezügen in materieller und sinnhafter Hinsicht, die Rationalisierung und Versachlichung von Sozialbezügen und Weltanschauungen haben ein kulturelles Syndrom hervorgebracht, das in der Moderne eher eine Läh- mung denn aktive Gestaltungskräfte freizulegen scheint.
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Neuerdings heißt es auch bei Beck sehr deutlich: “Gefahren werden oft beobachtet und gefürchtet, als handele es sich um Dinge, die gemessen, gewogen, zu leicht oder zu schwer befunden werden könnten. (...) In einer soziologischen Perspektive tritt demgegenüber hervor, daß Gefahren und Risiken soziale Konstruktionen par excellence sind.” (Beck 1993: 86)
Ich verstehe Vertrauen hier im Sinne des Begriffsvorschlages von Anthony Giddens (1995: 43ff.) als gewissermaßen “blindes” Rechnen mit erwartbaren Folgen.
Ich setze diese Variante der Theorie funktionaler Differenzierung als bekannt voraus. Als Einführung vgl. Kneer/Nassehi 1997: 111ff.
Diese Überlegung ähnelt der kürzlich von Peter Gross (1994) vertretenen Diagnose einer “Multioptionsgesellschaft”, wobei Gross m.E. das kulturelle Phänomen einer sozial immer weniger eingeschränkten Optionsvielfalt nicht auf gesellschaftsstrukturelle Korrelate bezieht.
Meine Überlegungen beschränken sich auf den gesellschaftstheoretischen Aspekt einer Optionssteigerung in den Funktionssystemen, die ich differenzierungstheoretisch erkläre. Es bleibt weiteren Analysen vorbehalten die Frage nach dem Zusammenhang der strukturellen Optionssteigerung in den Funktionssystemen und dem wechselseitigen Steigerungsverhältnis von Optionsvielfalt und Optionseinschränkung in individuellen Lebenslagen zu beantworten, die hier ausdrücklich ausgeklammert bleibt.
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Nassehi, A. (1999). Das Problem der Optionssteigerung Überlegungen zur Risikokultur der Moderne. In: Differenzierungsfolgen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-08013-8_2
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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Online ISBN: 978-3-663-08013-8
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